1996 zeichnete Joe Klein, langjähriger Redakteur des New Yorker und einer der scharfsinnigsten politischen Kommentatoren der USA, in seinem Roman Primary Colours eine Karikatur von Bill Clinton, die viele für ein tatsächliches Porträt hielten. Das aber legt er erst jetzt vor, und er fordert darin die Sichtweisen sowohl der Freunde wie der Feinde des ehemaligen Präsidenten heraus.
Klein lässt die Affären beiseite, die Skandale, den Medienrummel und den Aufruhr der Gefühle, den Clinton hervorrief, und analysiert stattdessen nüchtern dessen achtjährige Präsidentschaft, immerhin eine Zeit, in der es die Vereinigten Staaten zu einem beispiellosen Wohlstand brachten. Klein rückt die Geschehnisse in die richtige Perspektive und zeigt, was sich politisch bewährte und was nicht, was genau diese Administration erreicht hat und warum und wer für die Erfolge wie für die Versäumnisse verantwortlich war.
Wir erfahren, wie das Weiße Haus in seinem Inneren funktionierte, wie es mit den Manövees Kongresses und der konservativen Gingrich-Revolution umging, wer die Macht hatte und die Entscheidungen während der zahllosen Krisen fällte, mit denen diese Präsidentschaft zu kämpfen hatte. Klein hatte in all diesen Jahren direkten Zugang zum Weißen Haus, und seine Schilderungen der - sowohl politisch wie persönlich - entscheidenden Ereignisse dieser Administration sind so fesselnd wie aufschlussreich.
Klein lässt die Affären beiseite, die Skandale, den Medienrummel und den Aufruhr der Gefühle, den Clinton hervorrief, und analysiert stattdessen nüchtern dessen achtjährige Präsidentschaft, immerhin eine Zeit, in der es die Vereinigten Staaten zu einem beispiellosen Wohlstand brachten. Klein rückt die Geschehnisse in die richtige Perspektive und zeigt, was sich politisch bewährte und was nicht, was genau diese Administration erreicht hat und warum und wer für die Erfolge wie für die Versäumnisse verantwortlich war.
Wir erfahren, wie das Weiße Haus in seinem Inneren funktionierte, wie es mit den Manövees Kongresses und der konservativen Gingrich-Revolution umging, wer die Macht hatte und die Entscheidungen während der zahllosen Krisen fällte, mit denen diese Präsidentschaft zu kämpfen hatte. Klein hatte in all diesen Jahren direkten Zugang zum Weißen Haus, und seine Schilderungen der - sowohl politisch wie persönlich - entscheidenden Ereignisse dieser Administration sind so fesselnd wie aufschlussreich.
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 05.05.2003Der Charmeur aus Arkansas
Die Ära des einstigen US-Präsidenten Bill Clinton erscheint heute manchem wie ein heiteres, unbeschwertes Friedensfest
JOE KLEIN: Das Naturtalent. Die verkannte Präsidentschaft Bill Clintons. Siedler, Berlin 2003. 216 S., 19,90 Euro.
Auf dem Titelfoto des Buches steht Bill Clinton, eingezwängt in eine Menschenmenge, und blickt lächelnd in einen Wald ausgestreckter Arme, gefangen in dem aussichtslosen Versuch, jede einzelne der vielen Hände zu schütteln. Bei öffentlichen Auftritten und Shake-Hands-Orgien war der einstige US- Präsident in seinem Element. Hier trat auch sein größtes Kapital zutage: seine begnadete Rhetorik und seine emotionale Intelligenz. Gegen solche Fähigkeiten konnte ein distanzierter, rhetorisch unbeholfener George Bush Senior im Wahlkampf 1992 nicht ankommen. Er gestand später mit Blick auf das Weiße Haus: „Jetzt weiß ich, warum er drin ist und rausguckt, und warum ich draußen bin und reingucke.”
