Paläontologen aus aller Welt reisen jedes Jahr zur Grube Messel bei Darmstadt, einer bedeutenden Fossilienfundstätte. Diese spielt eine wichtige Rolle im Roman des Biologen, Käferspezialisten und Verfassers spannender Romane Bernhard Kegel. Dr. Helmut Axt ist als Leiter der Grube Überraschungen gewöhnt. Doch, als aus dem 50 Millionen Jahre alten Ölschiefer ein menschliches Skelett mit Zahnkronen und Armbanduhr geborgen wird, ist er fassungslos. Der Leser nimmt teil an der Aufklärung des Falles und erhält gleichzeitig Informationen zum neusten Stand der Evolutionsforschung.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 01.03.1996Coladosen im Tertiär
Große Sprünge: Bernhard Kegel schreibt den Ölschiefer-Roman
Für den Paläontologen Dr. Axt könnte der Schock nicht größer sein. Tag für Tag durchstöbert er den Ölschiefer der Grube Messel auf der Suche nach neuen Fossilien. Doch das Relikt aus Urzeiten, das die weltbekannte Fundstätte unweit von Darmstadt diesmal preisgibt, bringt den Wissenschaftler zur Verzweiflung. Eingebettet in den Ölschiefer, finden sich die fossilen Überreste eines Menschen. Kein Zweifel, dieser Fund lag genauso lang in der Grube wie all die Fledermäuse, Fische, Krokodile und anderen Fossilien - knapp fünfzig Millionen Jahre.
Störend, und zwar gewaltig störend, ist freilich, daß es zu jener Zeit mit Sicherheit noch keine Menschen gab. Das ist schlicht einige Dutzend Millionen Jahre zu früh. Wenn etwas unmöglich ist, macht es eigentlich nicht viel aus, wenn noch etwas Unmögliches hinzukommt. Im Gegensatz zum Leser wundert sich Dr. Axt dennoch darüber, daß zu jenen Urzeiten, im sogenannten Eozän, offenbar auch schon die Zünfte der Zahnärzte und Uhrmacher floriert haben. Das Skelett hat jedenfalls ein mit Metallkronen saniertes Gebiß und trägt eine Millionen Jahre alte Armbanduhr.
Immer schon wollte man gerne wissen, was Wissenschaftler eigentlich machen, wenn sie an der Wissenschaft verzweifeln. Bernhard Kegel, der unverfroren genug ist, dem Leser eine derart haarsträubende Story aufzutischen, läßt Menschliches zutage treten. Erleichtert darf man zur Kenntnis nehmen, daß Dr. Axt nichts Besseres einfällt als anderen Menschen auch: Er gibt sich dem Suff vor dem Fernseher hin. Damit hat zumindest der eine Romanheld schon die Herzen der Leser erobert, zumal er, wie ein späterer Blick in sein Innerstes zeigt, auch volkstümlich denkt: "Kneif deine faltigen Arschbacken zusammen." Kein Zweifel, Dr. Axt ist ein guter Mensch. Das gleiche gilt für die Biologiestudenten Micha und Claudia. Er trinkt gern Bier und raucht, sie, obwohl robuste Kugelstoßerin, schmilzt in seiner Nähe dahin, wobei der weiche Flaum auf ihren Armen und Beinen golden funkelt.
Das Buch über das Skelett im Ölschiefer ist ein Roman. So steht es auf dem Umschlag. Wer nicht mehr genau weiß, wie diese Literaturgattung in der Schule definiert wurde, erinnert sich schlagartig. Man findet parallele Handlungen, die doch irgendwie miteinander zu tun haben, es werden Ausschnitte aus dem Leben mehrerer Personen präsentiert, und vor allem handelt es sich um ein dickes Buch. Ja, so muß ein Roman sein.
Natürlich kommen auch böse Menschen darin vor. Da ist zum einen der häßliche, hinterhältige Tobias, dessen abstoßender Charakter durch einen Diamanten im schiefen Schneidezahn gekrönt wird. Tobias ist der Urheber des Schlamassels im Ölschiefer. Ohne ihn wäre dieses Buch wohl nicht geschrieben worden, und daher zieht er den besonderen Zorn des Lesers auf sich. Niemand wird den Roman zur Seite legen, ehe er sich nicht sicher sein kann, daß Tobias und sein Skelett endgültig erledigt sind.
