Sie ist in der Blüte ihrer Jugend. Doch seit ihrem Fehltritt im Roggen ist Freda von Rützow eine gebrochene Frau. Das Kind jener romantischen Stunden hat sie auf Drängen ihres Vaters weggegeben. Jahrelang lastet die Erinnerung an die wenigen Minuten, die sie mit ihrem Baby verbringen durfte, auf ihr. Unter der Schreckensherrschaft der Nazis bekommt Freda Gelegenheit, ihre Schuld zu sühnen. Sie hält einen jüdischen Jungen in ihrer Wohnung versteckt, betreut und erzieht ihn. So befreit sie sich von der Last der Vergangenheit und findet in düsterer Zeit doch noch Glück und Liebe. 'Irina Korschunow ist mit packenen Schilderungen von Menschen und Milieu bekannt geworden.' Welt am Sonntag
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Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 12.03.2003Chronik einer Rettung
Irina Korschunows neuer Roman: „Das Luftkind”
„ Freda, die eigentlich Friederike hieß, Friederike
von Rützow, war siebzehn, als sie in den Roggen geriet. Eine Katastrophe nannte es ihr Vater, doch des einen Eule ist des anderen Nachtigall, Harro Hochberg, der damals noch mit seinen Rasseln und Klötzchen spielte, wird ihrem Fehltritt eines Tages seines Rettung verdanken.”
Es ist die authentische, sehr genaue Sicht auf die Zeitgeschichte, von der Irina Korschunows neuer Roman „Das Luftkind” lebt. Sie bestimmt die Glaubwürdigkeit der Handlung und die Charakterisierung ihrer Helden so nachhaltig, dass der Leser sich als Zeitzeuge des Lebens der beiden Hauptfiguren in den 40er Jahren fühlt, in der die märkische Adelige Friederike von Rützow den jüdischen Student Harro Hochberg vor dem Naziregime rettet.
Wie in Irina Korschunows früheren Romanen liegt in der Familiengeschichte der Schlüssel für das Schicksal ihrer Helden begründet: Die Großeltern von Harro Hochberg tilgen das Judentum völlig aus ihrem Leben und nehmen eine neue christliche Identität an. Eine Entscheidung, die 1941 zu einer Katastrophe führt und auch das Leben des Enkels gefährdet. Genauso unheilvoll greift der Vater von Friederike von Rützow in ihr Leben ein, als er die 17-Jährige aus falsch verstandenem Ehrgefühl zwingt, ihr uneheliches Kind heimlich zur Welt zu bringen und sofort zu Adoption frei zu geben. Diese traumatischen Erfahrungen verfolgen sie. Das verlorene Kind, das „Luftkind”, beherrscht ihre Gefühle und Gedanken.„Niemand merkte, dass Freda wie auf einer Bühne agierte, mechanisch, hinter Masken, während ihr wirkliches Leben in einer Eigenwelt aus Trauer stattfand , zusammen mit dem Kind, dem Luftkind, das sich einfand dann und wann, Liedchen hören wollte...”.
Daran ändert sich auch nichts, als sie gegen den Widerstand des Vaters ein eigenes Leben beginnt und als Lehrerin in dem alten märkische Ort Hünneburg arbeitet. Der gleiche Ort, an dem Harro Hochberg als Sohn eines der angesehensten Rechtsanwälte Hünneburgs und begeisterter Hitlerjunge, nichts von den perfekt gefälschten Abstammungsurkunden der Eltern ahnt. Bis die Katastrophe über die Familie hereinbricht, denn die wahre Identität der Eltern wird aufgedeckt. Wohl wissend, dass ihnen niemand in diesem Ort helfen wird, suchen sie vor ihrem Freitod nach einer Möglichkeit ihren Sohn zu retten. Die Wahl fällt auf Freda, die sehr zurückgezogen lebt, mit „fast spielerischem Geschick beim Vermeiden politischer Stolpersteine”. Irina Korschunow erzählt als Chronistin mit der nötigen Distanz, ohne Psychologisierung, die Annäherung an die Figuren überlässt sie dem Leser. Kunstvoll hält sie manchmal die Zeit an, unterbricht die Chronologie der Ereignisse und zeigt, wie sich das Leben auf einem alten märkischen Dorf und in einer typischen deutschen Kleinstadt langsam in der politischen Erosion und Deformation der Nazizeit und des Krieges verändert.
