Ein französisches Dragonerregiment bezieht in einer finsteren Regennacht Quartier in einem nordfranzösischen Dorf und wird zum Zeugen des langsamen Sterbens eines verletzten Armeepferdes. In der Agonie des Tieres und in seinen großen Augen spiegelt sich die Apokalypse des Krieges in einer fast intimen Szenerie. Die Soldaten, der Erzähler und Maurice, der Jude, der weiß, was kommen wird, versuchen, in der Dunkelheit der Regennacht ihr eigenes Schicksal zu ergründen. Claude Simons Erzählung von 1958 führt mitten hinein in das thematische Universum des Nobelpreisträgers: das französische Debakel im Zweiten Weltkrieg und das Schicksal des in deutsche Gefangenschaft geratenen Kavalleristen Claude Simon. Eine literarische Trouvaille, in der die wichtigsten Motive und Handlungsstränge aller späteren Romane des Nobelpreisträgers bereits angelegt sind.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 18.03.2017Leittier in einer gottverlassenen Welt
Erstmals erscheint die kleine Erzählung "Das Pferd" von Claude Simon auf Deutsch. Sie hat ein großes Thema und weist voraus auf ein grandioses Werk.
Von Ulrich Raulff
Unter dem Titel "Le cheval" erschien 1958 in den "Lettres Nouvelles", der literarischen Talentschmiede von Maurice Nadeau, eine Erzählung von Claude Simon. Trotz seinen vierundvierzig Jahren und einigen frühen Romanen war der französische Autor noch weitgehend unbekannt. Das sollte sich zwei Jahre später, nach dem Erscheinen der "Route des Flandres", grundlegend ändern. Gleichwohl darf "Das Pferd", ein kurzer Text von vierzig Druckseiten, als großer Wurf und eine Art Keimzelle, nicht nur des folgenden Romans, sondern auch der späteren Hauptwerke, namentlich der "Akazie" und des "Jardin des Plantes", gelten. In der Übersetzung von Eva Moldenhauer und mit einem erhellenden Nachwort der Simon-Exegetin und -Biographin Mireille Calle-Gruber versehen, ist er jetzt auf Deutsch erschienen. Ein Grund zum Feiern für die eingeschworene Gemeinde der Simon-Leser - aber nicht nur für sie.
Die Geschichte, wenn man sie so nennen will, umspannt nicht mehr als achtundvierzig Stunden, zwei Nächte und dazwischen ein Tag, der nicht hell werden will. Das stoffliche Medium der Erzählung ist nicht die Zeit oder das Licht, sondern die Nässe. Der unablässig fallende Regen und das Rauschen der Flüsse, die man überschreitet oder irgendwann überschritten haben könnte, wenn der Krieg sich weiter so fortschleppt, wie er das jetzt tut, im November 1939, in Gestalt jener "Drôle de guerre", in der noch nicht geschossen, aber schon gestorben wird. Es ist ein Schlamassel, wie von Samuel Beckett erfunden, aus wenig mehr als Warten, Flüchen und sinnlosen Bewegungen bestehend. Aber anders als bei Beckett wird sich in diesem komischen Krieg hier wenige Monate später die Apokalypse ereignen.
Einstweilen ist es jedoch nur ein Pferd, das stirbt. Es liegt im Stall eines Dorfes, in dem die Truppe haltmacht, Soldaten stehen ratlos daneben, der Veterinär lässt es zur Ader, doch das Tier hat sich schon auf einen Weg ohne Umkehr gemacht. Nur sein Auge scheint noch zu leben, sein großes, glänzendes Auge, in dem wie in einem gewölbten Spiegel die Welt sich abzubilden und langsam zu verblassen scheint, "als sähe es jetzt durch uns hindurch etwas, was wir nicht sehen konnten, wir, deren verkleinerte Bilder sich noch immer auf dem feuchten Augapfel widerspiegelten . . ."
