Es hat lange gedauert, bis Merlin Holland sich einigermaßen unbefangen der Figur seines berühmten und berüchtigten Großvaters nähern konnte. Umso lohnender ist das Ergebnis: eine ungemein reizvolle Sammlung von Bildern in einer noch nie da gewesenen Vollständigkeit, begleitet von einem Text, der - liebevoll und objektiv zugleich und mit ironischen Schlaglichtern angereichert - uns Oscar Wilde nahe bringt, seine Familie, seine Freunde, seine Feinde, seine Geliebten.
Wilde war ein Mann, der sich der Macht der Bilder bewusst war wie kaum einer seiner Zeitgenossen, der, modern gesprochen, sein Image mit Hingabe pflegte, dem Publicity, sei sie gut oder schlecht, sehr viel bedeutete und der mit der öffentlichen Meinung so selbstvergessen und selbstherrlich umging, dass sie zurückschlug und ihn vernichtete. Ein Mensch, der ständig zwischen Wahrheit und Pose zu oszillieren schien und der zu Recht von sich sagen konnte: "Ich belebte die Phantasie meines Jahrhunderts, so dass es Mythen und Legenden um mich spann."
Wilde war ein Mann, der sich der Macht der Bilder bewusst war wie kaum einer seiner Zeitgenossen, der, modern gesprochen, sein Image mit Hingabe pflegte, dem Publicity, sei sie gut oder schlecht, sehr viel bedeutete und der mit der öffentlichen Meinung so selbstvergessen und selbstherrlich umging, dass sie zurückschlug und ihn vernichtete. Ein Mensch, der ständig zwischen Wahrheit und Pose zu oszillieren schien und der zu Recht von sich sagen konnte: "Ich belebte die Phantasie meines Jahrhunderts, so dass es Mythen und Legenden um mich spann."
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 03.11.1998Der Sohn als Mutter und Modell
Ein Fotoalbum für Oscar Wilde Von Ingeborg Harms
Oscar Wilde war für das Fotoalbum wie gemacht. Am meisten liebte er die Pose. Seinen in die Nüchternheit entlassenen Zeitgenossen führte er noch einmal vor, was es hieß, den Menschen zu drapieren. Mit Lockenschere und Wicklern, spanischem Cape und Elfenbeinstöckchen, mit pelzverbrämten Mänteln, Samtanzügen, Seidenstrümpfen und Kniebundhosen eroberte er seinem Geschlecht auf kurze Zeit einen Zipfel des Landes zurück, in dem die Paspeln und Stickereien herrschen. Sein Enkel, Merlin Holland, gibt in einem kommentierten Bildband Einblick in die Geschichte der Wildeschen Selbststilisierung. Auch über Freunde, Feinde und Verwandte des Künstlers informiert das reiche Bildmaterial. Zum Besten, was es zu bieten hat, gehören die Karikaturen. Erst sie enthüllen den ganzen Manierismus des Bewegungsschatzes, über den Wilde verfügte. So wird das Lilienthema, das der Ästhet gerne anschlug, von den Zeichnern der fliegenden Blätter, mit denen das Londoner Gesellschaftsleben gesegnet war, eigenwillig entfaltet: Unter ihrer Feder schwankt Wildes mächtiger Kopf wie eine schwere Blüte über einem müde einknickenden Körperstengel. Transatlantische Karikaturen, die Wildes amerikanische Vortragstournee von 1882 begleiteten, zeigen geringeren Respekt vor seinem erklärten Lieblingsgewächs. Das großflächige Gesicht des Dekadenzpropheten wird von ihnen umstandslos mit der Sonnenblume assoziiert. Den Yankees war weder die Vitalität des Gastes noch seine Neigung, sich dem Licht zuzuwenden, entgangen.
