In der tschechischen Kleinstadt Kostelec ist in einer Kirche ein Wunder geschehen: Die Figur des heiligen Josef hat sich auf unerklärliche Weise bewegt. Danny Smiricky, zufällig anwesend, wird Zeuge. Als junger Lehrer, von den Mädchen umschwärmt, stellt er nach der kommunistischen Machtübernahme 1948 fest, dass die Theorien und Glaubenssätze der neuen Machthaber denen der katholischen Kirche gar nicht so unähnlich sind. Unerbittlicher sind die neuen Herrscher in ihren Methoden: Die Staatssicherheit lässt Pfarrer Doufal von der Kirche in Kostelec verschwinden, weil solche Wunder nicht ins sozialistische Konzept passen ...
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 04.09.2002Der bewegte Heilige
Nichts für Anfänger: Josef Skvorecký erzählt eine Detektivgeschichte
Josef Skvorecký, Kultautor von inzwischen einigen Generationen adoleszenter Tschechen, schreibt im Grunde seit Jahrzehnten immer das gleiche Buch. Der Prototyp eines Skvorecký-Romans kreist um des Autors Alter ego Danny Smirický, der im kleinen böhmischen Städtchen Kostelec heranwächst, in einer Jazzband Saxophon spielt, allen hübschen Mädchen nachsteigt, bei allerdings mäßigem Erfolg - zu Recht verdächtigen all diese Irenas und Maries, jene berechnenden Gänschen, die Männer ausschließlich auf Ehetauglichkeit prüfen, Danny einer gewissen Beliebigkeit seiner Zuneigung. Sehr bald marschieren die Nazis ein, Dannys Freunde wagen lebensgefährliche Sabotageakte, das Leben erscheint noch wie ein wilder, todesmutiger Streich, da sind die Nazis plötzlich weg, dafür die Kommunisten da, und das Leben in all seiner melancholischen Skurrilität könnte weitergehen wie zuvor, bloß ist man unerwartet erwachsen geworden und muß es nun wohl bleiben. Von dem ganz kurzen Augenblick am äußersten Ende der Jugend, zwischen Krieg, Befreiung und dem jede Lebenslust erstickenden Kommunismus, zwischen dem Moment, wo noch alles möglich scheint, und dem nächsten, wo nichts mehr möglich ist - davon handeln seine bekanntesten Werke "Feiglinge" und "Eine prima Saison".
Lange war Skvorecký, der für seine Landsleute als Dritter neben Hrabal und Kundera steht und das fiktive Städtchen Kostelec in die literarische Topographie seiner Heimat eingeschrieben hat, im deutschsprachigen Raum weithin unbekannt, obwohl "Feiglinge" sogar in Enzensbergers "Anderer Bibliothek" erschienen ist.
Den Grund meinte Peter Demetz erkannt zu haben: Deutsche Leser würden sich Dissidenten nicht so "skeptisch, fast pausbäckig-heiter und selbstironisch" wünschen, sondern "metaphysisch engagiert" und mit "unmutig visionärem Blick". Ein anderer, profanerer Grund dürfte sein: Skvorecký hatte keine stabilen Verlagsbeziehungen. Seit einigen Jahren hat sich nun der österreichische Deuticke-Verlag des Tschecho-Kanadiers angenommen und gibt mit ökonomischem Mut nach und nach seine meist dickleibigen Bücher heraus.
Zuletzt nun "Das Mirakel", auf tschechisch in Skvoreckýs berühmtem kanadischen Eigenverlag "Sixty Eight Publishers" bereits 1972 erschienen: Dieses Buch beginnt überraschenderweise wie eine Detektivgeschichte. Danny, erstmals von Anfang an erwachsen, wohnt mit seiner aktuellen Geliebten, einer Schülerin, einem vermeintlichen Wunder bei. Im Kirchlein eines böhmischen Provinzdorfs bewegt sich während der Messe plötzlich die Figur des Heiligen Josef. In der Folge wird der Dorfpfarrer vom Geheimdienst zu Tode gefoltert und ein Journalist, der die Geschichte aufzuklären versucht, zur Zwangsarbeit verurteilt.
