Hünej, eine junge Frau aus dem Altaigebirge, wird von einem großen, starken und überall behaarten "Menschenwild" geraubt, verbringt mit ihm einen Winter in der Wildnis des Hochgebirges und faßt schließlich Zutrauen zu ihm. Gemeinsam meistern sie die Gefahren des alltäglichen Überlebenskampfes. Sie kommen sich auch körperlich näher, und Hünej wird Mutter. Doch sie möchte zurück zu ihrer Nomadensippe in der Ebene und flieht. Er folgt ihr ...Galsan Tschinag, der deutschschreibende mongolische Schamane, erzählt die alte Legende vom Tiermenschen neu. Eine Erzählung von großer Anmut, voll Glück und Trauer.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 05.06.2008King Kongs Cousin
Galsan Tschinag wirft dem Biest wieder eine Schöne vor
Das ungleiche Paar hat seine Wurzeln in der Welt der mongolischen Legenden. Hünej, Tochter von wohlhabenden Nomaden, ist noch nicht ganz zur Frau herangereift, als sie, von pubertärer Romantik getrieben, mit ihrem Liebsten in die Berge des Altai flüchtet. Dort raubt ein männlicher "Gijik", das legendäre "Menschenwild" der mongolischen Bergwelt - halb Tier, halb Mensch -, sie dem Verlobten und verschleppt die junge Frau in seine Höhle. Eine Flucht ist unmöglich, und so fügt sie sich in das vermeintlich tödliche Schicksal. Doch ihre Bereitschaft, das eigene Leben bis zum bitteren Ende zu verteidigen, wird nie auf die Probe gestellt. Der riesige Gijik, dicht behaart und bar jeder Kleidung, versorgt sie, bringt rohes Fleisch und wilde Früchte und wärmt sie in den kalten Nächten.
Aus der Gefangenschaft wird Zusammenarbeit, aus der Partnerschaft erwächst Zuneigung. Sie gibt ihm einen Namen, versucht seine gutturale Sprache zu erlernen und weist nach langer Zeit auch seine Annäherungen nicht mehr zurück. In dem Dämmerlicht der Berghöhle gehen Menschenwild und Menschenkind die rudimentäre Symbiose zwischen Männchen und Weibchen ein - Selbsterhaltung und Fortpflanzung, eingebettet in die für vernunftbegabte Wesen nötige emotionale Wärme. Dieser in seiner Einfachheit beinahe paradiesische Urzustand kann daher auch nur von außen bedroht werden. Ein Gijik-Weibchen lässt längst vergessene Pläne an Flucht wieder aufkeimen.
Galsan Tschinag, mongolischer Schamane, Stammesfürst und Autor, der stets auf Deutsch schreibt, macht in seiner Erzählung fast beiläufig das Wesen des Menschen zu seinem Thema. Wenn Hünej hungrig die Zähne ins rohe Fleisch eines toten Ziegenbocks schlägt, scheint sie nicht mehr weit vom Tier entfernt. Trotzdem zeigt der Blick in ihre Gedanken, dass sie die Gleiche geblieben ist - leidlich um die Erfahrung gereift, dass ein gesättigter Magen nicht weniger angenehm ist, wenn die Mahlzeit roh war. Tschinag hält hier ein ungewöhnliches Plädoyer für die dem menschlichen Leben zugrunde liegende Einfachheit unserer Bedürfnisse. Ein voller Bauch, ein Dach über dem Kopf und etwas Zuneigung - mehr braucht es selbst im ewigen Eis des Altai-Gebirges nicht, um glücklich zu sein.
Der Stil des mongolischen Autors ist von anregender Andersartigkeit. Man merkt den Sätzen an, dass Tschinag nicht in seiner Muttersprache schreibt und dem Deutschen Wendungen abgewinnt, die ungewöhnlich, aber umso interessanter klingen. Der geringe Umfang von "Das Menschenwild" aber ist ein Problem: Vermochte der Autor in seinem vorherigen Roman noch tief in die wirren Fieberträume des sterbenden Dschingis Khan einzutauchen und dessen gewaltiges Leben aus dieser Perspektive heraus Revue passieren zu lassen, so streift er jetzt seine Handlung lediglich oberflächlich, allzeit bereit, zum nächsten Wendepunkt der Handlung vorzustoßen. Die eindrucksvollen und ungewöhnlichen Bilder, die Tschinag sonst mit Worten zu komponieren weiß, wollen sich in der aktuellen Erzählung nicht recht entfalten. Für einen erneuten Beweis der literarischen Qualität Tschinags müssen wir daher bis zu seinem nächsten Roman warten.
