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Andere Zeiten, andere Leben, andere Geschichten. Dies ist die Geschichte von Freda von Rützow, geboren zu Beginn des vorigen Jahrhunderts. Sie ist siebzehn, als sie sich von einem fremden Maler verführen lässt. Eine Katastrophe, sagt ihr Vater und tut alles, um die Schande zu vertuschen. Harro Hochberg aber wird ihrem Fehltritt sein Leben verdanken. Freda darf ihr Kind nicht behalten, aber eine Stunde hat sie es im Arm, eine kurze lebenslange Stunde. Was bleibt, ist ein Traum, ein Luftkind. Himmel und Hölle nennt sie es achtzehn Jahre später, wenn sie Harro Hochberg, der nur zwei Jahre älter…mehr

Produktbeschreibung
Andere Zeiten, andere Leben, andere Geschichten. Dies ist die Geschichte von Freda von Rützow, geboren zu Beginn des vorigen Jahrhunderts. Sie ist siebzehn, als sie sich von einem fremden Maler verführen lässt. Eine Katastrophe, sagt ihr Vater und tut alles, um die Schande zu vertuschen. Harro Hochberg aber wird ihrem Fehltritt sein Leben verdanken. Freda darf ihr Kind nicht behalten, aber eine Stunde hat sie es im Arm, eine kurze lebenslange Stunde.
Was bleibt, ist ein Traum, ein Luftkind. Himmel und Hölle nennt sie es achtzehn Jahre später, wenn sie Harro Hochberg, der nur zwei Jahre älter als der verlorene Sohn ist, in ihrer Wohnung über der Hünneburger Apotheke versteckt hält. Schon seine Großeltern hatten die Synagoge gegen die Marienkirche eingetauscht. Nun, in der Nazizeit, wird der Enkel plötzlich als Jude gebrandmarkt, und allein Freda kann ihn retten. Er ist ihr fremd und vertraut zugleich. Sie gehören zusammen, sein Unglück wird ihres, es zu überstehen das einzige Ziel, drei Jahre lang. Das isolierte Leben im Schatten von Terror und Tod hat seine eigenen Gesetze. Aus Angst, Verzweiflung, Hoffnung und Sehnsucht wird Zärtlichkeit, wird Liebe. Eine Liebe im Käfig, die Rettung für beide, bis jeder allein seinen Weg finden kann.Mit großem erzählerischen Können ist Irina Korschunow wieder ein bewegender Roman gelungen. In ihrer präzisen und zugleich poetischen Sprache beschreibt sie die Geschichte zweier Menschen in Zeiten der Barbarei, zweier Menschen, denen es glückt, gemeinsam zu überleben.
Autorenporträt
Irina Korschunow stammt aus einer deutsch-russischen Familie. Sie wurde am 31. Dezember 1925 in Stendal geboren und ist auch dort aufgewachsen. Sie studierte Germanistik in Göttingen und lebt heute in der Nähe von München. Neben zahlreichen Kinderbüchern, die in viele Sprachen übersetzt und vielfach mit Preisen bedacht worden sind, veröffentlichte sie auch Jugendromane und Romane für Erwachsene.
Bei ihren Kinderbüchern arbeitet Irina Korschunow gern mit dem renommierten Illustrator Reinhard Michl zusammen.
Für ihr Gesamtwerk erhielt sie die Roswitha-Gedenkmedaille, den Literaturpreis der Stadt Gandersheim.
Irina Korschunow über ihr künstlerisches Selbstverständnis: "Autorin, ganz einfach Autorin. Unter anderem deshalb, weil dann den Leuten, die sich theoretisch mit mir zu befassen haben, die Einordnung meiner schreibenden Person leichter fiele. Denn es gibt von mir neben Büchern für Kinder auch Bücher für Erwachsene, Grund für mancherlei Schwierigkeiten offenbar. Als Kinderbuchautorin und Schriftstellerin' hat man mich schon bezeichnet, in säuberlichem Kästchendenken, und sogar hin und her überlegt, ob ich vielleicht ein bisschen schizophren sei. Worüber sämtliche Schichten in mir, das Kind, der junge Mensch, der ältere, immer ältere, all das, was sich so übereinander schiebt im Laufe eines Lebens, nun wirklich lachen mussten." Irina Korschunow verstarb 2013.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 13.12.2002

Das märkische Gretchen
Alltag unterm Hakenkreuz: Irina Korschunow vertauscht Kinder

In den bald fünfzig Jahren ihres Schaffens hat die Autorin Irina Korschunow vornehmlich auf zwei Feldern geackert, die eigentlich nicht viel miteinander gemein haben. Sie schrieb zunächst Kinder- und Jugendbücher, dann Romane für den erwachsenen Leser. Mit beiden kam sie gut an, was auf den ersten Blick staunen macht, denn jede Gattung fordert ja ihr eigenes, von der anderen durchaus unterschiedenes Publikum.

Doch eine Geschichte lebt nicht nur von ihrer Fabel, sondern sendet, je nachdem, wie sie vorgetragen wird, auch untergründige Signale aus. Leser aller Art öffnen sich ihrer jeweiligen Lektüre um so bereitwilliger, je mehr sie sich von ihr persönlich angesprochen fühlen. Und die Autorin Korschunow hat immer verstanden, ihren Lesern, den kleinen wie später den großen, zu suggerieren, sie hätten die jeweilige Geschichte auch selbst erzählen können, wären sie dafür begabt gewesen. Sie fanden sich sozusagen in ihren Büchern wieder, entdeckten Wahrheiten über sich und ihr Leben, die sie eigentlich schon immer gekannt hatten; sie hatten das nur nicht gewußt.

