Johannes Frieds große Geschichte des Mittelalters
Eine grandiose Reise in ein Jahrtausend voller schöpferischer Energien und dramatischer Auseinandersetzungen
Johannes Fried, einer der großen Mediävisten unserer Zeit, schildert in seinem Buch die faszinierende Geschichte jener Menschen und Mächte, die Europa zu seiner geistigen und kulturellen Einheit formten, die Grundlagen der modernen Nationen schufen, Staat und Kirche in zähem Ringen voneinander lösten, die Freiheit des Bürgers erfanden und auf vielen Feldern, von der Wissenschaft bis zur Entdeckung ferner Länder, in neue Welten aufbrachen.
Einzelne Menschen - bald ein Papst, bald ein König, bald ein Gelehrter, Missionar oder Kaufmann - machen sich dem Leser im Laufe des Buches bekannt und geleiten uns durch ihre Zeit. Sie lassen uns teilhaben an ihren Erfahrungen und Konflikten, an ihren Erlebnissen und Ideen. Johannes Frieds souveräne Erzählkunst bringt uns auf diese Weise das angeblich so "finstere" Mittelalter nahe, wie es nur wenigen Historikern gelingt. Die viel gescholtenen aufregenden Jahrhunderte des Mittelalters, so zeigt uns dieses bedeutende Werk, eröffnen in Wahrheit den Weg in unsere moderne Welt.
Eine grandiose Reise in ein Jahrtausend voller schöpferischer Energien und dramatischer Auseinandersetzungen
Johannes Fried, einer der großen Mediävisten unserer Zeit, schildert in seinem Buch die faszinierende Geschichte jener Menschen und Mächte, die Europa zu seiner geistigen und kulturellen Einheit formten, die Grundlagen der modernen Nationen schufen, Staat und Kirche in zähem Ringen voneinander lösten, die Freiheit des Bürgers erfanden und auf vielen Feldern, von der Wissenschaft bis zur Entdeckung ferner Länder, in neue Welten aufbrachen.
Einzelne Menschen - bald ein Papst, bald ein König, bald ein Gelehrter, Missionar oder Kaufmann - machen sich dem Leser im Laufe des Buches bekannt und geleiten uns durch ihre Zeit. Sie lassen uns teilhaben an ihren Erfahrungen und Konflikten, an ihren Erlebnissen und Ideen. Johannes Frieds souveräne Erzählkunst bringt uns auf diese Weise das angeblich so "finstere" Mittelalter nahe, wie es nur wenigen Historikern gelingt. Die viel gescholtenen aufregenden Jahrhunderte des Mittelalters, so zeigt uns dieses bedeutende Werk, eröffnen in Wahrheit den Weg in unsere moderne Welt.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 08.01.2009Weiter denken auf den Schultern fremder Riesen
Johannes Fried taucht das Mittelalter in helles Licht
Geschichte des Mittelalters in Zeiten der Globalisierung zu schreiben ist eine überaus reizvolle Aufgabe. Der Historiograph könnte sich zuständig erklären für die ganze bewohnte Welt in jenem Jahrtausend zwischen 500 und 1500 und das europäische Periodenschema mit Antike und Neuzeit verabschieden, das dem Medium Aevum das Schandmal der Barbarei und Finsternis aufgeprägt hat. Die alte Trias der Kontinente Europa, Asien und (Nord-)Afrika stünde weiterhin im Vordergrund, obzwar in ungewohnten Perspektiven. Wer vorher nur mit der Geschichte des europäischen Westens befasst war, müsste sich nun auch mit den Thesen auseinandersetzen, dass welthistorisch betrachtet bis zum Ende des achten Jahrhunderts vom Zeitalter des Buddhismus und danach wenigstens von der ökonomischen Islamisierung Europas die Rede sein müsse. Der historische Platz des "Abendlandes" würde neu zu vermessen sein.
So radikale Wege schlug Johannes Fried nicht ein, als er der Geschichte und Kultur des Mittelalters eine neue Gesamtdarstellung widmete. Frieds Ziel war bescheidener und anspruchsvoller zugleich, wollte er doch das Mittelalter rehabilitieren und im Abendland den Aufbruch in die europäische Vernunftkultur freilegen, deren letztes Ergebnis, eine Folge des unstillbaren Wissen- und Erfahrenwollens, die Globalisierung sei. Als Urheber des alten Vorurteils und dadurch selbst Opfer "vernunftloser Unmündigkeit" identifiziert er nicht die Humanisten des fünfzehnten Jahrhunderts oder Historiker wie Friedrich Schiller, sondern Immanuel Kant mit seiner wirkungsmächtigen Schrift "Beobachtungen über das Gefühl des Schönen und Erhabenen" von 1764.
