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B. Traven ist ein literarisches Phantom. Ein Schriftsteller dieses Namens hat nie existiert. Ebenso wenig haben ein Ingenieur aus Chicago namens Traven Torsvan und ein Übersetzer namens Hal Croves je gelebt. Es sind, wie auch der Schauspieler und Autor Ret Marut, Aliasse eines deutschen Anarchisten namens Otto Feige, der sich viermal neu erfand. In seiner neuen Biografie löst Jan-Christoph Hauschild die letzten Rätsel des B. Traven.

Produktbeschreibung
B. Traven ist ein literarisches Phantom. Ein Schriftsteller dieses Namens hat nie existiert. Ebenso wenig haben ein Ingenieur aus Chicago namens Traven Torsvan und ein Übersetzer namens Hal Croves je gelebt. Es sind, wie auch der Schauspieler und Autor Ret Marut, Aliasse eines deutschen Anarchisten namens Otto Feige, der sich viermal neu erfand. In seiner neuen Biografie löst Jan-Christoph Hauschild die letzten Rätsel des B. Traven.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 30.03.2019

Münchhausen in Mexiko
Vom Maschinenschlosser zum Bestsellerautor: Jan-Christoph Hauschild porträtiert B. Traven, den Gestaltwandler der modernen Literatur

Dass er nach seinem Tod "nicht in Erde stinken", sondern "in den Weltenraum" hineinschweben wolle, "frei und überall und nirgends", hatte er sich schon gewünscht, als er gerade mal Mitte zwanzig war. Nun, nach seinem Tod im März 1969, ging dieser Wunsch in Erfüllung. Nach einer von der mexikanischen Öffentlichkeit mit großer Anteilnahme begleiteten Gedenkzeremonie wurde aus einem Sportflugzeug die Asche des Verstorbenen in alle Lüfte zerstreut. Bei dem pathetischen Zeremoniell kam es allerdings zu einem makabren Zwischenfall. Ein Knochenteil hatte die Einäscherung unbeschadet überstanden. Nachdem man es mit dem Aschebeutel ausgeleert hatte, wurde es zunächst wild durch die Luft geschleudert, um schließlich, mit einem harten Knall, ans Cockpitfenster zu schlagen.

Die Luftbestattung, ihre Planung, Durchführung und Störung, lässt sich als Allegorie auf das Leben des Verstorbenen verstehen, der nichts mehr fürchtete, als dingfest gemacht zu werden, als die Enthüllung seiner Identität. Der Mann, der sich B. Traven nannte und mit sozialkritischen Unterhaltungsromanen wie "Das Totenschiff" (1926) und "Der Schatz der Sierra Madre" (1927) zum weltbekannten Autor mit millionenhoher Gesamtauflage wurde - dieser B. Traven galt noch bis in die siebziger Jahre hinein als der große Anonymus der modernen Literatur. Doch selbst er konnte es nicht verhindern, zumindest einige verstreute Lebensspuren zu hinterlassen. Aus diesen biographischen Knochenteilen hat der Düsseldorfer Literaturhistoriker Jan-Christoph Hauschild nun ein kleinteiliges Gesamtbild erstellt. Er zieht darin nicht nur die Summe seiner eigenen jahrzehntelangen Auseinandersetzung mit den schillernden Identitätsspielen des B. Traven, sondern unterzieht außerdem die zahlreichen Mythen und Legenden, die der Autor selbst, vielfach aber auch halbseriöse Forscher und Journalisten in die Welt gesetzt haben, einer kritischen Revision.

Hauschild unternimmt den waghalsigen Versuch, die Biographie eines Phantoms zu schreiben. Dazu richtet er seinen Blick auf die insgesamt vier Pseudonyme, unter denen der 1882 in Schwiebus in der preußischen Provinz Brandenburg geborene Töpfersohn Otto Feige im Laufe seines Lebens in Erscheinung trat. Sein Leben als Alias begann nämlich bereits im Jahr 1907, als er sich vom Maschinenschlosser und Arbeiterfunktionär zu dem aus Los Angeles stammenden Schauspieler Ret Marut verwandelte. Nach mehreren Engagements an verschiedenen Bühnen, ersten literarischen Veröffentlichungen und der Herausgabe der anarchistischen Zeitschrift "Der Ziegelbrenner" übernahm Marut in der Münchener Räterepublik das Amt des Chefzensors. Nach ihrer Niederschlagung folgte der Gang in den Untergrund und, nach mehreren gescheiterten Ausreiseversuchen, die Übersiedelung nach Mexiko, wo er sich als gebürtiger Amerikaner unter dem Namen Traven Torsvan registrieren ließ.

