Frauen in der Weltliteratur
Die schillernde Welt eines Pariser Modepalastes mit all seinen Facetten - von der Architektur, über das Sozialgefüge der Angestellten und den ausführlichen Mode- und Interieurbeschreibungen bis hin zu den Auswirkungen auf den gewachsenen Mikrokosmos eines Stadtviertels. Und - für Zola ungewöhnlich - auch die Liebesgeschichte mit Happyend fehlt nicht.
Die schillernde Welt eines Pariser Modepalastes mit all seinen Facetten - von der Architektur, über das Sozialgefüge der Angestellten und den ausführlichen Mode- und Interieurbeschreibungen bis hin zu den Auswirkungen auf den gewachsenen Mikrokosmos eines Stadtviertels. Und - für Zola ungewöhnlich - auch die Liebesgeschichte mit Happyend fehlt nicht.
Aufklärung im Namen der Menschheit: Eine Biographie und ein neu übersetzter Roman zum hundertsten Todestag Émile Zolas
Abwegig sei es nicht, meint Veronika Beci in ihrer Biographie Émile Zolas, daß der Schriftsteller im September 1902 ermordet worden sei. Zola ermordet, Opfer einer ruchlosen Tat? Veronika Beci bemerkt eine Reihe politischer Morde, die sich durchs Jahrhundert zieht: 1900 der Mord an Umberto I. von Italien, 1914 an Erzherzog Franz Ferdinand und Jean Jaurès, 1918 wird die Zarenfamilie umgebracht, 1919 werden Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht erschlagen, 1921 werden Matthias Erzberger, 1922 Walther Rathenau, 1936 Federico García Lorca und 1940 Trotzki ermordet. Warum nicht auch Zola, der Mut und Moral beweist, als er sich für den Hauptmann Dreyfus, der wegen Spionage verurteilt wurde, aber unschuldig ist, stark macht und deswegen vom Pöbel als Judenfreund verfolgt wird, der sich vor Gericht wegen Verleumdung verantworten muß und nach seiner Verurteilung für rund ein Jahr (vom 18. Juli 1898 bis zum 5. Juni 1899) nach England ins Exil verschwindet?
Ende September 1902 kommen Émile Zola und seine Frau Alexandrine für den Winter von ihrem Landsitz in Médan zurück in ihre Pariser Stadtwohnung. Die Wohnung ist kalt. Das Feuer im Kamin wärmt nicht, geht aber auch nicht aus. Die Eheleute steigen früh ins Bett, wachen aber bald wieder auf, weil ihnen übel ist. Zola stirbt in dieser Nacht, seine Frau wird die Nacht überleben. Bei der Autopsie stellt sich heraus: Zola starb am 29. September 1902 an einer Kohlenmonoxydvergiftung. Der Rauch war nicht durch den Kamin abgezogen. Hatte etwa jemand den Abzug verstopft? Wir wissen es nicht. Veronika Beci weiß es auch nicht. Sie aber hat den Tod, der durch den Kaminabzug kam, wieder ins Spiel der Vorstellungen gebracht.
Im Anhang der Biographie stoßen wir auf einen Friedhof - Grabsteine mit Inhaltsangaben der Romane Zolas. Rührend finden wir das nicht. Eher symptomatisch schlicht gedacht: Zola brachte die Wirklichkeit aufs Papier, und deren Würze liegt nicht in der Literatur, sondern in den Ereignissen. Armer Naturalismus, dem das Fleisch auf den Knochen fehlt. Doch rund hundert Seiten vorher macht die Biographin in ihrem Enthusiasmus vor dem Dichter einen Knicks und preist das Schweigen vor der Größe: "Zolas Meisterwerke können nicht nacherzählt werden. Zola lesen!" Wer würde dieser Aufforderung nicht gerne folgen. Doch allein die Natur- und Sozialgeschichte einer weitverzweigten Familie im Zweiten Kaiserreich - der Zyklus der Rougon-Macquart - zieht sich hin über zwanzig Bände.
Zola ist ein fleißiger Schriftsteller, der in seinen frühen Jahren als Angestellter in der Werbeabteilung des Hachette-Verlages arbeitet. Dort, so Beci, lernt er, daß eine Bedingung für den Erfolg darin liegen kann, den Geschmack des Publikums nicht zu verachten. Und das Publikum mag nun manchmal lieber Täter und Triebe als Wolken und Wiesen. Die Kritik wird Zola wegen des Schmutzes, den er in die holde Literatur zerrt, schelten. Doch gerade mit der Beschreibung der Elenden und Erregten verdient Zola Geld, sehr viel Geld.