Der Demokrat, der nach Franklin D. Roosevelt zwei Mal hinterher ins Weiße Haus einzog, hatte weitere Boni im Gepäck: Als erster Präsident, der nach dem 2.Weltkrieg geboren wurde, war er der erste Baby Boomer im Amt, und er ging mit einer selbstbewussten, erfolgreichen Frau an seiner Seite unbeschwert zur Sache. Sein jugendlicher Charme sorgte für eine überschwängliche Aufbruchstimmung. Sein neuer Stil aber sollte Clinton und seinem Team bald zum Verhängnis werden. Der Start, so Klein, war erst einmal die Stunde der Amateure: „Das Chaos im Weißen Haus war sprichwörtlich. In der Öffentlichkeit herrschte die Vorstellung, dass dort unreife, anmaßende Berater in Jeans rumliefen und den Westflügel (des Weißen Hauses) mit leeren Pizzaschachteln und Diätcola-Dosen übersäten.”
Der Journalist Joe Klein, der als Korrespondent für die Magazine Newsweek und The New Yorker die Clinton-Jahre begleitete, ist vor allem für seinen Roman „Primary Colors” („Mit aller Macht”) bekannt, eine Persiflage auf die Clintons. Seinen Autorennamen versteckte er hinter „Anonymous”. Nach diesem Bestseller erschien im vergangenen Jahr das tatsächliche Clinton-Porträt unter dem Titel: „The Natural”.
„Zweifellos war er die größte politische Begabung seiner Generation”, schreibt Klein. Diese Begabung setze Clinton allerdings nicht nur zu seinem Vorteil – und zum Vorteil des Landes – ein. Eindrucksvoll waren sicher seine herausragende Intelligenz und sein enzyklopädisches Wissen. Bei einer Besprechung mit Aids-Forschern im Weißen Haus etwa stellte der Präsident so detaillierte Fragen, dass er die Teilnehmer erstaunte. Unvergleichlich war auch Clintons Talent im Umgang mit Menschen. Er lebte vom Bad in der Menge, er brauchte das Gefühl, geliebt zu werden. Und er war ein Fan von Umfragen: Jede Laune der Öffentlichkeit ließ er demoskopisch erfassen, um die Stimmung im Volk zu kennen. Er gerierte sich als menschlicher Präsident. Nichts war ihm zu intim, er beantwortete sogar die Frage, welche Unterwäsche er trage. „Von Anfang an war dieser Präsident von unbehaglicher Vertrautheit”, so Klein. Clinton war besessen davon, es allen recht machen: den Homosexuellen und der Mittelschicht, den Gewerkschaften und den Feministinnen, den Schwarzen und den Hispanics, seinem Vize und seiner Frau. Weil er sich in diesem Interessenwirrwarr verhedderte , waren viele seiner Projekte zum Scheitern verurteilt.
Mehr und mehr kristallisierten sich daher auch Clintons Schwächen heraus: Er bevorzugte einen Führungsstil, der sich vor allem durch Richtungslosigkeit auszeichnete; dieser war gepaart mit seiner Unfähigkeit, Aufgaben zu delegieren. „Man hatte immer das Gefühl, dass
Bill und Hillary der Meinung waren, sie könnten alles selber machen”, zitiert Klein einen prominenten Demokraten. „Bill Clinton schien die vermeintlichen Sünden dieser Generation in Reinkultur zu verkörpern: den moralischen Relativismus, die Neigung, dem Marketing mehr Aufmerksamkeit zu schenken als der Qualität, die ichbezogenen Unreife”, so Klein.
Die Spekulationen und Sensationen rund um die mysteriöse Clinton-Ehe gerieten zum Dauerbrenner seiner Präsidentschaft. Und so kommt Klein fast resigniert zu dem Schluss, es sei immer am klügsten gewesen, „wenn man unterschiedslos alles glaubte: Er war chronisch untreu. Sie zankten sich, dass die Fetzen flogen. Sie waren politische Partner. Sie waren die besten Freunde. All diese Aussagen schlossen sich nicht aus.”
Kleins Zugang zum Weißen Haus verschaffte ihm Einblicke, wie sie nur wenige Journalisten hatten. Aber sein Wissensmonopol schlägt nur selten in Eitelkeit um. Er versteht es, Anekdoten und Analysen im richtigen Verhältnis zu mischen. Dass man als Leser im Unklaren bleibt, ob er Clinton nun bewundert oder verachtet, macht die Lektüre nur spannender. Leider stört die Unstrukturiertheit des Buchs – insofern ist es ein getreues Abbild dieser Präsidentschaft. Immerhin behält Klein den Überblick über die vielen Mosaik- Steine der acht Jahre: „Er hatte das Pech, in einer Zeit zu regieren, in der Größe nicht gefragt war.” Die amerikanische Wirtschaft boomte, und Klein findet, es habe keine Herausforderung gegeben, an der Clinton sein Naturtalent hätte beweisen können.
