Ein einzigartiger Schatz der Naturgeschichte ist das Naturalienkabinett Albertus Sebas (1665 - 1736). Der Amsterdamer Apotheker sammelte zunächst zu Forschungszwecken Pflanzen und Tiere aus aller Welt; doch schon bald überschritt seine Sammelleidenschaft die in der Pharmazie üblichen Grenzen. Von außereuropäischen Insekten und farbig schillernden Schlangen bis zu Krokodilen und der faszinierenden siebenköpfigen Hydra reichte Sebas Sammlung, die bereits zu seinen Lebzeiten internationalen Ruhm genoss.
Ab 1731 ließ der in Deutschland geborene Apotheker alle Naturalien zeichnen und veröffentlichte sie anschließend als vierbändigen Thesaurus. Die Illustrationen vereinen Tiere und Pflanzen in szenischen Darstellungen. Dieses erzählerische Element und die ästhetisch anspruchsvolle graphische Gestaltung verleihen den Tafeln ihren besonderen Reiz. Das bildliche Inventar von Sebas einzigartiger Sammlung gilt heute als eine der renommiertesten naturgeschichtlichen Bücher aller Zeiten - es liegt nun als Nachdruck vor.
Der vorliegende Band reproduziert alle 449 Tafeln nach dem prächtigen handkolorierten Exemplar aus der Koninklijke Bibliotheek in Den Haag. Die einleitenden Essays führen in Sebas Werk ein und beleuchten die Stellung des Thesaurus in der Tradition der Kunst- und Wunderkammern. Einblick in die faszinierende Welt der dargestellten Tiere und Pflanzen geben detaillierte Erklärungen und Tafelerläuterungen.
Albertus Sebas Naturaliensammlung ist eine Reise in die Vergangenheit und zugleich eine Wiederentdeckung von Wundern der Natur, die bis heute lebendig sind.
Ab 1731 ließ der in Deutschland geborene Apotheker alle Naturalien zeichnen und veröffentlichte sie anschließend als vierbändigen Thesaurus. Die Illustrationen vereinen Tiere und Pflanzen in szenischen Darstellungen. Dieses erzählerische Element und die ästhetisch anspruchsvolle graphische Gestaltung verleihen den Tafeln ihren besonderen Reiz. Das bildliche Inventar von Sebas einzigartiger Sammlung gilt heute als eine der renommiertesten naturgeschichtlichen Bücher aller Zeiten - es liegt nun als Nachdruck vor.
Der vorliegende Band reproduziert alle 449 Tafeln nach dem prächtigen handkolorierten Exemplar aus der Koninklijke Bibliotheek in Den Haag. Die einleitenden Essays führen in Sebas Werk ein und beleuchten die Stellung des Thesaurus in der Tradition der Kunst- und Wunderkammern. Einblick in die faszinierende Welt der dargestellten Tiere und Pflanzen geben detaillierte Erklärungen und Tafelerläuterungen.
Albertus Sebas Naturaliensammlung ist eine Reise in die Vergangenheit und zugleich eine Wiederentdeckung von Wundern der Natur, die bis heute lebendig sind.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 09.12.2001DIE LEIDENSCHAFT DES ALBERTUS SEBA
Wissenschaft im Übergang: Was als Suche nach dem Seltenen und Kuriosen begann, wurde zur Systematik des Lebens. Dabei ging die Anschauung verloren.
Was macht einen erfolgreichen Forscher aus? Ehrgeiz, Phantasie, und Geschäftssinn brachten auch dem Apotheker Albertus Seba Ruhm und Ehre.
VON HENNING RITTER
Der Mensch als Beobachter ist ein Spätentwickler. Sogar das Nächste, das pochende Herz, hat sich seiner Neugierde lange entzogen. Erst auf das Jahr 1628 wird beispielsweise die Beschreibung des Blutkreislaufs durch William Harvey datiert. Es scheint so, als ob die Neugierde nicht durch Nahes, sondern erst durch Fernes und Fernstes geweckt und zu Hochleistungen angespornt wird. Und selten geht das Auge allein auf Entdeckung aus: Meist eilt die technische Phantasie voran.