In Mexiko, dessen Kultur er sich durch Sprachkurse, historische Studien und zahlreiche Reisen aneignete, wurde Feige beziehungsweise Marut beziehungsweise Torsvan zum professionellen Schriftsteller. Seine in äußerst rascher Folge entstehenden Romane veröffentlichte er teils als Vorabdruck im sozialdemokratischen Zentralorgan "Vorwärts", vor allem aber in der aus der Arbeiterbewegung hervorgegangenen Büchergilde Gutenberg. In der Verbindung von Reise- und Abenteuerliteratur widmen sich die Romane des nunmehr unter dem Alias "B. Traven" firmierenden Autors den drängendsten Problemen der technisch-kapitalistischen Moderne: dem Verhältnis der Klassen, Systemen der Ausbeutung, der Verelendung des Proletariats - und so fort.

Aber nicht nur hieraus erklärt sich der massenhafte Erfolg der in exotischer Ferne angesiedelten Geschichten beim deutschen Lesepublikum, sondern auch durch das vollmundige Versprechen des persönlich Verbürgten. Alles, wovon er berichte, habe er selbst erlebt und erfahren, betonte der Autor wieder und wieder und gab sich als Baumwollpflücker, Forscher, Goldgräber aus. Dass das werbeträchtige Postulat der "Echtheit, Überprüfbarkeit und Vertrauenswürdigkeit" der genauen Prüfung nicht standhält, hebt Hauschild allerdings mit Nachdruck hervor: Die pathetische Geste des "Selbsterlebten" sei nichts als "Prätention", Traven ein Meister in der "Verwandlung von flüchtig Aufgeschnapptem in Literatur", ja geradezu ein "Münchhausen in Mexiko". Insofern ist es nachvollziehbar, dass sich Traven von der Öffentlichkeit konsequent fernhielt - oder aber seinen Agenten Hal Croves schickte, eine vierte Deckidentität, die Traven unter anderem dazu nutzte, um als Berater an der Hollywood-Verfilmung von "The Treasure of the Sierra Madre" mitzuwirken.

Durch die Abschirmung seiner Person von der Öffentlichkeit erzeugte Traven, und zwar mit strategischem Kalkül, eine marketingtaugliche Aura des Geheimnisvollen um sich: "Wer ist Traven?", fragte die Büchergilde 1930 groß auf einem Werbeplakat. Zugleich stieg mit jedem neuen Roman das Verlangen der Leserschaft nach persönlichen Informationen über den Autor, nach Selbstaussagen, am besten Fotografien. Travens kokette Erklärung, er wolle seine Person nicht im Rampenlicht sehen, weil er sich "namenlos und ruhmlos wie jeder Arbeiter" fühle, konnte dem freilich nicht entgegenwirken. Bisweilen unter Anwendung von Paparazzi-Methoden begaben sich die Reporter auf seine Spur; die Frage nach der Autoridentität beschäftigte bald nicht mehr nur den Kultur-, sondern insbesondere auch den Sensationsjournalismus.

Es überzeugt daher vollkommen, dass Hauschild Travens gezielt wechselnde Autorinszenierungen vor dem Horizont einer ausdifferenzierten, komplexen Medienkultur und Öffentlichkeit interpretiert, ja mitunter scheint er den Autor gar als einen bewusst agierenden Performancekünstler zu begreifen. Daraus wiederum ergeben sich reizvolle Assoziationsmöglichkeiten: Wie verhält sich B. Traven zu all den anderen Gestaltwandlern der modernen Literatur und Kunst? Denken lässt hier etwa an den großen Trickster der Songpoesie, an Bob Dylan also, der in einem frühen Gedicht den für seine Autorschaft programmatischen Satz formulierte: "When asked to give your real name . . . never give it." Hauschilds erfreulich nüchternes Buch ist wegweisend, weil es B. Traven nicht bloß als einen exzentrischen "Fall" behandelt, sondern ihn als ein ebenso faszinierendes wie charakteristisches Phänomen der modernen Kultur erkennbar werden lässt.

KAI SINA

Jan-Christoph Hauschild: "Das Phantom". Die fünf Leben des B. Traven.

Edition Tiamat, Berlin 2018. 320 S., geb., 24,- [Euro].

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