So hinterließ Clinton der Nachwelt mittelfristige politische Erfolge wie die Erfindung des Dritten Wegs. Er hinterließ den nur kurze Zeit überdauernden Friedensschluss von Arafat und Rabin, und er prägte den Friedensvertrag von Dayton. Trotzdem wird man mit dem 42.Präsidenten zuallererst Monica Lewinsky und nicht Dayton assoziieren, und daran trägt allein Clinton die Schuld.
VIOLA SCHENZ
Bill Clinton „verkörperte die Sünden seiner Generation: die Neigung, dem Marketing mehr Aufmerksamkeit zu schenken als der Qualität, die ichbezogenen Unreife” – findet sein Biograf Joe Klein.
Foto:
AP
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Die Ära des einstigen US-Präsidenten Bill Clinton erscheint heute manchem wie ein heiteres, unbeschwertes Friedensfest
JOE KLEIN: Das Naturtalent. Die verkannte Präsidentschaft Bill Clintons. Siedler, Berlin 2003. 216 S., 19,90 Euro.
Auf dem Titelfoto des Buches steht Bill Clinton, eingezwängt in eine Menschenmenge, und blickt lächelnd in einen Wald ausgestreckter Arme, gefangen in dem aussichtslosen Versuch, jede einzelne der vielen Hände zu schütteln. Bei öffentlichen Auftritten und Shake-Hands-Orgien war der einstige US- Präsident in seinem Element. Hier trat auch sein größtes Kapital zutage: seine begnadete Rhetorik und seine emotionale Intelligenz. Gegen solche Fähigkeiten konnte ein distanzierter, rhetorisch unbeholfener George Bush Senior im Wahlkampf 1992 nicht ankommen. Er gestand später mit Blick auf das Weiße Haus: „Jetzt weiß ich, warum er drin ist und rausguckt, und warum ich draußen bin und reingucke.”
Der Demokrat, der nach Franklin D. Roosevelt zwei Mal hinterher ins Weiße Haus einzog, hatte weitere Boni im Gepäck: Als erster Präsident, der nach dem 2.Weltkrieg geboren wurde, war er der erste Baby Boomer im Amt, und er ging mit einer selbstbewussten, erfolgreichen Frau an seiner Seite unbeschwert zur Sache. Sein jugendlicher Charme sorgte für eine überschwängliche Aufbruchstimmung. Sein neuer Stil aber sollte Clinton und seinem Team bald zum Verhängnis werden. Der Start, so Klein, war erst einmal die Stunde der Amateure: „Das Chaos im Weißen Haus war sprichwörtlich. In der Öffentlichkeit herrschte die Vorstellung, dass dort unreife, anmaßende Berater in Jeans rumliefen und den Westflügel (des Weißen Hauses) mit leeren Pizzaschachteln und Diätcola-Dosen übersäten.”
Der Journalist Joe Klein, der als Korrespondent für die Magazine Newsweek und The New Yorker die Clinton-Jahre begleitete, ist vor allem für seinen Roman „Primary Colors” („Mit aller Macht”) bekannt, eine Persiflage auf die Clintons. Seinen Autorennamen versteckte er hinter „Anonymous”. Nach diesem Bestseller erschien im vergangenen Jahr das tatsächliche Clinton-Porträt unter dem Titel: „The Natural”.