Als böse muß auch das Gespann Professor Sonnenberg/Ellen gelten. Er, der alte Geiferer und Lüstling, ist gewissermaßen der Dr. Mabuse der Paläontologie, ein Gefangener seines Faches, der sich schließlich die Kugel gibt. Seine Assistentin Ellen dagegen, schon wegen ihrer Schönheit verdächtig, entpuppt sich als durchtriebenes Miststück. Sie ist eine Prostituierte der Wissenschaft, die sogar unschuldige Insekten der Urzeit vergiftet. Es geschieht ihr recht, daß sie zusammen mit Tobias schließlich im Morast des Tertiärs erstickt.
Die Grube Messel ist zweifellos ein Juwel unter den Fossillagerstätten. Die im Ölschiefer eingeschlossenen Funde sind mitunter phantastisch gut erhalten und gewähren unvergleichliche Einblicke in eine längst vergangene Welt. Daß Bernhard Kegel seine Leser des öfteren durch dieses Fenster in die Vergangenheit schauen läßt, sei ihm hoch angerechnet. Doch sobald man sich mit Urpferdchen und Ameisenbär anfreunden will, tauchen wieder Tobias oder andere Gesellen auf und verstellen den Blick. Dadurch verkommt die Biologie zum schmückenden Beiwerk.
Vielleicht können aber Chronobiologen von der Lektüre profitieren, denn natürlich kommen auch die aus Film und Fernsehen bekannten Zeitreisen vor. Der Reihe nach paddeln Helden und Schurken durch eine Höhle in der Slowakei, wo die Zeit offenbar stehengeblieben ist. Endlich erfahren wir, was wir immer schon über Zeitsprünge wissen wollten: Die Wände und die Decke scheinen auf einen zuzukommen, scheußliche Kopfschmerzen stellen sich ein, doch ehe das Verlangen nach Aspirin übermächtig wird, ist man um Millionen Jahre verjüngt.
Die Zeittouristen aus der Gegenwart benehmen sich recht ungebührlich. Zum einen sollte man im Tertiär schon eine gewisse Kleiderordnung einhalten und nicht respektlos im T-Shirt herumlaufen. Zum anderen ist es schändlich, die leeren Coladosen wegzuwerfen, statt sie dem Recycling zuzuführen. Auch die Umgangsformen lassen zu wünschen übrig. Es gehört sich einfach nicht, einen gerade im Tertiär angekommenen Reisenden mit "'n Abend" zu begrüßen. Man ist daher recht erleichtert, als schließlich an den Gestaden jenes eozänen Sees, aus dem die heutige Grube Messel hervorgegangen ist, der unvermeidliche Showdown stattfindet.
Bevor es soweit ist, sind freilich etliche Ausflüge in die Stammesgeschichte zu absolvieren, denn das Buch soll den Leser auf den neuesten Stand evolutionärer Erkenntnis bringen. Es führt aber eher zu der Überzeugung, daß das heutige Biologiestudium dringend reformiert werden muß. Wie sonst könnte Micha, obwohl schon höheren Semesters, an einer derart hausbackenen Evolutionstheorie herumbasteln? Nicht der Tüchtigste überlebt demnach, sondern derjenige, der am meisten Glück hat. Dabei ist doch klar, daß die Selektion ganz anders erfolgt. Das beweist auch der Roman. Während die Bösen ihr Leben aushauchen und somit in der Sackgasse der Evolution enden, bleibt das Gute bestehen und pflanzt sich, wie Micha und Claudia zeigen, erfolgreich fort.
