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Zoff in Hollands besseren Kreisen: Anna Enquists "Meisterstück"Dass ein zeitgenössischer Familienroman witzig, ergreifend, gekonnt geschrieben und intelligent konstruiert sein kann, beweist die Niederländerin Anna Enquist mit ihrem Erstling "Das Meisterstück": Wie der "genialische" Kunstmaler Johan Steenkamer seine Lieben mit Ansprüchen, Launen und Affären tyrannisiert, wie sein ungeliebter Bruder Oscar alles unternimmt, um den Erfolg des Künstlers zu unterminieren, wie Alma, die Mutter der beiden, ihre Söhne gegeneinander ausspielt, wie Johans Frauen von ihm gedemütigt werden und sich doch…mehr

Produktbeschreibung
Zoff in Hollands besseren Kreisen: Anna Enquists "Meisterstück"Dass ein zeitgenössischer Familienroman witzig, ergreifend, gekonnt geschrieben und intelligent konstruiert sein kann, beweist die Niederländerin Anna Enquist mit ihrem Erstling "Das Meisterstück": Wie der "genialische" Kunstmaler Johan Steenkamer seine Lieben mit Ansprüchen, Launen und Affären tyrannisiert, wie sein ungeliebter Bruder Oscar alles unternimmt, um den Erfolg des Künstlers zu unterminieren, wie Alma, die Mutter der beiden, ihre Söhne gegeneinander ausspielt, wie Johans Frauen von ihm gedemütigt werden und sich doch seinem Charme nicht entziehen können, und wie sich aus dieser Konstellation unweigerlich die Katastrophe anbahnt - das alles ist so tiefgründig und doch scheinbar mit leichter Hand hingeworfen, so lakonisch und doch mitfühlend geschildert, dass es die modisch plappernde "Frauenliteratur" lässig auf ihren Platz verweist.
Autorenporträt
Anna Enquist wurde 1945 in Amsterdam geboren. Sie wuchs in der niederländischen Stadt Delft auf, studierte Klavier am Königlichen Konservatorium in Den Haag, anschließend Klinische Psychologie in Leiden und arbeitet als Psychoanalytikerin. Seit 1991 veröffentlicht sie Gedichte, Romane und Erzählungen. Anna Enquist zählt neben Margriet de Moor und Harry Mulisch zu den bedeutendsten niederländischen Autoren der Gegenwart. Ihre Werke wurden in 15 Sprachen übersetzt und mit zahlreichen internationalen Literaturpreisen ausgezeichnet. Anna Enquist lebt in Amsterdam.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 05.03.1996

Auf der Höhe der Brombeere
Übervoll, aber unterhaltend: Anna Enquist kennt ganz Amsterdam

Zum grammatischen Positiv Mann bildet Macho den Komparativ und Künstler den Superlativ. Nicht daß mit den Steigerungsstufen die Attraktivität der jeweiligen Personengruppe abnimmt, ist die Botschaft dieses Roman-Erstlings der niederländischen Lyrikerin - im Gegenteil, der Künstler als Supermacho stellt die größte Versuchung zur weiblichen Selbstversklavung dar, mit der sich Frauen, ehe es zu spät ist, selbstkritisch auseinandersetzen sollten.

Für Alma, die heute fünfundsiebzig Jahre alte Mutter von Johan, dem Maler, und Oskar, dem Kunsthistoriker, gab es keine Rettung. Als sie sich den egomanischen Allüren und Affären von Charles widersetzt, läßt der sie mit den zwei Buben sitzen und verschwindet auf Nimmerwiedersehen in Amerika, wo er als Opernregisseur reüssiert und weitere drei Frauen für sich, die Kunst und seinen Größenwahn verbraucht. Alma dagegen verbringt die letzten fünf Jahrzehnte ihres Lebens als schlechte Mutter, liebe Oma und als ewige Träumerin. Das wird erst offenbar, als bekannt wird, daß Johan den verschwundenen Vater zur Eröffnung seiner großen Ausstellung eingeladen hat und Alma vor lauter erwartungsvoller Nervosität einen Infarkt erleidet, sich aber trotzdem vom Auftritt im Städtischen Museum nicht abhalten läßt.

Dort ist auch Ellen, die Ex-Frau des erfolgreichen Malers, trotz der Aussicht, dort auf Zina, die junge Geliebte von Johan zu treffen. Sie gehört einer anderen Frauengeneration als Alma an und hat es vor zehn Jahren geschafft, Unabhängigkeit und Selbstverwirklichung höher zu bewerten als die leidenschaftliche Vereinnahmung durch Johan. Auch Lisa ist da, Ellens Freundin, eine chronisch depressive Psychotherapeutin, außerdem die Söhne Peter und Paul, Oskar, der Sonderling, der am Abend in einer Gracht ertrinken wird, der Mäzen des Künstlers, der Direktor, das Fernsehen und eben tout Amsterdam.

