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Das Mittagessen am Ufer der Loire enthält zwei Texte, die sich um zwei Besuche des Autors bei Julien Gracq kristallisieren, der eine im Februar 1997, der andere im November 2006. Philippe Le Guillou war seit langem schon ein Verehrer dieses Einzelgängers der Literatur und hatte ihn seit Anfang der 90er Jahre regelmäßig besucht. Sein Bericht über die Fahrt nach Saint-Florent-le-Vieil, den Spaziergang an den Ufern der Loire und der Èvre (das Flüsschen aus Die engen Wasser), die Gespräche mit dem berühmten Autor in seinem alten Haus und beim Mittagessen im Restaurant gehen weit über die Form…mehr

Produktbeschreibung
Das Mittagessen am Ufer der Loire enthält zwei Texte, die sich um zwei Besuche des Autors bei Julien Gracq kristallisieren, der eine im Februar 1997, der andere im November 2006. Philippe Le Guillou war seit langem schon ein Verehrer dieses Einzelgängers der Literatur und hatte ihn seit Anfang der 90er Jahre regelmäßig besucht. Sein Bericht über die Fahrt nach Saint-Florent-le-Vieil, den Spaziergang an den Ufern der Loire und der Èvre (das Flüsschen aus Die engen Wasser), die Gespräche mit dem berühmten Autor in seinem alten Haus und beim Mittagessen im Restaurant gehen weit über die Form einer literarischen Reportage hinaus: Die glühende Begeisterung für das dichterische Wort und die lebensverändernde Kraft der Literatur - das sind die Antriebsfedern dieses Textes. Die Erzählung über diesen ganz bestimmten Februartag im Jahr 1998 eröffnet gleichsam den Horizont auf ein außergewöhnliches Dichterleben, einen Dichter, der sich durchaus - und im Alter immer deutlicher - für die kleinen Geschehnisse der Politik interessierte, sich aber immer vom Literaturbetrieb, von der Macht, von den Medien fernhielt. Eine Figur wie aus einer noch ferneren Zeit.Das Licht über diesen beiden Erzählungen ist nicht nur das eisige Winterlicht über der Loire, es ist auch das Licht des Abschieds, der in absehbarer Zeit zu erwarten ist: Julien Gracq starb im Dezember 2007 im 97. Lebensjahr.Dieses liebevolle Porträt des großen Schriftstellers berichtet von beglückenden, reichen Stunden im Gespräch mit einem, der wie kaum ein anderer die Literatur in ihrer ganz besonderen Ausprägung verkörpert: solitär, unbeirrbar, nobel.Textauszug:Meine Leidenschaft für ihn hat hier ihren Ursprung. In einem Satz, der Türen öffnet, von deren Existenz man keine Ahnung hatte, eine verheerende Kraft, die auf etwas Bannendem und Priesterlichem beruht, eine Präsenz, die einen Brand auslöst und alles aushöhlt, die Entdeckung einer Kraft, die bohrt und tiefer dringt, ein Durst nach Durst. Lesen lernen setztdieses Eintauchen in die Gluthitze voraus, diese Initiation in das Auflodern und Verkohlen. Man muß lernen, diesen Mangel zu begehren, diesen Taumel am Ende der Schwelle. Eine Leere ist im Inneren entstanden, eine Leere, die nichts mehr füllen wird, eine Spannung, die sich entfaltet und ständig ansteigt, wie dieser verheerende Durst, der den Körper aufglühen läßt und bis zum Zerreißen bringt, endlos, schonungslos. Nichts wird kommen, und genau das ist die Literatur, wie intensiv man dieses heilige Amt auch erfüllt, wie mächtig der Fürsprecher oder der Wasserträger auch sein mag. Nichts wird kommen, doch diese Verlassenheit kann lustvoll sein, durchwest, gespeist von Bildern, von Konkretionen, die noch brennen, von Schnee, von Seesternen. Von Akeleien und von Opfern. Nichts wird je kommen, und man muß eintreten in diese unheimliche Geduld, diese Spannung, die einem die Illusion vermittelt, man berühre Schwellen, Körper, Ikonen, unerreichbares Geschlechtliches, mit Wörtern verschmolzene Luftspiegelungen, diese Geduld, die ein Durst ohne Boden ist. Dieser Riß kann nur der Taumel der Jugend ziselieren. Man muß zerschmettert worden sein, um zu schreiben. Die Träume von der Durchlässigkeit, von der Androgynie, von der Koinzidenz und der Versöhnung sind Trugbilder. Trugbilder sind der Besuch der Bibliothek, die angebliche Gewandtheit im Ausdruck, die Imitation, die Vorliebe für die Schrift, die Versuchung, Karriere zu machen.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 27.07.2010

Bloß nicht vom Schreiben leben wollen

Glücklich, wer Julien Gracq wiederlesen kann. Noch glücklicher, wer ihn zum ersten Mal entdeckt. Zum hundertsten Geburtstag des vor drei Jahren gestorbenen Schriftstellers erscheint ein Gesprächsband von Philippe Le Guillou.

So jemanden wie Julien Gracq, der eigentlich Louis Poirier hieß und heute vor hundert Jahren geboren wurde, nennt man gern einen "großen Unzeitgemäßen". Prompt lässt sich diese Formel auch in dem einen oder anderen der nach seinem Tod am 22. Dezember 2007 erschienenen Nachrufe finden. Um die großen Unzeitgemäßen entsteht oft eine Aureole, hinter der ihr Bild immer undeutlicher wird, und schließlich hört man auf, sie zu lesen. Das wäre im Fall Gracq ein fataler Fehler.