Nichts habe Kant davon wissen wollen, was er Peter Abaelard im zwölften Jahrhundert verdankte oder dass sein kategorischer Imperativ nur vollendete, was mit den Beschlüssen des Vierten Laterankonzils (1215) begonnen hatte: "Der Gebrauch der Vernunft verdankte sich nicht erst jener Aufklärung des 17. und 18. Jahrhunderts; seine ,Wiedergeburt', die Konzentration nämlich auf eine in Regeln gefasste und damit kritisierbare Logik und Dialektik, die allmähliche Herausbildung formallogischer Operationen, wie sie die Entwicklungspsychologie beschreibt, setzte Jahrhunderte früher, bald ein Jahrtausend vor Kant, am Hof Karls des Großen ein, intensivierte sich im 10. Jahrhundert, steigerte sich durch fortgesetzte kulturelle Rückkopplung und gestattete dem Königsberger, sich von den Schultern ihm fremder Riesen herab umzusehen und weiter zu denken. Europa war längst vor der ,Neuzeit' aufgebrochen, um im Wechselspiel von Erfahrung und kritischem Denken die Welt zu erkunden."
Mit stupender Gelehrsamkeit belegt Fried seine These seit den Zeiten des Boethius und lässt kein Gebiet des Wissens aus, behandelt also natürlich Philosophie ebenso wie alle Arten der Naturkunde, Physik neben Astronomie und Kartographie, die Erfindungen von Theologie und Politischer Wissenschaft, nicht zuletzt auch die Musik, vor allem aber zeigt er, dass das kategoriale, rationale Denken alle Bereiche des praktischen Lebens zu durchdringen begann. In einzigartig narrativer Verdichtung stellt er wieder und wieder totale Geschichte her und evoziert dabei eine nicht willkürliche, sondern vernunftgeleitete Vernetzung des menschlichen Daseins. Am besten ist der Verfasser aber, wenn er Argument an Argument reihen kann und die sich gegenseitig stützenden Befunde präsentiert; dann wird er in mitreißender Sprache geradezu ein Rhapsode der mittelalterlichen Vernunft.
In der Tat, das Beweisziel ist die Leidenschaft wert. Vor nichts, zeigt Fried, gab die zerdenkende Energie des Mittelalters Ruhe. Der Glaube selbst sah sich einem Zweifel ausgesetzt, der fälschlich als bloß modern gilt. Als im späten vierzehnten Jahrhundert vier Philosophen befragt wurden, weshalb sich das Gute in Schlechtes wende, das Wahre in Falsches, das Gerechte in Ungerechtes, antwortete einer von ihnen: "Gott ist tot!" Nur aus Liebe zu Gott handelten die Menschen gut, "doch heute betrachten wir ihn als tot". So jedenfalls brachte es, ein halbes Jahrtausend vor Nietzsche, ein Novellist zu Pergament. Kein Wunder, dass sich neben dem Atheismus auch die Anfänge des Materialismus in jenen Jahrhunderten aufspüren lassen.
Ob Fried indessen bei aller Überzeugungskraft und Emphase das Ziel seines Buches erreichen kann? Zweifel sind angebracht. Moderne und Mittelalter haben nun einmal die gleiche Wurzel, so dass man das Mittelalter mit seiner negativen Konnotation kaum abschaffen kann, ohne mit der angeblich hellen Moderne Gleiches zu tun. Es fragt sich auch, ob dem kontrastiven Vergleich von Mittelalter und Moderne im Sinne Frieds mit einer Entwicklungsgeschichte beizukommen ist, die die neue Zeit als Ergebnis der älteren erscheinen lässt. Wissen wir nicht längst durch die Theorie des historischen Wandels, dass sich in der Geschichte nichts gleich bleibt und dabei - was schlechthin entscheidend ist - eben auch die Faktoren der Veränderung ihre Motive, Intensität und Richtungen ändern?