Der Band "Das Ölschieferskelett" zählt zu den günstigen Büchern. Zum Preis von einem erhält man zwei - einen Roman von der Stange, dem die Stiftung Warentest vielleicht sogar das Qualitätsurteil "gut" verleihen würde, sowie ein Sachbuch, das allerdings kommentierungsbedürftig ist. Schade, daß der Roman durch die Exkursionen in die Wissenschaft heillos zerstückelt wird und das Sachbuch unter der unmöglichen Handlung des Romans leidet. REINHARD WANDTNER
Bernhard Kegel: "Das Ölschieferskelett". Roman. Ammann Verlag, Zürich 1996. 480 S., geb., 44,- DM.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Große Sprünge: Bernhard Kegel schreibt den Ölschiefer-Roman
Für den Paläontologen Dr. Axt könnte der Schock nicht größer sein. Tag für Tag durchstöbert er den Ölschiefer der Grube Messel auf der Suche nach neuen Fossilien. Doch das Relikt aus Urzeiten, das die weltbekannte Fundstätte unweit von Darmstadt diesmal preisgibt, bringt den Wissenschaftler zur Verzweiflung. Eingebettet in den Ölschiefer, finden sich die fossilen Überreste eines Menschen. Kein Zweifel, dieser Fund lag genauso lang in der Grube wie all die Fledermäuse, Fische, Krokodile und anderen Fossilien - knapp fünfzig Millionen Jahre.
Störend, und zwar gewaltig störend, ist freilich, daß es zu jener Zeit mit Sicherheit noch keine Menschen gab. Das ist schlicht einige Dutzend Millionen Jahre zu früh. Wenn etwas unmöglich ist, macht es eigentlich nicht viel aus, wenn noch etwas Unmögliches hinzukommt. Im Gegensatz zum Leser wundert sich Dr. Axt dennoch darüber, daß zu jenen Urzeiten, im sogenannten Eozän, offenbar auch schon die Zünfte der Zahnärzte und Uhrmacher floriert haben. Das Skelett hat jedenfalls ein mit Metallkronen saniertes Gebiß und trägt eine Millionen Jahre alte Armbanduhr.
Immer schon wollte man gerne wissen, was Wissenschaftler eigentlich machen, wenn sie an der Wissenschaft verzweifeln. Bernhard Kegel, der unverfroren genug ist, dem Leser eine derart haarsträubende Story aufzutischen, läßt Menschliches zutage treten. Erleichtert darf man zur Kenntnis nehmen, daß Dr. Axt nichts Besseres einfällt als anderen Menschen auch: Er gibt sich dem Suff vor dem Fernseher hin. Damit hat zumindest der eine Romanheld schon die Herzen der Leser erobert, zumal er, wie ein späterer Blick in sein Innerstes zeigt, auch volkstümlich denkt: "Kneif deine faltigen Arschbacken zusammen." Kein Zweifel, Dr. Axt ist ein guter Mensch. Das gleiche gilt für die Biologiestudenten Micha und Claudia. Er trinkt gern Bier und raucht, sie, obwohl robuste Kugelstoßerin, schmilzt in seiner Nähe dahin, wobei der weiche Flaum auf ihren Armen und Beinen golden funkelt.
Das Buch über das Skelett im Ölschiefer ist ein Roman. So steht es auf dem Umschlag. Wer nicht mehr genau weiß, wie diese Literaturgattung in der Schule definiert wurde, erinnert sich schlagartig. Man findet parallele Handlungen, die doch irgendwie miteinander zu tun haben, es werden Ausschnitte aus dem Leben mehrerer Personen präsentiert, und vor allem handelt es sich um ein dickes Buch. Ja, so muß ein Roman sein.
Natürlich kommen auch böse Menschen darin vor. Da ist zum einen der häßliche, hinterhältige Tobias, dessen abstoßender Charakter durch einen Diamanten im schiefen Schneidezahn gekrönt wird. Tobias ist der Urheber des Schlamassels im Ölschiefer. Ohne ihn wäre dieses Buch wohl nicht geschrieben worden, und daher zieht er den besonderen Zorn des Lesers auf sich. Niemand wird den Roman zur Seite legen, ehe er sich nicht sicher sein kann, daß Tobias und sein Skelett endgültig erledigt sind.
