»Eine Liebeserklärung Grishams an die Welt der Bücher und ihre Autoren.« Süddeutsche Zeitung
In einer spektakulären Aktion werden die Manuskripte von F. Scott Fitzgerald gestohlen. Das FBI übernimmt die Ermittlungen, und binnen weniger Tage kommt es zu ersten Festnahmen. Einer der Täter aber bleibt wie vom Erdboden verschluckt. Und mit ihm die wertvollen Schriften. Endlich führt eine heiße Spur nach Florida: in die Buchhandlung von Bruce Cable, der seine Hände in Unschuld wäscht. Und so heuert das Ermittlungsteam eine junge Autorin an, die sich in das Leben des Buchhändlers einschleichen soll. Doch die Ermittler haben die Rechnung ohne Bruce Cable gemacht, der sein ganz eigenes Spiel mit ihnen treibt.
In einer spektakulären Aktion werden die Manuskripte von F. Scott Fitzgerald gestohlen. Das FBI übernimmt die Ermittlungen, und binnen weniger Tage kommt es zu ersten Festnahmen. Einer der Täter aber bleibt wie vom Erdboden verschluckt. Und mit ihm die wertvollen Schriften. Endlich führt eine heiße Spur nach Florida: in die Buchhandlung von Bruce Cable, der seine Hände in Unschuld wäscht. Und so heuert das Ermittlungsteam eine junge Autorin an, die sich in das Leben des Buchhändlers einschleichen soll. Doch die Ermittler haben die Rechnung ohne Bruce Cable gemacht, der sein ganz eigenes Spiel mit ihnen treibt.
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 21.08.2017Gatsby mit gelber Fliege
In seinem Roman „Das Original“ jagt der Thriller-Autor John Grisham gestohlenen
Manuskripten von F. Scott Fitzgerald nach – und landet auf einer Fantasie-Insel der Literatur
VON ANDREAS ZIELCKE
Das Buch zum spätnachmittäglichen ersten Drink, gut gekühlt. Am besten zu einem Glas Chablis. Auf einer schattigen Veranda eines schön in die Jahre gekommenen Holzhauses mit Blick über einen endlosen Strand. Die Hitze müsste groß sein, der Himmel auch und tiefblau, und der Abend sollte wieder mit ausgefallenen Reizen locken wie die letzten Abende auch.
So beginnt die Besprechung eines Kriminalromans von Grisham? Da ist der Wurm drin, ein Bücherwurm der falschen Sorte. In der Tat, nicht wenige Leser maulen. Grisham schreibt ein beach book, eine Lektüre für den Sommer am Meer? Warum bleibt er nicht bei seinen Leisten, den kaltblütigen Justizthrillern, die er beherrscht wie kein Zweiter und von denen er inzwischen mehr als 300 Millionen Exemplare verkauft hat? Nimmt er sich jetzt eine Auszeit von dem harten kriminalistischen Drive? Ja und nein.
„Das Original“, dessen amerikanischer Titel „Camino Island“ nicht zufällig eine fiktive Inselidylle vor der Küste Floridas meint, ist ein echter Grisham in Gestalt eines hingebungsvollen Anti-Grisham. Unsentimental wie gewohnt baut Grisham seine Strafverfolgungsstory auf, deren packender Sog nie nachlässt. Aber so trocken und ausgebufft sie auch daherkommt, folgt sie diesmal einer Passion. „Das Original“ ist eine Liebeserklärung Grishams an die Welt der Bücher und ihre Autoren.
Wer, wenn nicht Grisham, der nahezu allein ein ganzes Segment des Weltmarktes von Massenbüchern bedient, könnte unbefangener von den Qualen des mit Stoff, Stil und Selbstzweifeln kämpfenden Schriftstellers sprechen, von posthum unerschwinglich gewordenen Erstausgaben erfolgloser Dichter, überhaupt von Euphorie und Enttäuschung des Literaten? Und so ist dieses Buch, das beim Monopolisten Amazon unter den ersten zehn weltweit geführt wird, auch eine Hommage an den untergehenden Stand des kleinen engagierten Buchhandels.
