Das Oktoberfest-Attentat vom September 1980 mit 13 Toten erschütterte die Republik, wurde aber schnell vergessen - genau wie der antisemitische Mord in Erlangen an Shlomo Lewin und Frida Poeschke drei Monate später. Angeblich handelten in beiden Fällen verwirrte Einzeltäter. Was verbindet die Morde in Erlangen mit dem Attentat in München? Ulrich Chaussys Analyse, dass das Oktoberfest-Attentat rechter Terror war, folgt nun endlich auch die Bundesanwaltschaft. Doch die systematischen Vertuschungen in den damaligen Ermittlungen sind bis heute nicht aufgeklärt, viele Fragen noch offen.
»Der Münchner Publizist Ulrich Chaussy ist ein hartnäckiger und erfolgreicher Wahrheitssucher. Er verarbeitet nun in seinem jüngsten Buch seine neuen, unglaublich spannenden Recherchen und Erkenntnisse, vor allem zum Erlanger Rabbiner-Mord.« (Heribert Prantl)
»Der Münchner Publizist Ulrich Chaussy ist ein hartnäckiger und erfolgreicher Wahrheitssucher. Er verarbeitet nun in seinem jüngsten Buch seine neuen, unglaublich spannenden Recherchen und Erkenntnisse, vor allem zum Erlanger Rabbiner-Mord.« (Heribert Prantl)
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 21.11.2020Ein schlimmes Lehrstück
Das Attentat auf das Oktoberfest 1980 offenbart erschreckende Parallelen zum NSU.
Von Timo Steppat
Es war ein Spielfilm, der den Anstoß zu neuen Recherchen und letztlich auch zum vorliegenden Buch brachte. Nachdem 2013 die Geschichte des Oktoberfestattentats und der anschließenden Recherchen des Journalisten Ulrich Chaussy als Spielfilm ins Fernsehen kam, meldeten sich bei ebenjenem Chaussy viele Zeugen, die bislang geschwiegen hatten oder 1980 nicht ernst genommen worden waren. Es geht um den größten terroristischen Anschlag der Geschichte der Bundesrepublik.
Am 26. Oktober 1980 war am Eingang der Theresienwiese eine Bombe gezündet worden, die 13 Menschen tötete und mehr als 200 zum Teil schwer verletzte. Nach wenigen Stunden war den Gerichtsmedizinern klar, dass Gundolf Köhler die Tat begangen haben musste. Ein 21 Jahre alter Geologiestudent aus Donaueschingen, der, wie sich wenig später herausstellte, im rechtsextremen Milieu der Wehrsportgruppe Hoffmann aktiv war. Im Januar 1980 war diese als verfassungsfeindlich eingestuft und verboten worden. Köhler stand in engem Austausch mit Hoffmanns Gruppe. Ebenso wie Uwe Behrendt Teil der besagten Wehrsportgruppe war, der drei Monate nach dem Münchner Anschlag mutmaßlich den Verleger und Vorsitzenden der Israelitischen Kultusgemeinde Shlomo Lewin und dessen Lebensgefährtin Frida Poeschke in Erlangen ermordete. Auch wenn vieles für Behrendt spricht, konnte nie ein Urteil gefällt werden, Behrendt beging Selbstmord. Während Köhler und Behrendt die Mitgliedschaft in der Wehrsportgruppe gemein hatten, ähneln sich die beiden Fälle in der nachlässigen Ermittlungsarbeit. Dabei handelte es sich beim Erlanger Fall, wie man heute weiß, um die erste gezielte antisemitische Tötung nach dem Zweiten Weltkrieg.
Was die beiden Fälle so bemerkenswert macht, ist das Versagen der Sicherheitsbehörden, das sich an vielen Punkten zeigt. Dazu zählt das Rätsel der verschwundenen Hand, die Polizisten eigentlich in der Nähe des Detonationszentrums an der Theresienwiese sichergestellt hatten; der genommene Fingerabdruck stammte von keinem der über 200 Opfer und auch nicht von Köhler. Später aber war das von der Explosion abgetrennte Körperteil nicht mehr aufzufinden. Chaussy zeigt, dass es offenbar Kräfte gab, die es haben verschwinden lassen. Die These, dass ein zweiter Mann vor Ort war, der mit Köhler in Zusammenhang stand, wurde außer Acht gelassen. Trotz vieler anderer Beweise, die zumindest die Einzeltäter-These entkräftet hätten, legte man sich darauf fest, dass Gundolf Köhler ein "verzweifelter, im Leben gescheiterter, sexuell frustrierter, sozial isolierter junger Mann" gewesen sein soll, wie Chaussy schreibt, der nur Selbstmord begehen wollte. Weil das Oktoberfestattentat keinesfalls ein politisches Attentat sein sollte, fielen die Opfer durch das Raster von Entschädigungsprogrammen.