„Zweifellos war er die größte politische Begabung seiner Generation”, schreibt Klein. Diese Begabung setze Clinton allerdings nicht nur zu seinem Vorteil – und zum Vorteil des Landes – ein. Eindrucksvoll waren sicher seine herausragende Intelligenz und sein enzyklopädisches Wissen. Bei einer Besprechung mit Aids-Forschern im Weißen Haus etwa stellte der Präsident so detaillierte Fragen, dass er die Teilnehmer erstaunte. Unvergleichlich war auch Clintons Talent im Umgang mit Menschen. Er lebte vom Bad in der Menge, er brauchte das Gefühl, geliebt zu werden. Und er war ein Fan von Umfragen: Jede Laune der Öffentlichkeit ließ er demoskopisch erfassen, um die Stimmung im Volk zu kennen. Er gerierte sich als menschlicher Präsident. Nichts war ihm zu intim, er beantwortete sogar die Frage, welche Unterwäsche er trage. „Von Anfang an war dieser Präsident von unbehaglicher Vertrautheit”, so Klein. Clinton war besessen davon, es allen recht machen: den Homosexuellen und der Mittelschicht, den Gewerkschaften und den Feministinnen, den Schwarzen und den Hispanics, seinem Vize und seiner Frau. Weil er sich in diesem Interessenwirrwarr verhedderte , waren viele seiner Projekte zum Scheitern verurteilt.
Mehr und mehr kristallisierten sich daher auch Clintons Schwächen heraus: Er bevorzugte einen Führungsstil, der sich vor allem durch Richtungslosigkeit auszeichnete; dieser war gepaart mit seiner Unfähigkeit, Aufgaben zu delegieren. „Man hatte immer das Gefühl, dass
Bill und Hillary der Meinung waren, sie könnten alles selber machen”, zitiert Klein einen prominenten Demokraten. „Bill Clinton schien die vermeintlichen Sünden dieser Generation in Reinkultur zu verkörpern: den moralischen Relativismus, die Neigung, dem Marketing mehr Aufmerksamkeit zu schenken als der Qualität, die ichbezogenen Unreife”, so Klein.
Die Spekulationen und Sensationen rund um die mysteriöse Clinton-Ehe gerieten zum Dauerbrenner seiner Präsidentschaft. Und so kommt Klein fast resigniert zu dem Schluss, es sei immer am klügsten gewesen, „wenn man unterschiedslos alles glaubte: Er war chronisch untreu. Sie zankten sich, dass die Fetzen flogen. Sie waren politische Partner. Sie waren die besten Freunde. All diese Aussagen schlossen sich nicht aus.”
Kleins Zugang zum Weißen Haus verschaffte ihm Einblicke, wie sie nur wenige Journalisten hatten. Aber sein Wissensmonopol schlägt nur selten in Eitelkeit um. Er versteht es, Anekdoten und Analysen im richtigen Verhältnis zu mischen. Dass man als Leser im Unklaren bleibt, ob er Clinton nun bewundert oder verachtet, macht die Lektüre nur spannender. Leider stört die Unstrukturiertheit des Buchs – insofern ist es ein getreues Abbild dieser Präsidentschaft. Immerhin behält Klein den Überblick über die vielen Mosaik- Steine der acht Jahre: „Er hatte das Pech, in einer Zeit zu regieren, in der Größe nicht gefragt war.” Die amerikanische Wirtschaft boomte, und Klein findet, es habe keine Herausforderung gegeben, an der Clinton sein Naturtalent hätte beweisen können.
So hinterließ Clinton der Nachwelt mittelfristige politische Erfolge wie die Erfindung des Dritten Wegs. Er hinterließ den nur kurze Zeit überdauernden Friedensschluss von Arafat und Rabin, und er prägte den Friedensvertrag von Dayton. Trotzdem wird man mit dem 42.Präsidenten zuallererst Monica Lewinsky und nicht Dayton assoziieren, und daran trägt allein Clinton die Schuld.
VIOLA SCHENZ
Bill Clinton „verkörperte die Sünden seiner Generation: die Neigung, dem Marketing mehr Aufmerksamkeit zu schenken als der Qualität, die ichbezogenen Unreife” – findet sein Biograf Joe Klein.
Foto:
AP
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 04.10.2003Verkanntes und Vergeudetes
Bill Clinton war ein äußerst erfolgreicher Wirtschaftspolitiker
Joe Klein:Das Naturtalent. Die verkannte Präsidentschaft Bill Clintons. Siedler Verlag, Berlin 2003. 223 Seiten, 19,90 [Euro].