Auch andere Geheimnisse plaudern die Zerrbilder aus. Der aus Irland stammende Wilde hatte bemerkenswerte Eltern. Sein Vater war ein in den Adelsstand erhobener Arzt, der sich in seinen Publikationen als Fachmann für so unterschiedliche Dinge wie den Zensus, bäuerliche Zaubertränke und die Antiquitäten der Königlich Irischen Akademie auswies. Seine Mutter war in jungen Jahren als enthusiastische Befürworterin der Unabhängigkeit von Großbritannien bekannt geworden. Eine zeitgenössische Karikatur zeigt eine Rückenansicht des Paares: die gigantische, kurvenreiche Lady Wilde zur Linken ihres danebenhin schlurfenden zwergenhaften Gatten. Man meint, dasselbe Paar von vorn zu sehen, wenn Max Beerbohm zwei Jahrzehnte später den Sohn mit seinem verhängnisvollen Geliebten, Lord Alfred, porträtiert. Nun wird die Position der majestätischen Mutter von Wilde selbst eingenommen.
Unter Hollands Bildern sind zwei besonders aufschlußreich für die gescheiterte Ehe des Künstlers. Der Fotograf auf einer von den Wildes besuchten Gartenparty hat nach der offiziellen Erinnerungsaufnahme noch einmal auf den Auslöser gedrückt: Das steife Wesen der Gäste ist verflogen. Man lacht erlöst und wendet sich dem Nachbarn zu. Selbst der Hund, der zunächst gehorsam aufsaß, schlackert mit den Ohren. Nur Constanze Wilde sinkt mit einer Verlegenheitsgeste in sich zusammen. "Als ich heiratete", soll ihr Mann einem Freund anvertraut haben, "war meine Frau ein wunderschönes Mädchen, weiß und schlank wie eine Lilie, ihre Augen tanzten, und ihr fröhliches Lächeln perlte wie Musik. Nach einem Jahr war all diese blütenhafte Anmut dahin. Sie wurde schwer, unförmig, unansehnlich." Ob die kluge, leicht behäbiger gewordene Mutter seiner zwei Söhne noch lachte und ob ihre Augen tanzten, unterschlägt diese Klage.
Obwohl Wilde 1881/82 fünfzigmal in der Satirezeitschrift "Punch" auftauchte, hatte der berüchtigte Gesellschaftsliebling nicht viel mehr geleistet, als Sarah Bernhardt bei ihrer Ankunft in Folkstone schmachtend Blüten in den Weg zu werfen und einigen ihrer Kolleginnen Widmungsgedichte zu schreiben. Das brachte ihm Abendeinladungen, aber noch keinen Respekt ein. Den verdiente er sich erst, als er lernte, in Worten zu posieren. Wenn ein flüssiger Schreibstil einem flotten Auftreten entspricht, dann das Epigramm der gekonnten Pose. Die Wildes Figuren von den Lippen regnenden Pointen und Sentenzen erzeugen den Eindruck von Bewegung auf so mittelbare Weise wie die Aneinanderreihung von Fotos im Film. Der Roman "Dorian Gray" und die Komödie "Lady Windermere's Fan" machten Wilde Anfang der neunziger Jahre zu einem erfolgreichen Autor, weil er das herrschende Ideal einer geistreichen Erscheinung in die Illusion von Leben zu übersetzen verstand.
Auf dem Höhepunkt seines Ruhms holte die Pose den Autor ein. Als Lord Alfreds Vater ihm seine Visitenkarte mit der Notiz "Für Oscar Wilde, posierender Sodomit" in den Club reichte, plusterte der Betroffene sich zum beleidigten Ehrenmann auf. Der Dandy, der für bürgerliche Tugenden und aristokratische Humorlosigkeiten bisher nichts als Verachtung übrig gehabt hatte, verklagte nun den Marquis of Queensberry. Für einen tragischen Augenblick hat Wilde damit seinen Gott der äußeren Schönheit für den der inneren verraten. Und der wollte ihn nicht mehr.