THOMAS SCHOLZ
Galsan Tschinag. "Das Menschenwild". Eine
Erzählung aus dem Altai. Insel Verlag, Frankfurt am Main und Leipzig 2008. 93 S., geb., 11,80 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Galsan Tschinag wirft dem Biest wieder eine Schöne vor
Das ungleiche Paar hat seine Wurzeln in der Welt der mongolischen Legenden. Hünej, Tochter von wohlhabenden Nomaden, ist noch nicht ganz zur Frau herangereift, als sie, von pubertärer Romantik getrieben, mit ihrem Liebsten in die Berge des Altai flüchtet. Dort raubt ein männlicher "Gijik", das legendäre "Menschenwild" der mongolischen Bergwelt - halb Tier, halb Mensch -, sie dem Verlobten und verschleppt die junge Frau in seine Höhle. Eine Flucht ist unmöglich, und so fügt sie sich in das vermeintlich tödliche Schicksal. Doch ihre Bereitschaft, das eigene Leben bis zum bitteren Ende zu verteidigen, wird nie auf die Probe gestellt. Der riesige Gijik, dicht behaart und bar jeder Kleidung, versorgt sie, bringt rohes Fleisch und wilde Früchte und wärmt sie in den kalten Nächten.
Aus der Gefangenschaft wird Zusammenarbeit, aus der Partnerschaft erwächst Zuneigung. Sie gibt ihm einen Namen, versucht seine gutturale Sprache zu erlernen und weist nach langer Zeit auch seine Annäherungen nicht mehr zurück. In dem Dämmerlicht der Berghöhle gehen Menschenwild und Menschenkind die rudimentäre Symbiose zwischen Männchen und Weibchen ein - Selbsterhaltung und Fortpflanzung, eingebettet in die für vernunftbegabte Wesen nötige emotionale Wärme. Dieser in seiner Einfachheit beinahe paradiesische Urzustand kann daher auch nur von außen bedroht werden. Ein Gijik-Weibchen lässt längst vergessene Pläne an Flucht wieder aufkeimen.
Galsan Tschinag, mongolischer Schamane, Stammesfürst und Autor, der stets auf Deutsch schreibt, macht in seiner Erzählung fast beiläufig das Wesen des Menschen zu seinem Thema. Wenn Hünej hungrig die Zähne ins rohe Fleisch eines toten Ziegenbocks schlägt, scheint sie nicht mehr weit vom Tier entfernt. Trotzdem zeigt der Blick in ihre Gedanken, dass sie die Gleiche geblieben ist - leidlich um die Erfahrung gereift, dass ein gesättigter Magen nicht weniger angenehm ist, wenn die Mahlzeit roh war. Tschinag hält hier ein ungewöhnliches Plädoyer für die dem menschlichen Leben zugrunde liegende Einfachheit unserer Bedürfnisse. Ein voller Bauch, ein Dach über dem Kopf und etwas Zuneigung - mehr braucht es selbst im ewigen Eis des Altai-Gebirges nicht, um glücklich zu sein.
Der Stil des mongolischen Autors ist von anregender Andersartigkeit. Man merkt den Sätzen an, dass Tschinag nicht in seiner Muttersprache schreibt und dem Deutschen Wendungen abgewinnt, die ungewöhnlich, aber umso interessanter klingen. Der geringe Umfang von "Das Menschenwild" aber ist ein Problem: Vermochte der Autor in seinem vorherigen Roman noch tief in die wirren Fieberträume des sterbenden Dschingis Khan einzutauchen und dessen gewaltiges Leben aus dieser Perspektive heraus Revue passieren zu lassen, so streift er jetzt seine Handlung lediglich oberflächlich, allzeit bereit, zum nächsten Wendepunkt der Handlung vorzustoßen. Die eindrucksvollen und ungewöhnlichen Bilder, die Tschinag sonst mit Worten zu komponieren weiß, wollen sich in der aktuellen Erzählung nicht recht entfalten. Für einen erneuten Beweis der literarischen Qualität Tschinags müssen wir daher bis zu seinem nächsten Roman warten.
THOMAS SCHOLZ
Galsan Tschinag. "Das Menschenwild". Eine
Erzählung aus dem Altai. Insel Verlag, Frankfurt am Main und Leipzig 2008. 93 S., geb., 11,80 [Euro].
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
Einen etwas zwiespältigen Eindruck hat diese Erzählung Galsan Tschinags bei Rezensent Thomas Scholz hinterlassen. Die Geschichte um eine junge Frau, die von einem Gijik, halb Tier, halb Mensch, geraubt wird und mit diesem "Menschenwild" nach anfänglichem Widerwillen eine glückliche Beziehung eingeht, hat seine Wurzeln in der "Welt der mongolischen Legenden". Scholz sieht hier, fast wie nebenbei, die Frage nach dem Wesen des Menschen thematisiert. Die Erzählung ist in seinen Augen zugleich ein "ungewöhnliches" Plädoyer für die Einfachheit der Bedürfnisse. Der Stil des auf Deutsch schreibenden Autors ist für ihn von "anregender Andersartigkeit". Allerdings bleibt die Handlung, wegen des knappen Umfangs der Erzählung, seines Erachtens diesmal ein wenig an der Oberfläche kleben. Auch die "eindrucksvollen" Bilder, die Tschinags Romane auszeichnen, wollen sich in vorliegender Erzählung zu seinem Bedauern nicht wirklich entfalten.
© Perlentaucher Medien GmbH
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