Am nächsten Morgen begraben die Soldaten das Pferd, das in der Nacht gestorben ist, und der Erzähler betrachtet den Kadaver und seinen "riesigen, schmerzerfüllten, resignierten Kopf, der allmählich verschwand und unter dem langsamen dunklen Ansteigen der Erde das bittere, kassandrahafte Grinsen seiner langen entblößten Zähne mitnahm, als verhöhnte er uns von jenseits des Todes, prophetisch, kraft einer Kenntnis, einer Erfahrung, die wir nicht besaßen . . ."
Das leidende Pferd, der von rohen Kutschern misshandelte, von fühllosen Menschen gequälte Gaul, ist seit dem neunzehnten Jahrhundert zum Leittier einer Literatur geworden, die das Elend der von Gott verlassenen Welt zu schildern unternahm. Wer die Entsetzlichkeit des massenhaften Sterbens auf dem Schlachtfeld fühlbar machen wollte, verschob das Bild der erniedrigten Humanität auf die unschuldig leidende Kreatur. Das gequälte Pferd funktionierte als zuverlässiges Empathiesignal: Es indizierte das Unerträgliche.
In Claude Simons Romanen haben die Pferde eine andere ästhetische Funktion. Vielfach sind sie bereits tot, wenn sie ins Blickfeld der Erzählung geraten, und werden im Zustand der Verwesung gezeichnet, natura morte im buchstäblichsten Sinn. Auch das sterbende Pferd der kurzen Erzählung von 1958 ist Teil eines enormen Stilllebens, auf dem wie in den Gemälden der großen Holländer die Sekunde zwischen dem Augenblick des Todes und dem Eintritt der Verwesung ein unheimliches acumen, eine letztgültige Schönheit herbeiruft.
Der Ich-Erzähler, eine Figur, der man in den späteren Texten Simons nur noch selten begegnen wird, treibt sich untertags im Dorf und in der Kneipe herum, immer auf der Suche nach der milchigen Schönheit eines beim Eintreffen erblickten Bauernmädchens, die er jetzt wie den flüchtigen Schatten eines Vermeer oder de la Tour überall zu sehen meint, aber nirgends antrifft. Stattdessen wird er Zeuge finsterer Streitereien unter den Dorfbewohnern, hinter denen sich ein atridisches Familiendrama auf dem Land abzuzeichnen beginnt. Der zweite Protagonist der Geschichte, Maurice, ist ein Freund des Erzählers und wird als Jude sowohl von den Bauern der Schwadron als auch von ihren Offizieren inbrünstig gehasst. Maurice ist krank, fiebert vor sich hin, ernährt sich von Aspirin und liefert sich mit dem Erzähler burleske und blasphemische Dialoge, die an die großmäuligen Reden und wüsten Scherze der Kosaken in Isaac Babels "Reiterarmee" erinnern.
"Claude Simons Dialoge", schreibt Mireille Calle-Gruber, "sind performative Augenblicke par excellence, die verbale Flut schwemmt sie hinweg." Aber diesen Fluten stellt der Autor Simon alsbald Momente der Fäulnis und Vergängnis gegenüber, Bilder absterbender Natur, in denen eine unendlich ältere Zeit, tief unterhalb der Geschichte der Menschen und ihrer flüchtigen Reden, aufscheint: "Ein Geflecht ineinander verwobener Rinnsale floss über den hellgelben Sand des abschüssigen Wegs. Hin und wieder löste sich ein Blatt von dem großen Nussbaum, sank schlaff zu Boden, schon fast schwarz, schon zerfressen, verfault. Man hätte meinen können, dass die Natur, die Bäume, die Wiesen, die ganze Erde im Begriff waren, sich aufzulösen, überschwemmt, verwässert, verflüssigt von dieser kalten, grauen Sintflut."
Hätte er sich nicht für die Schriftstellerei entschieden, sagte Claude Simon gelegentlich, wäre er Jockey oder Maler geworden. Beides war er gewesen, Reiter und Maler, bevor er mit dem Schreiben begann, und bis in die letzten Texte des gereiften Autors hinein blieb die unfassliche Mischung, die unwahrscheinliche Trinität erhalten. Die berühmten Simonschen Sätze, diese langsamen Explosionen, sukzessive Entladungen von Satzpartikeln, die ohne Rücksicht gegen die Syntax, aber mit dichterischem Gespür für den Takt komponiert waren, wirkten mehr wie erritten als tatsächlich erschrieben: Immer noch meinte man in ihnen den Rhythmus des Hufschlags zu hören.
