In der tschechischen Kleinstadt Kostelec ist in einer Kirche ein Wunder geschehen: Die Figur des heiligen Josef hat sich auf unerklärliche Weise bewegt. Danny Smiricky, zufällig anwesend, wird Zeuge. Als junger Lehrer, von den Mädchen umschwärmt, stellt er nach der kommunistischen Machtübernahme 1948 fest, dass die Theorien und Glaubenssätze der neuen Machthaber denen der katholischen Kirche gar nicht so unähnlich sind. Unerbittlicher sind die neuen Herrscher in ihren Methoden: Die Staatssicherheit lässt Pfarrer Doufal von der Kirche in Kostelec verschwinden, weil solche Wunder nicht ins sozialistische Konzept passen ...
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 04.09.2002Der bewegte Heilige
Nichts für Anfänger: Josef Skvorecký erzählt eine Detektivgeschichte
Josef Skvorecký, Kultautor von inzwischen einigen Generationen adoleszenter Tschechen, schreibt im Grunde seit Jahrzehnten immer das gleiche Buch. Der Prototyp eines Skvorecký-Romans kreist um des Autors Alter ego Danny Smirický, der im kleinen böhmischen Städtchen Kostelec heranwächst, in einer Jazzband Saxophon spielt, allen hübschen Mädchen nachsteigt, bei allerdings mäßigem Erfolg - zu Recht verdächtigen all diese Irenas und Maries, jene berechnenden Gänschen, die Männer ausschließlich auf Ehetauglichkeit prüfen, Danny einer gewissen Beliebigkeit seiner Zuneigung. Sehr bald marschieren die Nazis ein, Dannys Freunde wagen lebensgefährliche Sabotageakte, das Leben erscheint noch wie ein wilder, todesmutiger Streich, da sind die Nazis plötzlich weg, dafür die Kommunisten da, und das Leben in all seiner melancholischen Skurrilität könnte weitergehen wie zuvor, bloß ist man unerwartet erwachsen geworden und muß es nun wohl bleiben. Von dem ganz kurzen Augenblick am äußersten Ende der Jugend, zwischen Krieg, Befreiung und dem jede Lebenslust erstickenden Kommunismus, zwischen dem Moment, wo noch alles möglich scheint, und dem nächsten, wo nichts mehr möglich ist - davon handeln seine bekanntesten Werke "Feiglinge" und "Eine prima Saison".
Lange war Skvorecký, der für seine Landsleute als Dritter neben Hrabal und Kundera steht und das fiktive Städtchen Kostelec in die literarische Topographie seiner Heimat eingeschrieben hat, im deutschsprachigen Raum weithin unbekannt, obwohl "Feiglinge" sogar in Enzensbergers "Anderer Bibliothek" erschienen ist.
Den Grund meinte Peter Demetz erkannt zu haben: Deutsche Leser würden sich Dissidenten nicht so "skeptisch, fast pausbäckig-heiter und selbstironisch" wünschen, sondern "metaphysisch engagiert" und mit "unmutig visionärem Blick". Ein anderer, profanerer Grund dürfte sein: Skvorecký hatte keine stabilen Verlagsbeziehungen. Seit einigen Jahren hat sich nun der österreichische Deuticke-Verlag des Tschecho-Kanadiers angenommen und gibt mit ökonomischem Mut nach und nach seine meist dickleibigen Bücher heraus.
Zuletzt nun "Das Mirakel", auf tschechisch in Skvoreckýs berühmtem kanadischen Eigenverlag "Sixty Eight Publishers" bereits 1972 erschienen: Dieses Buch beginnt überraschenderweise wie eine Detektivgeschichte. Danny, erstmals von Anfang an erwachsen, wohnt mit seiner aktuellen Geliebten, einer Schülerin, einem vermeintlichen Wunder bei. Im Kirchlein eines böhmischen Provinzdorfs bewegt sich während der Messe plötzlich die Figur des Heiligen Josef. In der Folge wird der Dorfpfarrer vom Geheimdienst zu Tode gefoltert und ein Journalist, der die Geschichte aufzuklären versucht, zur Zwangsarbeit verurteilt.