Im Gefängnis von Reading, wo er zwei Jahre wegen Unzucht einsaß, verkehrte der ästhetische Imperativ sich dem Künstler in einen Fluch. Statt einer schlanken Gattin hatte er nun die schmalste aller Gefährtinnen an seiner Seite: Wie der gute Franz von Assisi, schrieb er, "bin ich der Armut vermählt. Doch in meinem Fall ist das keine gute Ehe." Für die Ehe war Wilde einfach nicht gemacht. Anders als Sarah Bernhardt, die auf der Bühne noch den Tod in eine Pose zu verwandeln verstand, die sie auf Fotografien dann signierte, starb er bald nach seiner Entlassung unter fremder Sonne und falschem Namen. Der letzte Kampf dieses dekorativsten aller Menschen galt, wie seinen Fieberreden zu entnehmen war, der vor den Augen tanzenden Tapete.
Merlin Holland: "Das Oscar-Wilde-Album". Aus dem Englischen übersetzt von Ulrike Wasel und Klaus Timmermann. Karl Blessing Verlag, München 1998. 195 S., 250 Abb., geb., 39,90 DM.
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Ein Fotoalbum für Oscar Wilde Von Ingeborg Harms
Oscar Wilde war für das Fotoalbum wie gemacht. Am meisten liebte er die Pose. Seinen in die Nüchternheit entlassenen Zeitgenossen führte er noch einmal vor, was es hieß, den Menschen zu drapieren. Mit Lockenschere und Wicklern, spanischem Cape und Elfenbeinstöckchen, mit pelzverbrämten Mänteln, Samtanzügen, Seidenstrümpfen und Kniebundhosen eroberte er seinem Geschlecht auf kurze Zeit einen Zipfel des Landes zurück, in dem die Paspeln und Stickereien herrschen. Sein Enkel, Merlin Holland, gibt in einem kommentierten Bildband Einblick in die Geschichte der Wildeschen Selbststilisierung. Auch über Freunde, Feinde und Verwandte des Künstlers informiert das reiche Bildmaterial. Zum Besten, was es zu bieten hat, gehören die Karikaturen. Erst sie enthüllen den ganzen Manierismus des Bewegungsschatzes, über den Wilde verfügte. So wird das Lilienthema, das der Ästhet gerne anschlug, von den Zeichnern der fliegenden Blätter, mit denen das Londoner Gesellschaftsleben gesegnet war, eigenwillig entfaltet: Unter ihrer Feder schwankt Wildes mächtiger Kopf wie eine schwere Blüte über einem müde einknickenden Körperstengel. Transatlantische Karikaturen, die Wildes amerikanische Vortragstournee von 1882 begleiteten, zeigen geringeren Respekt vor seinem erklärten Lieblingsgewächs. Das großflächige Gesicht des Dekadenzpropheten wird von ihnen umstandslos mit der Sonnenblume assoziiert. Den Yankees war weder die Vitalität des Gastes noch seine Neigung, sich dem Licht zuzuwenden, entgangen.
Auch andere Geheimnisse plaudern die Zerrbilder aus. Der aus Irland stammende Wilde hatte bemerkenswerte Eltern. Sein Vater war ein in den Adelsstand erhobener Arzt, der sich in seinen Publikationen als Fachmann für so unterschiedliche Dinge wie den Zensus, bäuerliche Zaubertränke und die Antiquitäten der Königlich Irischen Akademie auswies. Seine Mutter war in jungen Jahren als enthusiastische Befürworterin der Unabhängigkeit von Großbritannien bekannt geworden. Eine zeitgenössische Karikatur zeigt eine Rückenansicht des Paares: die gigantische, kurvenreiche Lady Wilde zur Linken ihres danebenhin schlurfenden zwergenhaften Gatten. Man meint, dasselbe Paar von vorn zu sehen, wenn Max Beerbohm zwei Jahrzehnte später den Sohn mit seinem verhängnisvollen Geliebten, Lord Alfred, porträtiert. Nun wird die Position der majestätischen Mutter von Wilde selbst eingenommen.
