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Daß eine Anthropologie der Medien möglich ist, zeigt die Verbindung von Human-, Medien- und kultureller Evolution bei André Leroi-Gourhan, die den Bogen von der Paläoontologie zu modernen Medienverhältnissen spannt. Solche Rahmenvorstellungen müssen historisch und auch theoretisch konkretisiert werden. Daher betont diese Arbeit eine Koppelung von Medien- und Erfahrungsbegriffen.

Produktbeschreibung
Daß eine Anthropologie der Medien möglich ist, zeigt die Verbindung von Human-, Medien- und kultureller Evolution bei André Leroi-Gourhan, die den Bogen von der Paläoontologie zu modernen Medienverhältnissen spannt. Solche Rahmenvorstellungen müssen historisch und auch theoretisch konkretisiert werden. Daher betont diese Arbeit eine Koppelung von Medien- und Erfahrungsbegriffen.
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 31.01.2000

Turbulenz, Explosion
K. Ludwig Pfeiffers Studie über das „Mediale und das Imaginäre”
Es war einmal, vor mehr als dreißig Jahren, da erteilten Foucault und Derrida dem Menschen einen Platzverweis und verbannten ihn vom Feld künftigen Wissens. Das Ende des Menschen – Systemsoziologie und Medienwissenschaft machen damit ernst. Hoch schlagen seither die Wellen der Empörung. Zumal rechts des Rheins, wo der Mensch einst zum Helden von Zukunft und Geschichte hochstilisiert wurde.
Aber die Aufregung beruht auf einem groben Missverständnis. Weder Systemsoziologie noch Medienwissenschaft wollen den Menschen abschaffen. Ihnen geht es vielmehr um eine strikte Trennung von Beobachtungsebenen (Technik, Kommunikation, Wahrnehmung), darum, dem Menschen einen angenehmeren Ort in der funktional differenzierten Gesellschaft zuzuweisen, einen Platz, der ihn von den hohen Erwartungen, Ansprüchen und Zumutungen entlastet, die Moderne und Aufklärung ihm aufhalsen.
Für die Humanwissenschaften hat das weitreichende Folgen. Sie sind seitdem mit der Frage konfrontiert, wie künftig in der Leere des verschwundenen Menschen gedacht werden kann. Die Lösung, die sie anbieten, ist so banal einfach wie einfach banal: Sie ersetzen Geist und Humanum durch Kultur oder Medien und vergleichen Kultur und Regionen.
So auch K. Ludwig Pfeiffer, Literaturwissenschaftler an der Gesamthochschule Siegen, der bis vor kurzem selbst noch Sympathien für die Materialien der Kommunikation zeigte und mit Unterscheidungsartistik hantierte. Die Gründe, die ihn mit seinem neuen Buch „Das Mediale und das Imaginäre” zum Platzwechsel bewegten, sind gewichtig, aber allesamt bekannt und daher rasch erzählt. In der Systemsoziologie sinke, so Pfeiffer, Kultur zum reinen Stichwortgeber herab. Kultur sei aber mehr als der Hort „zwangloser Kommunikation”: „Agitation, Instabilität, Turbulenz, Explosion. ” Weshalb es den Begriff der Erfahrung zu stärken und gegen den der Semantik und der Oberflächen zu verteidigen gelte. Andererseits seien die Beobachtungsmuster, nach denen distanzierte Beobachter beobachten, viel zu grob, als dass alle Phänomene und Erfahrungen, die für Kulturen von Belang sind oder an denen sich kulturelle Moden und Trends ablesen lassen, angemessen gewürdigt werden könnten. Was für Wirtschaft, Verwaltung oder Politik zutreffe, könne keinesfalls auf die Eigensinnigkeiten von Ästhetik und Kunst übertragen werden.
Die sind laut Pfeiffer vornehmlich Erfahrungen, die Menschenkörper erfordern und sie formen. Erfahrungen, die Menschen in heftigste Erregungszustände versetzen und performative Spuren in Kulturen hinterlassen. Medien und Künste haben da ihren Einsatzort, sie stimulieren und verstärken dieses Potential, und zwar umso intensiver, je mehr sie im Mix oder Verbund auftreten oder synästhetisch operieren. Oper, House-Musik und virtuellen Realitäten gelingt das leichter als einem Einzelmedium wie der Literatur. Sind „Erlebnisintensitäten” aber erst mal als menschliche Bedürfnisse bekannt, als kulturell notwendig deklariert, fällt es leicht, Kulturen auf rauschhafte Verausgabungen zu befragen.