Für den britischen Anatomen William Harvey dürften zu seiner Zeit Experimente mit Mühlen und Pumpen wegweisend gewesen sein. Gerade erst war Galilei mit dem Fernrohr zu den Sternen vorgestoßen; Johannes Kepler berechnete die alten Planetentafeln neu; Francis Bacon veröffentlichte sein "Novum Organum"; kühne Seefahrer suchten nach neuen Passagen; Forschungsreisende begannen, systematisch die Tier- und Pflanzenwelt Nord- und Südamerikas zu erkunden. Ohne das exotische Anschauungsmaterial aus der Neuen Welt hätte sich die Naturkunde damals nicht so mächtig entwickeln können. Es war die große Zeit der Kunstkammern, in denen sich alles zusammenfand: Münzen und Skulpturen, Instrumente und Versteinerungen, Tafeln und Inschriften, ausgestopfte Tiere und gepreßte Pflanzen, Kunst und Natur im Kleinen vereint als Ausdruck eines zügellosen Sammeltriebes.
"Curiosi" oder "Virtuosi" nannte man im siebzehnten Jahrhundert jene Liebhaber, die, über ganz Europa verstreut, ihrer Leidenschaft nachgingen und sich für Pioniere des modernen Forschungsgeistes hielten. Der 1665 in Etzel in Ostfriesland geborene, in Amsterdam als Apotheker zu Reichtum gekommene Albertus Seba ist einer der letzten in dieser Reihe.
Seba betrieb neben seiner "Deutschen Apotheke" einen lukrativen Handel mit Arzneimitteln, der bis nach Nordeuropa und Rußland reichte und ihn in die Lage versetzte, eine Sammlung von Pflanzen und Tieren aus Übersee in einem bald berühmt gewordenen Naturalienkabinett zu vereinen. 1717 wurde sie von Zar Peter dem Großen gekauft; Spuren von ihr sollen sich noch heute in der Eremitage finden.
Für seine zweite, weit größere Sammlung schuf Seba ein Überlebensmittel: den sogenannten "Thesaurus" ("Locupletissimi Rerum Naturalium Thesauri Accurata Descriptio"), ein Abbildungswerk mit 446 Kupfertafeln, heute das einzige erhaltene Zeugnis seiner Sammelleidenschaft. Albertus Seba, der 1736 starb, hat den Abschluß des vierbändigen, in lateinischer, niederländischer und französischer Sprache veröffentlichten Werkes nicht mehr erlebt. Die Sammlung selbst wurde 1752, vor Erscheinen des letzten Bandes versteigert - als letztes Beispiel einer Tradition, für die man schon in der Goethezeit - mit Ausnahme von Goethe - kaum noch Verständnis aufbrachte.
Wer den "Thesaurus" durchblättert, kann nicht übersehen, daß hier nicht nur mit Einzelstücken, mit Trophäen des Sammlerehrgeizes geprunkt wird, sondern mit einer Fülle von Kenntnissen, die zur Inbesitznahme der Natur erforderlich waren. Vielerlei Wissen von vielerlei Menschen mußte ineinander greifen: Der eine fing im fernen Südamerika Tiere oder sammelte Pflanzen, ein anderer machte sie transportfähig, ein dritter transportierte sie über das Meer - Seba pflegte im Hafen von Amsterdam Seeleute für seine Projekte zu gewinnen -, wieder andere zeichneten und kolorierten die Wunderwesen, die ihnen zugetragen wurden, auf daß sich am Ende die Pracht der Naturbildungen im Auge des Betrachters erneuere. Anschauung und Vorstellungskraft arbeiteten eng zusammen: Manches von dem, was Eingang in den "Thesaurus" fand, war Ausgeburt der Phantasie, belächelt von späteren Naturforschern als Beweis für die Wundergläubigkeit ihrer Vorläufer.
