Stillman Wing ist 71 Jahre alt. Er lebt, wie schon der Held in Josh Weils erster, viel gelobter Novelle Herdentiere, in den Blue Ridge Mountains in Virginia. Gerade wurde ihm gekündigt. Um sich zu rächen, stiehlt er in einer Nacht-und-Nebel-Aktion das Schmuckstück aus der Traktorensammlung seines alten Bosses, den Deutz Diesel, Baujahr 1928.
Fünf Jahre lang renoviert er ihn als Geschenk für seine Tochter. Er macht sich Sorgen um Caroline, sie ist schon 35, fettleibig und lebt in den Tag hinein, immer bringt sie neue, nutzlose Liebhaber nach Hause. Sie ist sein Ein und Alles. Und dann geht sie, zieht zu den lauten Kommunarden am Ende des Tals, nimmt gefährliche rituelle Bäder in einem verseuchten Teich und erwartet ein Kind. Stillmans Welt gerät vollständig aus dem Gleichgewicht. Da steigt er zum ersten Mal auf den funkelnden Deutz und fährt dorthin, wo die Rinder begraben sind und wo die jungen Leute tanzen und singen.
Fünf Jahre lang renoviert er ihn als Geschenk für seine Tochter. Er macht sich Sorgen um Caroline, sie ist schon 35, fettleibig und lebt in den Tag hinein, immer bringt sie neue, nutzlose Liebhaber nach Hause. Sie ist sein Ein und Alles. Und dann geht sie, zieht zu den lauten Kommunarden am Ende des Tals, nimmt gefährliche rituelle Bäder in einem verseuchten Teich und erwartet ein Kind. Stillmans Welt gerät vollständig aus dem Gleichgewicht. Da steigt er zum ersten Mal auf den funkelnden Deutz und fährt dorthin, wo die Rinder begraben sind und wo die jungen Leute tanzen und singen.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 26.11.2011Das Lachen der Landmaschine
Der junge Amerikaner Josh Weil erzählt von einem alten Mann, der lieber an einem Traktor tüftelt, als sein Leben zu reparieren. Sein unscheinbares, kleines Buch stellt uns große Fragen.
Von Lena Bopp
Die einzige Novelle, die in diesem an unerhörten Begebenheiten so reichen Herbst erschienen ist, stammt aus der Feder von Josh Weil. Der junge, 1976 geborene Amerikaner ist ein geübter Autor kurzer Prosastücke; als in den Vereinigten Staaten vor zwei Jahren sein erster Novellenband publiziert wurde, erntete er Lob und Preise, und so fand sich auch ein deutscher Verlag, der, man muss es so sagen, das Wagnis des Aus-der-Reihe-Tanzens einging und Weils Texte nun als das herausbringt, was sie sind: Novellen.
Natürlich kommen einem augenblicklich weitere Bücher in den Sinn, die strenggenommen in die gleiche Gattung gehören. Das wunderbare Buch "Meine Krönung" der Französin Véronique Bizot gehört ebenso dazu wie Judith Schalanskys hochgelobtes Werk "Der Hals der Giraffe". Aber auch in den vergangenen Jahren erschienen mit Thomas Hettches "Die Liebe der Väter", Philip Roth' "Empörung" und Ian McEwans "Am Strand" drei wichtige Werke, die eigentlich nicht mehr waren als hübsch getarnte Novellen, die um ein ungeheuerliches Geschehen kreisten und damit vollends und bestens ausgelastet waren. Uns Lesern aber hat man diese Bücher als Romane verkauft. Und man darf hinter diesem Etikettenschwindel die Sorge der Verleger vermuten, die das, was Heinrich Böll einst "eine sehr aristokratische Form der kurzen Prosa" nannte, heute mit so altertümlich-verstaubten Vorstellungen in Verbindung bringen, dass sie dieses Genre dem Publikum nicht mehr zumuten wollen. Die Rechnung ist klar: Auf einem Buchmarkt, auf dem es Erzählungsbände schon schwer haben, ist es für Novellen aussichtslos. Anders lässt sich das fast vollständige Verschwinden dieser Gattung aus den Stapeln der Neuerscheinungen kaum erklären.