Am Anfang aber steht die Tat, die Untat. Ein Team schwerer Jungs bricht in die Bibliothek der Princeton University ein und stiehlt die Originalmanuskripte der fünf Romane von F. Scott Fitzgerald, die dort seit dem Tod des Schriftstellers lagern. Der Wert seiner Manuskripte gilt als unermesslich. Mit entsprechend immensem Aufwand an Stahl und Elektronik sind sie im Keller der Bibliothek geschützt. Doch der Raubzug gelingt, die Manuskripte verschwinden mit den Dieben. Wer nichts als das meisterliche Handwerk Grishams erleben will, muss nur die ersten zwanzig Seiten lesen, auf denen er minutiös den komplizierten Einbruch schildert – eine verbrecherische Delikatesse.
Doch dann geht es erst richtig los. Ein winziger Patzer beim Einbruch bringt das FBI auf die Spur, zwei der fünf Einbrecher sind schnell aufgegriffen, aber nicht die mit 25 Millionen Dollar versicherten Manuskripte. Das FBI tappt im Dunkeln. Schließlich taucht eine elegante Mitarbeiterin einer obskuren Agentur „für Sicherheit und Ermittlungen“ bei einer sehr jungen, sehr talentierten, sehr attraktiven Schriftstellerin auf, die unglücklicher-, aber passenderweise unter hohen Studienschulden leidet, noch dazu unter einer heftigen Schreibblockade. Sie besticht die Literatin, ein Strandhaus auf Camino Island zu beziehen, um sich dort frei von Geldsorgen Inspiration für ihr festgefahrenes Romanprojekt zu holen, genauer, um sich dort in das Leben des Buchhändlers Bruce Cable einzuschleichen. Der soll, heißt es, mit gestohlenen Buchraritäten handeln …
Und er soll außerordentlich empfänglich sein für weibliche Reize. Das alles wäre durchsichtig genug, würde nun nicht ein schillerndes Katz- und Mausspiel einsetzen. Um den Buchhändler herum hat sich auf der Insel ein Zirkel von Schriftstellern und Buchliebhabern gebildet, in den die junge Dichterin als Novizin eingeführt wird. Grisham lässt, was er sonst in seinen kurzgetakteten Romanen nie tut, dem Treiben der Literatur-Aficionados freien Lauf, jedenfalls fast. Denn das strategische Sinnen und Trachten nach dem ungeheuren Schatz bleibt natürlich stets präsent. Aber hinter welcher spitzen Bemerkung, hinter welchem Schweigen? Welcher Satz der Debütantin, die eine Spionin ist, die eine Dichterin ist, meint, was er sagt?
Der Belustigung des Lesers, an der skurrilen Autorenkoterie auf der sonnenverbrannten Insel teilzuhaben, tut Zweideutigkeit keinen Abbruch, im Gegenteil. Versoffene Figuren, Produzenten schlüpfriger Schundromane, ambitionierte, aber schwer gehemmte Lyriker, begabte Erfolgsautoren, alle finden sich lästernd oder katzenjammernd an den gemeinsamen Tafeln ein. Bücher bringen an jedem Ort die Typen hervor, die er verdient.
Unter diesem Aspekt besonders interessant ist jener höchst charmante Buchhändler Bruce Cable, Herz und Seele und Hahn im Korb dieser um sich selbst kreisenden Szene. Grisham porträtiert ihn als äußerst belesenen, anregenden Kenner vor allem der amerikanischen Literatur des zwanzigsten Jahrhunderts. Seine wahre Liebe allerdings gilt deren Erstausgaben und Autografen, mögen sie auf sauberen oder weniger sauberen Wegen in den Handel gelangt sein. Kann denn Liebe Sünde sein?
Großer Verführungskünste braucht es daher gar nicht mehr, um reihenweise Autorinnen in das Schlafzimmer des Bibliophilen zu locken. Auch die als Spionin eingeschleuste Literatin ist, gegen ihren Willen, nicht gefeit. Grishams lakonische Sprache ist weiß Gott nicht geeignet, erotische Subtilitäten zu beschreiben. Darum lässt er das auch bleiben und begnügt sich damit, Bruce Cable die Züge eines Playboys zu verleihen, genauer der Südstaaten-Provinzausgabe eines Playboys, der sich nicht geniert, im hellblau gestreiften Seersuckeranzug mit gelber Fliege im Cabriolet über die Mainstreet des Inselstädtchens zu kurven. Was bei einem Banausen oberpeinlich wäre, geht beim Connaisseur der Wortkunst als optische Steigerung durch.