Der Vorfall läßt auch Danny nicht los: War es wirklich ein Wunder, oder trieb vielmehr der Geheimdienst ein undurchsichtiges Spiel? Als allzu künstliche, letztlich wenig interessante Klammer hält dieses "Mirakel" einen Text zusammen, der ansonsten dasselbe versucht wie des Autors Roman "Der Seeleningenieur": ein schillerndes Kaleidoskop tschechischer Zustände und Schicksale zu sein, flimmernd zwischen Diktatur und Emigration, zwischen Ende der Sechziger und Ende der Achtziger. Hier aber verliert Skvorecký, im Gegensatz zum ebenso seitenstarken, aber in der Schreibbewegung weitaus klarerem "Seeleningenieur", schnell die Kontrolle über Personal und Schauplätze. Zu viele Personen, zu viele Zeitsprünge und zu viele undurchsichtige Polit-Verflechtungen behindern den Lesegenuß. Seiner Neigung, perfekt orchestrierte, komisch-bestürzende Szenen zu schreiben, hat der Autor allzu freizügig nachgegeben: Sein sonst so hintergründiger Humor geht hier meist auf Kosten einer verwirrenden Reihe von gleichförmig komponierten Klamauk-Szenen voller abgewrackter Sängerinnen, Selbstkritik übender Schriftsteller, betrunkener russischer Spione und männergeiler Schülerinnen. Vielleicht liegt das zum Teil an der streckenweise sehr saloppen Übersetzung in ungepflegtes österreichisches Deutsch (statt, wie bisher, von Marcela Euler, diesmal von Johanna Posset und Hanna Vintr). Ein Buch also bloß für eingefleischte Fans, die dringend einen neuen Schluck Skvorecký brauchen, selbst wenn es ein gepanschter ist. Für solche, die die schöne, schräge Welt von Kostelec noch nicht kennen, ist es wenig zu empfehlen.
EVA MENASSE
Josef Skvorecký: "Das Mirakel". Roman. Aus dem Tschechischen übersetzt von Johanna Posset und Hanna Vintr. Deuticke Verlag, Wien 2001. 653 S., geb., 24,90 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Nichts für Anfänger: Josef Skvorecký erzählt eine Detektivgeschichte
Josef Skvorecký, Kultautor von inzwischen einigen Generationen adoleszenter Tschechen, schreibt im Grunde seit Jahrzehnten immer das gleiche Buch. Der Prototyp eines Skvorecký-Romans kreist um des Autors Alter ego Danny Smirický, der im kleinen böhmischen Städtchen Kostelec heranwächst, in einer Jazzband Saxophon spielt, allen hübschen Mädchen nachsteigt, bei allerdings mäßigem Erfolg - zu Recht verdächtigen all diese Irenas und Maries, jene berechnenden Gänschen, die Männer ausschließlich auf Ehetauglichkeit prüfen, Danny einer gewissen Beliebigkeit seiner Zuneigung. Sehr bald marschieren die Nazis ein, Dannys Freunde wagen lebensgefährliche Sabotageakte, das Leben erscheint noch wie ein wilder, todesmutiger Streich, da sind die Nazis plötzlich weg, dafür die Kommunisten da, und das Leben in all seiner melancholischen Skurrilität könnte weitergehen wie zuvor, bloß ist man unerwartet erwachsen geworden und muß es nun wohl bleiben. Von dem ganz kurzen Augenblick am äußersten Ende der Jugend, zwischen Krieg, Befreiung und dem jede Lebenslust erstickenden Kommunismus, zwischen dem Moment, wo noch alles möglich scheint, und dem nächsten, wo nichts mehr möglich ist - davon handeln seine bekanntesten Werke "Feiglinge" und "Eine prima Saison".
Lange war Skvorecký, der für seine Landsleute als Dritter neben Hrabal und Kundera steht und das fiktive Städtchen Kostelec in die literarische Topographie seiner Heimat eingeschrieben hat, im deutschsprachigen Raum weithin unbekannt, obwohl "Feiglinge" sogar in Enzensbergers "Anderer Bibliothek" erschienen ist.
Den Grund meinte Peter Demetz erkannt zu haben: Deutsche Leser würden sich Dissidenten nicht so "skeptisch, fast pausbäckig-heiter und selbstironisch" wünschen, sondern "metaphysisch engagiert" und mit "unmutig visionärem Blick". Ein anderer, profanerer Grund dürfte sein: Skvorecký hatte keine stabilen Verlagsbeziehungen. Seit einigen Jahren hat sich nun der österreichische Deuticke-Verlag des Tschecho-Kanadiers angenommen und gibt mit ökonomischem Mut nach und nach seine meist dickleibigen Bücher heraus.