Das ist schade. Wie schade, das beweist Josh Weils Buch, das soeben in der deutschen Übersetzung von Stephan Kleiner erschienen ist. "Das neue Tal" ist eine Auskopplung aus einem Novellenband, der 2009 in den Vereinigten Staaten publiziert wurde und drei Geschichten vereinte, in denen Männer mittleren bis hohen Alters in den bewaldeten Hügeln Virginias mit sich und ihren Lebensentwürfen ins Hadern geraten. Im "Neuen Tal" heißt dieser Mann Stillman Wing, ist einundsiebzig Jahre alt und hegt eine leidenschaftliche Schwäche für Traktoren. Besonders angetan hat es ihm ein Exemplar der Firma Deutz, das er gleich auf den ersten Seiten der Geschichte aus der Scheune seines benachbarten Freundes klaut, der das uralte Gefährt seit Jahren verrotten lässt. Passend zu der Gegend, die beschrieben wird als eine, in der "die Leute wussten, wie man Abstand hielt", gehört die Freundschaft zwischen den beiden Männern zu jenen, in der Schweigen als Ausdruck großer Zuneigung gilt. Der Nachbar tut so, als wüsste er nicht, wer seinen Traktor hat. So kann Stillman Wing die nächsten fünf Jahre damit verbringen, das Fahrzeug in seiner Scheune auseinander- und wieder zusammenzubauen.
Der Traktor wird sein Leben, und das ist so wörtlich zu verstehen, wie es die kleinen, vom Autor selbst gefertigten Zeichnungen, die das Buch illustrieren, nahelegen. Sie zeigen menschliche Körperteile, die mit der Maschine eins geworden sind: Eine Radaufhängung wird von einem skelettierten Brustkorb gehalten, aus dem Motorblock baumeln zwei Füße, einem Reifen dient die Iris eines Auges als Felge. Als es Wing nach einer Ewigkeit gelingt, die verrosteten Kolben zu lösen, durchfährt ihn das warme Gefühl des Gelingens: "Es ist, als hätten sie zwischen seinen Rippen gesteckt: Während er sie Stück für Stück herauszieht, spürt er, wie sich seine Lungenflügel weiten, wie das Brustbein sanft an seinen Platz zurückrutscht. Die verdammten Tränen versuchen wieder in seinem Hals aufzusteigen. Lächerlich, ermahnt er sich, aber das Gefühl sickert durch sein Rückenmark und steigt den Rücken hinauf in den Schädel, als sei es bis zu diesem Moment gestaut gewesen."
Man kann in dieser Symbiose zwischen Mensch und Maschine eine große Metapher sehen, die das Leben in einem Landstrich versinnbildlicht, in dem die Bewohner mit ihrer Umgebung eine seltsam enge Verbindung eingegangen sind. In diesem Bild weht eine nostalgische Erinnerung an das Leben amerikanischer Farmer herüber, an ihre bedingungslose Anpassung an die Rhythmen einer Natur, die sie nur dank der Technik ein wenig beherrschen. In dem immer apathischer wirkenden Ringen des alten Mannes mit seinem Traktor tritt vor allem aber die neurotische Veranlagung von Stillman Wing deutlich hervor.
Wing ist ein kontrollierter Mann. Aus Angst vor Hochwasser, das der nahe Fluss zuweilen führt, hat er das Haus in den Blue Ridge Mountains, das er mit seiner Tochter bewohnt, auf Pfähle bauen lassen. Er ernährt sich ausschließlich von Müsli und Gemüse und sieht sich regelmäßig Videos an, in denen indische Gurus versprechen, einen in einer halben Stunde zu einem zufriedeneren Menschen zu machen. Dies führt zu der einzigen satirischen Situation des Buches, in der Wing vor seinem Traktor steht und jenem uramerikanischen Glauben frönt, dem zufolge Motivation alles ist und noch dem traurigsten Mann in Virginia geholfen wird, wenn er sich nur selbst zu helfen versucht. "Und Stillman umkreiste den Deutz, die Arme und Hände wie Flügel ausgebreitet, die Gesichtsmuskeln angespannt im Versuch, das Vogellachen richtig hinzubekommen." Dies bleibt die höchste Form der Erheiterung, zu der Stillman Wing sich fähig sieht.