Ist es in Wahrheit die schöne Literatur, die verführt? Oder ist es vielmehr die Zwielichtigkeit verwegener Liebe zum physischen Buch, die auch die physische Liebe weckt? Keine Sorge, wie alle Grisham-Thriller ist auch „Das Original“ nicht durch Gedankenschwere angekränkelt. Sämtliche Ambivalenzen, mit denen der Roman reichlich aufwartet, sind allenfalls angedeutet oder bleiben gleich zwischen den Zeilen. Aber wer wen verrät und dabei selbst hinters Licht geführt wird, diese Spannung hält die Jagd nach dem „großen Gatsby“ und den anderen vier millionenschweren Manuskripten bis zum Ende. Kommen sich schließlich die Liebe zum Buch und die Liebe zum Geld ins Gehege oder decken sie sich – im Glücksfall? Wer meint, seinen Grisham zu kennen, kann sich vorweg auf die Wette einlassen, ob sich Verbrechen in dem Roman auszahlt oder nicht. Aber selbst der sollte sich für die Antwort auf die Folter spannen lassen und das Buch von vorne bis hinten lesen.
John Grisham: Das Original. Roman. Aus dem Englischen von Kristiana Dorn-Ruhl, Bea Reiter, Imke Walsh-Araya. Heyne Verlag, München 2017. 368 Seiten, 19,99 Euro. E-Book 15,99 Euro.
Erweckt die verwegene
Liebe zum physischen Buch
am Ende die physische Liebe?
Wissen Sie, wo das Manuskript ist, in dem ich zuerst auftauche? Ich weiß es. Leonardo di Caprio in „The Great Gatsby“ (2013).
Foto: Warner Bros. Pictures
DIZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über www.sz-content.de
In seinem Roman „Das Original“ jagt der Thriller-Autor John Grisham gestohlenen
Manuskripten von F. Scott Fitzgerald nach – und landet auf einer Fantasie-Insel der Literatur
VON ANDREAS ZIELCKE
Das Buch zum spätnachmittäglichen ersten Drink, gut gekühlt. Am besten zu einem Glas Chablis. Auf einer schattigen Veranda eines schön in die Jahre gekommenen Holzhauses mit Blick über einen endlosen Strand. Die Hitze müsste groß sein, der Himmel auch und tiefblau, und der Abend sollte wieder mit ausgefallenen Reizen locken wie die letzten Abende auch.
So beginnt die Besprechung eines Kriminalromans von Grisham? Da ist der Wurm drin, ein Bücherwurm der falschen Sorte. In der Tat, nicht wenige Leser maulen. Grisham schreibt ein beach book, eine Lektüre für den Sommer am Meer? Warum bleibt er nicht bei seinen Leisten, den kaltblütigen Justizthrillern, die er beherrscht wie kein Zweiter und von denen er inzwischen mehr als 300 Millionen Exemplare verkauft hat? Nimmt er sich jetzt eine Auszeit von dem harten kriminalistischen Drive? Ja und nein.
„Das Original“, dessen amerikanischer Titel „Camino Island“ nicht zufällig eine fiktive Inselidylle vor der Küste Floridas meint, ist ein echter Grisham in Gestalt eines hingebungsvollen Anti-Grisham. Unsentimental wie gewohnt baut Grisham seine Strafverfolgungsstory auf, deren packender Sog nie nachlässt. Aber so trocken und ausgebufft sie auch daherkommt, folgt sie diesmal einer Passion. „Das Original“ ist eine Liebeserklärung Grishams an die Welt der Bücher und ihre Autoren.
Wer, wenn nicht Grisham, der nahezu allein ein ganzes Segment des Weltmarktes von Massenbüchern bedient, könnte unbefangener von den Qualen des mit Stoff, Stil und Selbstzweifeln kämpfenden Schriftstellers sprechen, von posthum unerschwinglich gewordenen Erstausgaben erfolgloser Dichter, überhaupt von Euphorie und Enttäuschung des Literaten? Und so ist dieses Buch, das beim Monopolisten Amazon unter den ersten zehn weltweit geführt wird, auch eine Hommage an den untergehenden Stand des kleinen engagierten Buchhandels.
Am Anfang aber steht die Tat, die Untat. Ein Team schwerer Jungs bricht in die Bibliothek der Princeton University ein und stiehlt die Originalmanuskripte der fünf Romane von F. Scott Fitzgerald, die dort seit dem Tod des Schriftstellers lagern. Der Wert seiner Manuskripte gilt als unermesslich. Mit entsprechend immensem Aufwand an Stahl und Elektronik sind sie im Keller der Bibliothek geschützt. Doch der Raubzug gelingt, die Manuskripte verschwinden mit den Dieben. Wer nichts als das meisterliche Handwerk Grishams erleben will, muss nur die ersten zwanzig Seiten lesen, auf denen er minutiös den komplizierten Einbruch schildert – eine verbrecherische Delikatesse.
