Bertolt Brecht (1898 - 1956) ist heute meist als Dramatiker im literarischen Bewusstsein, dabei sind viele seiner Gedichte gleichermaßen Meisterwerke von bleibender Bedeutung. Es ist daher verwunderlich, dass sein lyrisches Werk, das immerhin weit über zweitausend Texte umfasst und fünf stattliche
Bände füllt, lange im Schatten seines Theaterschaffens stand. Dabei findet man bei keinem anderen…mehrBertolt Brecht (1898 - 1956) ist heute meist als Dramatiker im literarischen Bewusstsein, dabei sind viele seiner Gedichte gleichermaßen Meisterwerke von bleibender Bedeutung. Es ist daher verwunderlich, dass sein lyrisches Werk, das immerhin weit über zweitausend Texte umfasst und fünf stattliche Bände füllt, lange im Schatten seines Theaterschaffens stand. Dabei findet man bei keinem anderen Lyriker des 20. Jahrhunderts so eine große Vielfalt an Themen, Perspektiven und Formen. Außerdem hat Brecht wie kein anderer Lyriker die Möglichkeiten neuer Techniken und Medien erkannt und genutzt, gleichzeitig war er aber auch der lyrischen Tradition verhaftet.
Die vorliegende umfassende Darstellung aus dem Metzler Verlag macht den Leser mit der Breite und Vielfalt von Brechts lyrischem Werk vertraut. Zunächst gibt der Autor Ulrich Kittstein, Professor für Neuere deutsche Literaturwissenschaften an der Universität Mannheim, einen knappen Überblick zu Brechts grundsätzlichen Vorstellungen von Lyrik. Dieser Vorspann beschäftigt sich mit dem Gestus, der seinen Gedichten innewohnt, berührt aber auch grundlegende Fragen der Lyrik.
Daran schließen sich fünfzehn ausführliche Kapitel an, die in grober Reihung anhand ausgewählter Texte einzelne thematische Schwerpunkte in Brechts Lyrik analysieren, sowie bestimmte Werkgruppen, Gedichtbände und Zyklen vorstellen. Der Bogen beginnt mit dem jungen Brecht und seinen Weltkriegsgedichten der Jahre 1914-18, in denen er die wilhelminische Ideologie (z.B. in der „Legende vom toten Soldaten“) geißelte.
In seinen Entgrenzungsgedichten zu Beginn der 20er Jahre setzte sich Brecht im Gegensatz zur bisherigen deutschsprachigen Naturlyrik mit der „bergenden und verschlingenden Natur“ auseinander. Ein besonderes Charakteristikum seiner frühen Lyrik stellt auch die Verbindung von Liebe und Vergänglichkeit dar („Erinnerung an die Marie A.“). In den 20er Jahren entdeckte die deutsche Lyrik die Großstadt für sich, auch Brecht hat sich mit dieser Urbanisierung lyrisch auseinandergesetzt („Aus dem Lesebuch für Städtebewohner“).
Breiten Raum finden Brechts weltanschauliche Gedichte („Von der Freundlichkeit der Welt“), in denen er in poetischen Bildern von Unterdrückung, Leid und Aufbegehren spricht. Besonders sein Verhältnis zum Sozialismus und seine Hinwendung zum Marxismus werden kritisch hinterfragt.
Weitere Kapitel befassen sich mit Brechts „finsteren Zeiten“ während des Faschismus oder den Exiljahren in Skandinavien und den USA. Seine „Kriegsfibel“ sowie seine „Kinderlieder“ finden ebenfalls eine ausführliche Erwähnung, ehe dann unter dem Titel „Die Mühen der Ebenen“ Brechts Wirken in der DDR analysiert wird. Die beiden abschließenden Kapitel „Buckower Elegien“ und „Letzte Dinge“ widmen sich dem Alterswerk des Dichters („An die Nachgeborenen“), das um die Themen Weisheit, Tod und Nachleben kreist.
Kittsteins Erörterungen sind die ausführlichste Darstellung und Interpretation von Brechts Lyrik in den letzten Jahren. Komplettiert wird das Werk durch einen Anhang mit einer Auswahlbiografie sowie einem Namen- und Werkregister.
Manfred Orlick