Der Roman leidet, will ich damit andeuten, an einer gewissen Übervölkerung und einem damit verbundenen hohen Problemaufkommen, das wegen der Enge und Kürze dann nur überflogen, aber nicht erzählt werden kann. Man ist froh, daß die Erzählerallmacht wenigstens Lisas Ehemann und ihre beiden Kinder nach England zu den Verwandten geschickt hat, so daß immerhin dieser Teil ihres Lebens in einem einmaligen Telefonat unterkommen kann.

Der Roman ist in den Niederlanden ein Erfolg gewesen, vermutlich aus mehreren und ganz entgegengesetzten Gründen. Leicht, aber nur sehr leicht erhöht, können vor allem weibliche Leser in der Familien-und Ehegeschichte von Alma, Ellen und Lisa ihre eigene auf dem psychologischen Niveau erkennen, an das wir uns gewöhnt haben, ohne daß irgendein Problem deswegen weniger schmerzte oder von irgend jemandem einfacher zu beheben wäre. Auch berufstätige und akademisch qualifizierte Frauen - Ellen holt nach der Scheidung ein Soziologiestudium nach und arbeitet als Sozialplanerin - empfinden Männern, Machos und sogar Künstlern gegenüber sehr ambivalent. Sind Busenfreundinnen zum Reden, Trinken und sogar zum Wohnen die besten Partner, scheint nach wie vor, und gerade in Romanen so explizit wie nie zuvor, in der sexuellen Kommunikation das höchste Potential an Selbsterfahrung und Selbstbestätigung zu stecken. Vielleicht aber auch nur eine Konvention, der beliebige Filme, Fernsehspiele und Romane so beflissen folgen, wie sie früher das Thema vermieden haben und die Liebe mit dem Kuß enden ließen?

Neben Familien- und Ehegeschichten bearbeitet der Roman verbreitete Künstlerphantasien, diese aber, so beliebt sie sein mögen, denn doch nicht auf der Höhe der Zeit. Johan malt wieder figurativ. Wer aber hier wieder auf die Wettbewerbs- und Auftragskunst des neunzehnten Jahrhunderts zurückgreift, wo es zwar Meisterstücke, aber noch keine Konzepte und Serien gab, dazu noch den Größenwahn und das Übermenschentum addiert, ist einfach nicht so auf dem laufenden, wie man es vom Autor eines Gesellschaftsromans erwartet. Sähen Johans Bilder so aus wie im Roman beschrieben, würde kein großes Museum Anfang der neunziger Jahre ihn ausstellen.

Küchenspychologisch ist auch die Herleitung von Johans Künstlerexistenz aus Reminiszenzen an den flüchtenden Vater, der dem kleinen Sohn einen Auftrag gibt und jene vier Bilder zeigt, die Oskar dann im Fundus ausfindig macht, um den Bruder als Plagiator des Vaters bloßzustellen. Aber diese Information ist Bestandteil der eben schon beklagten Hyperkomplexität, der Anfänger fast ebenso leicht zum Opfer fallen wie der Versuchung zur Autobiographie, die hier lobenswerterweise keine Rolle spielt.

Mit meinen sachlichen und ästhetischen Einwänden will ich dem Roman seinen angenehmen Unterhaltungswert nicht absprechen. Kritik nährt sich manchmal nicht nur von Defiziten, sondern von erfolgreichen Passagen, auf deren dauernder Höhe man sich einen Autor wünscht. Lisa kocht Brombeermarmelade, und dieser Vorgang, insbesondere das Verhalten der Brombeeren, wird zum Inbegriff eines Lebens zwischen vernünftigem Glück und rasendem Wahnsinn.

Ellens zehnjährige Tochter Saar stirbt plötzlich an einem unerkannten Herzfehler. Die nüchterne Schilderung des Zimmers im Krankenhaus, des konsternierten und von seinen Herzklappen eingenommenen Arztes, schließlich die Zeremonie, in der Saar von Ellen und einer erfahrenen Krankenschwester fürs Begräbnis mit ihren liebsten Klamotten eingekleidet wird - das sind Szenen, wo Anna Enquist auf der Höhe der Zeit, ihrer Kenntnisse und unserer Bedürfnisse an nach- und vorarbeitender Erfahrung steht. Die beweisen: Literatur ist unersetzlich. KATHARINA RUTSCHKY

Anna Enquist: "Das Meisterstück". Roman. Aus dem Niederländischen übersetzt von Hanni Ehlers. Luchterhand Literaturverlag, München 1995. 316 S., geb., 39,80 DM.

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"Ein hinreißendes Buch, das man in einem Atemzug durchliest." De Telegraaf