Irritation, Faszination, Komplikation - Gegensätze in der deutschen Shaftesbury-Rezeption. Das Buch wurde mit dem Ernst-Reuter-Preis ausgezeichnet. Die Frage nach der Bedeutung Anthony Ashley Coopers (1671-1713), des Dritten Earl of Shaftesbury, für das deutsche 18. Jahrhundert ist eine Schlüsselfrage der Aufklärungsforschung. Die ältere Germanistik beantwortete sie enthusiastisch: Sie begriff Shaftesburys Einfluss als zentral für die Ästhetik des Sturm und Drang und der Klassik. Die Quellen sprechen jedoch eine andere Sprache. Shaftesburys eigentliche Wirkung liegt in der Aufklärung. Mark-Georg Dehrmann beschreibt, unter welchen Komplikationen Shaftesbury der deutschen Aufklärung bekannt wurde und wie er dennoch zentrale Debatten des 18. Jahrhunderts stimulierte. Dazu werden erstmals umfassend die in den Quellen belegten Auseinandersetzungen in den Blick genommen. Die Zeitschriftenlandschaft, das Verhältnis von Theologie und Aufklärung, die Entwicklung der aufklärerischen Poetikund Kritik, die Entstehung eines modernen Literaturbegriffs, schließlich der Topos vom prometheischen Schöpfer-Dichter gehören zu den behandelten Themen. Leibniz, Gottsched, Spalding, Nicolai, Mendelssohn, Wieland und Herder sind nur einige der Protagonisten, deren Auseinandersetzung mit Shaftesbury minutiös rekonstruiert wird.Ausgezeichnet mit dem Gleim-Literaturpreis 2009
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 11.09.2008Gott lebt
Rezeptionsgeschichtliche Pfade sind verschlungen und mühsam zu begehen, doch bieten sie überraschende Einsichten und intellektuelle Abenteuer. Ein regelrechtes Epochenprofil der deutschen Aufklärung liefert Mark-Georg Dehrmanns Untersuchung der Shaftesbury-Rezeption in Deutschland und räumt nebenher mit manchem Klischee auf. Galt Shaftesbury zunächst, trotz früher Wertschätzung durch Leibniz, als Deist und Religionsfeind, so änderte sich dies um 1750 nachhaltig. Der wirkmächtige Reformtheologe Spalding gründete sein Konzept einer ethisch-anthropologisch statt heilsgeschichtlich fundierten Religion entscheidend auf ihn. Shaftesburys "moral sense" (Empfindung und natürliches Gefühl) konnte als Hebel gegen den in Deutschland verbreiteten Rationalismus Wolffscher Schule ebenso verwendet werden, wie er für die neuen Disziplinen von Anthropologie und Ästhetik grundlegend wurde. Gleichwohl berief sich der Rationalist Gottsched bei seiner Neubegründung der Kritik ebenso auf den englischen Philosophen wie Moses Mendelssohn bei seinem Festhalten an schulphilosophischen Idealen. Selektive Wahrnehmung und produktive Missverständnisse sind überhaupt kennzeichnend für die Inanspruchnahme Shaftesburys im deutschen Raum, wie nicht zuletzt die beiden abschließenden Kapitel zu Wieland und Herder demonstrieren. Kommt Shaftesbury eine entscheidende Rolle für Wielands Wandel vom religiösen Schwärmer zum skeptisch-humoristischen Anthropologen zu, so fußen einige von dessen neuen Leitbegriffen weniger auf dem Werk des Engländers, als Wieland glauben macht. Bezüglich Herders Genieästhetik schließlich negiert Dehrmann eindrucksvoll deren oft behaupteten Zusammenhang mit Shaftesbury. Der Anhang zeugt vom Bienenfleiß, der hinter dieser stupend gelehrsamen, in jedem Moment anregenden Arbeit steht. (Mark-Georg Dehrmann: Das "Orakel der Deisten". Shaftesbury und die deutsche Aufklärung. Wallstein Verlag, Göttingen 2008. 499 S., br., 52,- [Euro]) meis
