Manuel und Pau werden als Kinder Zeugen der Ermordung einiger Männer ihres Dorfes durch faschistische Rebellen (1936). Unter den Mördern erkennen sie den Vater des gleichaltrigen Julià. Pau rächt seinen Vater, indem er Julià in einer Höhle im Beisein von Manuel übertötet. Er flieht und verunglückt, als er in einen Brunnen stürzt. Jahre später (1942) begegnet der an Tuberkulose erkrankte Manuel in einem mallorquinischen Sanatorium Ramallo, seinem Freund aus Kindheitstagen. Und Ramallo trifft dort auf die Nonne Francisca Luna, die als Mädchen Ramallo liebte. Überspannt von malerischen Beschreibungen der Landschaft Mallorcas und eingebettet in die wenig bekannte Episode italienischer Faschisten auf Mallorca, aber ohne Ausweg zwischen bigotter Moral und sexueller Verklärung, steuert ihr kurzes Leben auf die Katastrophe zu. Zwischen Szenen von Auflehnung, aufkeimender Sexualität und abrupter sexualisierter Gewalt bleibt für ein klischeehaftes Mallorca kein Platz. Und dennoch ist Das Meer ein Roman wie ein Brandzeichen Mallorcas. Der Übersetzung liegt die erst 2017 unter Verwendung der Archive der franquistischen Zensurbehörde vervollständigte Ausgabe von "El mar" zugrunde.
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Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension
Rezensentin Karin Janker ist begeistert von Blai Bonets erstem Roman von 1958, der nun endlich auch auf Deutsch vorliegt, wie sie dankbar feststellt. Janker vergleicht die auf Mallorca spielende Geschichte um zwei vom spanischen Bürgerkrieg geprägte, an Tuberkulose erkrankte junge Männer mit Thomas Manns "Zauberberg" und erkennt: Bonet schreibt eine Art "Anti-Zauberberg". Die Krankheit wird hier nicht verklärt, sondern in ihrer Unerbittlichkeit dargestellt, meint Janker. Dass der Krieg anders als bei Mann bei Bonet bereits vergangen ist, ermöglicht es dem Autor, die Versehrungen seiner Figuren auf ihn zurückzuführen. Für die Verfilmung des Romans liefert das Buch den Kontext, erklärt die Rezensentin. Keine Urlaubslektüre für Mallorca-Reisende, warnt Janker.
© Perlentaucher Medien GmbH
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 14.04.2021Am Ende aller Geschichten
Großtat eines kleinen Verlags: "Das Meer", der verzweifelte Roman des Katalanen Blai Bonet, erscheint endlich auch auf Deutsch.
Eine Gruppe junger Leute 1942, ein Lungensanatorium auf Mallorca - doch die ersten Sätze dieses unerhörten Romans sind der Natur gewidmet. Sätze ohne Verb, beschwörende Sätze, die Natur erscheint wie eine angerufene Macht. Tatsächlich wird hier gleich am Anfang schon die mallorquinische Natur mythisiert, aber im Gegensatz zur Romantik besteht keine Einheit mit ihr. Sie ist ein Gegenüber, wenn nicht ein Gegner. Zwar liegt die Landschaft "süßlich, bedächtig" da, durchzogen aber von "tiefschwarzen Schatten", der Nebel ist "tiefbleiern", das Olivgrün der Eichen "stumpf und still".
So wird kein lebensfrohes Buch eingeleitet. Im Mittelpunkt stehen die Freunde Manuel Tur und Andreu Ramallo. Sie leiden an Tuberkulose, werden gepflegt von Nonnen, unter ihnen Schwester Francisca, eine Freundin aus frühen Tagen, und betreut von Pater Gabriel. Die jungen Leute stehen an der Schwelle zum Erwachsensein und haben in der Kindheit schon Schreckliches gesehen. Der Spanische Bürgerkrieg ist nur ein paar Jahre her. Die Frage ist nun nicht, was passiert und was sie erleben, sondern: Was geht in ihnen vor?