Der Vorfall läßt auch Danny nicht los: War es wirklich ein Wunder, oder trieb vielmehr der Geheimdienst ein undurchsichtiges Spiel? Als allzu künstliche, letztlich wenig interessante Klammer hält dieses "Mirakel" einen Text zusammen, der ansonsten dasselbe versucht wie des Autors Roman "Der Seeleningenieur": ein schillerndes Kaleidoskop tschechischer Zustände und Schicksale zu sein, flimmernd zwischen Diktatur und Emigration, zwischen Ende der Sechziger und Ende der Achtziger. Hier aber verliert Skvorecký, im Gegensatz zum ebenso seitenstarken, aber in der Schreibbewegung weitaus klarerem "Seeleningenieur", schnell die Kontrolle über Personal und Schauplätze. Zu viele Personen, zu viele Zeitsprünge und zu viele undurchsichtige Polit-Verflechtungen behindern den Lesegenuß. Seiner Neigung, perfekt orchestrierte, komisch-bestürzende Szenen zu schreiben, hat der Autor allzu freizügig nachgegeben: Sein sonst so hintergründiger Humor geht hier meist auf Kosten einer verwirrenden Reihe von gleichförmig komponierten Klamauk-Szenen voller abgewrackter Sängerinnen, Selbstkritik übender Schriftsteller, betrunkener russischer Spione und männergeiler Schülerinnen. Vielleicht liegt das zum Teil an der streckenweise sehr saloppen Übersetzung in ungepflegtes österreichisches Deutsch (statt, wie bisher, von Marcela Euler, diesmal von Johanna Posset und Hanna Vintr). Ein Buch also bloß für eingefleischte Fans, die dringend einen neuen Schluck Skvorecký brauchen, selbst wenn es ein gepanschter ist. Für solche, die die schöne, schräge Welt von Kostelec noch nicht kennen, ist es wenig zu empfehlen.
EVA MENASSE
Josef Skvorecký: "Das Mirakel". Roman. Aus dem Tschechischen übersetzt von Johanna Posset und Hanna Vintr. Deuticke Verlag, Wien 2001. 653 S., geb., 24,90 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Nichts für Anfänger: Josef Skvorecký erzählt eine Detektivgeschichte
Josef Skvorecký, Kultautor von inzwischen einigen Generationen adoleszenter Tschechen, schreibt im Grunde seit Jahrzehnten immer das gleiche Buch. Der Prototyp eines Skvorecký-Romans kreist um des Autors Alter ego Danny Smirický, der im kleinen böhmischen Städtchen Kostelec heranwächst, in einer Jazzband Saxophon spielt, allen hübschen Mädchen nachsteigt, bei allerdings mäßigem Erfolg - zu Recht verdächtigen all diese Irenas und Maries, jene berechnenden Gänschen, die Männer ausschließlich auf Ehetauglichkeit prüfen, Danny einer gewissen Beliebigkeit seiner Zuneigung. Sehr bald marschieren die Nazis ein, Dannys Freunde wagen lebensgefährliche Sabotageakte, das Leben erscheint noch wie ein wilder, todesmutiger Streich, da sind die Nazis plötzlich weg, dafür die Kommunisten da, und das Leben in all seiner melancholischen Skurrilität könnte weitergehen wie zuvor, bloß ist man unerwartet erwachsen geworden und muß es nun wohl bleiben. Von dem ganz kurzen Augenblick am äußersten Ende der Jugend, zwischen Krieg, Befreiung und dem jede Lebenslust erstickenden Kommunismus, zwischen dem Moment, wo noch alles möglich scheint, und dem nächsten, wo nichts mehr möglich ist - davon handeln seine bekanntesten Werke "Feiglinge" und "Eine prima Saison".
Lange war Skvorecký, der für seine Landsleute als Dritter neben Hrabal und Kundera steht und das fiktive Städtchen Kostelec in die literarische Topographie seiner Heimat eingeschrieben hat, im deutschsprachigen Raum weithin unbekannt, obwohl "Feiglinge" sogar in Enzensbergers "Anderer Bibliothek" erschienen ist.
Den Grund meinte Peter Demetz erkannt zu haben: Deutsche Leser würden sich Dissidenten nicht so "skeptisch, fast pausbäckig-heiter und selbstironisch" wünschen, sondern "metaphysisch engagiert" und mit "unmutig visionärem Blick". Ein anderer, profanerer Grund dürfte sein: Skvorecký hatte keine stabilen Verlagsbeziehungen. Seit einigen Jahren hat sich nun der österreichische Deuticke-Verlag des Tschecho-Kanadiers angenommen und gibt mit ökonomischem Mut nach und nach seine meist dickleibigen Bücher heraus.