So verwundert es nicht, dass seine Tochter Caroline eines Tages beschließt, das Haus zu verlassen - und wie zur Bestrafung ihres guten Vaters in eine Kommune zu ziehen, also einen Lebenswandel zu pflegen, der dem seinen diametral entgegensteht. Der Kontakt zwischen den beiden bricht ab. Erst nach mehr als einem Jahr, als Wing beschließt, seiner von ihm liebevoll "Blueberry" genannten Tochter zum Zeichen seiner Zuneigung den alten Traktor zu schenken, erfährt er, dass sie mittlerweile ein Kind erwartet. Sie ist deswegen aber keinesfalls gewillt, ihren neuen Lebensstil aufzugeben. Also ist es nun an ihm, sich für oder gegen sie und sein künftiges Enkelkind zu entscheiden.
Stillman Wing ist ein alter Mann, der am Ende seiner Tage eine Chance bekommt. Er weiß genau, warum er wurde, wer er ist. In den vielen schlaflosen Nächten, die er trotz seines Willens zum gesunden Leben verbringen muss, hat er auch den Tag kommen sehen, an dem er zu wählen hat, ob das so bleiben soll. Anderen Eremiten der Literaturgeschichte, denen Stillman Wing so erstaunlich ähnelt, weil sie sich, wie er, stolz und unberührbar, gleichsam in einem Leben fernab des Lebens eingerichtet haben, blieb diese Möglichkeit entweder verwehrt oder sie schlugen sie selbst aus: So erinnert Wing aus seiner ländlich amerikanischen Einsamkeit heraus auch an den eigenbrötlerischen Herrn Geiser aus Max Frischs "Der Mensch erscheint im Holozän". Er könnte auch ein Seelenbruder von Herrn Sommer sein, diesem sich auf steter Wanderschaft befindenden Zwangscharakter, dem Patrick Süßkind in seiner "Geschichte von Herrn Sommer" ein Andenken gesetzt hat. Obsessionen, Verlassenheit und Verzweiflung prägen das Leben dieser Männer, denen zum Ende ihrer Tage Sinn und Halt abhandengekommen sind.
Bemerkenswert ist dies, weil ausgerechnet der junge Autor Josh Weil hier also eine alte Geschichte wiedererzählt, und das in einer als altmodisch verrufenen Form. Er verdichtet den lebenslänglichen Kampf eines Menschen mit sich selbst in einer Novelle, die mit ihrer zwanghaften Fixierung auf so lächerliche Dinge wie Kühlerhauben, Kolbenhülsen und Ventilschäfte eine Parabel für jedes Dasein bildet, das in Alltag und liebgewonnener Gewohnheit Schutz vor weit drängenderen Fragen sucht. Dabei bleibt Weils Geschichte frei von lästigem Pathos. Sie gibt ihren Helden weder der Lächerlichkeit noch dem Mitleid preis. Stattdessen spielt sie alles aus, was der kurzen Prosa an erzählerischen Mitteln zur Verfügung steht. Sie richtet nicht über Stillman Wing, sie analysiert ihn nicht - und entwirft doch das vollständige Psychogramm eines Mannes, der vor der Hamletfrage steht. Sie verzichtet auf erschöpfende Erklärungen und vertraut der Kraft des Ungesagten, sie wahrt ihr Geheimnis und erzeugt dadurch einen Sog, der den Leser auch über alle mutwillig eingestreuten Hindernisse der Sprache hinwegzuziehen vermag.