Doch dann geht es erst richtig los. Ein winziger Patzer beim Einbruch bringt das FBI auf die Spur, zwei der fünf Einbrecher sind schnell aufgegriffen, aber nicht die mit 25 Millionen Dollar versicherten Manuskripte. Das FBI tappt im Dunkeln. Schließlich taucht eine elegante Mitarbeiterin einer obskuren Agentur „für Sicherheit und Ermittlungen“ bei einer sehr jungen, sehr talentierten, sehr attraktiven Schriftstellerin auf, die unglücklicher-, aber passenderweise unter hohen Studienschulden leidet, noch dazu unter einer heftigen Schreibblockade. Sie besticht die Literatin, ein Strandhaus auf Camino Island zu beziehen, um sich dort frei von Geldsorgen Inspiration für ihr festgefahrenes Romanprojekt zu holen, genauer, um sich dort in das Leben des Buchhändlers Bruce Cable einzuschleichen. Der soll, heißt es, mit gestohlenen Buchraritäten handeln …
Und er soll außerordentlich empfänglich sein für weibliche Reize. Das alles wäre durchsichtig genug, würde nun nicht ein schillerndes Katz- und Mausspiel einsetzen. Um den Buchhändler herum hat sich auf der Insel ein Zirkel von Schriftstellern und Buchliebhabern gebildet, in den die junge Dichterin als Novizin eingeführt wird. Grisham lässt, was er sonst in seinen kurzgetakteten Romanen nie tut, dem Treiben der Literatur-Aficionados freien Lauf, jedenfalls fast. Denn das strategische Sinnen und Trachten nach dem ungeheuren Schatz bleibt natürlich stets präsent. Aber hinter welcher spitzen Bemerkung, hinter welchem Schweigen? Welcher Satz der Debütantin, die eine Spionin ist, die eine Dichterin ist, meint, was er sagt?
Der Belustigung des Lesers, an der skurrilen Autorenkoterie auf der sonnenverbrannten Insel teilzuhaben, tut Zweideutigkeit keinen Abbruch, im Gegenteil. Versoffene Figuren, Produzenten schlüpfriger Schundromane, ambitionierte, aber schwer gehemmte Lyriker, begabte Erfolgsautoren, alle finden sich lästernd oder katzenjammernd an den gemeinsamen Tafeln ein. Bücher bringen an jedem Ort die Typen hervor, die er verdient.
Unter diesem Aspekt besonders interessant ist jener höchst charmante Buchhändler Bruce Cable, Herz und Seele und Hahn im Korb dieser um sich selbst kreisenden Szene. Grisham porträtiert ihn als äußerst belesenen, anregenden Kenner vor allem der amerikanischen Literatur des zwanzigsten Jahrhunderts. Seine wahre Liebe allerdings gilt deren Erstausgaben und Autografen, mögen sie auf sauberen oder weniger sauberen Wegen in den Handel gelangt sein. Kann denn Liebe Sünde sein?
Großer Verführungskünste braucht es daher gar nicht mehr, um reihenweise Autorinnen in das Schlafzimmer des Bibliophilen zu locken. Auch die als Spionin eingeschleuste Literatin ist, gegen ihren Willen, nicht gefeit. Grishams lakonische Sprache ist weiß Gott nicht geeignet, erotische Subtilitäten zu beschreiben. Darum lässt er das auch bleiben und begnügt sich damit, Bruce Cable die Züge eines Playboys zu verleihen, genauer der Südstaaten-Provinzausgabe eines Playboys, der sich nicht geniert, im hellblau gestreiften Seersuckeranzug mit gelber Fliege im Cabriolet über die Mainstreet des Inselstädtchens zu kurven. Was bei einem Banausen oberpeinlich wäre, geht beim Connaisseur der Wortkunst als optische Steigerung durch.