Chaussys Recherchen und den Bemühungen des Opferanwalts Werner Dietrich ist zu verdanken, dass die Bundesanwaltschaft 2014 die Ermittlungen wiederaufgenommen hat. Auch wenn die Hintergründe der Tat bis zur Einstellung im Sommer dieses Jahres nicht ermittelt werden konnten, war es ein Durchbruch, dass Behörden die rechtsextremistische Motivation Köhlers feststellten, dass er die Bundestagswahl beeinflussen und einen "Führerstaat" errichten wollte.
Obwohl der Gegenstand des Buches spannend und relevant ist, liest es sich teilweise wie ein Rechercheprotokoll: Wie sich der Autor an diesen Zeugen wendet, warum die Bundesanwaltschaft in jenem Gespräch nichts sagte. Was im Spielfilm ein verlässliches Mittel ist, brauchte das Buch nicht. Die Geschichten sollten für sich sprechen. Das Oktoberfestattentat sollte einen Platz im Geschichtsunterricht haben. Denn nicht nur, was rechtsextreme Netzwerke betrifft, sondern auch Ermittlungsfehler, gibt es erschreckende Parallelen zur Mordserie des "Nationalsozialistischen Untergrunds".
Ulrich Chaussy: "Das Oktoberfest-Attentat und der Doppelmord von Erlangen".
Ch. Links Verlag, Berlin 2020. 359 S., br., 20,- [Euro]
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Das Attentat auf das Oktoberfest 1980 offenbart erschreckende Parallelen zum NSU.
Von Timo Steppat
Es war ein Spielfilm, der den Anstoß zu neuen Recherchen und letztlich auch zum vorliegenden Buch brachte. Nachdem 2013 die Geschichte des Oktoberfestattentats und der anschließenden Recherchen des Journalisten Ulrich Chaussy als Spielfilm ins Fernsehen kam, meldeten sich bei ebenjenem Chaussy viele Zeugen, die bislang geschwiegen hatten oder 1980 nicht ernst genommen worden waren. Es geht um den größten terroristischen Anschlag der Geschichte der Bundesrepublik.
Am 26. Oktober 1980 war am Eingang der Theresienwiese eine Bombe gezündet worden, die 13 Menschen tötete und mehr als 200 zum Teil schwer verletzte. Nach wenigen Stunden war den Gerichtsmedizinern klar, dass Gundolf Köhler die Tat begangen haben musste. Ein 21 Jahre alter Geologiestudent aus Donaueschingen, der, wie sich wenig später herausstellte, im rechtsextremen Milieu der Wehrsportgruppe Hoffmann aktiv war. Im Januar 1980 war diese als verfassungsfeindlich eingestuft und verboten worden. Köhler stand in engem Austausch mit Hoffmanns Gruppe. Ebenso wie Uwe Behrendt Teil der besagten Wehrsportgruppe war, der drei Monate nach dem Münchner Anschlag mutmaßlich den Verleger und Vorsitzenden der Israelitischen Kultusgemeinde Shlomo Lewin und dessen Lebensgefährtin Frida Poeschke in Erlangen ermordete. Auch wenn vieles für Behrendt spricht, konnte nie ein Urteil gefällt werden, Behrendt beging Selbstmord. Während Köhler und Behrendt die Mitgliedschaft in der Wehrsportgruppe gemein hatten, ähneln sich die beiden Fälle in der nachlässigen Ermittlungsarbeit. Dabei handelte es sich beim Erlanger Fall, wie man heute weiß, um die erste gezielte antisemitische Tötung nach dem Zweiten Weltkrieg.
