Wir spalten Atome, wir sagen voraus, was in Milliarden von Jahren mit der Sonne geschehen wird, und machen bei der Entschlüsselung des genetischen Codes des
Menschen dramatische Fortschritte. Man könnte meinen, die Wissenschaft habe keine echten Geheimnisse mehr zu bieten. Weit gefehlt. Ob im Alltag, in der Tiefsee
oder am Rande des Universums, wir stehen vor lauter ungelösten Rätseln: Wieso ist die rechte Hirnhälfte für die linke Körperhälfte zuständig? Wie viel wiegt ein Kilogramm? Wer oder was verursacht die sonderbaren Laute aus der Tiefsee? Woher kommt das Rauschen im All? Kann man Gedanken lesen? Warum kriegt der Zitteraal nicht selbst einen Schlag? Und dann die Frage, die hinter allen anderen Fragen lauert: Was ist das eigentlich, Wissen?
«Das neue Lexikon des Unwissens» versammelt Phänomene, die bisher niemand endgültig erklären konnte. Eine ebenso unterhaltsame wie erhellende Reise durch die unendlichen Weiten des Unwissens.
Hinweis: Dieser Artikel kann nur an eine deutsche Lieferadresse ausgeliefert werden.
Menschen dramatische Fortschritte. Man könnte meinen, die Wissenschaft habe keine echten Geheimnisse mehr zu bieten. Weit gefehlt. Ob im Alltag, in der Tiefsee
oder am Rande des Universums, wir stehen vor lauter ungelösten Rätseln: Wieso ist die rechte Hirnhälfte für die linke Körperhälfte zuständig? Wie viel wiegt ein Kilogramm? Wer oder was verursacht die sonderbaren Laute aus der Tiefsee? Woher kommt das Rauschen im All? Kann man Gedanken lesen? Warum kriegt der Zitteraal nicht selbst einen Schlag? Und dann die Frage, die hinter allen anderen Fragen lauert: Was ist das eigentlich, Wissen?
«Das neue Lexikon des Unwissens» versammelt Phänomene, die bisher niemand endgültig erklären konnte. Eine ebenso unterhaltsame wie erhellende Reise durch die unendlichen Weiten des Unwissens.
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 08.10.2011Man weiß so wenig
Drei Unwissenschaftler erklären uns die Welt nicht: Kathrin Passig, Aleks Scholz und Kai Schreiber stellen Fragen, zu denen es bisher keine Lösungen gibt.
Von Ernst Horst
Vor vier Jahren veröffentlichten Kathrin Passig und Aleks Scholz ihr "Lexikon des Unwissens". Das Buch ist noch im Handel und sehr zu empfehlen. Jetzt haben die beiden Autoren zusätzlich noch Kai Schreiber mit ins Studierzimmer geholt und gemeinsam mit ihm einen zweiten Band verfasst: "Das neue Lexikon des Unwissens". Es ist eine Sammlung von dreißig alphabetisch gereihten Miniaturen wissenschaftlicher Probleme, die bisher ungelöst sind: von A wie Außerirdisches Leben bis Z wie Zitteraal.
Am interessantesten sind natürlich jene Einträge, die uns verblüffen. Hier zwei Beispiele: Die Brüste der postpubertären Menschenfrauen haben eine Eigenschaft, die man sonst nirgendwo bei den Säugetieren findet: Sie sind immer vorhanden. Wenn ein Säugling gestillt wird, bestehen sie zu einem guten Teil aus Drüsengewebe, in der milchlosen Zeit hauptsächlich aus Fett. Aber was hat sich die Natur dabei gedacht? Sind die Brüste so etwas wie das Rad des Pfauenhahns, anderes Geschlecht, aber gleiches Prinzip?
Aber selbst wenn, auch über die Pfauen haben die Gelehrten hundert Theorien, die einander widersprechen. Die Fettmenge, die in den Brüsten gespeichert ist, ist zu klein, als dass sie viel zur Ernährung des Säuglings beitragen könnte. Und die sexuelle Selektion kann auch nicht schuld sein: Die ersten noch recht kleinen Brüste unserer Vorfahrinnen vor Millionen von Jahren müssten die Männerwelt doch eher abgetörnt haben, weil stillende Mütter keine willfährigen Gespielinnen sind. Man sieht, die Erklärungsvorschläge, die im Laufe der Zeit für die Permanenz des Busens vorgebracht wurden, waren häufig auch Männerphantasien. Das beweist ja nicht, dass diese Überlegungen alle falsch sind, aber es gibt einem doch zu denken.