Fried betont immer wieder, dass der Mongoleneinfall im dreizehnten Jahrhundert den Westeuropäern einen unvergleichlichen Schub auf dem Weg zur Moderne verschafft habe. Tatsache aber ist, dass nach dem Niedergang der mongolischen Reiche, der Errichtung der Ming-Dynastie in China und dem (neuerlichen) Vordringen der Türken in Kleinasien und nach Europa, sogar noch durch die Reste byzantinischer Selbstbehauptung, den Abendländern einstweilen wieder die Wege in den Orient abgeschnitten wurden und die von den Muslimen kontrollierte Barriere in der Levante erst im Zeitalter der Entdeckungen, also seit Heinrich dem Seefahrer, umgangen werden konnte. Ist es also nicht besser, mit einem großen Historiker des neunzehnten Jahrhunderts - obschon ohne dessen Geschichtstheologie - zu sagen, dass auch das Mittelalter eine Epoche "unmittelbar zu Gott" war?
MICHAEL BORGOLTE
Johannes Fried: "Das Mittelalter". Geschichte und Kultur. Verlag C. H. Beck, München 2008. 606 S., 70 Abb., geb., 29,90 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Johannes Fried taucht das Mittelalter in helles Licht
Geschichte des Mittelalters in Zeiten der Globalisierung zu schreiben ist eine überaus reizvolle Aufgabe. Der Historiograph könnte sich zuständig erklären für die ganze bewohnte Welt in jenem Jahrtausend zwischen 500 und 1500 und das europäische Periodenschema mit Antike und Neuzeit verabschieden, das dem Medium Aevum das Schandmal der Barbarei und Finsternis aufgeprägt hat. Die alte Trias der Kontinente Europa, Asien und (Nord-)Afrika stünde weiterhin im Vordergrund, obzwar in ungewohnten Perspektiven. Wer vorher nur mit der Geschichte des europäischen Westens befasst war, müsste sich nun auch mit den Thesen auseinandersetzen, dass welthistorisch betrachtet bis zum Ende des achten Jahrhunderts vom Zeitalter des Buddhismus und danach wenigstens von der ökonomischen Islamisierung Europas die Rede sein müsse. Der historische Platz des "Abendlandes" würde neu zu vermessen sein.
So radikale Wege schlug Johannes Fried nicht ein, als er der Geschichte und Kultur des Mittelalters eine neue Gesamtdarstellung widmete. Frieds Ziel war bescheidener und anspruchsvoller zugleich, wollte er doch das Mittelalter rehabilitieren und im Abendland den Aufbruch in die europäische Vernunftkultur freilegen, deren letztes Ergebnis, eine Folge des unstillbaren Wissen- und Erfahrenwollens, die Globalisierung sei. Als Urheber des alten Vorurteils und dadurch selbst Opfer "vernunftloser Unmündigkeit" identifiziert er nicht die Humanisten des fünfzehnten Jahrhunderts oder Historiker wie Friedrich Schiller, sondern Immanuel Kant mit seiner wirkungsmächtigen Schrift "Beobachtungen über das Gefühl des Schönen und Erhabenen" von 1764.
Nichts habe Kant davon wissen wollen, was er Peter Abaelard im zwölften Jahrhundert verdankte oder dass sein kategorischer Imperativ nur vollendete, was mit den Beschlüssen des Vierten Laterankonzils (1215) begonnen hatte: "Der Gebrauch der Vernunft verdankte sich nicht erst jener Aufklärung des 17. und 18. Jahrhunderts; seine ,Wiedergeburt', die Konzentration nämlich auf eine in Regeln gefasste und damit kritisierbare Logik und Dialektik, die allmähliche Herausbildung formallogischer Operationen, wie sie die Entwicklungspsychologie beschreibt, setzte Jahrhunderte früher, bald ein Jahrtausend vor Kant, am Hof Karls des Großen ein, intensivierte sich im 10. Jahrhundert, steigerte sich durch fortgesetzte kulturelle Rückkopplung und gestattete dem Königsberger, sich von den Schultern ihm fremder Riesen herab umzusehen und weiter zu denken. Europa war längst vor der ,Neuzeit' aufgebrochen, um im Wechselspiel von Erfahrung und kritischem Denken die Welt zu erkunden."
Mit stupender Gelehrsamkeit belegt Fried seine These seit den Zeiten des Boethius und lässt kein Gebiet des Wissens aus, behandelt also natürlich Philosophie ebenso wie alle Arten der Naturkunde, Physik neben Astronomie und Kartographie, die Erfindungen von Theologie und Politischer Wissenschaft, nicht zuletzt auch die Musik, vor allem aber zeigt er, dass das kategoriale, rationale Denken alle Bereiche des praktischen Lebens zu durchdringen begann. In einzigartig narrativer Verdichtung stellt er wieder und wieder totale Geschichte her und evoziert dabei eine nicht willkürliche, sondern vernunftgeleitete Vernetzung des menschlichen Daseins. Am besten ist der Verfasser aber, wenn er Argument an Argument reihen kann und die sich gegenseitig stützenden Befunde präsentiert; dann wird er in mitreißender Sprache geradezu ein Rhapsode der mittelalterlichen Vernunft.