Zola wird am 2. April 1840 in Paris geboren und wächst in Südfrankreich auf. Der Vater arbeitet als Bauingenieur. Er stirbt früh mit leeren Händen. Die Frau verläßt die Provinz und geht mit dem Jungen in die Hauptstadt. Zola möchte nicht als Angestellter von der Langeweile eines Büros dahingerafft werden, sondern Geschichten schreiben. Der Antiromantiker versteht sich als Naturalist. Der Mensch ist kein freies Wesen, dessen Charakter den Boden pflügt, auf dem er lebt. Umgekehrt wird ein soziales Wesen daraus: Der Boden, den der Mensch beackert, prägt seine Aussichten. Das Milieu ist ein Geflecht von Bedingungen und Beziehungen, das die Menschen knetet. Aus Fakten und Akteuren baut Zola seine Romane. Er recherchiert genau - auch für seinen Roman "Au Bonheur des Dames" (1893), der auf deutsch als "Das Paradies der Damen" erscheint. Er sei, so Beci, einer der zwei hellen Romane im großen, düsteren Rougon-Macquart-Gebäude: Hier ist am Ende fast alles gut.
Zola erzählt im "Paradies der Damen" die Geschichte der armen Denise, die in die Hauptstadt kommt und dort Arbeit in einem riesigen Kaufhaus findet, das die Tante-Emma-Läden rundum erst an die Wand und dann zu Boden drückt. Das schüchterne, grundehrliche und hübsche Provinzentlein ahnt, daß der Wandel des Handels nicht zu bremsen ist und die Zukunft auf den Wühltischen liegt. Denise macht Karriere und bleibt dabei anständig. Der Direktor wird sie heiraten. Sie denkt an ihre Kollegen und setzt für sie bessere Arbeitsbedingungen durch.
Beci schützt den Schriftsteller vor einem falschen Lob: Zola habe in diesem Roman die "Produktionsprozesse des Kapitalismus" angegriffen. Doch auch sie druckst herum, wenn sie dagegen nur das Schild einer "positiven Schilderung der Marktwirtschaft" schwenkt. Denn Zola, der das Mitleid kannte, ergeht es in der Hauptstadt des neunzehnten Jahrhunderts nicht anders als den tausend Frauen in den vollgestopften Hallen, in denen sie im Konsumhimmel schweben. Er ist besoffen vom turbulenten Leben, das "den Tod verlangt, um fortwährend neues Leben zu säen", wie es im Roman verheißungsvoll heißt. Die Erkenntnis ist bitter (kein Kaufhaus ohne Konkurse, keine Zukunft ohne Leiden) und süß (viele Konkurse für wenigstens ein Kaufhaus, viel Leid für eine bessere Zukunft).
Zola selbst saß sein Leben lang nicht nur im stillen Kämmerlein. Er hat seine Erfolge in vollen Zügen mit Gefährten und Gelagen genossen. Ein Gelage ist Veronika Becis brave Biographie leider nicht geworden. Sie kommt aus den weichen Kissen der Chronologie und der Inhaltsangaben nicht heraus. Doch auch in Zolas Roman über den frischen Verblendungszusammenhang in der Warenhauswelt der Frauen schleppen wir uns über einige Durststrecken. Zwei aber galoppieren Tag und Nacht: der Philologe und der Kulturwissenschaftler auf ihren Kamelen vom Fach. Sie kommen im Damenparadies auf ihre Kosten. Der Philologe reibt sich die Hände, weil hier, wie Beci bemerkt, zum ersten Mal in der "großen Literatur" ein Kaufhaus den Schauplatz für die Helden liefert. Und der Kulturwissenschaftler stöbert unter den Stoffballen und Spitzen weitere Details für ein Bild des neunzehnten Jahrhunderts auf.
Wenn auch heute die Romane von Émile Zola nicht mehr so gierig verschlungen werden wie vor über hundert Jahren - vergessen sollten wir auf keinen Fall den berühmten Artikel "J'accuse", mit dem Zola in der Staatsaffäre um den jüdischen Hauptmann Dreyfus laut Partei für den Unschuldigen ergreift. Der Artikel wird in der Zeitung "L'Aurore" am 13. Januar 1898 veröffentlicht. An diesem Tag tritt der engagierte Intellektuelle ins Licht der Öffentlichkeit und verlangt zum ersten Mal: Aufklärung im Namen der Menschheit.
Veronika Beci: "Émile Zola". Biographie. Artemis & Winkler im Patmos Verlag, Düsseldorf und Zürich 2002. 360 S., geb., Abb., geb., 26,- [Euro].
Émile Zola: "Das Paradies der Damen". Aus dem Französischen übersetzt von Hilda Westphal. Edition Ebersbach, Berlin 2002. 576 S., geb., 26,- [Euro].
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