Joe Klein, ein Enthüllungsjournalist und politischer Kommentator, gibt sich selbst die Chance, ein zweites Porträt von Präsident Clinton zu zeichnen - nach seinem 1996 publizierten Schlüsselroman "Primary Colors", der es für einige Monate zum Stadtgespräch in Washington brachte. Darin hatte er Clintons doppelte Leidenschaft für die Politik und das weibliche Geschlecht bis zum Wahlkampf 1992 in nicht immer schmeichelhaften Szenen festgehalten, ohne natürlich zu ahnen, daß Clintons Affären in seiner zweiten Amtszeit in einem Amtsenthebungsverfahren mit Freispruch kulminieren würden.
Nun also ein neues Leitmotiv, die "verkannte Präsidentschaft" des Naturtalents Clinton. Was hat die Welt nach Ansicht des Autors bisher verkannt? Clintons enorme Erfolge auf wirtschaftlichem Gebiet. Sein Slogan aus dem Wahlkampf von 1992 "Ihr Dummköpfe, die Wirtschaft ist entscheidend" habe in der Amtszeit Clintons sowohl für die Innen- als auch für die Außenpolitik gegolten und seine Präsidentenjahre von 1993 bis 2001 wesentlich geprägt. Der Erfolg dieser Politik war in der Tat atemberaubend, die Wirtschaft boomte wie nie zuvor in der gesamten Geschichte der Vereinigten Staaten, und das war auch das Ergebnis der Clintonschen Wirtschaftspolitik.
Als Clinton aus dem Amt ausschied, war die amerikanische Wirtschaft für 119 Monate ohne Unterbrechung gewachsen. Das Bruttoinlandsprodukt war zwischen 1992 und 1999 um jährlich 3,5 Prozent angestiegen, und zwar inflationsbereinigt. Im selben Zeitraum wurden 20 Millionen neue Arbeitsplätze geschaffen, über 18 Millionen davon im Dienstleistungssektor. Clinton präsidierte in einem Jahrzehnt rasant ansteigender Aktienkurse und einer zusehends global vernetzen Welt in allen Bereichen der Moderne. Außerdem gelang ihm ein Wunder in demokratisch regierten, von Lobbyisten und Besitzstandswahrern geprägten Staaten: ein Ausgleich des bundesstaatlichen Haushalts. Während er den erwarteten Überschuß zum Ausbau der sozialen Sicherungssysteme nutzen wollte, sahen sein Nachfolger George W. Bush und dessen Berater schon vor dem 11. September 2001 darin eine goldene Gelegenheit, die Streitkräfte zu modernisieren und auszubauen. Inzwischen werden die Kosten der republikanischen Rolle rückwärts in das gewaltige Haushaltsdefizit von Ronald Reagan sichtbar.
Trotz dieser unbestreitbaren Erfolge durchzieht das lesenswerte Buch ein zweites Leitmotiv, das eher dem traditionellen Bild Clintons entspricht, nämlich eines politischen Naturtalents, der dieses Talent in vieler Hinsicht vergeudete. Deshalb trifft der Titel des Buches seinen Inhalt nur teilweise. Der charismatische, telegene, beredte und hochintelligente Präsident, ausgestattet mit einem enormen Gedächtnis, einem elementaren Machterhaltungsinstinkt und der Fähigkeit, politisch zu überleben, war auf der anderen Seite entscheidungsschwach, eitel, gefall- und selbstsüchtig - abhängig von Ruhm, dem Bad in der Menge und Umfragen wie ein Junkie von der Nadel. Er war die Unpünktlichkeit in Person, und seine Wutausbrüche waren furchterregend. Er war offen für Speichellecker und von "libidinöser Zügellosigkeit" getrieben. Charakter, so habe Clinton gesagt, sei eine Reise, kein Ziel.
Obwohl eine moralische Minderheit in den Vereinigten Staaten, die sich selbst als moralische Mehrheit versteht, Clinton mit abgrundtiefem Haß und Niedertracht verfolgte, hatte er aufgrund des wirtschaftlichen Aufschwungs der neunziger Jahre bis zum Schluß die Mehrheit der Amerikaner auf seiner Seite. Was die ausführlich analysierte Beziehung des Präsidenten zu seiner Ehefrau anging, so ist Klein zu der Überzeugung gelangt, daß es am klügsten sei, alles zu glauben, was erzählt werde: "Er war chronisch untreu. Sie zankten sich, daß die Fetzen flogen. Sie waren politische Partner, sie waren die besten Freunde. Sie liebten sich bis zum Wahnsinn, in der vollen Bedeutung des Wortes."