Was die beiden Fälle so bemerkenswert macht, ist das Versagen der Sicherheitsbehörden, das sich an vielen Punkten zeigt. Dazu zählt das Rätsel der verschwundenen Hand, die Polizisten eigentlich in der Nähe des Detonationszentrums an der Theresienwiese sichergestellt hatten; der genommene Fingerabdruck stammte von keinem der über 200 Opfer und auch nicht von Köhler. Später aber war das von der Explosion abgetrennte Körperteil nicht mehr aufzufinden. Chaussy zeigt, dass es offenbar Kräfte gab, die es haben verschwinden lassen. Die These, dass ein zweiter Mann vor Ort war, der mit Köhler in Zusammenhang stand, wurde außer Acht gelassen. Trotz vieler anderer Beweise, die zumindest die Einzeltäter-These entkräftet hätten, legte man sich darauf fest, dass Gundolf Köhler ein "verzweifelter, im Leben gescheiterter, sexuell frustrierter, sozial isolierter junger Mann" gewesen sein soll, wie Chaussy schreibt, der nur Selbstmord begehen wollte. Weil das Oktoberfestattentat keinesfalls ein politisches Attentat sein sollte, fielen die Opfer durch das Raster von Entschädigungsprogrammen.
Chaussys Recherchen und den Bemühungen des Opferanwalts Werner Dietrich ist zu verdanken, dass die Bundesanwaltschaft 2014 die Ermittlungen wiederaufgenommen hat. Auch wenn die Hintergründe der Tat bis zur Einstellung im Sommer dieses Jahres nicht ermittelt werden konnten, war es ein Durchbruch, dass Behörden die rechtsextremistische Motivation Köhlers feststellten, dass er die Bundestagswahl beeinflussen und einen "Führerstaat" errichten wollte.
Obwohl der Gegenstand des Buches spannend und relevant ist, liest es sich teilweise wie ein Rechercheprotokoll: Wie sich der Autor an diesen Zeugen wendet, warum die Bundesanwaltschaft in jenem Gespräch nichts sagte. Was im Spielfilm ein verlässliches Mittel ist, brauchte das Buch nicht. Die Geschichten sollten für sich sprechen. Das Oktoberfestattentat sollte einen Platz im Geschichtsunterricht haben. Denn nicht nur, was rechtsextreme Netzwerke betrifft, sondern auch Ermittlungsfehler, gibt es erschreckende Parallelen zur Mordserie des "Nationalsozialistischen Untergrunds".
Ulrich Chaussy: "Das Oktoberfest-Attentat und der Doppelmord von Erlangen".
Ch. Links Verlag, Berlin 2020. 359 S., br., 20,- [Euro]
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
"Spannend und relevant" findet Rezensent Timo Steppat den Gegenstand von Ulrich Chaussys Buch: "Das Oktoberfest-Attentat und der Doppelmord von Erlangen". Schon einmal hat Chaussy zu den zwei rechtsextremen Attentaten und der schlechten Ermittlungsarbeit in beiden Fällen recherchiert, weiß Steppat. Erreichen konnte er damals allerdings wenig. Erst nachdem ein Spielfilm über die Attentate und Chaussys Recherchen erschienen war, wurden 2014 die Ermittlungen wieder aufgenommen, und Chaussy bekam so viele neue Zeugenhinweise, dass er seine Nachforschungen wieder aufnahm. Auf Grundlage dieser neuen Recherchen ist schließlich das vorliegende Buch entstanden, erklärt der Rezensent, welches allerdings teilweise recht trocken daherkommt. Er betont zwar, dass das Oktoberfestattentat in den schulischen Lehrplan aufgenommen werden sollte, ob Chaussys Buch aber als Lehrmaterial taugen könnte, erfahren wir nicht von Steppat.
© Perlentaucher Medien GmbH
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Einer der wenigen, der die Legende um den Einzeltäter Gundolf Köhler hartnäckig hinterfragt und immer wieder auf das rechtsextreme Netzwerk rund um die Wehrsportgruppe Hoffmann hingewiesen hat, ist der Münchner Journalist Ulrich Chaussy. Wolfgang Gast, die tageszeitung (taz) Fast wäre es gelungen, das größte terroristische Verbrechen in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland aus dem öffentlichen Bewusstsein auszuradieren, wenn, ja wenn, Ulrich Chaussy nicht dieses Buch geschrieben hätte. Wolfgang Schorlau Unglaublich spannende Recherchen und Erkenntnisse. Prof. Heribert Prantl, Prantls Blick