Manche Geschichten im Buch sind weniger aufregend als die besten darin. Sie sind immer noch lesenswert, aber das damit verbundene Aha-Erlebnis ist mehr ein Böller als eine Granate. Nehmen wir zum Beispiel das Kilogramm, die Einheit der Masse. Heute wird das Kilogramm als die Masse des in Paris beheimateten Urkilogramms definiert. Es lässt sich leider nicht völlig verhindern, dass sich ordinärer Dreck aus der Atmosphäre auf diesem Metallklumpen ablagert. Den Dreck kann man natürlich wieder abwaschen, aber wer garantiert einem, dass man dabei nicht auch gleich noch ein paar Milliarden zusätzliche Atome wegputzt? Eine einleuchtende Definition des Kilogramms wäre zum Beispiel die folgende: Ein Kilogramm ist die Masse von x Atomen des Siliziumisotops 28. Die Zahl x müsste man so wählen, dass das Urkilogramm immer noch ein Kilogramm wiegt. Eine solche Definition wäre der Traum jedes Mathematikers.
Leider bräuchte man zusätzlich zum Mathematiker noch einen Physiker, der mit seinen Messungen die Zahl x herausfindet. Das ist die eigentliche Arbeit. Der Physiker weiß jedoch, er macht Messfehler, und die wären vielleicht kleiner, wenn man das Kilogramm völlig anders definieren würde. Im Jahr 2015 soll neu festgelegt werden, was ein Kilogramm ist. Vorläufig aber prügeln sich die Experten noch. Das ist eine durchaus interessante Story. Das Unwissen, das in ihr vorkommt, besteht aus den besagten Messfehlern. Eine wahrhaft aufregende Geschichte ist es aber nicht. Wir wissen jetzt schon, dass alles gut wird. Der technische Fortschritt wird sich seine Bahn brechen, und das halbe Pfund Butter wird immer noch so viel wiegen wie vorher. Die Definition des Meters haben die Metrologen ja auch ordentlich hinbekommen.
Passig und ihre Mitautoren schreiben, dass es "wahrscheinlich" kein drittes Lexikon des Unwissens geben wird. Das ist schade. Aber vielleicht lassen sich die Autoren doch noch breitschlagen, wenn sich der zweite Teil gut verkauft. Man wird ja noch träumen dürfen. Ein dritter Band könnte gerne auch in eine etwas andere Richtung gehen. Es gibt Wissenschaften, die in den beiden bisherigen Bänden noch nicht oder nur wenig berücksichtigt wurden. Alex Scholz ist Astronom und Kai Schreiber Physiker. Das merkt man dem aktuellen Band auch etwas an. Wie wäre es mit noch ein paar hübschen Problemen zum Beispiel aus der Archäologie, der Linguistik, der Kunstgeschichte, der Wirtschaftswissenschaft, der Spieltheorie oder der Geschichte? Nur drei Beispielfragen: Warum spielen Computer so schlecht Go? War Marco Polo überhaupt in Peking, oder hat er in seinem Reisebericht geflunkert? Und wer hat eigentlich die vielen Bilder van Goghs gemalt? Man weiß so wenig, hat Erich Kästner einmal geschrieben. Oder war es Tucholsky?
Kathrin Passig, Aleks Scholz und Kai Schreiber: "Das neue Lexikon des Unwissens". Worauf es bisher keine Antwort gibt.
Rowohlt Verlag, Berlin 2011. 300 S., geb., 19,95 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Drei Unwissenschaftler erklären uns die Welt nicht: Kathrin Passig, Aleks Scholz und Kai Schreiber stellen Fragen, zu denen es bisher keine Lösungen gibt.
Von Ernst Horst
Vor vier Jahren veröffentlichten Kathrin Passig und Aleks Scholz ihr "Lexikon des Unwissens". Das Buch ist noch im Handel und sehr zu empfehlen. Jetzt haben die beiden Autoren zusätzlich noch Kai Schreiber mit ins Studierzimmer geholt und gemeinsam mit ihm einen zweiten Band verfasst: "Das neue Lexikon des Unwissens". Es ist eine Sammlung von dreißig alphabetisch gereihten Miniaturen wissenschaftlicher Probleme, die bisher ungelöst sind: von A wie Außerirdisches Leben bis Z wie Zitteraal.
Am interessantesten sind natürlich jene Einträge, die uns verblüffen. Hier zwei Beispiele: Die Brüste der postpubertären Menschenfrauen haben eine Eigenschaft, die man sonst nirgendwo bei den Säugetieren findet: Sie sind immer vorhanden. Wenn ein Säugling gestillt wird, bestehen sie zu einem guten Teil aus Drüsengewebe, in der milchlosen Zeit hauptsächlich aus Fett. Aber was hat sich die Natur dabei gedacht? Sind die Brüste so etwas wie das Rad des Pfauenhahns, anderes Geschlecht, aber gleiches Prinzip?
Aber selbst wenn, auch über die Pfauen haben die Gelehrten hundert Theorien, die einander widersprechen. Die Fettmenge, die in den Brüsten gespeichert ist, ist zu klein, als dass sie viel zur Ernährung des Säuglings beitragen könnte. Und die sexuelle Selektion kann auch nicht schuld sein: Die ersten noch recht kleinen Brüste unserer Vorfahrinnen vor Millionen von Jahren müssten die Männerwelt doch eher abgetörnt haben, weil stillende Mütter keine willfährigen Gespielinnen sind. Man sieht, die Erklärungsvorschläge, die im Laufe der Zeit für die Permanenz des Busens vorgebracht wurden, waren häufig auch Männerphantasien. Das beweist ja nicht, dass diese Überlegungen alle falsch sind, aber es gibt einem doch zu denken.