Für die Geschichte der beiden Hauptfiguren bedeutet die dreijährige Notgemeinschaft während des Krieges eine Befreiung, die sie endgültig aus ihren alten Vorstellungen löst. Friederike entkommt ihren gespenstischen Tagträumen und Harro akzeptiert seine neue Identität, auch wenn ihn sein besonderes Schicksal nie loslässt: „die Verstrickung von Tätern und Opfern, Schuld und Sühne.” Die Vision eines Neuanfangs verbindet sich mit der Aufbruchszeit nach dem Krieg.
ROSWITHA BUDEUS–BUDDE
IRINA KORSCHUNOW: Das Luftkind. Hoffmann und Campe, Hamburg 2002. 271 Seiten, 19,90 Euro.
SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung exklusiv über www.diz-muenchen.de
Irina Korschunows neuer Roman: „Das Luftkind”
„ Freda, die eigentlich Friederike hieß, Friederike
von Rützow, war siebzehn, als sie in den Roggen geriet. Eine Katastrophe nannte es ihr Vater, doch des einen Eule ist des anderen Nachtigall, Harro Hochberg, der damals noch mit seinen Rasseln und Klötzchen spielte, wird ihrem Fehltritt eines Tages seines Rettung verdanken.”
Es ist die authentische, sehr genaue Sicht auf die Zeitgeschichte, von der Irina Korschunows neuer Roman „Das Luftkind” lebt. Sie bestimmt die Glaubwürdigkeit der Handlung und die Charakterisierung ihrer Helden so nachhaltig, dass der Leser sich als Zeitzeuge des Lebens der beiden Hauptfiguren in den 40er Jahren fühlt, in der die märkische Adelige Friederike von Rützow den jüdischen Student Harro Hochberg vor dem Naziregime rettet.
Wie in Irina Korschunows früheren Romanen liegt in der Familiengeschichte der Schlüssel für das Schicksal ihrer Helden begründet: Die Großeltern von Harro Hochberg tilgen das Judentum völlig aus ihrem Leben und nehmen eine neue christliche Identität an. Eine Entscheidung, die 1941 zu einer Katastrophe führt und auch das Leben des Enkels gefährdet. Genauso unheilvoll greift der Vater von Friederike von Rützow in ihr Leben ein, als er die 17-Jährige aus falsch verstandenem Ehrgefühl zwingt, ihr uneheliches Kind heimlich zur Welt zu bringen und sofort zu Adoption frei zu geben. Diese traumatischen Erfahrungen verfolgen sie. Das verlorene Kind, das „Luftkind”, beherrscht ihre Gefühle und Gedanken.„Niemand merkte, dass Freda wie auf einer Bühne agierte, mechanisch, hinter Masken, während ihr wirkliches Leben in einer Eigenwelt aus Trauer stattfand , zusammen mit dem Kind, dem Luftkind, das sich einfand dann und wann, Liedchen hören wollte...”.
Daran ändert sich auch nichts, als sie gegen den Widerstand des Vaters ein eigenes Leben beginnt und als Lehrerin in dem alten märkische Ort Hünneburg arbeitet. Der gleiche Ort, an dem Harro Hochberg als Sohn eines der angesehensten Rechtsanwälte Hünneburgs und begeisterter Hitlerjunge, nichts von den perfekt gefälschten Abstammungsurkunden der Eltern ahnt. Bis die Katastrophe über die Familie hereinbricht, denn die wahre Identität der Eltern wird aufgedeckt. Wohl wissend, dass ihnen niemand in diesem Ort helfen wird, suchen sie vor ihrem Freitod nach einer Möglichkeit ihren Sohn zu retten. Die Wahl fällt auf Freda, die sehr zurückgezogen lebt, mit „fast spielerischem Geschick beim Vermeiden politischer Stolpersteine”. Irina Korschunow erzählt als Chronistin mit der nötigen Distanz, ohne Psychologisierung, die Annäherung an die Figuren überlässt sie dem Leser. Kunstvoll hält sie manchmal die Zeit an, unterbricht die Chronologie der Ereignisse und zeigt, wie sich das Leben auf einem alten märkischen Dorf und in einer typischen deutschen Kleinstadt langsam in der politischen Erosion und Deformation der Nazizeit und des Krieges verändert.
