Wird die Gegenwart kompliziert, hilft es, einen Blick zurück zu werfen, am besten mit Ruhe, Klarheit und Unparteilichkeit. Im Gespräch mit seinem Kollegen Perry Anderson zeichnet der Historiker Suleiman Mourad die Geschichte des Korans und des muslimischen Glaubens nach, von den Anfängen bis in die heutige Zeit. Dass hier eine sachkundiger Mediävist und Kenner der politischen und intellektuellen Landschaft der Gegenwart Rede und Antwort steht, ist das große Glück dieses über die Dauer eines Jahres geführten Dialogs. Der Bogen spannt sich von den Anfängen des Korans über Mohammed, die sunnitisch-schiitische Spaltung, die Entwicklung des Dschihad und Reformbestrebungen bis hin zum modernen Islam und seinen Herausforderungen. "Andersons Fragen sind präzise, prägnant und kraftvoll, Mourads Antworten sind klug, verständlich und unvoreingenommen...Unentbehrlich!" Le Monde
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 21.03.2018Von Konfliktherd zu Konfliktherd
Auf den Büchertisch damit: Perry Anderson und Suleiman Mourad unterhalten sich über den Islam. Ihr Gespräch bleibt objektiv, präzise, unparteiisch und ist deswegen unbedingt empfehlenswert.
Eine Faustregel für alle, die im immer unübersichtlicher werdenden Sortiment an Islambüchern etwas Solides und Zuverlässiges suchen: Gehen Sie im Buchladen zuerst zu dem Tisch, auf dem die Islambücher-Stapel sind. Suchen Sie sodann aus dem Regal jene Bücher heraus, die nicht auf dem Stapel sind. Zwar ist nicht jedes stapellose Buch unbedingt ein gutes Buch. "Das Mosaik des Islam" ist aber so ein Buch. Es ist gut und wird voraussichtlich in den Buchhandlungen nicht auf einem Stapel landen. Dafür ist es zu sachlich, zu ausgewogen, zu unaufgeregt und zu wenig persönlich.
Letzteres ist eigentlich überraschend, denn es handelt sich um ein Interviewbuch, ein Format, dem wir Bücher über Musiker und Schauspieler verdanken, die selbst kein Buch schreiben wollten, aber Interessantes über ihr Leben und ihre Arbeit zu erzählen hatten. Der Islamwissenschaftler Suleiman Mourad, Professor für Religionswissenschaft in Northampton (Massachusetts), kann aber sehr wohl eigene Bücher schreiben, und zwar sehr gute. Sein Interviewpartner Perry Anderson, Historiker an der University of California in Los Angeles, stellt ihm wiederum keine Fragen zu seiner Biographie, so dass sich Mourad geradezu genötigt fühlt, sich für persönliche Worte zu entschuldigen. Dabei hätte Mourad mehr Interessantes über sich zu sagen gehabt.
Seine Herkunft aus einer sunnitischen Familie im weitgehend schiitischen Süden Libanons hat ihn tief geprägt. Hinterlassen hat sie ihm ein fundiertes Interesse an der Schia und eine tiefe Verzweiflung über die heutigen konfessionellen Spannungen. Seine Ausführungen über die Geschichte der Schia und die gegenwärtigen Konflikte zwischen den Konfessionen gehören zum Lesenswertesten in diesem Buch. Überzeugend zeigt Mourad, dass es sich bei den Auseinandersetzungen zwischen Sunna und Schia keineswegs um einen mehr als tausendjährigen Dauerkonflikt handelt. Stattdessen analysiert er die Ursachen für die heutigen Spannungen präzise und unparteiisch.