Manche Geschichten im Buch sind weniger aufregend als die besten darin. Sie sind immer noch lesenswert, aber das damit verbundene Aha-Erlebnis ist mehr ein Böller als eine Granate. Nehmen wir zum Beispiel das Kilogramm, die Einheit der Masse. Heute wird das Kilogramm als die Masse des in Paris beheimateten Urkilogramms definiert. Es lässt sich leider nicht völlig verhindern, dass sich ordinärer Dreck aus der Atmosphäre auf diesem Metallklumpen ablagert. Den Dreck kann man natürlich wieder abwaschen, aber wer garantiert einem, dass man dabei nicht auch gleich noch ein paar Milliarden zusätzliche Atome wegputzt? Eine einleuchtende Definition des Kilogramms wäre zum Beispiel die folgende: Ein Kilogramm ist die Masse von x Atomen des Siliziumisotops 28. Die Zahl x müsste man so wählen, dass das Urkilogramm immer noch ein Kilogramm wiegt. Eine solche Definition wäre der Traum jedes Mathematikers.
Leider bräuchte man zusätzlich zum Mathematiker noch einen Physiker, der mit seinen Messungen die Zahl x herausfindet. Das ist die eigentliche Arbeit. Der Physiker weiß jedoch, er macht Messfehler, und die wären vielleicht kleiner, wenn man das Kilogramm völlig anders definieren würde. Im Jahr 2015 soll neu festgelegt werden, was ein Kilogramm ist. Vorläufig aber prügeln sich die Experten noch. Das ist eine durchaus interessante Story. Das Unwissen, das in ihr vorkommt, besteht aus den besagten Messfehlern. Eine wahrhaft aufregende Geschichte ist es aber nicht. Wir wissen jetzt schon, dass alles gut wird. Der technische Fortschritt wird sich seine Bahn brechen, und das halbe Pfund Butter wird immer noch so viel wiegen wie vorher. Die Definition des Meters haben die Metrologen ja auch ordentlich hinbekommen.
Passig und ihre Mitautoren schreiben, dass es "wahrscheinlich" kein drittes Lexikon des Unwissens geben wird. Das ist schade. Aber vielleicht lassen sich die Autoren doch noch breitschlagen, wenn sich der zweite Teil gut verkauft. Man wird ja noch träumen dürfen. Ein dritter Band könnte gerne auch in eine etwas andere Richtung gehen. Es gibt Wissenschaften, die in den beiden bisherigen Bänden noch nicht oder nur wenig berücksichtigt wurden. Alex Scholz ist Astronom und Kai Schreiber Physiker. Das merkt man dem aktuellen Band auch etwas an. Wie wäre es mit noch ein paar hübschen Problemen zum Beispiel aus der Archäologie, der Linguistik, der Kunstgeschichte, der Wirtschaftswissenschaft, der Spieltheorie oder der Geschichte? Nur drei Beispielfragen: Warum spielen Computer so schlecht Go? War Marco Polo überhaupt in Peking, oder hat er in seinem Reisebericht geflunkert? Und wer hat eigentlich die vielen Bilder van Goghs gemalt? Man weiß so wenig, hat Erich Kästner einmal geschrieben. Oder war es Tucholsky?
Kathrin Passig, Aleks Scholz und Kai Schreiber: "Das neue Lexikon des Unwissens". Worauf es bisher keine Antwort gibt.
Rowohlt Verlag, Berlin 2011. 300 S., geb., 19,95 [Euro].
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
Dies ist mal ein Buch, das dem Leser Unwissen beschert und trotzdem lesenswert ist. Findet Ernst Horst, der sich von den drei Autoren gern erklären lässt, warum ein Kilogramm gar nicht so sicher auch ein Kilogramm ist, oder was es mit Frauenbrüsten auf sich hat. Aha, macht der Rezensent gleich mehrmals beim Lesen, wenn auch nicht alle der 30 alphabetisch geordneten Miniaturen ihm aufregend erscheinen. Lesenswert sind sie alle allemal, versichert er und hofft auf einen weiteren Band des Lexikons des Unwissens. In dem, so Horst, dürften dann gern auch ein paar weniger physikalische und astronomische ungelöste Probleme verhandelt werden und dafür mehr archäologische, linguistische, historische und kunstgeschichtliche beispielsweise.
© Perlentaucher Medien GmbH
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Dass es den Autoren Vergnügen bereitet, die Welt andersherum zu erklären, spürt man auf jeder Seite dieses originellen Sammelsuriums. Frankfurter Neue Presse