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Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension

Eine "mörderische Schwärze der Lebensbeschreibung" erblickt Joseph Hanimann in diesem 1907/1908 entstandenen Roman des grafischen Künstlers Felix Vallotons, der nun in einer "vorbildlichen Neuübersetzung" vorliegt. Die zwischen Boheme und Pariser Salonwelt aufgezogene Romanhandlung kreist nach Auskunft des Rezensenten um einen jungen Mann namens Jacques Verdier, einer Art "Gegen-Hiob", der das Unheil statt auf sich selbst auf andere zieht: Wo immer er auftritt, folgt ein "absurder Tod", etwa wenn er einen befreundeten Maler besucht und dem Modell nach dem Aktzeichnen galant vom Tisch helfen möchte, worauf das Mädchen höchst unglücklich auf den rotglühenden Ofen stürzt. Szenen solch "opernhaft überzeichneter Tragik" finden sich laut Hanimann nicht selten im Buch. Dessen eigentliche Qualität sieht er allerdings darin, "dass diese Überzeichnung immer neu in subtile Charakter- und Situationsschilderung sich auflöst." In seiner Darstellung rücksichtsloser Gefühlsintrigen erinnert das Buch Hanimann an Marcel Proust, in seiner "trockenen Schärfe" an die Prosa Rilkes. "Man lässt sich von diesem Roman der aushauchenden Frauenschicksale in den Bann ziehen wie von den einschlägigen Werken Puccinis, widerstandslos und voller Vorbehalte zugleich." Ein großes Lob spendet Hanimann dem Valloton-Experten Werner Weber für seine Übersetzung, die durch eine ans "Vollkommene grenzenden Klarheit und Eleganz" glänzt. Für Kenner von Vallottons grafischem Werk stecke der Roman "voller biografischer Zusammenhänge", resümiert der Rezensent, "für alle ist es eine Entdeckung oder Wiederentdeckung".

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Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 18.02.2005