Ist es in Wahrheit die schöne Literatur, die verführt? Oder ist es vielmehr die Zwielichtigkeit verwegener Liebe zum physischen Buch, die auch die physische Liebe weckt? Keine Sorge, wie alle Grisham-Thriller ist auch „Das Original“ nicht durch Gedankenschwere angekränkelt. Sämtliche Ambivalenzen, mit denen der Roman reichlich aufwartet, sind allenfalls angedeutet oder bleiben gleich zwischen den Zeilen. Aber wer wen verrät und dabei selbst hinters Licht geführt wird, diese Spannung hält die Jagd nach dem „großen Gatsby“ und den anderen vier millionenschweren Manuskripten bis zum Ende. Kommen sich schließlich die Liebe zum Buch und die Liebe zum Geld ins Gehege oder decken sie sich – im Glücksfall? Wer meint, seinen Grisham zu kennen, kann sich vorweg auf die Wette einlassen, ob sich Verbrechen in dem Roman auszahlt oder nicht. Aber selbst der sollte sich für die Antwort auf die Folter spannen lassen und das Buch von vorne bis hinten lesen.
John Grisham: Das Original. Roman. Aus dem Englischen von Kristiana Dorn-Ruhl, Bea Reiter, Imke Walsh-Araya. Heyne Verlag, München 2017. 368 Seiten, 19,99 Euro. E-Book 15,99 Euro.
Erweckt die verwegene
Liebe zum physischen Buch
am Ende die physische Liebe?
Wissen Sie, wo das Manuskript ist, in dem ich zuerst auftauche? Ich weiß es. Leonardo di Caprio in „The Great Gatsby“ (2013).
Foto: Warner Bros. Pictures
DIZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über www.sz-content.de
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 04.09.2017Lähmendes Vergessen über dem Land
Krimis in Kürze: John Grisham, Jean Echenoz und Sven Heuchert
Eine Lesepause tut bei manchen Autoren, deren Bücher so verlässlich wie die Jahreszeiten kommen, ganz gut. Einem selbst und den Autoren erst recht. So war es jetzt auch mal wieder Zeit für einen neuen Roman von John Grisham, der ja längst nicht mehr die Monokultur der Anwalts- und Justizromane bewirtschaftet. "Das Original" (Heyne, 368 S., geb., 19,99 [Euro]) heißt das Buch, und gemeint sind damit die handschriftlichen Manuskripte aller Romane von F. Scott Fitzgerald, die aus dem Tresor der Princeton University gestohlen werden. Es gibt schnell einen Verdächtigen. Und eine junge Autorin, die sich mit Geldnöten und ihrem zweiten Roman herumquält, wird von einer Firma für Sicherheit und Ermittlungen auf den verdächtigen Buchhändler angesetzt.
Der Schauplatz ist Camino Island, vor der Küste Floridas gelegen, dort sind Buchhandlung und Händler, die junge Autorin hat dort früher ihre Sommer verlebt, eine überschaubare literarische Szene gibt es auch. Der Händler ist zugleich ein Womanizer, was der Ermittlung nützlich ist. Grisham entfaltet sein Szenario mit einer gewissen Bedächtigkeit, was die Spannung zwar zunächst fördert, aber auch ein wenig ungeduldig werden lässt, weil die Abschweifungen, die milde selbstreferentiellen Passagen über kommerziellen und künstlerischen Erfolg von Schriftstellern nicht wirklich abendfüllend sind. Und die gelegentlich aufblitzende Pose des allwissenden Erzählers wirkt doch arg onkelhaft. Routiniert bringt Grisham seine wie immer sehr präzise durchdachte Plotkonstruktion ins Ziel. Ein Unikat ist es nicht geworden. Verehrung für Fitzgerald allein garantiert noch keine Inspiration. Aber serientauglich wie ein solider Mittelklassewagen ist das schon.
Noch ein allwissender Erzähler spricht einen bei Jean Echenoz an, nicht von der Seite, sondern ganz direkt, aber eben auch nicht immer zuverlässig. Dass man ihm nicht über den Weg traut, ist eine reizvolle Ausgangssituation. Und dann lockt einen "Unsere Frau in Pjöngjang" (Hanser Berlin, 272 S., geb., 22 [Euro]) natürlich auch mit dem Titel - wobei man bald feststellen wird, dass der Großteil der Handlung in Paris spielt. Das macht aber nichts. Ein alternder Geheimdienstgeneral will noch mal zeigen, dass er mehr kann als alle Dienste dieser Welt. Nordkorea soll destabilisiert werden, zu diesem Zweck wird eine hübsche junge Pariserin entführt und einer Spezialbehandlung unterzogen, aus der sie mit der Attitüde völliger Gleichgültigkeit hervorgehen soll, um dann in Pjöngjang einen Wackelkandidaten in Kims Führungsriege zu umgarnen.