Unter Hollands Bildern sind zwei besonders aufschlußreich für die gescheiterte Ehe des Künstlers. Der Fotograf auf einer von den Wildes besuchten Gartenparty hat nach der offiziellen Erinnerungsaufnahme noch einmal auf den Auslöser gedrückt: Das steife Wesen der Gäste ist verflogen. Man lacht erlöst und wendet sich dem Nachbarn zu. Selbst der Hund, der zunächst gehorsam aufsaß, schlackert mit den Ohren. Nur Constanze Wilde sinkt mit einer Verlegenheitsgeste in sich zusammen. "Als ich heiratete", soll ihr Mann einem Freund anvertraut haben, "war meine Frau ein wunderschönes Mädchen, weiß und schlank wie eine Lilie, ihre Augen tanzten, und ihr fröhliches Lächeln perlte wie Musik. Nach einem Jahr war all diese blütenhafte Anmut dahin. Sie wurde schwer, unförmig, unansehnlich." Ob die kluge, leicht behäbiger gewordene Mutter seiner zwei Söhne noch lachte und ob ihre Augen tanzten, unterschlägt diese Klage.
Obwohl Wilde 1881/82 fünfzigmal in der Satirezeitschrift "Punch" auftauchte, hatte der berüchtigte Gesellschaftsliebling nicht viel mehr geleistet, als Sarah Bernhardt bei ihrer Ankunft in Folkstone schmachtend Blüten in den Weg zu werfen und einigen ihrer Kolleginnen Widmungsgedichte zu schreiben. Das brachte ihm Abendeinladungen, aber noch keinen Respekt ein. Den verdiente er sich erst, als er lernte, in Worten zu posieren. Wenn ein flüssiger Schreibstil einem flotten Auftreten entspricht, dann das Epigramm der gekonnten Pose. Die Wildes Figuren von den Lippen regnenden Pointen und Sentenzen erzeugen den Eindruck von Bewegung auf so mittelbare Weise wie die Aneinanderreihung von Fotos im Film. Der Roman "Dorian Gray" und die Komödie "Lady Windermere's Fan" machten Wilde Anfang der neunziger Jahre zu einem erfolgreichen Autor, weil er das herrschende Ideal einer geistreichen Erscheinung in die Illusion von Leben zu übersetzen verstand.
Auf dem Höhepunkt seines Ruhms holte die Pose den Autor ein. Als Lord Alfreds Vater ihm seine Visitenkarte mit der Notiz "Für Oscar Wilde, posierender Sodomit" in den Club reichte, plusterte der Betroffene sich zum beleidigten Ehrenmann auf. Der Dandy, der für bürgerliche Tugenden und aristokratische Humorlosigkeiten bisher nichts als Verachtung übrig gehabt hatte, verklagte nun den Marquis of Queensberry. Für einen tragischen Augenblick hat Wilde damit seinen Gott der äußeren Schönheit für den der inneren verraten. Und der wollte ihn nicht mehr.
Im Gefängnis von Reading, wo er zwei Jahre wegen Unzucht einsaß, verkehrte der ästhetische Imperativ sich dem Künstler in einen Fluch. Statt einer schlanken Gattin hatte er nun die schmalste aller Gefährtinnen an seiner Seite: Wie der gute Franz von Assisi, schrieb er, "bin ich der Armut vermählt. Doch in meinem Fall ist das keine gute Ehe." Für die Ehe war Wilde einfach nicht gemacht. Anders als Sarah Bernhardt, die auf der Bühne noch den Tod in eine Pose zu verwandeln verstand, die sie auf Fotografien dann signierte, starb er bald nach seiner Entlassung unter fremder Sonne und falschem Namen. Der letzte Kampf dieses dekorativsten aller Menschen galt, wie seinen Fieberreden zu entnehmen war, der vor den Augen tanzenden Tapete.
Merlin Holland: "Das Oscar-Wilde-Album". Aus dem Englischen übersetzt von Ulrike Wasel und Klaus Timmermann. Karl Blessing Verlag, München 1998. 195 S., 250 Abb., geb., 39,90 DM.
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