Auch wenn man gerne länger Mourads Lebenserfahrungen verfolgt hätte, war das Ziel des Buches kein biographisches. Vielmehr wollte der Islamhistoriker ein leicht zugängliches Buch für eine breitere Leserschaft vorlegen. In unseren verworrenen Zeiten sollte dies jedem Wissenschaftler, gerade jedem Islamwissenschaftler, ein nobile officium sein. Dieser Aufgabe wird "Das Mosaik des Islam" voll gerecht. Dass man in einem Interviewbuch vom Hölzchen aufs Stöckchen kommt, ist vielleicht kein Schaden, war doch schon der erste arabische Sachbuchautor al-Dschahiz im neunten Jahrhundert der Meinung, ein Buch müsse munter von Thema zu Thema springen, um die Leser nicht zu langweilen.
Dem folgen im Prinzip auch Mourad und Anderson, auch wenn sich einerseits durch die Arbeitsschwerpunkte Mourads und andererseits aus dem aktuellen Interesse eine Großgliederung ergibt.
Die ersten drei Kapitel orientieren sich an den Forschungsthemen Mourads. Das erste behandelt den Koran und Mohammed. Mourad lehnt zu Recht Theorien, wonach der Koran vor oder lange nach der Lebenszeit Mohammeds entstanden sei, ab. Er zeichnet die pluralen Auslegungstraditionen nach, die die Ambiguitätshaltigkeit des Texts nach sich zog, und die Bedeutung, die den Überlieferungen über den Propheten dabei zukommt. Das kurze zweite Kapitel über "Ausbreitung des Islams und Entwicklung des Dschihad" hätte ruhig noch etwas länger sein können, hat Mourad doch intensiv über den Impuls, den die Kreuzzüge dem Dschihadkonzept gaben, geforscht. Es beginnt mit der islamischen Frühzeit, und Mourad hat ebenso recht, wenn er betont, dass die frühen arabisch-islamischen Eroberungen nicht religiös motiviert waren, wie auch darin, dass der Dschihad keineswegs, wie heute oft beschönigend behauptet wird, vor allem als innerer Kampf gedacht war.
Ebenso kurz ist das Kapitel über die Geschichte der diversen Richtungen der Schia - anstelle von "Sunnismus" hätte man besser "Sunna" übersetzen sollen. Mourad, dem dieses Thema ein Herzensanliegen ist, hat glücklicherweise noch mehr dazu gesagt. Er widmet sich der Gegenwart und bietet eine gute Darstellung der diversen Reformbewegungen im Islam, eilt von Konfliktherd zu Konfliktherd und beschreibt die verheerenden Auswirkungen britischer, amerikanischer und sowjetischer Einmischungen, und auch dies wieder gut analysiert und objektiv dargestellt ohne einseitige Alleinschuldzuweisungen.
Für die deutsche Ausgabe hätte man mehr tun können, als den für ein englischsprachiges Publikum zugeschnittenen Text nur gut und flüssig zu übersetzen. Suleiman Mourad, der 2013 Alexander-von-Humboldt-Stipendiat an der FU Berlin war, ist mit der deutschen Forschungstradition gut vertraut. Den Fragen Andersons ist es jedoch geschuldet, dass die deutsche Islamwissenschaft völlig übergangen wird. Zum Thema Koran etwa bringt Anderson die anglophonen Autoren Patricia Crone und John Wansbrough ins Spiel, während Mourad zutreffend feststellt, dass deren Positionen widerlegt sind. Die zentrale Feststellung Mourads, der Koran sei in Auseinandersetzung mit christlichen und jüdischen Traditionen entstanden, entspricht der Position Angelika Neuwirths, die in der Bibliographie aber nur mit einem - bezeichnenderweise englischen - Aufsatz, nicht aber mir ihren deutschsprachigen Standardwerken auftaucht. Auch zur Forschung über das Leben Mohammeds und zum Pluralismus des klassischen Islams, den zu betonen ein zentrales Anliegen Mourads ist, fiele einem deutschsprachige Literatur ein.