"Das Meer" des Mallorquiners Blai Bonet (1926 bis 1997) zu resümieren ist kaum möglich. In jedem der 32 Kapitel spricht eine der genannten vier Personen. Es gibt nur wenige Ereignisse im eigentlichen Sinne, das Wichtigste wird von Manuel berichtet, aber auch das ist keine natürlich fließende Erzählung, Bonet widersetzt sich jeder Roman-fleuve-Idee. Mit seinem Freund Pau wird Manuel 1936 Zeuge, wie einige Männer des Ortes, darunter Paus Vater, von Franco-Anhängern erschossen werden. Pau rächt sich, indem er den Sohn eines der Franquisten erdolcht. Auf der Flucht stürzt der Junge in einen Brunnen und stirbt. Das sechs Jahre zurückliegende Ereignis ist der Urgrund all dessen, was berichtet wird.
Seitdem geschieht nichts mehr. Die Zeit steht still. Überraschend dann der Satz: "Das Sanatorium ist der Gegenentwurf zur Eintönigkeit." So begründet Pater Gabriel seine Entscheidung, warum er nicht in einer Gemeinde, sondern im Sanatorium Seelsorger geworden ist. Der Gegenentwurf, den er meint, das sind nun keine Abenteuer oder Actionszenen, sondern die manischen Monologe und Gespräche ohne Ende, die Gedanken und Reflexionen über Gott und dessen Sohn, den Erlöser der Menschen; das sind die heimlichen und offenen und verbotenen Sehnsüchte, ob homoerotisch oder nicht, das Ergründen des eigenen und fremden Körpers; das ist das Erlangen bewussten Seins im körperlichen Schmerz und im Gebet, das für einen besessen Glaubenden wie Manuel einer Droge gleichkommen kann.
Dies alles in Anbetracht des täglichen Todes im Lungensanatorium, wo es nach "schwefeligem Triom, reinem Alkohol, Schweiß und Kölnisch Wasser stinkt". Verzweiflung ist die Kraft, die die Menschen in diesem Roman bewegt, einerlei, was sie tun oder sagen. Für Gläubige ist das ein Problem, denn Verzweiflung bedeutet doch, kein Vertrauen zu Gott zu haben.
Natürlich denkt man an Thomas Manns "Zauberberg", in dem Hans Castorp seine leerlaufende Zeit mit vielen Gesprächen in Davos verbringt. Aber dort wird "als Gottesschande das Versagen des Gefühls" empfunden, hier ist es eher das Versagen des Glaubens im Leben. Und dort steht der Krieg noch bevor, fast als Verheißung, während er hier zurückliegt, als Trauma. Bei Bonet wird der Bluthusten unmittelbar auf Brutalitäten des Bürgerkriegs zurückgeführt: Danach "bekam ich meine Krankheit", sagt Manuel.
Laut dem Nachwort des katalanischen Bonet-Herausgebers Xavier Pla wurde das Buch aber nur indirekt von Thomas Mann inspiriert, nämlich über Camilo José Celas Sanatoriumsroman "Pabellón de reposo", der in einer Station für Rekonvaleszenten spielt und körperlichen Verfall und sexuelle Leidenschaften gewissermaßen Hand in Hand auftreten lässt. Die wichtigere Verwandtschaft, so Xavier Pla, sei die mit Pier Paolo Pasolini - was unmittelbar einleuchtet.
Trotz der schwergewichtigen, bilderreichen Sprache wird alles - Grausamkeiten, obsessive Grübeleien, sexuelle Versuchungen - mit schamlos sachlicher Notwendigkeit geschildert. Das ruft eine Art Distanz hervor. Man möchte nicht gleich von Brecht'scher Verfremdung sprechen, aber es ist deutlich, dass Bonet Einfühlung und Mitleiden vermeidet. Seine Sprache kennt weder süßliche noch schmerzliche Violinenklänge. Sie ist nicht konzis, aber auch nicht überladen oder gar "übergriffig" - im Gegensatz zu durchaus verwandten Texten wie Pierre Guyotats Algerien-Romanen, die uns mit schockierenden monotonen Abscheulichkeiten geradezu malträtieren. Abstoßende Grausamkeit beschränkt sich bei Bonet auf zwei ebenso unerklärliche wie sadistische Katzentötungen.