Als Abbildungswerk war Sebas "Naturalienkabinett" schon Symptom einer Krise. Auch wenn sich die Abbildungen vordergründig nur auf die Sammlung, auf besonders schöne Präparate bezogen, eröffneten sie darüber hinaus einen neuen Raum, der nicht nur dem Sammler mit seinen kuriosen Neigungen zugänglich war. Im Kabinett war es eng geworden, Schubfächer und Schränke quollen über, die Fülle des Materials überstieg die Bearbeitungskapazität eines einzelnen bei weitem. Die Anschauung war zudem nicht mehr auf das Kabinett beschränkt, Naturkundler konnten selbst zu den exotischen Schauplätzen vorstoßen und dort fündig werden. An Ort und Stelle konnten Zeichnungen angelegt, vielleicht sogar koloriert werden, die später als Vorlagen für Kupferstiche dienten. Damit war zugleich für weite Verbreitung gesorgt.
Seba beschäftigte für seinen "Thesaurus" zeitweise bis zu fünfzehn Künstler. Als der berühmte französische Naturhistoriker Buffon seine "Histoire naturelle des oiseaux" (1770-1783) illustrieren ließ, hat er fünf Jahre lang sogar mehr als achtzig Künstler arbeiten lassen. Der Sinn der Darstellung hatte sich da schon einschneidend gewandelt: Es galt, einen "lebendigen Augenblick" aus dem Leben der Vögel zu erfassen, die im Text umfassend beschrieben und klassifiziert wurden. Die Abbildung beschränkte sich bei Buffon darauf, das Wissen durchs Sehen zu ergänzen und Unzulänglichkeiten der sprachlichen Darstellung auszugleichen.
In Sebas "Thesaurus" dagegen vertreten die abgebildeten Tiere, Pflanzen, Schlangen, Fische, Insekten und Mineralien, ganz im Sinne der alten Auffassung, die Natur selbst; sie zeigen ihre Vielfalt. Noch sind die Grenzen des Naturreichs auch durchlässig für Fabelwesen. Schauwert und Auskunftswert sind noch ungeschieden. Darin lebt der Geist des alten Naturalienkabinetts fort: Seltenes ist in Einzelexemplaren anwesend, nicht als Repräsentation von etwas anderem, sondern als Abbild seiner selbst. Es ist der Geist des Sammlers, der sich auf seiner Jagd nach Rarissima nicht von Ungläubigen stören läßt. Er will besitzen, was sonst niemand hat, nach Möglichkeit den Phönix selbst, der sich aus der Asche erhebt.
Dennoch bewirken die Abbildungen, wahrscheinlich unbeabsichtigt, auch etwas Neues: Sie versprechen, Sichtbarkeit und Ordnung aufeinander abzustimmen, das Sichtbare so darzubieten, daß der Betrachter im Buch der Natur selbst zu blättern meint. Der große Linné, der Erfinder der modernen Taxonomie - sein "Systema naturae" erschien 1735 -, hat Sebas "Thesaurus" denn auch in dieser Weise genutzt, als ein Quellenwerk, das dem ordnenden Blick, der nach Art-, Familien- und Gattungsmerkmalen Ausschau hält, reichen Stoff für die Anschauung bot.
Daß der "Thesaurus" modernen Zwecken dienen konnte, als Hilfsmittel zur Klassifikation, ist ein Beleg dafür, daß es sich um ein Werk des Überganges handelt. Die Pracht der Abbildungen gehört dabei zum Alten, zum Kult des Wunderbaren und Seltenen, während die Fülle der Darstellungen ein Verlangen nach Ordnung und Überschau weckt, das das Neue vertritt. Dies ist in den auf Albertus Seba folgenden Generationen um den Preis von immer weniger Anschauung verwirklicht worden.