Hier hätte ein fachkundiger Herausgeber zumindest die Bibliographie überarbeiten sollen. Flüchtigkeitsfehler sind selten - Abd al-Malik hat den Felsendom in Jerusalem nicht zerstört, sondern erbaut. Der Islam bekommt manchmal das ihm zustehende Genitiv-s, oft, etwa im Titel, wird es ihm verweigert. Ansonsten gibt es wenig zu mäkeln. Dieses rundum empfehlenswerte und aufwendig aufgemachte Buch hätte es verdient, auf den Islamstapeln unserer Buchhandlungen zu landen.
THOMAS BAUER
Perry Anderson und
Suleiman Mourad:
"Das Mosaik des Islam".
Aus dem Englischen von Anne Emmert.
Berenberg Verlag, Berlin 2018. 152 S., geb., 22,- [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Auf den Büchertisch damit: Perry Anderson und Suleiman Mourad unterhalten sich über den Islam. Ihr Gespräch bleibt objektiv, präzise, unparteiisch und ist deswegen unbedingt empfehlenswert.
Eine Faustregel für alle, die im immer unübersichtlicher werdenden Sortiment an Islambüchern etwas Solides und Zuverlässiges suchen: Gehen Sie im Buchladen zuerst zu dem Tisch, auf dem die Islambücher-Stapel sind. Suchen Sie sodann aus dem Regal jene Bücher heraus, die nicht auf dem Stapel sind. Zwar ist nicht jedes stapellose Buch unbedingt ein gutes Buch. "Das Mosaik des Islam" ist aber so ein Buch. Es ist gut und wird voraussichtlich in den Buchhandlungen nicht auf einem Stapel landen. Dafür ist es zu sachlich, zu ausgewogen, zu unaufgeregt und zu wenig persönlich.
Letzteres ist eigentlich überraschend, denn es handelt sich um ein Interviewbuch, ein Format, dem wir Bücher über Musiker und Schauspieler verdanken, die selbst kein Buch schreiben wollten, aber Interessantes über ihr Leben und ihre Arbeit zu erzählen hatten. Der Islamwissenschaftler Suleiman Mourad, Professor für Religionswissenschaft in Northampton (Massachusetts), kann aber sehr wohl eigene Bücher schreiben, und zwar sehr gute. Sein Interviewpartner Perry Anderson, Historiker an der University of California in Los Angeles, stellt ihm wiederum keine Fragen zu seiner Biographie, so dass sich Mourad geradezu genötigt fühlt, sich für persönliche Worte zu entschuldigen. Dabei hätte Mourad mehr Interessantes über sich zu sagen gehabt.
Seine Herkunft aus einer sunnitischen Familie im weitgehend schiitischen Süden Libanons hat ihn tief geprägt. Hinterlassen hat sie ihm ein fundiertes Interesse an der Schia und eine tiefe Verzweiflung über die heutigen konfessionellen Spannungen. Seine Ausführungen über die Geschichte der Schia und die gegenwärtigen Konflikte zwischen den Konfessionen gehören zum Lesenswertesten in diesem Buch. Überzeugend zeigt Mourad, dass es sich bei den Auseinandersetzungen zwischen Sunna und Schia keineswegs um einen mehr als tausendjährigen Dauerkonflikt handelt. Stattdessen analysiert er die Ursachen für die heutigen Spannungen präzise und unparteiisch.
Auch wenn man gerne länger Mourads Lebenserfahrungen verfolgt hätte, war das Ziel des Buches kein biographisches. Vielmehr wollte der Islamhistoriker ein leicht zugängliches Buch für eine breitere Leserschaft vorlegen. In unseren verworrenen Zeiten sollte dies jedem Wissenschaftler, gerade jedem Islamwissenschaftler, ein nobile officium sein. Dieser Aufgabe wird "Das Mosaik des Islam" voll gerecht. Dass man in einem Interviewbuch vom Hölzchen aufs Stöckchen kommt, ist vielleicht kein Schaden, war doch schon der erste arabische Sachbuchautor al-Dschahiz im neunten Jahrhundert der Meinung, ein Buch müsse munter von Thema zu Thema springen, um die Leser nicht zu langweilen.