Für die Geschichte der beiden Hauptfiguren bedeutet die dreijährige Notgemeinschaft während des Krieges eine Befreiung, die sie endgültig aus ihren alten Vorstellungen löst. Friederike entkommt ihren gespenstischen Tagträumen und Harro akzeptiert seine neue Identität, auch wenn ihn sein besonderes Schicksal nie loslässt: „die Verstrickung von Tätern und Opfern, Schuld und Sühne.” Die Vision eines Neuanfangs verbindet sich mit der Aufbruchszeit nach dem Krieg.
ROSWITHA BUDEUS–BUDDE
IRINA KORSCHUNOW: Das Luftkind. Hoffmann und Campe, Hamburg 2002. 271 Seiten, 19,90 Euro.
SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung exklusiv über www.diz-muenchen.de
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 13.12.2002Das märkische Gretchen
Alltag unterm Hakenkreuz: Irina Korschunow vertauscht Kinder
In den bald fünfzig Jahren ihres Schaffens hat die Autorin Irina Korschunow vornehmlich auf zwei Feldern geackert, die eigentlich nicht viel miteinander gemein haben. Sie schrieb zunächst Kinder- und Jugendbücher, dann Romane für den erwachsenen Leser. Mit beiden kam sie gut an, was auf den ersten Blick staunen macht, denn jede Gattung fordert ja ihr eigenes, von der anderen durchaus unterschiedenes Publikum.
Doch eine Geschichte lebt nicht nur von ihrer Fabel, sondern sendet, je nachdem, wie sie vorgetragen wird, auch untergründige Signale aus. Leser aller Art öffnen sich ihrer jeweiligen Lektüre um so bereitwilliger, je mehr sie sich von ihr persönlich angesprochen fühlen. Und die Autorin Korschunow hat immer verstanden, ihren Lesern, den kleinen wie später den großen, zu suggerieren, sie hätten die jeweilige Geschichte auch selbst erzählen können, wären sie dafür begabt gewesen. Sie fanden sich sozusagen in ihren Büchern wieder, entdeckten Wahrheiten über sich und ihr Leben, die sie eigentlich schon immer gekannt hatten; sie hatten das nur nicht gewußt.
Genau darin besteht der Reiz auch des neuen Romans aus Korschunows Feder, betitelt "Das Luftkind". Er spielt vor, in und kurz nach dem Zweiten Weltkrieg. Zunächst scheint es, als liefere die Autorin die modernere Variante eines Gesellschaftsbildes, wie wir es von Fontane kennen. Ihre Heldin Freda, Tochter aus märkischem Landadel, erliegt einer Verführung, sie wird schwanger, das Kind wird ihr weggenommen, ihr Leben scheint ruiniert. Aber Freda ist nicht einfach eine Nachfolgerin von Effi Briest. Die Erdbeben des Säkulums haben ihre Ursprungswelt längst erschüttert, das ärgste, der braune Terror, beginnt soeben, andere Tragödien als das eines märkischen Gretchens bereiten sich vor.
Freda löst sich vom Vaterhaus und wird Lehrerin in einem Kleinstadtgymnasium. Noch trauert sie um den gestohlenen Sohn, aber dann spielt ihr die braune Politik einen Pflegling zu, der auf unerwartete Art ersetzt, was man ihr nahm, das Kind und dessen Vater. Der Jüngling Harro entstammt einer jüdischen Familie, die ihr Judentum lange verbirgt, es jedoch nicht auf Dauer verleugnen kann. Die Demaskierung bedeutet für die Eltern den Tod, für Harro, der seine ahnungslosen Knabenjahre als blonder Hitlerjunge lebte, den Absturz. Freda, deren Träume jählings mit der Realität konfrontiert werden, bietet ihm Asyl.