Schreiben, auch dies ein berühmtes, an Roland Barthes angelehntes Diktum von Simon, hieß nicht die Beschreibung eines Abenteuers, sondern das Abenteuer des Schreibens in Gang zu setzen. Alle Gegenstände Simons, sie mochten Krieg, Tiere, Tod, Sex, rinnendes Wasser oder bewegte Blätter heißen, mussten erst zu Phänomenen im Innern der Sprache und ihrer ungeheuren, Raum und Zeit verdichtenden Kraft werden. Sie mussten die Transsubstantiation des Schreibens durchlaufen, um zu neuen Körpern und Zuständen zu werden, die dem Leser vor Augen standen, als seien sie wie er im ersten Morgenlicht erwacht. Claude Simon, der seine Wurzeln sowohl im Jura wie im tiefen Süden Frankreichs hatte, lebte mit jeder Faser seines Wesens in der Gegenwart der sinnlich erfahrbaren Dinge. Als Schreibender musste er sie Atom für Atom neu erschaffen, in Sätzen, deren Wendigkeit und Plastizität der grazile Autor, gleichzeitig Jockey und Maler in der Sprache, unablässig erprobte.
Im Augapfel eines sterbenden Pferdes, dem gewölbten Spiegel einer kleiner werdenden und versinkenden Welt, zitiert Simon eines der Gründungsdokumente der modernen Malerei, Jan van Eycks Arnolfini-Hochzeit von 1434. In seiner kunstvollen Erzählung wird dieser Spiegel zum Gleichnis einer Sprache, deren Phänomenalität darin besteht, nichts zu zeigen, aber alles erscheinen zu lassen. Auf den ersten Seiten des "Ulysses" hatte James Joyce den geborstenen Spiegel eines Dienstmädchens zum Symbol der irischen Kunst erkoren. Claude Simon macht das spiegelnde Auge eines sterbenden Pferdes zum Symbol unserer Verfallenheit an die Sprache, aber auch der verzweifelten Hoffnung, in ihr die Rettung zu finden.
Claude Simon: "Das Pferd".
Mit einem Nachwort von Mireille Calle-Gruber. Aus dem Französischen von Eva Moldenhauer. Berenberg Verlag, Berlin 2017. 76 S., geb., 22,- [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Erstmals erscheint die kleine Erzählung "Das Pferd" von Claude Simon auf Deutsch. Sie hat ein großes Thema und weist voraus auf ein grandioses Werk.
Von Ulrich Raulff
Unter dem Titel "Le cheval" erschien 1958 in den "Lettres Nouvelles", der literarischen Talentschmiede von Maurice Nadeau, eine Erzählung von Claude Simon. Trotz seinen vierundvierzig Jahren und einigen frühen Romanen war der französische Autor noch weitgehend unbekannt. Das sollte sich zwei Jahre später, nach dem Erscheinen der "Route des Flandres", grundlegend ändern. Gleichwohl darf "Das Pferd", ein kurzer Text von vierzig Druckseiten, als großer Wurf und eine Art Keimzelle, nicht nur des folgenden Romans, sondern auch der späteren Hauptwerke, namentlich der "Akazie" und des "Jardin des Plantes", gelten. In der Übersetzung von Eva Moldenhauer und mit einem erhellenden Nachwort der Simon-Exegetin und -Biographin Mireille Calle-Gruber versehen, ist er jetzt auf Deutsch erschienen. Ein Grund zum Feiern für die eingeschworene Gemeinde der Simon-Leser - aber nicht nur für sie.