Dem antiken Gladiatorenkampf kann daraufhin das Heavy-Metal-Konzert genauso zur Seite gestellt werden wie der Champions League die Love Parade oder der Wagner-Oper der Stierkampf und das Sumo-Ringen. Hier wie dort geht es um Flow-Erlebnisse, was im Übrigen die Unterscheidung von hoher und niederer Kunst, von verbotenen (Doping) und erlaubten Stimulantien ausschließt.
Pfeiffer scheint durchaus eine richtige Fährte zu verfolgen. Wohltrainierte Körper ziehen die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit auf sich. Weshalb es falsch ist, wenn ambitionierte Kulturtheorien Disziplinierung, Entsinnlichung oder gar Verschwinden des Körpers beklagen. Im Gegenteil: Der Körper Henry Maskes, Verona Feldbuschs oder Denis Rodmans turnen den Beobachter nicht nur an, ihre Formen und Bewegungsabläufe werden offenbar immer öfter Anlass, den state of art einer Kultur an ihnen zu erproben. Potenziert wird das durch das Geschäft mit „erhöhter Vitalität”, das vornehmlich in Mediengesellschaften boomt, wo Massenmedien und Erlebnisagenturen der Lust an packender Unterhaltung nachkommen, indem sie spektakulär inszenieren. Die Massen schätzen und genießen das. In Scharen strömen sie auf die Straßen, in die Sportarenen oder vor die Bildschirme, um die „stilistisch eindrucksvolle Inszenierung” von Körpern zu genießen.
Fernöstliche Artistik
Ahumanistische Programme tun sich schwer, wenn sie über Erlebnisse „der besonderen Art” Auskunft geben sollen – die werden von jedem Individuum anders erfahren. Deshalb antworten sie mit Soziologie und Analyse, um die Gesellschaft mit ästhetischer Spekulation zu entlasten. Mit guten Gründen. Wie anders könnte man mehr über die Faszinationskraft erfahren, die Gewalt, Ritual und Schrecken ausüben, als durch ihre Beobachtung. Das 600 Seiten starke Werk Pfeiffers kann sich dem noch entziehen. Sinneslust vermag es kaum zu vermitteln. Den Leser in vitale Erregungszustände zu versetzen, auch nicht. Der muss stattdessen langatmige Abhandlungen über fernöstliche Bühnenartistik über sich ergehen lassen.
Warum Houellebecq, Tour de France und Fight Clubs Menschen anziehen, warum sie die Schwerkraft ihres Körpers austesten oder den Geschmack unangenehmer Körpersäfte beim Rave auf dem Ku’damm einatmen – für Antworten darauf braucht es keine Anthropologie. Auch keine, die sich mit Medien umstellt oder medial maskiert. Dazu reichen die Wahrnehmungscodes der Soziologie, die Analyseinstrumente der Medienwissenschaft völlig aus.
Dass Pfeiffer mit Medien sehr undifferenziert umgeht, überrascht daher keineswegs. Nicht zufällig verfällt er auf McLuhans „extentions of man”. Dieser Begriff ist hinreichend flexibel, unbestimmt und offen, um mühelos von Anthropologen importiert werden zu können. Demnach kann alles zum Medium werden: Hitze, Drogen, Latex. Hauptsache, es stärkt, erweitert, stimuliert die vitalen Kräfte des Menschen – damit auch die der Kulturen. Doch Medien stimulieren nicht nur, sie immunisieren auch. Über diese Abschirm- und Schutzfunktion, die Prints und Screens aufweisen, erfahren wir nichts. Dieser unmarkierte Aspekt des Begriffs hätte Pfeiffer in eine ganz andere Richtung geführt, zu Spannungsverlust, Erregungsabbau, innerer Ruhe. Hätte das die schöne These des Buchs ruiniert?
RUDOLF MARESCH
K. LUDWIG PFEIFFER: Das Mediale und das Imaginäre. Dimensionen kulturanthropologische Medientheorie. Suhrkamp, Frankfurt 1999. 618 S. , 78 Mark.
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