Dem folgen im Prinzip auch Mourad und Anderson, auch wenn sich einerseits durch die Arbeitsschwerpunkte Mourads und andererseits aus dem aktuellen Interesse eine Großgliederung ergibt.
Die ersten drei Kapitel orientieren sich an den Forschungsthemen Mourads. Das erste behandelt den Koran und Mohammed. Mourad lehnt zu Recht Theorien, wonach der Koran vor oder lange nach der Lebenszeit Mohammeds entstanden sei, ab. Er zeichnet die pluralen Auslegungstraditionen nach, die die Ambiguitätshaltigkeit des Texts nach sich zog, und die Bedeutung, die den Überlieferungen über den Propheten dabei zukommt. Das kurze zweite Kapitel über "Ausbreitung des Islams und Entwicklung des Dschihad" hätte ruhig noch etwas länger sein können, hat Mourad doch intensiv über den Impuls, den die Kreuzzüge dem Dschihadkonzept gaben, geforscht. Es beginnt mit der islamischen Frühzeit, und Mourad hat ebenso recht, wenn er betont, dass die frühen arabisch-islamischen Eroberungen nicht religiös motiviert waren, wie auch darin, dass der Dschihad keineswegs, wie heute oft beschönigend behauptet wird, vor allem als innerer Kampf gedacht war.
Ebenso kurz ist das Kapitel über die Geschichte der diversen Richtungen der Schia - anstelle von "Sunnismus" hätte man besser "Sunna" übersetzen sollen. Mourad, dem dieses Thema ein Herzensanliegen ist, hat glücklicherweise noch mehr dazu gesagt. Er widmet sich der Gegenwart und bietet eine gute Darstellung der diversen Reformbewegungen im Islam, eilt von Konfliktherd zu Konfliktherd und beschreibt die verheerenden Auswirkungen britischer, amerikanischer und sowjetischer Einmischungen, und auch dies wieder gut analysiert und objektiv dargestellt ohne einseitige Alleinschuldzuweisungen.
Für die deutsche Ausgabe hätte man mehr tun können, als den für ein englischsprachiges Publikum zugeschnittenen Text nur gut und flüssig zu übersetzen. Suleiman Mourad, der 2013 Alexander-von-Humboldt-Stipendiat an der FU Berlin war, ist mit der deutschen Forschungstradition gut vertraut. Den Fragen Andersons ist es jedoch geschuldet, dass die deutsche Islamwissenschaft völlig übergangen wird. Zum Thema Koran etwa bringt Anderson die anglophonen Autoren Patricia Crone und John Wansbrough ins Spiel, während Mourad zutreffend feststellt, dass deren Positionen widerlegt sind. Die zentrale Feststellung Mourads, der Koran sei in Auseinandersetzung mit christlichen und jüdischen Traditionen entstanden, entspricht der Position Angelika Neuwirths, die in der Bibliographie aber nur mit einem - bezeichnenderweise englischen - Aufsatz, nicht aber mir ihren deutschsprachigen Standardwerken auftaucht. Auch zur Forschung über das Leben Mohammeds und zum Pluralismus des klassischen Islams, den zu betonen ein zentrales Anliegen Mourads ist, fiele einem deutschsprachige Literatur ein.
Hier hätte ein fachkundiger Herausgeber zumindest die Bibliographie überarbeiten sollen. Flüchtigkeitsfehler sind selten - Abd al-Malik hat den Felsendom in Jerusalem nicht zerstört, sondern erbaut. Der Islam bekommt manchmal das ihm zustehende Genitiv-s, oft, etwa im Titel, wird es ihm verweigert. Ansonsten gibt es wenig zu mäkeln. Dieses rundum empfehlenswerte und aufwendig aufgemachte Buch hätte es verdient, auf den Islamstapeln unserer Buchhandlungen zu landen.
THOMAS BAUER
Perry Anderson und
Suleiman Mourad:
"Das Mosaik des Islam".
Aus dem Englischen von Anne Emmert.
Berenberg Verlag, Berlin 2018. 152 S., geb., 22,- [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main