Die Asylgeschichte ist der Kern des Romans. Nicht deswegen, weil hier ein besonderes Beispiel der Zivilcourage im "Dritten Reich" abgebildet würde. Zwar räumt die Autorin Fredas Widerstandshandlung den gebührenden Platz ein, dennoch geht es nicht um die möglichen Stärken des einzelnen, vielmehr um seine Schwächen, den Kampf mit der Angst, die großen Niederlagen, die viel zu kleinen Siege. Das märkische Schulstädtchen ist bevölkert von einigen großmäuligen Jasagern, vielen furchtsamen Schweigern, einer Minderzahl tapferer Widerständler, einer Population also, wie sie seinerzeit überall zu finden war und wieder gefunden werden könnte, würde das Unheil sich wiederholen.
Die Rettungsaktion, so politisch die gegebenen Umstände sie erscheinen lassen, ist vor allem eine Menschengeschichte, ein Blick in den Alltag einer ungeheuerlichen Zeit. Fredas Mut setzt sie in Gang, aber die Persönlichkeit der Romanheldin erklärt sich nicht nur aus heroischen Eigenschaften. Genaugenommen: zum wenigsten aus ihnen. Freda ist, bei allem, was sie tut, immer auch die geschundene Tochter, Geliebte, Mutter. So scheint es niemals absurd, daß ihre politische Aktion ganz private Konsequenzen zeitigt, eine spröde Love-Story zwischen ihr und dem von ihr verborgenen Jungen, schließlich die noch unklare Verheißung einer neuen Mutterschaft.
Der Umstand, daß Freda die Romanheldin ist, macht dieses Stück Fabel wichtig. Und doch ist es nur ein Strang in der Erzählgirlande, die die Autorin windet. Irina Korschunow konstruiert aus menschlichen Alltäglichkeiten einen Gesamtblick auf eine Geschichtsära und leitet aus den Eigenarten dieser Ära das Tun und Lassen ihrer Zeitgenossen ab. Niemals erteilt sie uns Lehren. Sie zeigt bloß, wie das verbreitete Versagen und der spärliche Anstand in schwerer Zeit zustande kommen, wie wenig nötig ist, um ein Schuft, und wie unendlich viel, um ein braver Kerl zu sein. Sie porträtiert den Durchschnittsmenschen.
SABINE BRANDT
Irina Korschunow: "Das Luftkind". Roman. Hoffmann und Campe Verlag, Hamburg 2002. 271 S., geb., 19,90 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Alltag unterm Hakenkreuz: Irina Korschunow vertauscht Kinder
In den bald fünfzig Jahren ihres Schaffens hat die Autorin Irina Korschunow vornehmlich auf zwei Feldern geackert, die eigentlich nicht viel miteinander gemein haben. Sie schrieb zunächst Kinder- und Jugendbücher, dann Romane für den erwachsenen Leser. Mit beiden kam sie gut an, was auf den ersten Blick staunen macht, denn jede Gattung fordert ja ihr eigenes, von der anderen durchaus unterschiedenes Publikum.
Doch eine Geschichte lebt nicht nur von ihrer Fabel, sondern sendet, je nachdem, wie sie vorgetragen wird, auch untergründige Signale aus. Leser aller Art öffnen sich ihrer jeweiligen Lektüre um so bereitwilliger, je mehr sie sich von ihr persönlich angesprochen fühlen. Und die Autorin Korschunow hat immer verstanden, ihren Lesern, den kleinen wie später den großen, zu suggerieren, sie hätten die jeweilige Geschichte auch selbst erzählen können, wären sie dafür begabt gewesen. Sie fanden sich sozusagen in ihren Büchern wieder, entdeckten Wahrheiten über sich und ihr Leben, die sie eigentlich schon immer gekannt hatten; sie hatten das nur nicht gewußt.