Der Leser erfährt in diesem Porträt vergleichsweise wenig über die Außenpolitik, dagegen sehr viel über innenpolitische Kämpfe, etwa über die Krankenversicherung, den Haushalt oder über die "ethischen Fragen", in die der Gingrich-Flügel der Republikanischen Partei die Regierung Clinton in eine beispiellose Hetzkampagne nach Art von Hexenprozessen verwickelte. Klein ist zuzustimmen, wenn er sagt, daß die Clinton-Jahre eher "wegen der Unerbittlichkeit ihrer Verfolgungen als wegen der Schwere ihrer Verbrechen in Erinnerung bleiben" werden. Schließlich war die Präsidentschaft vom "schleichenden Gift" moderner Telekratien befallen, vom Marketing, das heißt der systematischen Austreibung politischer Inhalte durch Demoskopen, Werbefachleute und "spin doctors".
DETLEF JUNKER
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Bill Clinton war ein äußerst erfolgreicher Wirtschaftspolitiker
Joe Klein:Das Naturtalent. Die verkannte Präsidentschaft Bill Clintons. Siedler Verlag, Berlin 2003. 223 Seiten, 19,90 [Euro].
Joe Klein, ein Enthüllungsjournalist und politischer Kommentator, gibt sich selbst die Chance, ein zweites Porträt von Präsident Clinton zu zeichnen - nach seinem 1996 publizierten Schlüsselroman "Primary Colors", der es für einige Monate zum Stadtgespräch in Washington brachte. Darin hatte er Clintons doppelte Leidenschaft für die Politik und das weibliche Geschlecht bis zum Wahlkampf 1992 in nicht immer schmeichelhaften Szenen festgehalten, ohne natürlich zu ahnen, daß Clintons Affären in seiner zweiten Amtszeit in einem Amtsenthebungsverfahren mit Freispruch kulminieren würden.
Nun also ein neues Leitmotiv, die "verkannte Präsidentschaft" des Naturtalents Clinton. Was hat die Welt nach Ansicht des Autors bisher verkannt? Clintons enorme Erfolge auf wirtschaftlichem Gebiet. Sein Slogan aus dem Wahlkampf von 1992 "Ihr Dummköpfe, die Wirtschaft ist entscheidend" habe in der Amtszeit Clintons sowohl für die Innen- als auch für die Außenpolitik gegolten und seine Präsidentenjahre von 1993 bis 2001 wesentlich geprägt. Der Erfolg dieser Politik war in der Tat atemberaubend, die Wirtschaft boomte wie nie zuvor in der gesamten Geschichte der Vereinigten Staaten, und das war auch das Ergebnis der Clintonschen Wirtschaftspolitik.
Als Clinton aus dem Amt ausschied, war die amerikanische Wirtschaft für 119 Monate ohne Unterbrechung gewachsen. Das Bruttoinlandsprodukt war zwischen 1992 und 1999 um jährlich 3,5 Prozent angestiegen, und zwar inflationsbereinigt. Im selben Zeitraum wurden 20 Millionen neue Arbeitsplätze geschaffen, über 18 Millionen davon im Dienstleistungssektor. Clinton präsidierte in einem Jahrzehnt rasant ansteigender Aktienkurse und einer zusehends global vernetzen Welt in allen Bereichen der Moderne. Außerdem gelang ihm ein Wunder in demokratisch regierten, von Lobbyisten und Besitzstandswahrern geprägten Staaten: ein Ausgleich des bundesstaatlichen Haushalts. Während er den erwarteten Überschuß zum Ausbau der sozialen Sicherungssysteme nutzen wollte, sahen sein Nachfolger George W. Bush und dessen Berater schon vor dem 11. September 2001 darin eine goldene Gelegenheit, die Streitkräfte zu modernisieren und auszubauen. Inzwischen werden die Kosten der republikanischen Rolle rückwärts in das gewaltige Haushaltsdefizit von Ronald Reagan sichtbar.