Genau darin besteht der Reiz auch des neuen Romans aus Korschunows Feder, betitelt "Das Luftkind". Er spielt vor, in und kurz nach dem Zweiten Weltkrieg. Zunächst scheint es, als liefere die Autorin die modernere Variante eines Gesellschaftsbildes, wie wir es von Fontane kennen. Ihre Heldin Freda, Tochter aus märkischem Landadel, erliegt einer Verführung, sie wird schwanger, das Kind wird ihr weggenommen, ihr Leben scheint ruiniert. Aber Freda ist nicht einfach eine Nachfolgerin von Effi Briest. Die Erdbeben des Säkulums haben ihre Ursprungswelt längst erschüttert, das ärgste, der braune Terror, beginnt soeben, andere Tragödien als das eines märkischen Gretchens bereiten sich vor.

Freda löst sich vom Vaterhaus und wird Lehrerin in einem Kleinstadtgymnasium. Noch trauert sie um den gestohlenen Sohn, aber dann spielt ihr die braune Politik einen Pflegling zu, der auf unerwartete Art ersetzt, was man ihr nahm, das Kind und dessen Vater. Der Jüngling Harro entstammt einer jüdischen Familie, die ihr Judentum lange verbirgt, es jedoch nicht auf Dauer verleugnen kann. Die Demaskierung bedeutet für die Eltern den Tod, für Harro, der seine ahnungslosen Knabenjahre als blonder Hitlerjunge lebte, den Absturz. Freda, deren Träume jählings mit der Realität konfrontiert werden, bietet ihm Asyl.

Die Asylgeschichte ist der Kern des Romans. Nicht deswegen, weil hier ein besonderes Beispiel der Zivilcourage im "Dritten Reich" abgebildet würde. Zwar räumt die Autorin Fredas Widerstandshandlung den gebührenden Platz ein, dennoch geht es nicht um die möglichen Stärken des einzelnen, vielmehr um seine Schwächen, den Kampf mit der Angst, die großen Niederlagen, die viel zu kleinen Siege. Das märkische Schulstädtchen ist bevölkert von einigen großmäuligen Jasagern, vielen furchtsamen Schweigern, einer Minderzahl tapferer Widerständler, einer Population also, wie sie seinerzeit überall zu finden war und wieder gefunden werden könnte, würde das Unheil sich wiederholen.

Die Rettungsaktion, so politisch die gegebenen Umstände sie erscheinen lassen, ist vor allem eine Menschengeschichte, ein Blick in den Alltag einer ungeheuerlichen Zeit. Fredas Mut setzt sie in Gang, aber die Persönlichkeit der Romanheldin erklärt sich nicht nur aus heroischen Eigenschaften. Genaugenommen: zum wenigsten aus ihnen. Freda ist, bei allem, was sie tut, immer auch die geschundene Tochter, Geliebte, Mutter. So scheint es niemals absurd, daß ihre politische Aktion ganz private Konsequenzen zeitigt, eine spröde Love-Story zwischen ihr und dem von ihr verborgenen Jungen, schließlich die noch unklare Verheißung einer neuen Mutterschaft.

Der Umstand, daß Freda die Romanheldin ist, macht dieses Stück Fabel wichtig. Und doch ist es nur ein Strang in der Erzählgirlande, die die Autorin windet. Irina Korschunow konstruiert aus menschlichen Alltäglichkeiten einen Gesamtblick auf eine Geschichtsära und leitet aus den Eigenarten dieser Ära das Tun und Lassen ihrer Zeitgenossen ab. Niemals erteilt sie uns Lehren. Sie zeigt bloß, wie das verbreitete Versagen und der spärliche Anstand in schwerer Zeit zustande kommen, wie wenig nötig ist, um ein Schuft, und wie unendlich viel, um ein braver Kerl zu sein. Sie porträtiert den Durchschnittsmenschen.

SABINE BRANDT

Irina Korschunow: "Das Luftkind". Roman. Hoffmann und Campe Verlag, Hamburg 2002. 271 S., geb., 19,90 [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Eine spannende Beschreibung eines "Durchschnittsmenschen" in der Nazi-Zeit ist Irina Korschunow hier gelungen, findet die Rezensentin Sabine Brandt. Sie ist überhaupt beeindruckt von dem Talent der Autorin, ihren Lesern die Identifikation mit ihren Geschichten leicht zu machen. Der erste Eindruck bei der Lektüre sei, dass es sich um eine moderne Variation von Fontanes Effi Briest handelt, doch die Geschichte einwickele sich schnell zu etwas anderem: der Roman sei "eine Menschengeschichte", Korschunow gelinge es, "aus menschlichen Alltäglichkeiten einen Gesamtblick auf eine Geschichtsära zu konstruieren", so das beeindruckte Fazit der Rezensentin. Ihr gefällt auch, dass eine Rettungsaktion erzählt wird, bei der die Heldin aber nicht um die Stärke des einzelnen gehe, sondern vielmehr um seine Schwächen: "den Kampf mit der Angst, die großen Niederlagen, die viel zu kleinen Siege".

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