Der Roman ist aufwühlend und aufreibend, die Übersetzung kann keine leichte Aufgabe gewesen sein. Sie fängt die Atmosphäre, die Verfassung der Personen, ihr inneres Ringen, den blutig-erdigen Stil des Autors sehr passend ein (hier und da ein Stilbruch oder eine Unsicherheit in Tempora und Modi). Aber die zahlreichen unbegreiflichen Stellen und Formulierungen, die rätselhaften Bilder - sie müssen in Bonets Denken gründen, das nicht allen zugänglich sein dürfte: "Menschensöhne sündigen so übertrieben wie jemand, der eine Mauer nur aus Steinen errichtet", "Das Blut ist wie Gott: Blut ist verborgene Natur", "eure Verzweiflung, so schwabbelig wie die Bäuche von Leuten, die ihre Namen änderten", "korrupt wie brodelnde Jauche". In diesem Zwischenreich zwischen Tod und Leben, dessen Gottesfurcht es am Wesentlichen zu fehlen scheint, das den christlichen Glauben auszeichnet, nämlich an Vergebung, gibt es vielleicht tatsächlich keine Geschichten mehr und keine Geschichte. Es ist eine schwere, aber unerschöpfliche Lektüre, weil Blai Bonet eine innere (religiöse, erotische, seelische) Verfassung ergründen und keine äußere Situation erzählen will. Nach einmaligem Lesen ist man noch lange nicht mit ihm fertig.
PETER URBAN-HALLE
Blai Bonet: "Das Meer". Roman.
Aus dem Katalanischen von Frank Henseleit. Mit einem Nachwort von Xavier Pla. Kupido Verlag, Köln 2021. 248 S., geb., 27,80 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Großtat eines kleinen Verlags: "Das Meer", der verzweifelte Roman des Katalanen Blai Bonet, erscheint endlich auch auf Deutsch.
Eine Gruppe junger Leute 1942, ein Lungensanatorium auf Mallorca - doch die ersten Sätze dieses unerhörten Romans sind der Natur gewidmet. Sätze ohne Verb, beschwörende Sätze, die Natur erscheint wie eine angerufene Macht. Tatsächlich wird hier gleich am Anfang schon die mallorquinische Natur mythisiert, aber im Gegensatz zur Romantik besteht keine Einheit mit ihr. Sie ist ein Gegenüber, wenn nicht ein Gegner. Zwar liegt die Landschaft "süßlich, bedächtig" da, durchzogen aber von "tiefschwarzen Schatten", der Nebel ist "tiefbleiern", das Olivgrün der Eichen "stumpf und still".
So wird kein lebensfrohes Buch eingeleitet. Im Mittelpunkt stehen die Freunde Manuel Tur und Andreu Ramallo. Sie leiden an Tuberkulose, werden gepflegt von Nonnen, unter ihnen Schwester Francisca, eine Freundin aus frühen Tagen, und betreut von Pater Gabriel. Die jungen Leute stehen an der Schwelle zum Erwachsensein und haben in der Kindheit schon Schreckliches gesehen. Der Spanische Bürgerkrieg ist nur ein paar Jahre her. Die Frage ist nun nicht, was passiert und was sie erleben, sondern: Was geht in ihnen vor?
"Das Meer" des Mallorquiners Blai Bonet (1926 bis 1997) zu resümieren ist kaum möglich. In jedem der 32 Kapitel spricht eine der genannten vier Personen. Es gibt nur wenige Ereignisse im eigentlichen Sinne, das Wichtigste wird von Manuel berichtet, aber auch das ist keine natürlich fließende Erzählung, Bonet widersetzt sich jeder Roman-fleuve-Idee. Mit seinem Freund Pau wird Manuel 1936 Zeuge, wie einige Männer des Ortes, darunter Paus Vater, von Franco-Anhängern erschossen werden. Pau rächt sich, indem er den Sohn eines der Franquisten erdolcht. Auf der Flucht stürzt der Junge in einen Brunnen und stirbt. Das sechs Jahre zurückliegende Ereignis ist der Urgrund all dessen, was berichtet wird.
Seitdem geschieht nichts mehr. Die Zeit steht still. Überraschend dann der Satz: "Das Sanatorium ist der Gegenentwurf zur Eintönigkeit." So begründet Pater Gabriel seine Entscheidung, warum er nicht in einer Gemeinde, sondern im Sanatorium Seelsorger geworden ist. Der Gegenentwurf, den er meint, das sind nun keine Abenteuer oder Actionszenen, sondern die manischen Monologe und Gespräche ohne Ende, die Gedanken und Reflexionen über Gott und dessen Sohn, den Erlöser der Menschen; das sind die heimlichen und offenen und verbotenen Sehnsüchte, ob homoerotisch oder nicht, das Ergründen des eigenen und fremden Körpers; das ist das Erlangen bewussten Seins im körperlichen Schmerz und im Gebet, das für einen besessen Glaubenden wie Manuel einer Droge gleichkommen kann.