Denn Josh Weil ist ein anspruchsvoller Autor, der von seinen Lesern immer dann Konzentration fordert, wenn man gerade begonnen hat, sich in seiner Geschichte behaglich einzurichten. Denn er hat seiner Erzählung ein eigenwilliges Zeitmaß zugrunde gelegt. In einem Satz vergehen hier zuweilen nur Momente, mitunter aber auch Tage, Monate und ganze Jahre. Weil beschleunigt seine Geschichte unvermittelt, um sie genauso abrupt wieder abzubremsen: Eben noch war Stillman Wing ein rüstiger Siebzigjähriger, nun ist er ein alter Mann mit schlechten Augen und schmerzendem Knie. Seine Wahrnehmung hinkt der Wirklichkeit hinterher, Vergangenheit und Gegenwart fließen ineinander, Erinnerung und Augenblick werden eins, bis nicht nur der Held den Überblick über Ursache und Wirkung in seinem Leben verloren hat. Ob dies auch das Ende sein muss, das ist die Frage, die Josh Weil noch einmal stellt. Eine große Frage, die auf das Beste beantwortet wird in seinem kleinen Buch. Nicht nur nebenbei rehabilitiert "Das neue Tal" damit auch ein fast schon ausgestorbenes Genre.
Josh Weil: "Das neue Tal". Novelle.
Aus dem Englischen von Stephan Kleiner. DuMont Verlag, Köln 2011. 126 S., geb., 17,99 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Der junge Amerikaner Josh Weil erzählt von einem alten Mann, der lieber an einem Traktor tüftelt, als sein Leben zu reparieren. Sein unscheinbares, kleines Buch stellt uns große Fragen.
Von Lena Bopp
Die einzige Novelle, die in diesem an unerhörten Begebenheiten so reichen Herbst erschienen ist, stammt aus der Feder von Josh Weil. Der junge, 1976 geborene Amerikaner ist ein geübter Autor kurzer Prosastücke; als in den Vereinigten Staaten vor zwei Jahren sein erster Novellenband publiziert wurde, erntete er Lob und Preise, und so fand sich auch ein deutscher Verlag, der, man muss es so sagen, das Wagnis des Aus-der-Reihe-Tanzens einging und Weils Texte nun als das herausbringt, was sie sind: Novellen.
Natürlich kommen einem augenblicklich weitere Bücher in den Sinn, die strenggenommen in die gleiche Gattung gehören. Das wunderbare Buch "Meine Krönung" der Französin Véronique Bizot gehört ebenso dazu wie Judith Schalanskys hochgelobtes Werk "Der Hals der Giraffe". Aber auch in den vergangenen Jahren erschienen mit Thomas Hettches "Die Liebe der Väter", Philip Roth' "Empörung" und Ian McEwans "Am Strand" drei wichtige Werke, die eigentlich nicht mehr waren als hübsch getarnte Novellen, die um ein ungeheuerliches Geschehen kreisten und damit vollends und bestens ausgelastet waren. Uns Lesern aber hat man diese Bücher als Romane verkauft. Und man darf hinter diesem Etikettenschwindel die Sorge der Verleger vermuten, die das, was Heinrich Böll einst "eine sehr aristokratische Form der kurzen Prosa" nannte, heute mit so altertümlich-verstaubten Vorstellungen in Verbindung bringen, dass sie dieses Genre dem Publikum nicht mehr zumuten wollen. Die Rechnung ist klar: Auf einem Buchmarkt, auf dem es Erzählungsbände schon schwer haben, ist es für Novellen aussichtslos. Anders lässt sich das fast vollständige Verschwinden dieser Gattung aus den Stapeln der Neuerscheinungen kaum erklären.
Das ist schade. Wie schade, das beweist Josh Weils Buch, das soeben in der deutschen Übersetzung von Stephan Kleiner erschienen ist. "Das neue Tal" ist eine Auskopplung aus einem Novellenband, der 2009 in den Vereinigten Staaten publiziert wurde und drei Geschichten vereinte, in denen Männer mittleren bis hohen Alters in den bewaldeten Hügeln Virginias mit sich und ihren Lebensentwürfen ins Hadern geraten. Im "Neuen Tal" heißt dieser Mann Stillman Wing, ist einundsiebzig Jahre alt und hegt eine leidenschaftliche Schwäche für Traktoren. Besonders angetan hat es ihm ein Exemplar der Firma Deutz, das er gleich auf den ersten Seiten der Geschichte aus der Scheune seines benachbarten Freundes klaut, der das uralte Gefährt seit Jahren verrotten lässt. Passend zu der Gegend, die beschrieben wird als eine, in der "die Leute wussten, wie man Abstand hielt", gehört die Freundschaft zwischen den beiden Männern zu jenen, in der Schweigen als Ausdruck großer Zuneigung gilt. Der Nachbar tut so, als wüsste er nicht, wer seinen Traktor hat. So kann Stillman Wing die nächsten fünf Jahre damit verbringen, das Fahrzeug in seiner Scheune auseinander- und wieder zusammenzubauen.