Zuletzt nun "Das Mirakel", auf tschechisch in Skvoreckýs berühmtem kanadischen Eigenverlag "Sixty Eight Publishers" bereits 1972 erschienen: Dieses Buch beginnt überraschenderweise wie eine Detektivgeschichte. Danny, erstmals von Anfang an erwachsen, wohnt mit seiner aktuellen Geliebten, einer Schülerin, einem vermeintlichen Wunder bei. Im Kirchlein eines böhmischen Provinzdorfs bewegt sich während der Messe plötzlich die Figur des Heiligen Josef. In der Folge wird der Dorfpfarrer vom Geheimdienst zu Tode gefoltert und ein Journalist, der die Geschichte aufzuklären versucht, zur Zwangsarbeit verurteilt.
Der Vorfall läßt auch Danny nicht los: War es wirklich ein Wunder, oder trieb vielmehr der Geheimdienst ein undurchsichtiges Spiel? Als allzu künstliche, letztlich wenig interessante Klammer hält dieses "Mirakel" einen Text zusammen, der ansonsten dasselbe versucht wie des Autors Roman "Der Seeleningenieur": ein schillerndes Kaleidoskop tschechischer Zustände und Schicksale zu sein, flimmernd zwischen Diktatur und Emigration, zwischen Ende der Sechziger und Ende der Achtziger. Hier aber verliert Skvorecký, im Gegensatz zum ebenso seitenstarken, aber in der Schreibbewegung weitaus klarerem "Seeleningenieur", schnell die Kontrolle über Personal und Schauplätze. Zu viele Personen, zu viele Zeitsprünge und zu viele undurchsichtige Polit-Verflechtungen behindern den Lesegenuß. Seiner Neigung, perfekt orchestrierte, komisch-bestürzende Szenen zu schreiben, hat der Autor allzu freizügig nachgegeben: Sein sonst so hintergründiger Humor geht hier meist auf Kosten einer verwirrenden Reihe von gleichförmig komponierten Klamauk-Szenen voller abgewrackter Sängerinnen, Selbstkritik übender Schriftsteller, betrunkener russischer Spione und männergeiler Schülerinnen. Vielleicht liegt das zum Teil an der streckenweise sehr saloppen Übersetzung in ungepflegtes österreichisches Deutsch (statt, wie bisher, von Marcela Euler, diesmal von Johanna Posset und Hanna Vintr). Ein Buch also bloß für eingefleischte Fans, die dringend einen neuen Schluck Skvorecký brauchen, selbst wenn es ein gepanschter ist. Für solche, die die schöne, schräge Welt von Kostelec noch nicht kennen, ist es wenig zu empfehlen.
EVA MENASSE
Josef Skvorecký: "Das Mirakel". Roman. Aus dem Tschechischen übersetzt von Johanna Posset und Hanna Vintr. Deuticke Verlag, Wien 2001. 653 S., geb., 24,90 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 16.02.2002Kinderspiel
Josef Skvorecky entheroisiert
den Prager Frühling
Bei strahlend sich ausbreitender Heiterkeit dreht sich das Prager Karussell, die Köpfe fliegen vorüber, thronen für einen Augenblick über der Welt, die ihnen gehört, drehen sich, stürzen und verschwinden, und neue Köpfe tauchen auf, drehen sich und verschwinden. Nur das dröhnende Orchestrion fehlt; die Prager Köpfe rollen geräuschlos, Parteisekretäre, Dorfpfarrer, Pfadfinder, Buchhalter, Stalinpreisträger, Schlagerkomponisten, Stalinisten, Leninisten, Revolutionäre und Konterrevolutionäre. Sie alle verschwinden in Geheimdienstkellern, Nervenanstalten und Uranbergwerken, wenn sie nicht von der verpflichtenden Möglichkeit Gebrauch machen, Selbstmord zu begehen, Kühlschränke zu reparieren oder Leichen zu waschen. So wird die ewige Wiederkehr des Gleichen zur unfrohen Lachnummer. Josef Skvorecky bagatellisiert die tschechoslowakische Nachkriegsgeschichte zur Rummelplatz- Lustbarkeit: als Interpret.