Albertus Seba: "Das Naturalienkabinett". Locupletissimi rerum naturalium thesauri accurata descriptio 1734-1765. Vollständige Ausgabe der kolorierten Tafeln. Nach dem Original aus der Koninklijke Bibliothek, Den Haag. Benedikt Taschen Verlag, Köln 2001, 588 S., 472 Farbillustrationen, 300,- DM
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Wissenschaft im Übergang: Was als Suche nach dem Seltenen und Kuriosen begann, wurde zur Systematik des Lebens. Dabei ging die Anschauung verloren.
Was macht einen erfolgreichen Forscher aus? Ehrgeiz, Phantasie, und Geschäftssinn brachten auch dem Apotheker Albertus Seba Ruhm und Ehre.
VON HENNING RITTER
Der Mensch als Beobachter ist ein Spätentwickler. Sogar das Nächste, das pochende Herz, hat sich seiner Neugierde lange entzogen. Erst auf das Jahr 1628 wird beispielsweise die Beschreibung des Blutkreislaufs durch William Harvey datiert. Es scheint so, als ob die Neugierde nicht durch Nahes, sondern erst durch Fernes und Fernstes geweckt und zu Hochleistungen angespornt wird. Und selten geht das Auge allein auf Entdeckung aus: Meist eilt die technische Phantasie voran.
Für den britischen Anatomen William Harvey dürften zu seiner Zeit Experimente mit Mühlen und Pumpen wegweisend gewesen sein. Gerade erst war Galilei mit dem Fernrohr zu den Sternen vorgestoßen; Johannes Kepler berechnete die alten Planetentafeln neu; Francis Bacon veröffentlichte sein "Novum Organum"; kühne Seefahrer suchten nach neuen Passagen; Forschungsreisende begannen, systematisch die Tier- und Pflanzenwelt Nord- und Südamerikas zu erkunden. Ohne das exotische Anschauungsmaterial aus der Neuen Welt hätte sich die Naturkunde damals nicht so mächtig entwickeln können. Es war die große Zeit der Kunstkammern, in denen sich alles zusammenfand: Münzen und Skulpturen, Instrumente und Versteinerungen, Tafeln und Inschriften, ausgestopfte Tiere und gepreßte Pflanzen, Kunst und Natur im Kleinen vereint als Ausdruck eines zügellosen Sammeltriebes.
"Curiosi" oder "Virtuosi" nannte man im siebzehnten Jahrhundert jene Liebhaber, die, über ganz Europa verstreut, ihrer Leidenschaft nachgingen und sich für Pioniere des modernen Forschungsgeistes hielten. Der 1665 in Etzel in Ostfriesland geborene, in Amsterdam als Apotheker zu Reichtum gekommene Albertus Seba ist einer der letzten in dieser Reihe.
Seba betrieb neben seiner "Deutschen Apotheke" einen lukrativen Handel mit Arzneimitteln, der bis nach Nordeuropa und Rußland reichte und ihn in die Lage versetzte, eine Sammlung von Pflanzen und Tieren aus Übersee in einem bald berühmt gewordenen Naturalienkabinett zu vereinen. 1717 wurde sie von Zar Peter dem Großen gekauft; Spuren von ihr sollen sich noch heute in der Eremitage finden.
Für seine zweite, weit größere Sammlung schuf Seba ein Überlebensmittel: den sogenannten "Thesaurus" ("Locupletissimi Rerum Naturalium Thesauri Accurata Descriptio"), ein Abbildungswerk mit 446 Kupfertafeln, heute das einzige erhaltene Zeugnis seiner Sammelleidenschaft. Albertus Seba, der 1736 starb, hat den Abschluß des vierbändigen, in lateinischer, niederländischer und französischer Sprache veröffentlichten Werkes nicht mehr erlebt. Die Sammlung selbst wurde 1752, vor Erscheinen des letzten Bandes versteigert - als letztes Beispiel einer Tradition, für die man schon in der Goethezeit - mit Ausnahme von Goethe - kaum noch Verständnis aufbrachte.