Trotz dieser unbestreitbaren Erfolge durchzieht das lesenswerte Buch ein zweites Leitmotiv, das eher dem traditionellen Bild Clintons entspricht, nämlich eines politischen Naturtalents, der dieses Talent in vieler Hinsicht vergeudete. Deshalb trifft der Titel des Buches seinen Inhalt nur teilweise. Der charismatische, telegene, beredte und hochintelligente Präsident, ausgestattet mit einem enormen Gedächtnis, einem elementaren Machterhaltungsinstinkt und der Fähigkeit, politisch zu überleben, war auf der anderen Seite entscheidungsschwach, eitel, gefall- und selbstsüchtig - abhängig von Ruhm, dem Bad in der Menge und Umfragen wie ein Junkie von der Nadel. Er war die Unpünktlichkeit in Person, und seine Wutausbrüche waren furchterregend. Er war offen für Speichellecker und von "libidinöser Zügellosigkeit" getrieben. Charakter, so habe Clinton gesagt, sei eine Reise, kein Ziel.
Obwohl eine moralische Minderheit in den Vereinigten Staaten, die sich selbst als moralische Mehrheit versteht, Clinton mit abgrundtiefem Haß und Niedertracht verfolgte, hatte er aufgrund des wirtschaftlichen Aufschwungs der neunziger Jahre bis zum Schluß die Mehrheit der Amerikaner auf seiner Seite. Was die ausführlich analysierte Beziehung des Präsidenten zu seiner Ehefrau anging, so ist Klein zu der Überzeugung gelangt, daß es am klügsten sei, alles zu glauben, was erzählt werde: "Er war chronisch untreu. Sie zankten sich, daß die Fetzen flogen. Sie waren politische Partner, sie waren die besten Freunde. Sie liebten sich bis zum Wahnsinn, in der vollen Bedeutung des Wortes."
Der Leser erfährt in diesem Porträt vergleichsweise wenig über die Außenpolitik, dagegen sehr viel über innenpolitische Kämpfe, etwa über die Krankenversicherung, den Haushalt oder über die "ethischen Fragen", in die der Gingrich-Flügel der Republikanischen Partei die Regierung Clinton in eine beispiellose Hetzkampagne nach Art von Hexenprozessen verwickelte. Klein ist zuzustimmen, wenn er sagt, daß die Clinton-Jahre eher "wegen der Unerbittlichkeit ihrer Verfolgungen als wegen der Schwere ihrer Verbrechen in Erinnerung bleiben" werden. Schließlich war die Präsidentschaft vom "schleichenden Gift" moderner Telekratien befallen, vom Marketing, das heißt der systematischen Austreibung politischer Inhalte durch Demoskopen, Werbefachleute und "spin doctors".
DETLEF JUNKER
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Kritisch und pointiert
Er war ein verwirrender Präsident. Seine 8-jährige Amtszeit schien auf einer politischen und einer privaten Ebene zu verlaufen, die miteinander nicht vereinbar waren. Der Publizist Joe Klein, der Clintons Stärken ebenso gut kennt wie seine Schwächen, analysiert klug, kritisch und pointiert Politik und Persönlichkeit des Mannes, in dessen Präsidentschaft es den Amerikanern wirtschaftlich so gut ging wie lange nicht.
Hillary und die Gesundheitsreform
Clinton hatte seine Wahlen souverän gegen George Bush sen. (1992) und Bob Dole (1996) gewonnen und die Demokratische Partei aus der Bedeutungslosigkeit geführt. Bitterkeit, Hass und Zynismus, die ihm in Washington von den Republikanern, aber auch aus den eigenen Reihen und von Teilen der Presse entgegenschlugen, haben ihm das Regieren nicht leicht gemacht. Gegen enorme Widerstände hat er in der Innenpolitik Beträchtliches durchgesetzt, den Staatshaushalt saniert, die Arbeitslosigkeit verringert und im Verlaufe seiner Amtszeit eine immer bessere Figur gemacht. Gescheitert ist Clinton - es war seine schwerste Niederlage - mit der Gesundheitsreform, die federführend seine Frau Hillary entwickelt hatte. Der Autor nennt sie "eine puritanische und moralisierende Methodistin im Sinne des 19. Jahrhunderts". Bill sei dagegen eher ein gefühlsbetonter Baptist.