Die Geschichte, wenn man sie so nennen will, umspannt nicht mehr als achtundvierzig Stunden, zwei Nächte und dazwischen ein Tag, der nicht hell werden will. Das stoffliche Medium der Erzählung ist nicht die Zeit oder das Licht, sondern die Nässe. Der unablässig fallende Regen und das Rauschen der Flüsse, die man überschreitet oder irgendwann überschritten haben könnte, wenn der Krieg sich weiter so fortschleppt, wie er das jetzt tut, im November 1939, in Gestalt jener "Drôle de guerre", in der noch nicht geschossen, aber schon gestorben wird. Es ist ein Schlamassel, wie von Samuel Beckett erfunden, aus wenig mehr als Warten, Flüchen und sinnlosen Bewegungen bestehend. Aber anders als bei Beckett wird sich in diesem komischen Krieg hier wenige Monate später die Apokalypse ereignen.
Einstweilen ist es jedoch nur ein Pferd, das stirbt. Es liegt im Stall eines Dorfes, in dem die Truppe haltmacht, Soldaten stehen ratlos daneben, der Veterinär lässt es zur Ader, doch das Tier hat sich schon auf einen Weg ohne Umkehr gemacht. Nur sein Auge scheint noch zu leben, sein großes, glänzendes Auge, in dem wie in einem gewölbten Spiegel die Welt sich abzubilden und langsam zu verblassen scheint, "als sähe es jetzt durch uns hindurch etwas, was wir nicht sehen konnten, wir, deren verkleinerte Bilder sich noch immer auf dem feuchten Augapfel widerspiegelten . . ."
Am nächsten Morgen begraben die Soldaten das Pferd, das in der Nacht gestorben ist, und der Erzähler betrachtet den Kadaver und seinen "riesigen, schmerzerfüllten, resignierten Kopf, der allmählich verschwand und unter dem langsamen dunklen Ansteigen der Erde das bittere, kassandrahafte Grinsen seiner langen entblößten Zähne mitnahm, als verhöhnte er uns von jenseits des Todes, prophetisch, kraft einer Kenntnis, einer Erfahrung, die wir nicht besaßen . . ."
Das leidende Pferd, der von rohen Kutschern misshandelte, von fühllosen Menschen gequälte Gaul, ist seit dem neunzehnten Jahrhundert zum Leittier einer Literatur geworden, die das Elend der von Gott verlassenen Welt zu schildern unternahm. Wer die Entsetzlichkeit des massenhaften Sterbens auf dem Schlachtfeld fühlbar machen wollte, verschob das Bild der erniedrigten Humanität auf die unschuldig leidende Kreatur. Das gequälte Pferd funktionierte als zuverlässiges Empathiesignal: Es indizierte das Unerträgliche.
In Claude Simons Romanen haben die Pferde eine andere ästhetische Funktion. Vielfach sind sie bereits tot, wenn sie ins Blickfeld der Erzählung geraten, und werden im Zustand der Verwesung gezeichnet, natura morte im buchstäblichsten Sinn. Auch das sterbende Pferd der kurzen Erzählung von 1958 ist Teil eines enormen Stilllebens, auf dem wie in den Gemälden der großen Holländer die Sekunde zwischen dem Augenblick des Todes und dem Eintritt der Verwesung ein unheimliches acumen, eine letztgültige Schönheit herbeiruft.
Der Ich-Erzähler, eine Figur, der man in den späteren Texten Simons nur noch selten begegnen wird, treibt sich untertags im Dorf und in der Kneipe herum, immer auf der Suche nach der milchigen Schönheit eines beim Eintreffen erblickten Bauernmädchens, die er jetzt wie den flüchtigen Schatten eines Vermeer oder de la Tour überall zu sehen meint, aber nirgends antrifft. Stattdessen wird er Zeuge finsterer Streitereien unter den Dorfbewohnern, hinter denen sich ein atridisches Familiendrama auf dem Land abzuzeichnen beginnt. Der zweite Protagonist der Geschichte, Maurice, ist ein Freund des Erzählers und wird als Jude sowohl von den Bauern der Schwadron als auch von ihren Offizieren inbrünstig gehasst. Maurice ist krank, fiebert vor sich hin, ernährt sich von Aspirin und liefert sich mit dem Erzähler burleske und blasphemische Dialoge, die an die großmäuligen Reden und wüsten Scherze der Kosaken in Isaac Babels "Reiterarmee" erinnern.