Aber neben die Idylle rückt der Schrecken des offenen Geschichtsaugenblicks. Der Taumel der geschichtlichen Vernunft ist das vereinigende Prinzip der erzählerischen Synopse, die Geschichte und Zeitgeschehen verklammert, die fünfziger mit der Gegenwart der sechziger Jahre. Der 77jährige, in Kanada lebende Josef Skvorecky gehörte 1968 zu den führenden Köpfen des Prager Frühlings und gründete in Kanada einen Exilverlag für tschechische Literatur. Inzwischen ist er Träger des tschechischen Staatspreises für Literatur, steht heute neben Milan Kundera als weltbürgerlicher Repräsentant an der Spitze der tschechischen Exilliteratur.
Dem kurzen Augenblick der Hoffnung vor dem Einmarsch der brüderlichen Armeen des Warschauer Paktes gilt der Roman „Das Mirakel”. Beispielhaft für die Erzähltechnik Škvoreckys ist die Darstellung der Episode, die dem Roman seinen Titel gibt. Das Mirakel, das Wunder, wird zum Gegenstand ironischer Betrachtung in Form eines erzählten Bildes. Ein örtlicher Puppenmaler hat das Ereignis für die Nachwelt festgehalten: eine farbenfrohe Offenbarung, die der Metaphysik den Frohsinn von Kinderspielzeug borgt.
Das Werk des Malers hängt in der Kirche, denn längst ist der Pfarrer zum Märtyrer geworden und die Kirche Ziel zahlreicher Wallfahrer, unter ihnen der Erzähler. Aus der mobilen Perspektive des Geschichtsreisenden jedoch, der neben den Bildbetrachter tritt, zerbricht das Bild in unzählige Momente, die das Ereignis aus seiner modellhaften Verkleinerung, Formstarre und der Enge dargestellten Sinns lösen.
Shakespeare als Puppenspiel
Das Wundeer: während eines Gottesdienstes hat sich auf unerklärliche Weise die Figur des Hl. Joseph bewegt. Der Pfarrer und die Gemeinde wurden Zeuge. Man schaltet den Geheimdienst ein und entdeckt den stümperhaft eingebauten Rollenmechanismus. So verwandelt sich das Mirakel in einen Fall, den einzig der Pfarrer wirklich als Gotteswunder erlebt, denn er weiß, daß ihm das Martyrium bevorsteht. Vor dem Angesicht der Geschichte aber wird das Mirakel zum Inbegriff der Sinnlosigkeit und endzeitlichen Auflösung der kommunistischen Herrschaft.
Zwischen dem spurlosen Verschwinden des Pfarrers und seiner Auferstehung im Roman klafft der Zeitriss der apokalyptischen Welterneuerung. Er teilt die tschechoslowakische Nachkriegsgeschichte, so verheißen die Reformer im Jahre 1968, in die verderbte, alte Welt des untergegangenen stalinistischen Regimes und in die Gegenwart, die einer lichteren Zukunft entgegenstürmt. Der Beobachter freilich, der Nüchternheit, Augenmaß und politische Reife vermißt, sieht sich in ein „Drama von Shakespeare in der Produktion des Puppenspielers Josef Skupa” versetzt.
Das Mirakel weitet sich immer detaillierter, immer unübersehbarer aus und fängt neben dem geschichtlichen Großprozeß den gesellschaftlichen Mikrokosmos ein. Es zeigt hier den Totentanz der Prager Partei, die alles bekämpft, was ihrem Zugriff auf das Leben der Menschen entgegensteht, und dort eine riesige nationale Wochenstube voller fiebriger Hoffnungen und Erwartungen, mit dramatischen Schriftstellerversammlungen in Prag, wirren Kundgebungen auf dem Rathausplatz, wilden Gerüchten über den bevorstehenden Einmarsch der Russen und der praktischen Vernunft namentlich der Frauen, Lehrerinnen, Greisinnen und jungen Mädchen, in der ländlichen Wassertropfenwelt zwischen Fliederbusch, Hühnerstall und Beichtstuhl.
Das Komische ist das poetische Instrument, das den Zeitsprung zwischen den einander ablösenden Gestaltmomenten der Geschichte sichert, zwischen dem fertigen Tableau und dem Schwindelanfall, dem Geschichte gleicht, wenn sie in Taten und Leiden erlebt wird. Neben die Totale rückt das Rohmaterial der Geschichte, das der abstrakten Wahrheit des Historikers den unausschöpfbaren Reichtum des Lebendig-Ambivalenten entgegensetzt.
Josef Skvoreckys Roman ist schon wenige Jahre nach dem Prager Frühling 1972 in Toronto erschienen. Nun haben ihn Johanna Posset und Hanna Vintr ins Deutsche gebracht, als ein vorzügliches Beispiel für die spezifisch tschechische Spielart der politischen Satire.