Ein disziplinierter Präsident
Trotz der persönlichen Skandale, die den Präsidenten an den Rand einer Amtsenthebung brachten, trotz seiner charakterlichen Schwächen (Hang zur Selbstsucht, mangelnde Selbstdisziplin, wenig Rücksichtnahme und Freundlichkeit gegenüber dem engen Umfeld) kommt Klein zu einer positiven Bewertung: "Clinton war ein seriöser, disziplinierter und verantwortungsbewusster Präsident". Als Politiker sei er ein ausgesprochenes Naturtalent mit glänzender Rhetorik und beeindruckender Körpersprache gewesen. Inwiefern diese Attribute auf seinen Nachfolger zutreffen, mag jeder Leser selbst entscheiden.
(Mathias Voigt, literaturtest.de)
Er war ein verwirrender Präsident. Seine 8-jährige Amtszeit schien auf einer politischen und einer privaten Ebene zu verlaufen, die miteinander nicht vereinbar waren. Der Publizist Joe Klein, der Clintons Stärken ebenso gut kennt wie seine Schwächen, analysiert klug, kritisch und pointiert Politik und Persönlichkeit des Mannes, in dessen Präsidentschaft es den Amerikanern wirtschaftlich so gut ging wie lange nicht.
Hillary und die Gesundheitsreform
Clinton hatte seine Wahlen souverän gegen George Bush sen. (1992) und Bob Dole (1996) gewonnen und die Demokratische Partei aus der Bedeutungslosigkeit geführt. Bitterkeit, Hass und Zynismus, die ihm in Washington von den Republikanern, aber auch aus den eigenen Reihen und von Teilen der Presse entgegenschlugen, haben ihm das Regieren nicht leicht gemacht. Gegen enorme Widerstände hat er in der Innenpolitik Beträchtliches durchgesetzt, den Staatshaushalt saniert, die Arbeitslosigkeit verringert und im Verlaufe seiner Amtszeit eine immer bessere Figur gemacht. Gescheitert ist Clinton - es war seine schwerste Niederlage - mit der Gesundheitsreform, die federführend seine Frau Hillary entwickelt hatte. Der Autor nennt sie "eine puritanische und moralisierende Methodistin im Sinne des 19. Jahrhunderts". Bill sei dagegen eher ein gefühlsbetonter Baptist.
Ein disziplinierter Präsident
Trotz der persönlichen Skandale, die den Präsidenten an den Rand einer Amtsenthebung brachten, trotz seiner charakterlichen Schwächen (Hang zur Selbstsucht, mangelnde Selbstdisziplin, wenig Rücksichtnahme und Freundlichkeit gegenüber dem engen Umfeld) kommt Klein zu einer positiven Bewertung: "Clinton war ein seriöser, disziplinierter und verantwortungsbewusster Präsident". Als Politiker sei er ein ausgesprochenes Naturtalent mit glänzender Rhetorik und beeindruckender Körpersprache gewesen. Inwiefern diese Attribute auf seinen Nachfolger zutreffen, mag jeder Leser selbst entscheiden.
(Mathias Voigt, literaturtest.de)
Perlentaucher-Notiz zur NZZ-Rezension
Einst hat Klein in "Primary Colours" anonym und mit viel Fiktion angereichert über Bill Clintons Weg zur Präsidentschaft geschrieben. Diesmal geht es um die konkreten Ereignisse während seiner Amtszeit, und Klein bleibt bei den Fakten. Dabei ist nach Meinung des Rezensenten Wolfgang G. Schwanitz das Dilemma deutlich zu spüren, in dem der Clinton eng verbandelte Reporter steckt: "Der Konflikt zwischen kritischer Distanz und persönlicher Faszination durchweht das Buch." Dabei scheint allerdings eine recht produktive Spannung herauszukommen, denn selbst der Leser macht nach Schwanitz diese "Wechselbäder" mit. Dabei hält sich Klein bei der Analyse des Lebemanns Clinton zurück und konzentriert sich auf seine politischen Ziele, deren (versuchte) Umsetzung ihn als "taktischen Pragmatiker" ausweise.
© Perlentaucher Medien GmbH
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