"Claude Simons Dialoge", schreibt Mireille Calle-Gruber, "sind performative Augenblicke par excellence, die verbale Flut schwemmt sie hinweg." Aber diesen Fluten stellt der Autor Simon alsbald Momente der Fäulnis und Vergängnis gegenüber, Bilder absterbender Natur, in denen eine unendlich ältere Zeit, tief unterhalb der Geschichte der Menschen und ihrer flüchtigen Reden, aufscheint: "Ein Geflecht ineinander verwobener Rinnsale floss über den hellgelben Sand des abschüssigen Wegs. Hin und wieder löste sich ein Blatt von dem großen Nussbaum, sank schlaff zu Boden, schon fast schwarz, schon zerfressen, verfault. Man hätte meinen können, dass die Natur, die Bäume, die Wiesen, die ganze Erde im Begriff waren, sich aufzulösen, überschwemmt, verwässert, verflüssigt von dieser kalten, grauen Sintflut."
Hätte er sich nicht für die Schriftstellerei entschieden, sagte Claude Simon gelegentlich, wäre er Jockey oder Maler geworden. Beides war er gewesen, Reiter und Maler, bevor er mit dem Schreiben begann, und bis in die letzten Texte des gereiften Autors hinein blieb die unfassliche Mischung, die unwahrscheinliche Trinität erhalten. Die berühmten Simonschen Sätze, diese langsamen Explosionen, sukzessive Entladungen von Satzpartikeln, die ohne Rücksicht gegen die Syntax, aber mit dichterischem Gespür für den Takt komponiert waren, wirkten mehr wie erritten als tatsächlich erschrieben: Immer noch meinte man in ihnen den Rhythmus des Hufschlags zu hören.
Schreiben, auch dies ein berühmtes, an Roland Barthes angelehntes Diktum von Simon, hieß nicht die Beschreibung eines Abenteuers, sondern das Abenteuer des Schreibens in Gang zu setzen. Alle Gegenstände Simons, sie mochten Krieg, Tiere, Tod, Sex, rinnendes Wasser oder bewegte Blätter heißen, mussten erst zu Phänomenen im Innern der Sprache und ihrer ungeheuren, Raum und Zeit verdichtenden Kraft werden. Sie mussten die Transsubstantiation des Schreibens durchlaufen, um zu neuen Körpern und Zuständen zu werden, die dem Leser vor Augen standen, als seien sie wie er im ersten Morgenlicht erwacht. Claude Simon, der seine Wurzeln sowohl im Jura wie im tiefen Süden Frankreichs hatte, lebte mit jeder Faser seines Wesens in der Gegenwart der sinnlich erfahrbaren Dinge. Als Schreibender musste er sie Atom für Atom neu erschaffen, in Sätzen, deren Wendigkeit und Plastizität der grazile Autor, gleichzeitig Jockey und Maler in der Sprache, unablässig erprobte.
Im Augapfel eines sterbenden Pferdes, dem gewölbten Spiegel einer kleiner werdenden und versinkenden Welt, zitiert Simon eines der Gründungsdokumente der modernen Malerei, Jan van Eycks Arnolfini-Hochzeit von 1434. In seiner kunstvollen Erzählung wird dieser Spiegel zum Gleichnis einer Sprache, deren Phänomenalität darin besteht, nichts zu zeigen, aber alles erscheinen zu lassen. Auf den ersten Seiten des "Ulysses" hatte James Joyce den geborstenen Spiegel eines Dienstmädchens zum Symbol der irischen Kunst erkoren. Claude Simon macht das spiegelnde Auge eines sterbenden Pferdes zum Symbol unserer Verfallenheit an die Sprache, aber auch der verzweifelten Hoffnung, in ihr die Rettung zu finden.
Claude Simon: "Das Pferd".
Mit einem Nachwort von Mireille Calle-Gruber. Aus dem Französischen von Eva Moldenhauer. Berenberg Verlag, Berlin 2017. 76 S., geb., 22,- [Euro].
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