Als böse muß auch das Gespann Professor Sonnenberg/Ellen gelten. Er, der alte Geiferer und Lüstling, ist gewissermaßen der Dr. Mabuse der Paläontologie, ein Gefangener seines Faches, der sich schließlich die Kugel gibt. Seine Assistentin Ellen dagegen, schon wegen ihrer Schönheit verdächtig, entpuppt sich als durchtriebenes Miststück. Sie ist eine Prostituierte der Wissenschaft, die sogar unschuldige Insekten der Urzeit vergiftet. Es geschieht ihr recht, daß sie zusammen mit Tobias schließlich im Morast des Tertiärs erstickt.
Die Grube Messel ist zweifellos ein Juwel unter den Fossillagerstätten. Die im Ölschiefer eingeschlossenen Funde sind mitunter phantastisch gut erhalten und gewähren unvergleichliche Einblicke in eine längst vergangene Welt. Daß Bernhard Kegel seine Leser des öfteren durch dieses Fenster in die Vergangenheit schauen läßt, sei ihm hoch angerechnet. Doch sobald man sich mit Urpferdchen und Ameisenbär anfreunden will, tauchen wieder Tobias oder andere Gesellen auf und verstellen den Blick. Dadurch verkommt die Biologie zum schmückenden Beiwerk.
Vielleicht können aber Chronobiologen von der Lektüre profitieren, denn natürlich kommen auch die aus Film und Fernsehen bekannten Zeitreisen vor. Der Reihe nach paddeln Helden und Schurken durch eine Höhle in der Slowakei, wo die Zeit offenbar stehengeblieben ist. Endlich erfahren wir, was wir immer schon über Zeitsprünge wissen wollten: Die Wände und die Decke scheinen auf einen zuzukommen, scheußliche Kopfschmerzen stellen sich ein, doch ehe das Verlangen nach Aspirin übermächtig wird, ist man um Millionen Jahre verjüngt.
Die Zeittouristen aus der Gegenwart benehmen sich recht ungebührlich. Zum einen sollte man im Tertiär schon eine gewisse Kleiderordnung einhalten und nicht respektlos im T-Shirt herumlaufen. Zum anderen ist es schändlich, die leeren Coladosen wegzuwerfen, statt sie dem Recycling zuzuführen. Auch die Umgangsformen lassen zu wünschen übrig. Es gehört sich einfach nicht, einen gerade im Tertiär angekommenen Reisenden mit "'n Abend" zu begrüßen. Man ist daher recht erleichtert, als schließlich an den Gestaden jenes eozänen Sees, aus dem die heutige Grube Messel hervorgegangen ist, der unvermeidliche Showdown stattfindet.
Bevor es soweit ist, sind freilich etliche Ausflüge in die Stammesgeschichte zu absolvieren, denn das Buch soll den Leser auf den neuesten Stand evolutionärer Erkenntnis bringen. Es führt aber eher zu der Überzeugung, daß das heutige Biologiestudium dringend reformiert werden muß. Wie sonst könnte Micha, obwohl schon höheren Semesters, an einer derart hausbackenen Evolutionstheorie herumbasteln? Nicht der Tüchtigste überlebt demnach, sondern derjenige, der am meisten Glück hat. Dabei ist doch klar, daß die Selektion ganz anders erfolgt. Das beweist auch der Roman. Während die Bösen ihr Leben aushauchen und somit in der Sackgasse der Evolution enden, bleibt das Gute bestehen und pflanzt sich, wie Micha und Claudia zeigen, erfolgreich fort.
Der Band "Das Ölschieferskelett" zählt zu den günstigen Büchern. Zum Preis von einem erhält man zwei - einen Roman von der Stange, dem die Stiftung Warentest vielleicht sogar das Qualitätsurteil "gut" verleihen würde, sowie ein Sachbuch, das allerdings kommentierungsbedürftig ist. Schade, daß der Roman durch die Exkursionen in die Wissenschaft heillos zerstückelt wird und das Sachbuch unter der unmöglichen Handlung des Romans leidet. REINHARD WANDTNER
Bernhard Kegel: "Das Ölschieferskelett". Roman. Ammann Verlag, Zürich 1996. 480 S., geb., 44,- DM.
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