SIBYLLE CRAMER
JOSEF ŠKVORECKY: Das Mirakel. Roman. Aus dem Tschechischen von Johanna Posset und Hanna Vintr. Deuticke Verlag, Wien und Frankfurt am Main 2001. 652 Seiten,. 24,90 Euro.
SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung exklusiv über www.diz-muenchen.de
Josef Skvorecky entheroisiert
den Prager Frühling
Bei strahlend sich ausbreitender Heiterkeit dreht sich das Prager Karussell, die Köpfe fliegen vorüber, thronen für einen Augenblick über der Welt, die ihnen gehört, drehen sich, stürzen und verschwinden, und neue Köpfe tauchen auf, drehen sich und verschwinden. Nur das dröhnende Orchestrion fehlt; die Prager Köpfe rollen geräuschlos, Parteisekretäre, Dorfpfarrer, Pfadfinder, Buchhalter, Stalinpreisträger, Schlagerkomponisten, Stalinisten, Leninisten, Revolutionäre und Konterrevolutionäre. Sie alle verschwinden in Geheimdienstkellern, Nervenanstalten und Uranbergwerken, wenn sie nicht von der verpflichtenden Möglichkeit Gebrauch machen, Selbstmord zu begehen, Kühlschränke zu reparieren oder Leichen zu waschen. So wird die ewige Wiederkehr des Gleichen zur unfrohen Lachnummer. Josef Skvorecky bagatellisiert die tschechoslowakische Nachkriegsgeschichte zur Rummelplatz- Lustbarkeit: als Interpret.
Aber neben die Idylle rückt der Schrecken des offenen Geschichtsaugenblicks. Der Taumel der geschichtlichen Vernunft ist das vereinigende Prinzip der erzählerischen Synopse, die Geschichte und Zeitgeschehen verklammert, die fünfziger mit der Gegenwart der sechziger Jahre. Der 77jährige, in Kanada lebende Josef Skvorecky gehörte 1968 zu den führenden Köpfen des Prager Frühlings und gründete in Kanada einen Exilverlag für tschechische Literatur. Inzwischen ist er Träger des tschechischen Staatspreises für Literatur, steht heute neben Milan Kundera als weltbürgerlicher Repräsentant an der Spitze der tschechischen Exilliteratur.
Dem kurzen Augenblick der Hoffnung vor dem Einmarsch der brüderlichen Armeen des Warschauer Paktes gilt der Roman „Das Mirakel”. Beispielhaft für die Erzähltechnik Škvoreckys ist die Darstellung der Episode, die dem Roman seinen Titel gibt. Das Mirakel, das Wunder, wird zum Gegenstand ironischer Betrachtung in Form eines erzählten Bildes. Ein örtlicher Puppenmaler hat das Ereignis für die Nachwelt festgehalten: eine farbenfrohe Offenbarung, die der Metaphysik den Frohsinn von Kinderspielzeug borgt.
Das Werk des Malers hängt in der Kirche, denn längst ist der Pfarrer zum Märtyrer geworden und die Kirche Ziel zahlreicher Wallfahrer, unter ihnen der Erzähler. Aus der mobilen Perspektive des Geschichtsreisenden jedoch, der neben den Bildbetrachter tritt, zerbricht das Bild in unzählige Momente, die das Ereignis aus seiner modellhaften Verkleinerung, Formstarre und der Enge dargestellten Sinns lösen.
Shakespeare als Puppenspiel
Das Wundeer: während eines Gottesdienstes hat sich auf unerklärliche Weise die Figur des Hl. Joseph bewegt. Der Pfarrer und die Gemeinde wurden Zeuge. Man schaltet den Geheimdienst ein und entdeckt den stümperhaft eingebauten Rollenmechanismus. So verwandelt sich das Mirakel in einen Fall, den einzig der Pfarrer wirklich als Gotteswunder erlebt, denn er weiß, daß ihm das Martyrium bevorsteht. Vor dem Angesicht der Geschichte aber wird das Mirakel zum Inbegriff der Sinnlosigkeit und endzeitlichen Auflösung der kommunistischen Herrschaft.