Es stirbt sich schnell im Papierkorb
Dieser Held kostet jeden Gefährten das Leben: Félix Valloton und die schwarze Eleganz der Belle Epoque
Hätten wir zu wählen zwischen dem Schriftsteller und dem grafischen Künstler Félix Vallotton, fiele die Wahl angesichts der wunderbaren Holzschnitte und Ölbilder nicht schwer. Zu unserem Glück brauchen wir aber nicht zu wählen und haben somit diesen Roman in einer vorbildlichen Neuübersetzung. Im Paris der vorletzten Jahrhundertwende, wo der Schweizer Vallotton im Umfeld der Nabis-Gruppe - Paul Sérusier, Maurice Denis, Edouard Vuillard, Pierre Bonnard - sich entfaltete, entstand der Kontakt zwischen Malerei und Literatur vor allem in der Poesie, bei Mallarmé, Max Jacob, Apollinaire. Wer, als Maler schreibend, dem damals zirkulierenden bösen Bonmot „bête comme un peintre” (dumm wie ein Maler) entkommen wollte, versuchte sich im Gedicht oder allenfalls im ästhetischen Traktat. Mit seiner Tätigkeit des geheimen Romanschreibens - drei Werke sind postum erschienen - bestätigt Vallotton auch auf diesem Gebiet den Ruf eines Außenseiters.
Wer sich beim Lesen dieses Buchs auf den beobachtenden Detailblick des Malers einstellt, wird bald überrascht sein von der halb filmisch, halb opernhaft aufgezogenen Romanhandlung zwischen Bohème und Pariser Salonwelt: überstürzte Ereignisse, schnelle Dialoge, aufgewühlte innere Gefühle. Wir fiebern mit. Nur im Vorspiel wird der ganze Erlebnisbericht nach der alten Manier einer fiktiven Manuskriptüberlieferung weit weggeschoben, als hätte der Autor Félix Valloton allzu offensichtliche Parallelen mit seinem Ich-Erzähler Jacques Verdier zu vertuschen gesucht. Was der Polizeikommissar jedenfalls in diesem Vorspiel vom Tisch des Selbstmörders zu sich steckt, seiner Frau dann vor dem Mittagessen zum Lesen beiläufig auf den Teller legt, was diese wiederum flüchtig anliest, in einer Ecke liegen und vom Zimmermädchen wegräumen lässt und was unter dem Titel „Eine Liebe” schließlich durch mehrere Hände ins angebliche Vergessen gerät, fasziniert durch die mörderische Schwärze der Lebensbeschreibung.
Jacques Verdier erfährt schon als Kind zwischen südfranzösischen Alpen und den Wäldern des Verdon seine Existenz wie die eines Gegen-Hiob, der das Unheil statt auf sich selbst auf die anderen zieht. Wo immer er mit Jugendfreunden oder Nachbarn in Beziehung tritt, folgt ein absurder Tod. Mit der Ankunft des scheuen und leicht verstockten jungen Mannes im Paris der Belle Epoque wirkt dieses Todesvermögen dann auch ins Bohème der Malerateliers hinein, etwa beim Freund Darnac, den Jacques gelegentlich besucht. Steigt dort das Modell nach dem Aktzeichnen gerade vom hohen Tisch, bietet der Besucher galant die Hand, das Mädchen dankt mit einem Augenzwinkern, verfehlt aus Unachtsamkeit aber diese dargebotene Hand: „Ich versuchte, ihr beizuspringen, und verfehlte sie nun meinerseits - kurz, sie stürzte, stürzte so scheußlich, daß ihr armer nackter Körper voll auf den rotglühenden Ofen aufschlug. Sie stieß einen fürchterlichen Schrei aus. Ihr Fleisch brannte an; ein Brechen erregender Dunst stieg auf”.
Szenen solch opernhaft überzeichneter Tragik sind nicht selten im Buch. Dessen ganze Qualität liegt indessen darin, dass diese Überzeichnung immer neu in subtile Charakter- und Situationsschilderung sich auflöst. Die fatalste Wirkung findet Jacques’ unheilbringende Lebenskraft in seiner Liebe zu Madame Montessac, der Frau seines Verlegers. Sein Werben um diese wunderbare Frau findet kein wirksameres Mittel, als das Unglück des gestürzten Aktmodells Jeanne gleichsam auszuborgen und mit der Schilderung von deren Leiden im Krankenhaus Madame Montessacs Aufmerksamkeit zu gewinnen - „so diente das Hinsterben der armen Jeanne noch zu meiner Lust”. An seinen besten Stellen kommt dieser Roman in der Darstellung rücksichtsloser Gefühlsintrige unter Kron- und Gasleuchtern den Schilderungen Marcel Prousts nahe. Bei aller moralischen Rechtschaffenheit und Zuvorkommenheit der Hauptfigur gehorcht - so das Fazit dieses Buchs - das Leben selbst in der Liebe dem unerbittlichen Gesetz des Parasitentums: Der Schwache verkommt, damit der Starke umso stärker erblüht - so lange jedenfalls, bis auch die strahlende Madame Montessac totenblass auf dem Krankenbett liegt. Man lässt sich von diesem Roman der aushauchenden Frauenschicksale in den Bann ziehen wie von den einschlägigen Werken Puccinis, widerstandslos und voller Vorbehalte zugleich. An manchen Stellen horcht man aber auf, als führen plötzlich die kühnsten Techniken vollendeter Filmkunst zwischen das Vibrato.
Wenn im Vorspiel der Kommissar seinen Dienstraum schon verlassen hat, um den gerade gemeldeten Selbstmord eines Herrn namens Jacques Verdier aufzunehmen, bleibt die Erzählung zunächst in der Stille dieses verlassenen Raums verharren. An der Wand zittern die Blätter eins Abreißkalenders, im Papierkorb erstirbt die zerknüllte Korrespondenz der Vortage mit kaum hörbarem Knistern: „Die Papiere der Armen, weich und schickalsergeben, starben fast sofort; die vornehmen Papiere brauchten dazu etwas mehr, aber nur ein kleines bißchen mehr Zeit”. Das klingt nicht mehr nach Opernfülle, sondern nach der trockenen Schärfe, wie sie aus der Prosa eines Rilke bekannt ist.
Die Erstveröffentlichung dieses um 1907/1908 entstandenen Romans erfolgte im Jahr 1927, zwei Jahre nach Vallottons Tod. Werner Weber, der vor sechs Jahren eine ausführliche Studie zum Maler, Dichter und Kritiker Félix Vallotton vorlegte, hat den Textmit einer ans Vollkommene grenzenden Klarheit und Eleganz neu übersetzt. Für Kenner von Vallottons grafischem Werk ist das auf Deutsch seit Jahren vergriffene Buch voller biografischer Zusammenhänge, für alle ist eseine Entdeckung oder Wiederentdeckung.
JOSEPH HANIMANN
FELIX VALLOTON: Das mörderische Leben. Roman. Aus dem Französischen neu übersetzt und mit einem Nachwort versehen von Werner Weber. Verlag Neue Zürcher Zeitung, Zürich 2004. 260 Seiten, 25 Euro.
Malen, Schreiben, Lesen: Felix Vallotons „Leserin mit gelber Kette” (1912, Ausschnitt)
Foto: Arthotek
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