'Es war einmal ein armes Kind ...' So beginnt das traurigschöne 'Märchen von der Welt'. Die Geschichte von einem Kind, das sich unendlich allein fühlt, lehnt sich an das Original des Märchens in Georg Büchners 'Woyzeck' an. Mit neuen poetischen Sprachbildern erzählt Jürg Amann das Märchen fürs Bilderbuch. Die Künstlerin Käthi Bhend entwirft eine neue Geschichte, die ebenso berührend wie tröstlich ist. In ihren fantastischen Bildern bricht ein mutiges Kind zu einer kuriosen Entdeckungsreise auf.Ein überwältigendes Buch über die Kraft von Ängsten und deren Überwindung, über die Wahrnehmung von Realität und Illusion.
zerbeulten Rand der Welt
Manchmal haben Bilder eine größere Macht als Worte. Zaubern in eine Geschichte so viel geheimnisvolle Span-nung und hoffnungsvolle Ausblicke, dass sogar ein schwieriger Märchen-stoff, wie ihn Jürg Amann aus Georg Büchners Woyzeck entlehnt, einen tröstlichen Schluss bekommt. Das Märchen von der Welt, in Büchners Drama von einer alten Frau erzählt, wird von Amann als Reise eines Kindes ins Weltall, als Besuch des Mondes, der Sonne und der Sterne inszeniert. Es herrscht eine Welt der absoluten Einsamkeit und Verlassenheit, die auch bei der Rückkehr des Kindes auf die Erde nichts von ihrer trostlosen Magie verliert. „Da setzte es sich auf den zerbeulten Rand der Welt … Und weinte wieder Tag und Nacht.“ Doch die dunkle Poesie des Textes wird aufgefangen durch die hellen hoffnungsvollen Bildwelten von Käthi Bhend. Sie entwickelt ein eigenes Buchkonzept. Schickt das verlassene Kind des Märchens, warm gepolstert, mit einer Tasche über der Schulter und mit wehendem Schal auf eine existentielle Reise. Grau und tot zeichnet sie die Welt, aus der es aufbricht. Ein Wollknäuel gibt sie ihm mit, dessen Faden das Kind locker hält und an die Erde bindet. Sie lässt es auf seiner Wanderung inmitten der schlafenden Gestirne wundersame Entdeckungen machen und zeichnet es beim Spiel inmitten der Sterne. Um es am Schluss, nur im Bild zu sehen, in einem hellen Zimmer aufwachen zu lassen, von dem sich Türen öffnen, mit den schemenhaften Figuren von Vater, Mutter, Geschwister, Hund und Katze.
„Kinder fühlen sich oft verlassen, auch mitten in der Familie“, meinte Käthi Bhend, „und eine solche Geschichte kann heilsam sein. Man muss etwas tun: Die Tasche packen, sich festbinden und aufbrechen.“ (ab 4 Jahre)
ROSWITHA BUDEUS-BUDDE
JÜRG AMANN: Das Märchen von der Welt. Illustrationen von Käthi Bhend. NordSüd Verlag 2010. 24 Seiten, 15,95 Euro.
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