Zwischen dem spurlosen Verschwinden des Pfarrers und seiner Auferstehung im Roman klafft der Zeitriss der apokalyptischen Welterneuerung. Er teilt die tschechoslowakische Nachkriegsgeschichte, so verheißen die Reformer im Jahre 1968, in die verderbte, alte Welt des untergegangenen stalinistischen Regimes und in die Gegenwart, die einer lichteren Zukunft entgegenstürmt. Der Beobachter freilich, der Nüchternheit, Augenmaß und politische Reife vermißt, sieht sich in ein „Drama von Shakespeare in der Produktion des Puppenspielers Josef Skupa” versetzt.
Das Mirakel weitet sich immer detaillierter, immer unübersehbarer aus und fängt neben dem geschichtlichen Großprozeß den gesellschaftlichen Mikrokosmos ein. Es zeigt hier den Totentanz der Prager Partei, die alles bekämpft, was ihrem Zugriff auf das Leben der Menschen entgegensteht, und dort eine riesige nationale Wochenstube voller fiebriger Hoffnungen und Erwartungen, mit dramatischen Schriftstellerversammlungen in Prag, wirren Kundgebungen auf dem Rathausplatz, wilden Gerüchten über den bevorstehenden Einmarsch der Russen und der praktischen Vernunft namentlich der Frauen, Lehrerinnen, Greisinnen und jungen Mädchen, in der ländlichen Wassertropfenwelt zwischen Fliederbusch, Hühnerstall und Beichtstuhl.
Das Komische ist das poetische Instrument, das den Zeitsprung zwischen den einander ablösenden Gestaltmomenten der Geschichte sichert, zwischen dem fertigen Tableau und dem Schwindelanfall, dem Geschichte gleicht, wenn sie in Taten und Leiden erlebt wird. Neben die Totale rückt das Rohmaterial der Geschichte, das der abstrakten Wahrheit des Historikers den unausschöpfbaren Reichtum des Lebendig-Ambivalenten entgegensetzt.
Josef Skvoreckys Roman ist schon wenige Jahre nach dem Prager Frühling 1972 in Toronto erschienen. Nun haben ihn Johanna Posset und Hanna Vintr ins Deutsche gebracht, als ein vorzügliches Beispiel für die spezifisch tschechische Spielart der politischen Satire.
SIBYLLE CRAMER
JOSEF ŠKVORECKY: Das Mirakel. Roman. Aus dem Tschechischen von Johanna Posset und Hanna Vintr. Deuticke Verlag, Wien und Frankfurt am Main 2001. 652 Seiten,. 24,90 Euro.
SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
Eva Menasse legt ihren Lesern einerseits den tschechischen Kultautor Josef Skvorecky ans Herz, rät aber zugleich davon ab, mit diesem Roman in die Lektüre einzusteigen. Skvoreckys Romane variieren im Prinzip die immer gleiche Geschichte, behauptet Menasse, doch sei ausgerechnet diese Variation hier eher missraten. Erschienen ist "Das Mirakel" bereits im Jahr 1972, aber erst jetzt habe sich mit dem österreichischen Deuticke Verlag ein kontinuierlicher Herausgeber der Skvorecky-Romane gefunden. Die Geschichte spielt wie immer im böhmischen Kostelec, irgendwann zwischen den sechziger und achtziger Jahren, zwischen Diktatur und Emigration, wie Menasse berichtet. Das schillernde Personal des Romans ähnele dem der anderen Bücher Skvoreckys: abgehalfterte Sängerinnen, Selbstkritik übende Schriftsteller, betrunkene russische Spione und männergeile Schülerinnen zählt die Rezensentin auf. Doch anders als in seinem Roman "Seeleningenieur" verliere Skvorecky diesmal die Übersicht und Kontrolle über seine Figuren, Handlungsstränge, Politverflechtungen. Zu klamaukhaft, zu unübersichtlich, befindet Menasse und kritisiert außerdem die Übersetzungsarbeit von Johanna Posset und Hanna Vintr, denen es gelungen sei, "Das Mirakel" in "ungepflegtes österreichisches Deutsch" zu bringen.
© Perlentaucher Medien GmbH
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"Ich erinnere mich an 'Die Feiglinge', den ersten freien Roman, der von einem meiner Altersgenossen geschrieben wurde, das war der Roman, mit dem gewissermaßen alles anfing. Und ich erinnere mich, wie ich viele Jahre später auf einer kleinen französischen Insel 'Der Seeleningenieur' las, wobei ich Josefs Erzähltalent, das so selbstverständlich, so natürlich, so mitreißend, so ursprünglich ist bewundere und ihn zugleich darum beneidete." (Milan Kundera)