In der Tat, das Beweisziel ist die Leidenschaft wert. Vor nichts, zeigt Fried, gab die zerdenkende Energie des Mittelalters Ruhe. Der Glaube selbst sah sich einem Zweifel ausgesetzt, der fälschlich als bloß modern gilt. Als im späten vierzehnten Jahrhundert vier Philosophen befragt wurden, weshalb sich das Gute in Schlechtes wende, das Wahre in Falsches, das Gerechte in Ungerechtes, antwortete einer von ihnen: "Gott ist tot!" Nur aus Liebe zu Gott handelten die Menschen gut, "doch heute betrachten wir ihn als tot". So jedenfalls brachte es, ein halbes Jahrtausend vor Nietzsche, ein Novellist zu Pergament. Kein Wunder, dass sich neben dem Atheismus auch die Anfänge des Materialismus in jenen Jahrhunderten aufspüren lassen.
Ob Fried indessen bei aller Überzeugungskraft und Emphase das Ziel seines Buches erreichen kann? Zweifel sind angebracht. Moderne und Mittelalter haben nun einmal die gleiche Wurzel, so dass man das Mittelalter mit seiner negativen Konnotation kaum abschaffen kann, ohne mit der angeblich hellen Moderne Gleiches zu tun. Es fragt sich auch, ob dem kontrastiven Vergleich von Mittelalter und Moderne im Sinne Frieds mit einer Entwicklungsgeschichte beizukommen ist, die die neue Zeit als Ergebnis der älteren erscheinen lässt. Wissen wir nicht längst durch die Theorie des historischen Wandels, dass sich in der Geschichte nichts gleich bleibt und dabei - was schlechthin entscheidend ist - eben auch die Faktoren der Veränderung ihre Motive, Intensität und Richtungen ändern?
Fried betont immer wieder, dass der Mongoleneinfall im dreizehnten Jahrhundert den Westeuropäern einen unvergleichlichen Schub auf dem Weg zur Moderne verschafft habe. Tatsache aber ist, dass nach dem Niedergang der mongolischen Reiche, der Errichtung der Ming-Dynastie in China und dem (neuerlichen) Vordringen der Türken in Kleinasien und nach Europa, sogar noch durch die Reste byzantinischer Selbstbehauptung, den Abendländern einstweilen wieder die Wege in den Orient abgeschnitten wurden und die von den Muslimen kontrollierte Barriere in der Levante erst im Zeitalter der Entdeckungen, also seit Heinrich dem Seefahrer, umgangen werden konnte. Ist es also nicht besser, mit einem großen Historiker des neunzehnten Jahrhunderts - obschon ohne dessen Geschichtstheologie - zu sagen, dass auch das Mittelalter eine Epoche "unmittelbar zu Gott" war?
MICHAEL BORGOLTE
Johannes Fried: "Das Mittelalter". Geschichte und Kultur. Verlag C. H. Beck, München 2008. 606 S., 70 Abb., geb., 29,90 [Euro].
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Perlentaucher-Notiz zur NZZ-Rezension
Mit diesem umfangreichen Band geht Johannes Fried gegen das schlechte Image des Mittelalters als finstere, unaufgeklärte und zügellose Zeit an, stellt Urs Hafner eingenommen fest. "Überraschend" aber durchaus schlüssig findet der Rezensent, dass der Frankfurter Mediävist das Mittelalter als Wiege der Aufklärung beschreibt. Hafner zeigt sich von den profunden historischen Kenntnissen des Autors wie auch von seinen Formulierungskünsten beeindruckt, wenn er auch mitunter eine etwas manieristische Koketterie in den Ausführungen erspürt. Was der Rezensent insgesamt aber als etwas irritierend und nicht wirklich überzeugend empfindet, ist die "Idealisierung der westeuropäischen Kultur", die er zwischen den Zeilen liest, und hier sieht Hafner just die "Aufrechnung" historischer "Leistungen und Verfehlungen" provoziert, die einer dialektische Geschichtsschreibung seiner Meinung nach nicht gerecht wird.
© Perlentaucher Medien GmbH
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