Wer den "Thesaurus" durchblättert, kann nicht übersehen, daß hier nicht nur mit Einzelstücken, mit Trophäen des Sammlerehrgeizes geprunkt wird, sondern mit einer Fülle von Kenntnissen, die zur Inbesitznahme der Natur erforderlich waren. Vielerlei Wissen von vielerlei Menschen mußte ineinander greifen: Der eine fing im fernen Südamerika Tiere oder sammelte Pflanzen, ein anderer machte sie transportfähig, ein dritter transportierte sie über das Meer - Seba pflegte im Hafen von Amsterdam Seeleute für seine Projekte zu gewinnen -, wieder andere zeichneten und kolorierten die Wunderwesen, die ihnen zugetragen wurden, auf daß sich am Ende die Pracht der Naturbildungen im Auge des Betrachters erneuere. Anschauung und Vorstellungskraft arbeiteten eng zusammen: Manches von dem, was Eingang in den "Thesaurus" fand, war Ausgeburt der Phantasie, belächelt von späteren Naturforschern als Beweis für die Wundergläubigkeit ihrer Vorläufer.
Als Abbildungswerk war Sebas "Naturalienkabinett" schon Symptom einer Krise. Auch wenn sich die Abbildungen vordergründig nur auf die Sammlung, auf besonders schöne Präparate bezogen, eröffneten sie darüber hinaus einen neuen Raum, der nicht nur dem Sammler mit seinen kuriosen Neigungen zugänglich war. Im Kabinett war es eng geworden, Schubfächer und Schränke quollen über, die Fülle des Materials überstieg die Bearbeitungskapazität eines einzelnen bei weitem. Die Anschauung war zudem nicht mehr auf das Kabinett beschränkt, Naturkundler konnten selbst zu den exotischen Schauplätzen vorstoßen und dort fündig werden. An Ort und Stelle konnten Zeichnungen angelegt, vielleicht sogar koloriert werden, die später als Vorlagen für Kupferstiche dienten. Damit war zugleich für weite Verbreitung gesorgt.
Seba beschäftigte für seinen "Thesaurus" zeitweise bis zu fünfzehn Künstler. Als der berühmte französische Naturhistoriker Buffon seine "Histoire naturelle des oiseaux" (1770-1783) illustrieren ließ, hat er fünf Jahre lang sogar mehr als achtzig Künstler arbeiten lassen. Der Sinn der Darstellung hatte sich da schon einschneidend gewandelt: Es galt, einen "lebendigen Augenblick" aus dem Leben der Vögel zu erfassen, die im Text umfassend beschrieben und klassifiziert wurden. Die Abbildung beschränkte sich bei Buffon darauf, das Wissen durchs Sehen zu ergänzen und Unzulänglichkeiten der sprachlichen Darstellung auszugleichen.
In Sebas "Thesaurus" dagegen vertreten die abgebildeten Tiere, Pflanzen, Schlangen, Fische, Insekten und Mineralien, ganz im Sinne der alten Auffassung, die Natur selbst; sie zeigen ihre Vielfalt. Noch sind die Grenzen des Naturreichs auch durchlässig für Fabelwesen. Schauwert und Auskunftswert sind noch ungeschieden. Darin lebt der Geist des alten Naturalienkabinetts fort: Seltenes ist in Einzelexemplaren anwesend, nicht als Repräsentation von etwas anderem, sondern als Abbild seiner selbst. Es ist der Geist des Sammlers, der sich auf seiner Jagd nach Rarissima nicht von Ungläubigen stören läßt. Er will besitzen, was sonst niemand hat, nach Möglichkeit den Phönix selbst, der sich aus der Asche erhebt.