Genau darin besteht der Reiz auch des neuen Romans aus Korschunows Feder, betitelt "Das Luftkind". Er spielt vor, in und kurz nach dem Zweiten Weltkrieg. Zunächst scheint es, als liefere die Autorin die modernere Variante eines Gesellschaftsbildes, wie wir es von Fontane kennen. Ihre Heldin Freda, Tochter aus märkischem Landadel, erliegt einer Verführung, sie wird schwanger, das Kind wird ihr weggenommen, ihr Leben scheint ruiniert. Aber Freda ist nicht einfach eine Nachfolgerin von Effi Briest. Die Erdbeben des Säkulums haben ihre Ursprungswelt längst erschüttert, das ärgste, der braune Terror, beginnt soeben, andere Tragödien als das eines märkischen Gretchens bereiten sich vor.
Freda löst sich vom Vaterhaus und wird Lehrerin in einem Kleinstadtgymnasium. Noch trauert sie um den gestohlenen Sohn, aber dann spielt ihr die braune Politik einen Pflegling zu, der auf unerwartete Art ersetzt, was man ihr nahm, das Kind und dessen Vater. Der Jüngling Harro entstammt einer jüdischen Familie, die ihr Judentum lange verbirgt, es jedoch nicht auf Dauer verleugnen kann. Die Demaskierung bedeutet für die Eltern den Tod, für Harro, der seine ahnungslosen Knabenjahre als blonder Hitlerjunge lebte, den Absturz. Freda, deren Träume jählings mit der Realität konfrontiert werden, bietet ihm Asyl.
Die Asylgeschichte ist der Kern des Romans. Nicht deswegen, weil hier ein besonderes Beispiel der Zivilcourage im "Dritten Reich" abgebildet würde. Zwar räumt die Autorin Fredas Widerstandshandlung den gebührenden Platz ein, dennoch geht es nicht um die möglichen Stärken des einzelnen, vielmehr um seine Schwächen, den Kampf mit der Angst, die großen Niederlagen, die viel zu kleinen Siege. Das märkische Schulstädtchen ist bevölkert von einigen großmäuligen Jasagern, vielen furchtsamen Schweigern, einer Minderzahl tapferer Widerständler, einer Population also, wie sie seinerzeit überall zu finden war und wieder gefunden werden könnte, würde das Unheil sich wiederholen.
Die Rettungsaktion, so politisch die gegebenen Umstände sie erscheinen lassen, ist vor allem eine Menschengeschichte, ein Blick in den Alltag einer ungeheuerlichen Zeit. Fredas Mut setzt sie in Gang, aber die Persönlichkeit der Romanheldin erklärt sich nicht nur aus heroischen Eigenschaften. Genaugenommen: zum wenigsten aus ihnen. Freda ist, bei allem, was sie tut, immer auch die geschundene Tochter, Geliebte, Mutter. So scheint es niemals absurd, daß ihre politische Aktion ganz private Konsequenzen zeitigt, eine spröde Love-Story zwischen ihr und dem von ihr verborgenen Jungen, schließlich die noch unklare Verheißung einer neuen Mutterschaft.
Der Umstand, daß Freda die Romanheldin ist, macht dieses Stück Fabel wichtig. Und doch ist es nur ein Strang in der Erzählgirlande, die die Autorin windet. Irina Korschunow konstruiert aus menschlichen Alltäglichkeiten einen Gesamtblick auf eine Geschichtsära und leitet aus den Eigenarten dieser Ära das Tun und Lassen ihrer Zeitgenossen ab. Niemals erteilt sie uns Lehren. Sie zeigt bloß, wie das verbreitete Versagen und der spärliche Anstand in schwerer Zeit zustande kommen, wie wenig nötig ist, um ein Schuft, und wie unendlich viel, um ein braver Kerl zu sein. Sie porträtiert den Durchschnittsmenschen.
SABINE BRANDT
Irina Korschunow: "Das Luftkind". Roman. Hoffmann und Campe Verlag, Hamburg 2002. 271 S., geb., 19,90 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main