Zuletzt nun "Das Mirakel", auf tschechisch in Skvoreckýs berühmtem kanadischen Eigenverlag "Sixty Eight Publishers" bereits 1972 erschienen: Dieses Buch beginnt überraschenderweise wie eine Detektivgeschichte. Danny, erstmals von Anfang an erwachsen, wohnt mit seiner aktuellen Geliebten, einer Schülerin, einem vermeintlichen Wunder bei. Im Kirchlein eines böhmischen Provinzdorfs bewegt sich während der Messe plötzlich die Figur des Heiligen Josef. In der Folge wird der Dorfpfarrer vom Geheimdienst zu Tode gefoltert und ein Journalist, der die Geschichte aufzuklären versucht, zur Zwangsarbeit verurteilt.
Der Vorfall läßt auch Danny nicht los: War es wirklich ein Wunder, oder trieb vielmehr der Geheimdienst ein undurchsichtiges Spiel? Als allzu künstliche, letztlich wenig interessante Klammer hält dieses "Mirakel" einen Text zusammen, der ansonsten dasselbe versucht wie des Autors Roman "Der Seeleningenieur": ein schillerndes Kaleidoskop tschechischer Zustände und Schicksale zu sein, flimmernd zwischen Diktatur und Emigration, zwischen Ende der Sechziger und Ende der Achtziger. Hier aber verliert Skvorecký, im Gegensatz zum ebenso seitenstarken, aber in der Schreibbewegung weitaus klarerem "Seeleningenieur", schnell die Kontrolle über Personal und Schauplätze. Zu viele Personen, zu viele Zeitsprünge und zu viele undurchsichtige Polit-Verflechtungen behindern den Lesegenuß. Seiner Neigung, perfekt orchestrierte, komisch-bestürzende Szenen zu schreiben, hat der Autor allzu freizügig nachgegeben: Sein sonst so hintergründiger Humor geht hier meist auf Kosten einer verwirrenden Reihe von gleichförmig komponierten Klamauk-Szenen voller abgewrackter Sängerinnen, Selbstkritik übender Schriftsteller, betrunkener russischer Spione und männergeiler Schülerinnen. Vielleicht liegt das zum Teil an der streckenweise sehr saloppen Übersetzung in ungepflegtes österreichisches Deutsch (statt, wie bisher, von Marcela Euler, diesmal von Johanna Posset und Hanna Vintr). Ein Buch also bloß für eingefleischte Fans, die dringend einen neuen Schluck Skvorecký brauchen, selbst wenn es ein gepanschter ist. Für solche, die die schöne, schräge Welt von Kostelec noch nicht kennen, ist es wenig zu empfehlen.
EVA MENASSE
Josef Skvorecký: "Das Mirakel". Roman. Aus dem Tschechischen übersetzt von Johanna Posset und Hanna Vintr. Deuticke Verlag, Wien 2001. 653 S., geb., 24,90 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
Eva Menasse legt ihren Lesern einerseits den tschechischen Kultautor Josef Skvorecky ans Herz, rät aber zugleich davon ab, mit diesem Roman in die Lektüre einzusteigen. Skvoreckys Romane variieren im Prinzip die immer gleiche Geschichte, behauptet Menasse, doch sei ausgerechnet diese Variation hier eher missraten. Erschienen ist "Das Mirakel" bereits im Jahr 1972, aber erst jetzt habe sich mit dem österreichischen Deuticke Verlag ein kontinuierlicher Herausgeber der Skvorecky-Romane gefunden. Die Geschichte spielt wie immer im böhmischen Kostelec, irgendwann zwischen den sechziger und achtziger Jahren, zwischen Diktatur und Emigration, wie Menasse berichtet. Das schillernde Personal des Romans ähnele dem der anderen Bücher Skvoreckys: abgehalfterte Sängerinnen, Selbstkritik übende Schriftsteller, betrunkene russische Spione und männergeile Schülerinnen zählt die Rezensentin auf. Doch anders als in seinem Roman "Seeleningenieur" verliere Skvorecky diesmal die Übersicht und Kontrolle über seine Figuren, Handlungsstränge, Politverflechtungen. Zu klamaukhaft, zu unübersichtlich, befindet Menasse und kritisiert außerdem die Übersetzungsarbeit von Johanna Posset und Hanna Vintr, denen es gelungen sei, "Das Mirakel" in "ungepflegtes österreichisches Deutsch" zu bringen.
© Perlentaucher Medien GmbH
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"Ich erinnere mich an 'Die Feiglinge', den ersten freien Roman, der von einem meiner Altersgenossen geschrieben wurde, das war der Roman, mit dem gewissermaßen alles anfing. Und ich erinnere mich, wie ich viele Jahre später auf einer kleinen französischen Insel 'Der Seeleningenieur' las, wobei ich Josefs Erzähltalent, das so selbstverständlich, so natürlich, so mitreißend, so ursprünglich ist bewundere und ihn zugleich darum beneidete." (Milan Kundera)