Der Traktor wird sein Leben, und das ist so wörtlich zu verstehen, wie es die kleinen, vom Autor selbst gefertigten Zeichnungen, die das Buch illustrieren, nahelegen. Sie zeigen menschliche Körperteile, die mit der Maschine eins geworden sind: Eine Radaufhängung wird von einem skelettierten Brustkorb gehalten, aus dem Motorblock baumeln zwei Füße, einem Reifen dient die Iris eines Auges als Felge. Als es Wing nach einer Ewigkeit gelingt, die verrosteten Kolben zu lösen, durchfährt ihn das warme Gefühl des Gelingens: "Es ist, als hätten sie zwischen seinen Rippen gesteckt: Während er sie Stück für Stück herauszieht, spürt er, wie sich seine Lungenflügel weiten, wie das Brustbein sanft an seinen Platz zurückrutscht. Die verdammten Tränen versuchen wieder in seinem Hals aufzusteigen. Lächerlich, ermahnt er sich, aber das Gefühl sickert durch sein Rückenmark und steigt den Rücken hinauf in den Schädel, als sei es bis zu diesem Moment gestaut gewesen."
Man kann in dieser Symbiose zwischen Mensch und Maschine eine große Metapher sehen, die das Leben in einem Landstrich versinnbildlicht, in dem die Bewohner mit ihrer Umgebung eine seltsam enge Verbindung eingegangen sind. In diesem Bild weht eine nostalgische Erinnerung an das Leben amerikanischer Farmer herüber, an ihre bedingungslose Anpassung an die Rhythmen einer Natur, die sie nur dank der Technik ein wenig beherrschen. In dem immer apathischer wirkenden Ringen des alten Mannes mit seinem Traktor tritt vor allem aber die neurotische Veranlagung von Stillman Wing deutlich hervor.
Wing ist ein kontrollierter Mann. Aus Angst vor Hochwasser, das der nahe Fluss zuweilen führt, hat er das Haus in den Blue Ridge Mountains, das er mit seiner Tochter bewohnt, auf Pfähle bauen lassen. Er ernährt sich ausschließlich von Müsli und Gemüse und sieht sich regelmäßig Videos an, in denen indische Gurus versprechen, einen in einer halben Stunde zu einem zufriedeneren Menschen zu machen. Dies führt zu der einzigen satirischen Situation des Buches, in der Wing vor seinem Traktor steht und jenem uramerikanischen Glauben frönt, dem zufolge Motivation alles ist und noch dem traurigsten Mann in Virginia geholfen wird, wenn er sich nur selbst zu helfen versucht. "Und Stillman umkreiste den Deutz, die Arme und Hände wie Flügel ausgebreitet, die Gesichtsmuskeln angespannt im Versuch, das Vogellachen richtig hinzubekommen." Dies bleibt die höchste Form der Erheiterung, zu der Stillman Wing sich fähig sieht.
So verwundert es nicht, dass seine Tochter Caroline eines Tages beschließt, das Haus zu verlassen - und wie zur Bestrafung ihres guten Vaters in eine Kommune zu ziehen, also einen Lebenswandel zu pflegen, der dem seinen diametral entgegensteht. Der Kontakt zwischen den beiden bricht ab. Erst nach mehr als einem Jahr, als Wing beschließt, seiner von ihm liebevoll "Blueberry" genannten Tochter zum Zeichen seiner Zuneigung den alten Traktor zu schenken, erfährt er, dass sie mittlerweile ein Kind erwartet. Sie ist deswegen aber keinesfalls gewillt, ihren neuen Lebensstil aufzugeben. Also ist es nun an ihm, sich für oder gegen sie und sein künftiges Enkelkind zu entscheiden.