Dies alles in Anbetracht des täglichen Todes im Lungensanatorium, wo es nach "schwefeligem Triom, reinem Alkohol, Schweiß und Kölnisch Wasser stinkt". Verzweiflung ist die Kraft, die die Menschen in diesem Roman bewegt, einerlei, was sie tun oder sagen. Für Gläubige ist das ein Problem, denn Verzweiflung bedeutet doch, kein Vertrauen zu Gott zu haben.
Natürlich denkt man an Thomas Manns "Zauberberg", in dem Hans Castorp seine leerlaufende Zeit mit vielen Gesprächen in Davos verbringt. Aber dort wird "als Gottesschande das Versagen des Gefühls" empfunden, hier ist es eher das Versagen des Glaubens im Leben. Und dort steht der Krieg noch bevor, fast als Verheißung, während er hier zurückliegt, als Trauma. Bei Bonet wird der Bluthusten unmittelbar auf Brutalitäten des Bürgerkriegs zurückgeführt: Danach "bekam ich meine Krankheit", sagt Manuel.
Laut dem Nachwort des katalanischen Bonet-Herausgebers Xavier Pla wurde das Buch aber nur indirekt von Thomas Mann inspiriert, nämlich über Camilo José Celas Sanatoriumsroman "Pabellón de reposo", der in einer Station für Rekonvaleszenten spielt und körperlichen Verfall und sexuelle Leidenschaften gewissermaßen Hand in Hand auftreten lässt. Die wichtigere Verwandtschaft, so Xavier Pla, sei die mit Pier Paolo Pasolini - was unmittelbar einleuchtet.
Trotz der schwergewichtigen, bilderreichen Sprache wird alles - Grausamkeiten, obsessive Grübeleien, sexuelle Versuchungen - mit schamlos sachlicher Notwendigkeit geschildert. Das ruft eine Art Distanz hervor. Man möchte nicht gleich von Brecht'scher Verfremdung sprechen, aber es ist deutlich, dass Bonet Einfühlung und Mitleiden vermeidet. Seine Sprache kennt weder süßliche noch schmerzliche Violinenklänge. Sie ist nicht konzis, aber auch nicht überladen oder gar "übergriffig" - im Gegensatz zu durchaus verwandten Texten wie Pierre Guyotats Algerien-Romanen, die uns mit schockierenden monotonen Abscheulichkeiten geradezu malträtieren. Abstoßende Grausamkeit beschränkt sich bei Bonet auf zwei ebenso unerklärliche wie sadistische Katzentötungen.
Der Roman ist aufwühlend und aufreibend, die Übersetzung kann keine leichte Aufgabe gewesen sein. Sie fängt die Atmosphäre, die Verfassung der Personen, ihr inneres Ringen, den blutig-erdigen Stil des Autors sehr passend ein (hier und da ein Stilbruch oder eine Unsicherheit in Tempora und Modi). Aber die zahlreichen unbegreiflichen Stellen und Formulierungen, die rätselhaften Bilder - sie müssen in Bonets Denken gründen, das nicht allen zugänglich sein dürfte: "Menschensöhne sündigen so übertrieben wie jemand, der eine Mauer nur aus Steinen errichtet", "Das Blut ist wie Gott: Blut ist verborgene Natur", "eure Verzweiflung, so schwabbelig wie die Bäuche von Leuten, die ihre Namen änderten", "korrupt wie brodelnde Jauche". In diesem Zwischenreich zwischen Tod und Leben, dessen Gottesfurcht es am Wesentlichen zu fehlen scheint, das den christlichen Glauben auszeichnet, nämlich an Vergebung, gibt es vielleicht tatsächlich keine Geschichten mehr und keine Geschichte. Es ist eine schwere, aber unerschöpfliche Lektüre, weil Blai Bonet eine innere (religiöse, erotische, seelische) Verfassung ergründen und keine äußere Situation erzählen will. Nach einmaligem Lesen ist man noch lange nicht mit ihm fertig.
PETER URBAN-HALLE
Blai Bonet: "Das Meer". Roman.
Aus dem Katalanischen von Frank Henseleit. Mit einem Nachwort von Xavier Pla. Kupido Verlag, Köln 2021. 248 S., geb., 27,80 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main