Unter Europa ist nicht immer das gleiche verstandenworden. Je nach Epoche und unter dem Einflußder jeweils dominanten Deutungseliten wurdenimmer wieder andere »Akzente« gesetzt,»neue« Traditionen entdeckt und »gestiftet« undandere - epochenspezifische - europäische Werteproklamiert. Europa wird konstruiert. Heuteebenso wie in der Zeit vor 1945.Im Mittelpunkt der vorliegenden Monographiestehen »Sachbücher«, Reiseberichte und literarisch-politische Schriften von acht Autorinnenund Autoren, die maßgeblich am Europa-Diskursim Dritten Reich und zum Teil auch in der frühenBundesrepublik beteiligt waren. Einer von ihnenist Walther Kiaulehn. Kiaulehn entwirft im ZweitenWeltkrieg in der Zeitschrift Signal einen europäischen»Stammbaum« der etwas anderen, totalitärenArt - selbstverständlich unter Ausschluß deshalbasiatischen Rußlands und des »Europaflüchtlings« England. England ist in Richtung USA »abgeschwommen«. Für Ernst Wilhelm Eschmannzählen Großbritannien ebenso wie Frankreichohnehin zu »Randeuropa«, die MittelmächteDeutschland und Italien dagegen zum eigentlichenKern des Kontinents. Europa entsteht ausder Mitte heraus, und das Mittlere, Ausgewogene,zwischen Tradition und Fortschritt Vermittelndeprägen das Europäische. Radikal und ohne Sinnfür das Mittlere, das sind die anderen: die Amerikanermit ihren Wolkenkratzer-Phantasien unddie Bolschewiken mit ihrer kulturfeindlichen Tabula-Rasa-Mentalität. »Das Neue Europa« dagegenist der Kontinent, auf dem in Übereinstimmungmit dem historisch gewachsenen Maß, eine maßvolle,moderate Moderne Gestalt annimmt. Sobeispielsweise im »Neuen Bari«, der »Lieblingsstadtdes Fascismus«, die Gustav R. Hocke imJahr 1937 besucht und in der er statt gigantischerHochhäuser sehr viel kleinere, sechsgeschossigeGebäude an der neugebauten Uferpromenadeantrifft.Der Begriff »Das Neue Europa« begann sichim Laufe der 1930er Jahre in Deutschland durchzusetzenund gehörte mit Beginn des ZweitenWeltkriegs zum festen Bestandteil des deutschenEuropa-Diskurses.Carl Wege lehrt an der Universität Bielefeld.Seine Forschungsarbeit ist im Schnittpunkt vonLiteraturwissenschaft, Geschichte und Publizistikangelegt. Zuletzt erschien von ihm der BandBuchstabe und Maschine. Beschreibung einerAllianz im Suhrkamp Verlag. Gegenwärtig arbeiteter an einem Forschungsprojekt mit dem Titel»Die Konstruktion einer Werte- und Schicksalsgemeinschaft.Der Finnland-Diskurs in Deutschland1933-1945«.
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