Stillman Wing ist ein alter Mann, der am Ende seiner Tage eine Chance bekommt. Er weiß genau, warum er wurde, wer er ist. In den vielen schlaflosen Nächten, die er trotz seines Willens zum gesunden Leben verbringen muss, hat er auch den Tag kommen sehen, an dem er zu wählen hat, ob das so bleiben soll. Anderen Eremiten der Literaturgeschichte, denen Stillman Wing so erstaunlich ähnelt, weil sie sich, wie er, stolz und unberührbar, gleichsam in einem Leben fernab des Lebens eingerichtet haben, blieb diese Möglichkeit entweder verwehrt oder sie schlugen sie selbst aus: So erinnert Wing aus seiner ländlich amerikanischen Einsamkeit heraus auch an den eigenbrötlerischen Herrn Geiser aus Max Frischs "Der Mensch erscheint im Holozän". Er könnte auch ein Seelenbruder von Herrn Sommer sein, diesem sich auf steter Wanderschaft befindenden Zwangscharakter, dem Patrick Süßkind in seiner "Geschichte von Herrn Sommer" ein Andenken gesetzt hat. Obsessionen, Verlassenheit und Verzweiflung prägen das Leben dieser Männer, denen zum Ende ihrer Tage Sinn und Halt abhandengekommen sind.
Bemerkenswert ist dies, weil ausgerechnet der junge Autor Josh Weil hier also eine alte Geschichte wiedererzählt, und das in einer als altmodisch verrufenen Form. Er verdichtet den lebenslänglichen Kampf eines Menschen mit sich selbst in einer Novelle, die mit ihrer zwanghaften Fixierung auf so lächerliche Dinge wie Kühlerhauben, Kolbenhülsen und Ventilschäfte eine Parabel für jedes Dasein bildet, das in Alltag und liebgewonnener Gewohnheit Schutz vor weit drängenderen Fragen sucht. Dabei bleibt Weils Geschichte frei von lästigem Pathos. Sie gibt ihren Helden weder der Lächerlichkeit noch dem Mitleid preis. Stattdessen spielt sie alles aus, was der kurzen Prosa an erzählerischen Mitteln zur Verfügung steht. Sie richtet nicht über Stillman Wing, sie analysiert ihn nicht - und entwirft doch das vollständige Psychogramm eines Mannes, der vor der Hamletfrage steht. Sie verzichtet auf erschöpfende Erklärungen und vertraut der Kraft des Ungesagten, sie wahrt ihr Geheimnis und erzeugt dadurch einen Sog, der den Leser auch über alle mutwillig eingestreuten Hindernisse der Sprache hinwegzuziehen vermag.
Denn Josh Weil ist ein anspruchsvoller Autor, der von seinen Lesern immer dann Konzentration fordert, wenn man gerade begonnen hat, sich in seiner Geschichte behaglich einzurichten. Denn er hat seiner Erzählung ein eigenwilliges Zeitmaß zugrunde gelegt. In einem Satz vergehen hier zuweilen nur Momente, mitunter aber auch Tage, Monate und ganze Jahre. Weil beschleunigt seine Geschichte unvermittelt, um sie genauso abrupt wieder abzubremsen: Eben noch war Stillman Wing ein rüstiger Siebzigjähriger, nun ist er ein alter Mann mit schlechten Augen und schmerzendem Knie. Seine Wahrnehmung hinkt der Wirklichkeit hinterher, Vergangenheit und Gegenwart fließen ineinander, Erinnerung und Augenblick werden eins, bis nicht nur der Held den Überblick über Ursache und Wirkung in seinem Leben verloren hat. Ob dies auch das Ende sein muss, das ist die Frage, die Josh Weil noch einmal stellt. Eine große Frage, die auf das Beste beantwortet wird in seinem kleinen Buch. Nicht nur nebenbei rehabilitiert "Das neue Tal" damit auch ein fast schon ausgestorbenes Genre.
Josh Weil: "Das neue Tal". Novelle.