Philippe Le Guillou, der fast fünfzig Jahre jüngere Autorenkollege, der zwei seiner Besuche bei Gracq schildert, arbeitet gottlob nicht am Heiligenschein. Man spürt den Respekt, man spürt auch die Verehrung, der Autor gibt sogar offen zu, zu Hause in seiner Wohnung ein regelrechtes Gracq-Tabernakel zu haben, in dem unter anderem Gracqs erster Brief an ihn aus dem Jahr 1979 aufbewahrt wird. Der Lebendigkeit seiner Schilderung und der Schönheit seines Textes tut das keinen Abbruch.

So wie Gracq, seiner zeitweiligen Nähe zum Surrealismus zum Trotz, einen eher asketischen Umgang mit der Sprache gepflegt hat, ist auch Le Guillou ein disziplinierter Stilist. Schon die ersten Seiten, auf denen die Anreise beschrieben wird, zeigen, dass hier jemand aus eigenem Recht schreibt und keineswegs nur der Eckermann von Monsieur Gracq ist. "Ich bin nicht gekommen, um Worte zu vernehmen, die ich im Corpus einer Doktorarbeit sedimentieren werde."

Bei einem Titel wie "Das Mittagessen am Ufer der Loire" denkt man unwillkürlich an einen Sommertag, an französische Filme wie etwa Bertrand Taverniers "Ein Sonntag auf dem Lande". Die geschilderten Besuche in Saint-Florent-le-Vieil, Gracqs Geburtsort, in den er Anfang der neunziger Jahre wieder zurückgegangen ist, finden jedoch im Februar 1998 und im November 2006 statt. Es ist kalt und im zweiten Fall auch grau und trüb. Das Mittagessen wird im örtlichen Restaurant eingenommen. "Ringsum eine Kundschaft von angeheiterten Handelsvertretern und örtlichen Kleinunternehmern, die die Unterzeichnung eines Vertrages feiern."

Worüber wird gesprochen? Über die zunehmende Provinzialität von Paris. Über Frankreich, "das ganz abgeschottet lebte . . .. bevor es in das Zeitalter des Fragmentarischen und Diskontinuierlichen absank, das wir heute erleben". Über den Nouveau Roman, der laut Gracq auf der Form, nicht auf der Sensibilität gründete. Über Philippe Sollers, "begabt, zerfahren", über Michel Tournier, dessen "Erlkönig" beide schätzen und der in ein paar Wochen auch zum Mittagessen kommen wird, über Roland Barthes und sein Schicksal, nach einem Essen bei Mitterrand angefahren worden zu sein.

Über Gracqs Ablehnung der Einladungen in den Elysée-Palast: Das sei nicht seine Welt. Über die allmähliche Abwendung von der Fiktion: "Die Fiktion ist nur eine Modalität des Schreibens." Über die ausgedehnten Fahrten durch Frankreich, wie sie sich in "Der große Weg" niedergeschlagen haben. Über Ernst Jünger natürlich, den er schätzt und der zum Zeitpunkt dieses Gesprächs noch lebt.

Dann geht es zurück ins Haus, die ehemalige Gendarmerie, die Gracq durchaus mit Besitzerstolz bewohnt. Dort spricht man weiter: Über seinen Verleger José Corti, dem Gracq treu geblieben ist, nachdem Gallimard sein erstes Manuskript abgelehnt hatte. Über die Zurückweisung des Goncourt-Preises 1951, die ihm nicht geschadet hat. Auch mit der konsequenten Außenseiterposition kann man sich seinen Ruhm aufbauen. Schließlich erinnert sich Le Guillou an den Rat, den Gracq ihm bei der ersten Begegnung gegeben hat: "Man soll nie vom Einkommen aus der Literatur leben." Man soll sich seine Unabhängigkeit vom Betrieb bewahren, heißt das, wie er, Gracq, bis zu seiner Pensionierung Lehrer für Geographie und Geschichte.

Das Geheimnis dieses kleinen Buches besteht darin, dass es eigentlich ein großes Gespräch über Literatur ist, vornehmlich natürlich über französische. Wer nicht nur ganz gern Bücher liest, sondern wer die Literatur liebt, bei dem ruft die Lektüre dieser gut hundert Seiten Glücksempfindungen hervor. Der deutsche Leser verdankt dieses Glück drei Personen: dem porträtierten Julien Gracq selbst, dem konzentrierten Stilisten Philippe Le Guillou und schließlich dem souveränen Übersetzer Dieter Hornig. Von Gracq selbst sollte man, das versteht sich von selbst, alles lesen, dessen man in deutscher Übersetzung habhaft werden kann. Auch da liegt noch einiges Glück bereit. Es muss nur abgerufen werden.

JOCHEN SCHIMMANG

Philippe Le Guillou: "Das Mittagessen am Ufer der Loire". Zu Besuch bei Julien Gracq. Aus dem Französischen von Dieter Hornig. Literaturverlag Droschl, Graz 2010. 108 S., br., 15,- [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Gracq lesen!, rät der Rezensent. Und dieses kleine Büchlein hier sollen wir, wenn's nach Jochen Schimmang geht, auch gleich mitnehmen. Liebhaber von Literatur und passionierte Leser, die wir sind. Zu sehen ist, wie der Autor Philippe Le Guillou sich dem Schriftsteller Julien Gracq mit Respekt, aber ohne blinde Heldenverehrung nähert, lebendig und schön und stilistisch diszipliniert, wie Schimmang erklärt. Er erfährt aus dem Gespräch der beiden über den Nouveau Roman, über Barthes und Sollers, über Jünger und das Wesen der Fiktion, das macht ihn glücklich. Und "souverän" übersetzt ist es auch noch.

© Perlentaucher Medien GmbH