Wer an seiner Sing- oder Sprechstimme arbeitet, hat ein Vorbild, ein Klangideal, das er oder sie nachahmt, um durch Imitation zur Übereinstimmung mit dem Ideal zu gelangen, zur Identität. Doch diese Identität mit dem Fremden bedeutet keine Übereinstimmung mit sich selbst, keine Selbstidentität. Geht es denen, die an und mit fremden Stimmen arbeiten, anders? Auch sie imitieren und lassen imitieren, selbst wenn sie keine Imitatoren ausbilden. ErSetzt die "corporate identity" eines Kinderchors oder einer Bachschola die personale Identität? Wenn Vögel einander oder Menschen imitieren, wenn Menschen einander oder Tiere imitieren, dann erübrigt sich die Frage nach der Identität. Derlei Imitationen erhalten vielleicht die Wertung "treffend, stimmig, echt, ganz genau!" Dabei vergessen die Stimm-Alchimisten oft, woher ihre Bewertungen stammen: Selbst das feinste Gold hat in sich keinen Wert, nur in der Tauschgesellschaft, auch das "Gold in der Kehle" nur für die Plattenfirmen, das Gold der Abendsonne nur für die Postkartenindustrie. Die Spannungen zwischen Imitation und Identität sind vielfältig. "Das Humane haftet an der Nachahmung: ein Mensch wird zum Menschen überhaupt erst, indem er andere Menschen imitiert." (Adorno)
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