Das ist so abgedreht, wie es klingt. Der erstaunlich ungerührte Ehemann der jungen Frau, der von den Tantiemen früherer Hits lebt, kommt auch noch ins Spiel, und dauernd triumphiert Murphys Gesetz, dass alles schiefgeht, was schiefgehen kann. Es ist ein mittleres Wunder, dass man es überhaupt bis in Kims Reich des Bösen schafft, aber die Disparität zwischen Zielen und Fähigkeiten des Personals liefert Echenoz Stoff für irre Wendungen und viel Sprachwitz. Wer von Kriminalromanen nicht wie von Politikern einfach erwartet, dass sie "liefern", der ist hier gut aufgehoben.
Nur unwesentlich einladender und charmanter als Nordkorea ist es offenbar im deutsch-belgischen Grenzgebiet. Zumindest wenn man mit den Augen von Sven Heuchert auf diese Gegend blickt. Nebel, "kilometerlange Einöde", aufgelassene Fabriken, keine Arbeit, Schlaglöcher auf den Straßen, ein trostloser Animierschuppen, eine einsame Tankstelle mit Autowracks. "Das Land verlor auf beiden Seiten der Straße die Ordnung, verschmolz zu einem Streifen in den Augenwinkeln", heißt es. "Über diesem Land lag lähmendes Vergessen." Heuchert schreibt in seinem ersten Roman "Dunkels Gesetz" (Ullstein, 192 S., br., 14,99 [Euro]) eine Prosa, die keine Gefangenen macht. Genau, hart, mit lyrischen Einschüssen, Dialogen im Slang. Wo es grausam und hässlich wird, da werden die Dinge auch beim Namen genannt.
Das kann leicht zur Pose werden, zur unfreiwilligen Noir-Parodie, doch Heuchert verfügt sehr bewusst über seine Mittel, er kann dosieren und seinen Figuren jenseits von Sympathie, Mitleid oder Abneigung vor allem eine traurige Lebendigkeit verleihen. Dunkel, Veteran zahlreicher Auslandseinsätze, kommt in diese tote Gegend, weil ein Freund ihm einen Job als Wachmann verschafft hat. Hier wird gedealt, der Puffbetreiber Falco ist der Provinzpate, Achim, dem nur noch die Tankstelle gehört, will mit zwei Kumpels ins Drogenschäft. Die Frau ohne Namen - "sie hatte das Gesicht eines Menschen, dem etwas geschehen ist" - will sich und ihre halbwüchsige Tochter durchbringen.
Sie hofft auf den Kerl, der sie in ein besseres Leben mitnimmt. Meist ist es der falsche. Und am Ende dieses bemerkenswerten Buches stehen Verzweiflung, Rache, Gewalt und Tod. In dieser Welt gibt es keine Gewinner.
PETER KÖRTE
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Krimis in Kürze: John Grisham, Jean Echenoz und Sven Heuchert
Eine Lesepause tut bei manchen Autoren, deren Bücher so verlässlich wie die Jahreszeiten kommen, ganz gut. Einem selbst und den Autoren erst recht. So war es jetzt auch mal wieder Zeit für einen neuen Roman von John Grisham, der ja längst nicht mehr die Monokultur der Anwalts- und Justizromane bewirtschaftet. "Das Original" (Heyne, 368 S., geb., 19,99 [Euro]) heißt das Buch, und gemeint sind damit die handschriftlichen Manuskripte aller Romane von F. Scott Fitzgerald, die aus dem Tresor der Princeton University gestohlen werden. Es gibt schnell einen Verdächtigen. Und eine junge Autorin, die sich mit Geldnöten und ihrem zweiten Roman herumquält, wird von einer Firma für Sicherheit und Ermittlungen auf den verdächtigen Buchhändler angesetzt.