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Rezeptionsgeschichtliche Pfade sind verschlungen und mühsam zu begehen, doch bieten sie überraschende Einsichten und intellektuelle Abenteuer. Ein regelrechtes Epochenprofil der deutschen Aufklärung liefert Mark-Georg Dehrmanns Untersuchung der Shaftesbury-Rezeption in Deutschland und räumt nebenher mit manchem Klischee auf. Galt Shaftesbury zunächst, trotz früher Wertschätzung durch Leibniz, als Deist und Religionsfeind, so änderte sich dies um 1750 nachhaltig. Der wirkmächtige Reformtheologe Spalding gründete sein Konzept einer ethisch-anthropologisch statt heilsgeschichtlich fundierten Religion entscheidend auf ihn. Shaftesburys "moral sense" (Empfindung und natürliches Gefühl) konnte als Hebel gegen den in Deutschland verbreiteten Rationalismus Wolffscher Schule ebenso verwendet werden, wie er für die neuen Disziplinen von Anthropologie und Ästhetik grundlegend wurde. Gleichwohl berief sich der Rationalist Gottsched bei seiner Neubegründung der Kritik ebenso auf den englischen Philosophen wie Moses Mendelssohn bei seinem Festhalten an schulphilosophischen Idealen. Selektive Wahrnehmung und produktive Missverständnisse sind überhaupt kennzeichnend für die Inanspruchnahme Shaftesburys im deutschen Raum, wie nicht zuletzt die beiden abschließenden Kapitel zu Wieland und Herder demonstrieren. Kommt Shaftesbury eine entscheidende Rolle für Wielands Wandel vom religiösen Schwärmer zum skeptisch-humoristischen Anthropologen zu, so fußen einige von dessen neuen Leitbegriffen weniger auf dem Werk des Engländers, als Wieland glauben macht. Bezüglich Herders Genieästhetik schließlich negiert Dehrmann eindrucksvoll deren oft behaupteten Zusammenhang mit Shaftesbury. Der Anhang zeugt vom Bienenfleiß, der hinter dieser stupend gelehrsamen, in jedem Moment anregenden Arbeit steht. (Mark-Georg Dehrmann: Das "Orakel der Deisten". Shaftesbury und die deutsche Aufklärung. Wallstein Verlag, Göttingen 2008. 499 S., br., 52,- [Euro]) meis
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Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension
Mark-Georg Dehrmanns Buch über die Rezeption der Werke Shaftesburys seitens der deutschen Aufklärung hat Rezensent Ernst-Peter Wieckenberg rundum überzeugt. Das Interesse des Autors sieht er vor allem auf die produktive Aneignung Shaftesburys gerichtet. Er betont die Akzentuierung des Prozesscharakters dieser Aneignung sowie die methodische Souveränität, mit der Dehrmann die Rezeptionsgeschichte von Shaftesburys Werken von den Anfängen über Wieland zu Herder rekonstruiert. Dabei findet er auch Erhellendes zu den Werken der Rezipienten. Als "philologisches Kabinettstück" würdigt er in diesem Kontext das Kapitel über Herder. Schließlich lobt er den Anhang, der auch Verzeichnisse der deutschen Übersetzungen und der Shaftesbury-Referenzen in deutschen Zeitschriften des 18. Jahrhunderts bietet. Wieckenbergs Fazit: ein "grundgelehrtes, vorzüglich geschriebenes Buch".
© Perlentaucher Medien GmbH
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'Die exzellente Arbeit, die in quellenreicher Kleinarbeit den Goldadern des freien Denkens nachspürt, zeigt wieder einmal exemplarisch, dass, wer nicht ideengeschichtlich denkt, die Grosswetterlage des 18. Jahrhunderts nicht begreifen kann.'(Ne