Aus dem Englischen von Stephan Kleiner. DuMont Verlag, Köln 2011. 126 S., geb., 17,99 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
"Eine stille, meisterhafte Novelle über lebenslange Illusionen und den Versuch sich seine Würde zu bewahren." -- JOURNAL FRANKFURT
Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension
Hymnisch bespricht Rezensent Christopher Schmidt diese "meisterhafte" Novelle des amerikanischen Autors Josh Weil. In "Das neue Tal" liest der Kritiker die Geschichte des an einer klinischen Angststörung leidenden, 71 Jahre alten Stillman, der mit seiner übergewichtigen Tochter und einem alten Deutz-Traktor zurückgezogen in den waldigen Hügeln von Virginia lebt. Während der alte Mann keine Rücksicht auf sich selbst nimmt, behandelt er den Traktor wie einen Menschen, so Schmidt. Bewundernd stellt der Rezensent fest, wie Weil diese Geschichte nicht als Pathologie, sondern als Parabel erzähle, in der er nicht nur den amerikanischen "Irrglauben" von der Beherrschbarkeit der Natur, sondern auch die Symbiose von Mensch und Maschine beschreibe. Darüber hinaus gelinge es dem Autor das Vergehen der Zeit so zu schildern, wie es Schmidt noch nie zuvor gelesen hat. Größte Anerkennung hat er aber für Weils kenntnisreiche und achtsame Detailschilderungen - etwa der Tiere, Pflanzen oder Einzelteile des Traktors. Ein "fantastischer" Schriftsteller, der aus dieser kleinen Erzählung "wahre Kunst" mache, meint der ganz hingerissene Kritiker.
© Perlentaucher Medien GmbH
© Perlentaucher Medien GmbH
"Josh Weil hat eine meisterhafte Novelle über einen alten Mann und seinen Traktor geschrieben. Die Achtsamkeit für die Details, die Genauigkeit im Benennen - Josh Weil hat sie der Literatur neu ins Stammbuch geschrieben, und man kann ihn dafür nicht genug preisen. Denn aus diesem Staub ist wahre Kunst gemacht."
SÜDDEUTSCHE ZEITUNG
"Beeindruckend ist diese Novelle, unerhört sogar."
DIE WELT
"Weil verdichtet den lebenslangen Kampf eines Menschen mit sich selbst (...) und spielt alles aus, was der kurzen Prosa an erzählerischen Mitteln zur Verfügung steht (...) Er erzeugt dadurch einen Sog, der den Leser über alle mutwillig eingestreuten Hindernisse der Sprache hinwegzuziehen vermag."
FAZ
"Eine stille, meisterhafte Novelle über lebenslange Illusionen und den Versuch sich seine Würde zu bewahren."
JOURNAL FRANKFURT
"Eine sehr bewegende, intensiv erzählte Papa-Tochter-Geschichte."
MAXI
"Josh Weil schreibt in einer kargen und klaren Sprache, die er bildmächtig und mit poetischer Wucht auflädt. [...] Eine Entdeckung!"
AUGSBURGER ALLGEMEINE
"Trauer bleibt nach der Lektüre, Lebenswissen und die Beglückung, ein großes kleines Buch gelesen zu haben."
DEUTSCHLANDRADIO KULTUR
SÜDDEUTSCHE ZEITUNG
"Beeindruckend ist diese Novelle, unerhört sogar."
DIE WELT
"Weil verdichtet den lebenslangen Kampf eines Menschen mit sich selbst (...) und spielt alles aus, was der kurzen Prosa an erzählerischen Mitteln zur Verfügung steht (...) Er erzeugt dadurch einen Sog, der den Leser über alle mutwillig eingestreuten Hindernisse der Sprache hinwegzuziehen vermag."
FAZ
"Eine stille, meisterhafte Novelle über lebenslange Illusionen und den Versuch sich seine Würde zu bewahren."
JOURNAL FRANKFURT
"Eine sehr bewegende, intensiv erzählte Papa-Tochter-Geschichte."
MAXI
"Josh Weil schreibt in einer kargen und klaren Sprache, die er bildmächtig und mit poetischer Wucht auflädt. [...] Eine Entdeckung!"
AUGSBURGER ALLGEMEINE
"Trauer bleibt nach der Lektüre, Lebenswissen und die Beglückung, ein großes kleines Buch gelesen zu haben."
DEUTSCHLANDRADIO KULTUR