Der Schauplatz ist Camino Island, vor der Küste Floridas gelegen, dort sind Buchhandlung und Händler, die junge Autorin hat dort früher ihre Sommer verlebt, eine überschaubare literarische Szene gibt es auch. Der Händler ist zugleich ein Womanizer, was der Ermittlung nützlich ist. Grisham entfaltet sein Szenario mit einer gewissen Bedächtigkeit, was die Spannung zwar zunächst fördert, aber auch ein wenig ungeduldig werden lässt, weil die Abschweifungen, die milde selbstreferentiellen Passagen über kommerziellen und künstlerischen Erfolg von Schriftstellern nicht wirklich abendfüllend sind. Und die gelegentlich aufblitzende Pose des allwissenden Erzählers wirkt doch arg onkelhaft. Routiniert bringt Grisham seine wie immer sehr präzise durchdachte Plotkonstruktion ins Ziel. Ein Unikat ist es nicht geworden. Verehrung für Fitzgerald allein garantiert noch keine Inspiration. Aber serientauglich wie ein solider Mittelklassewagen ist das schon.
Noch ein allwissender Erzähler spricht einen bei Jean Echenoz an, nicht von der Seite, sondern ganz direkt, aber eben auch nicht immer zuverlässig. Dass man ihm nicht über den Weg traut, ist eine reizvolle Ausgangssituation. Und dann lockt einen "Unsere Frau in Pjöngjang" (Hanser Berlin, 272 S., geb., 22 [Euro]) natürlich auch mit dem Titel - wobei man bald feststellen wird, dass der Großteil der Handlung in Paris spielt. Das macht aber nichts. Ein alternder Geheimdienstgeneral will noch mal zeigen, dass er mehr kann als alle Dienste dieser Welt. Nordkorea soll destabilisiert werden, zu diesem Zweck wird eine hübsche junge Pariserin entführt und einer Spezialbehandlung unterzogen, aus der sie mit der Attitüde völliger Gleichgültigkeit hervorgehen soll, um dann in Pjöngjang einen Wackelkandidaten in Kims Führungsriege zu umgarnen.
Das ist so abgedreht, wie es klingt. Der erstaunlich ungerührte Ehemann der jungen Frau, der von den Tantiemen früherer Hits lebt, kommt auch noch ins Spiel, und dauernd triumphiert Murphys Gesetz, dass alles schiefgeht, was schiefgehen kann. Es ist ein mittleres Wunder, dass man es überhaupt bis in Kims Reich des Bösen schafft, aber die Disparität zwischen Zielen und Fähigkeiten des Personals liefert Echenoz Stoff für irre Wendungen und viel Sprachwitz. Wer von Kriminalromanen nicht wie von Politikern einfach erwartet, dass sie "liefern", der ist hier gut aufgehoben.
Nur unwesentlich einladender und charmanter als Nordkorea ist es offenbar im deutsch-belgischen Grenzgebiet. Zumindest wenn man mit den Augen von Sven Heuchert auf diese Gegend blickt. Nebel, "kilometerlange Einöde", aufgelassene Fabriken, keine Arbeit, Schlaglöcher auf den Straßen, ein trostloser Animierschuppen, eine einsame Tankstelle mit Autowracks. "Das Land verlor auf beiden Seiten der Straße die Ordnung, verschmolz zu einem Streifen in den Augenwinkeln", heißt es. "Über diesem Land lag lähmendes Vergessen." Heuchert schreibt in seinem ersten Roman "Dunkels Gesetz" (Ullstein, 192 S., br., 14,99 [Euro]) eine Prosa, die keine Gefangenen macht. Genau, hart, mit lyrischen Einschüssen, Dialogen im Slang. Wo es grausam und hässlich wird, da werden die Dinge auch beim Namen genannt.
Das kann leicht zur Pose werden, zur unfreiwilligen Noir-Parodie, doch Heuchert verfügt sehr bewusst über seine Mittel, er kann dosieren und seinen Figuren jenseits von Sympathie, Mitleid oder Abneigung vor allem eine traurige Lebendigkeit verleihen. Dunkel, Veteran zahlreicher Auslandseinsätze, kommt in diese tote Gegend, weil ein Freund ihm einen Job als Wachmann verschafft hat. Hier wird gedealt, der Puffbetreiber Falco ist der Provinzpate, Achim, dem nur noch die Tankstelle gehört, will mit zwei Kumpels ins Drogenschäft. Die Frau ohne Namen - "sie hatte das Gesicht eines Menschen, dem etwas geschehen ist" - will sich und ihre halbwüchsige Tochter durchbringen.
Sie hofft auf den Kerl, der sie in ein besseres Leben mitnimmt. Meist ist es der falsche. Und am Ende dieses bemerkenswerten Buches stehen Verzweiflung, Rache, Gewalt und Tod. In dieser Welt gibt es keine Gewinner.
PETER KÖRTE
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main