Dennoch bewirken die Abbildungen, wahrscheinlich unbeabsichtigt, auch etwas Neues: Sie versprechen, Sichtbarkeit und Ordnung aufeinander abzustimmen, das Sichtbare so darzubieten, daß der Betrachter im Buch der Natur selbst zu blättern meint. Der große Linné, der Erfinder der modernen Taxonomie - sein "Systema naturae" erschien 1735 -, hat Sebas "Thesaurus" denn auch in dieser Weise genutzt, als ein Quellenwerk, das dem ordnenden Blick, der nach Art-, Familien- und Gattungsmerkmalen Ausschau hält, reichen Stoff für die Anschauung bot.
Daß der "Thesaurus" modernen Zwecken dienen konnte, als Hilfsmittel zur Klassifikation, ist ein Beleg dafür, daß es sich um ein Werk des Überganges handelt. Die Pracht der Abbildungen gehört dabei zum Alten, zum Kult des Wunderbaren und Seltenen, während die Fülle der Darstellungen ein Verlangen nach Ordnung und Überschau weckt, das das Neue vertritt. Dies ist in den auf Albertus Seba folgenden Generationen um den Preis von immer weniger Anschauung verwirklicht worden.
Albertus Seba: "Das Naturalienkabinett". Locupletissimi rerum naturalium thesauri accurata descriptio 1734-1765. Vollständige Ausgabe der kolorierten Tafeln. Nach dem Original aus der Koninklijke Bibliothek, Den Haag. Benedikt Taschen Verlag, Köln 2001, 588 S., 472 Farbillustrationen, 300,- DM
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Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 10.11.2001So viel Welt muss sein
Natürlich, ein Apotheker. Wer außer einem Arzneikundigen hätte eine so umfassende Naturaliensammlung zusammentragen können? Der geschäftstüchtige Pharmazeut Albertus Seba eilte, sobald ein Schiff aus Übersee in den Hafen von Amsterdam eingelaufen war, unverzüglich ans Ufer, ging an Bord und feilschte mit den Matrosen um ihre exotischen Mitbringsel, die er gegen Medikamente einzutauschen pflegte. Um den Handel mit Drogen aus aller Welt zu organisieren, hielt er sich außerdem Korrespondenten in Sri Lanka, Grönland, Virginia oder in Batavia, dem heutigen Jakarta. Auf diese Weise gelang es Seba, eine einzigartige Enzyklopädie des Lebens zu erwerben, deren bildliches Inventar er in einem Zeitraum von mehr als drei Jahrzehnten nach und nach veröffentlichte.
Kunstkammern dienten anfangs der Sehnsucht nach möglichst vollständiger Abbildung des Kosmos auf überschaubarem Terrain. Man scheint einen Blick für das Absonderliche, Eigenartige in der Natur gehabt zu haben, trug man doch vor allem, in den Worten Foucaults: „Monstren und Fossile” zusammen. Auch in Sebas Kabinett herrscht noch eine Kultur des Unterschieds: Vor allem Kuriositäten und Seltsamkeiten haben dort ihren Platz, wie etwa ein in Alkohol getauchtes Totgeborenes aus Curacao oder das Bild einer fehlgestalteten Ziege mit einem Kopf und zwei Körpern. Natürlich war auch der umtriebige Seba, dem 1717 der Coup gelang, seine Sammlung dem russischen Zar Peter dem Großen zu verkaufen, dem damaligen Zeitgeist nicht abhold: Das bezeugen die Muscheln, die er zu Tausenden anhäufte – in den Niederlanden wurde die Muschelsucht damals als „Conchyliomanie” berühmt.
Der „Thesaurus” von Seba ist ein durch und durch beeindruckendes Beispiel barocker Buchkunst, der der Taschen Verlag mit seiner luxuriös edierten Jumbo-Ausgabe jetzt zu neuen Ehren verholfen hat. Sie führt Sebas Naturalienkabinett außerdem als funkelndes Intarsienstück jener internationalen Gelehrtenrepublik vor, welche über Akademien, Schichten und Religionszwistigkeiten hinweg ein neues Verständnis der Welt vorbereitete. holi
ALBERTUS SEBA: Das Naturalienkabinett. Vollständige Ausgabe der kolorierten Tafeln 1734–1765. Mit Einführung von Irmgard Müsch, Jes Rust und Rainer Willmann. Taschen Verlag, Köln 2001. 588 Seiten, 300 Mark.
SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung exklusiv über www.diz-muenchen.de
Natürlich, ein Apotheker. Wer außer einem Arzneikundigen hätte eine so umfassende Naturaliensammlung zusammentragen können? Der geschäftstüchtige Pharmazeut Albertus Seba eilte, sobald ein Schiff aus Übersee in den Hafen von Amsterdam eingelaufen war, unverzüglich ans Ufer, ging an Bord und feilschte mit den Matrosen um ihre exotischen Mitbringsel, die er gegen Medikamente einzutauschen pflegte. Um den Handel mit Drogen aus aller Welt zu organisieren, hielt er sich außerdem Korrespondenten in Sri Lanka, Grönland, Virginia oder in Batavia, dem heutigen Jakarta. Auf diese Weise gelang es Seba, eine einzigartige Enzyklopädie des Lebens zu erwerben, deren bildliches Inventar er in einem Zeitraum von mehr als drei Jahrzehnten nach und nach veröffentlichte.
Kunstkammern dienten anfangs der Sehnsucht nach möglichst vollständiger Abbildung des Kosmos auf überschaubarem Terrain. Man scheint einen Blick für das Absonderliche, Eigenartige in der Natur gehabt zu haben, trug man doch vor allem, in den Worten Foucaults: „Monstren und Fossile” zusammen. Auch in Sebas Kabinett herrscht noch eine Kultur des Unterschieds: Vor allem Kuriositäten und Seltsamkeiten haben dort ihren Platz, wie etwa ein in Alkohol getauchtes Totgeborenes aus Curacao oder das Bild einer fehlgestalteten Ziege mit einem Kopf und zwei Körpern. Natürlich war auch der umtriebige Seba, dem 1717 der Coup gelang, seine Sammlung dem russischen Zar Peter dem Großen zu verkaufen, dem damaligen Zeitgeist nicht abhold: Das bezeugen die Muscheln, die er zu Tausenden anhäufte – in den Niederlanden wurde die Muschelsucht damals als „Conchyliomanie” berühmt.
Der „Thesaurus” von Seba ist ein durch und durch beeindruckendes Beispiel barocker Buchkunst, der der Taschen Verlag mit seiner luxuriös edierten Jumbo-Ausgabe jetzt zu neuen Ehren verholfen hat. Sie führt Sebas Naturalienkabinett außerdem als funkelndes Intarsienstück jener internationalen Gelehrtenrepublik vor, welche über Akademien, Schichten und Religionszwistigkeiten hinweg ein neues Verständnis der Welt vorbereitete. holi
ALBERTUS SEBA: Das Naturalienkabinett. Vollständige Ausgabe der kolorierten Tafeln 1734–1765. Mit Einführung von Irmgard Müsch, Jes Rust und Rainer Willmann. Taschen Verlag, Köln 2001. 588 Seiten, 300 Mark.
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Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension
Beeindruckend dieser Thesaurus, findet Rezensent "holi" und meint damit sicher nicht bloß die schiere, freilich ungeheure Seitenfülle des Bandes. Eher schon hat es dem Rezensenten der Luxus der Edition angetan, von dem wir allerdings nur ahnen können, wie er sich manifestiert, abgesehen mal von dem stolzen Preis des Ganzen (300 Mark!). Greifbar wird die Faszination des Unternehmens indessen, wenn "holi" auf die Inhalte der unzähligen Sebaschen Kolortafeln zu sprechen kommt: Wer interessierte sich nicht für das "Absonderliche, Eigenartige in der Natur," für eine fehlgestaltete Ziege mit einem Kopf und zwei Körpern beispielsweise?
© Perlentaucher Medien GmbH
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