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In diesem Buch werden empirisch und theoretisch neue Wege der Europaforschung beschritten. Erstmals wurden die Mitglieder der Kommission Santer und der Kommission Prodi interviewt. Die verbreitete These, in der Kommission seien Technokraten am Werk, wird widerlegt. Die zunehmend politische Handlungsorientierung der Mitglieder der Kommission ist eingebettet in die Entwicklung einer politischen Ordnung in der EU. Es wird gezeigt, dass sich in den Verträgen, den europäischen Programmen der Sozial-, Umwelt- und Kulturpolitik und in den Strukturen der Willensbildung erste Ansätze einer politischen…mehr

Produktbeschreibung
In diesem Buch werden empirisch und theoretisch neue Wege der Europaforschung beschritten. Erstmals wurden die Mitglieder der Kommission Santer und der Kommission Prodi interviewt. Die verbreitete These, in der Kommission seien Technokraten am Werk, wird widerlegt. Die zunehmend politische Handlungsorientierung der Mitglieder der Kommission ist eingebettet in die Entwicklung einer politischen Ordnung in der EU. Es wird gezeigt, dass sich in den Verträgen, den europäischen Programmen der Sozial-, Umwelt- und Kulturpolitik und in den Strukturen der Willensbildung erste Ansätze einer politischen Ordnung beobachten lassen. Das Entstehen einer politischen Ordnung in der EU wird differenztheoretisch erklärt. Die Theorie beruht auf dem Gedanken, dass Differenz ein Potential der politischen Steuerung in der EU sein kann. Eine Bedingung für die Entfaltung dieses Potentials ist der demokratische und kommunikative Umgang mit Differenz. Die Arbeit schließt mit dem Vorschlag, eine gemeinsame Konferenz der nationalen Parlamente und des Europäischen Parlamentes einzurichten. Die Konferenz wäre ein Beitrag zu mehr demokratischer Kommunikation über Differenz in der EU.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 22.04.2003

In den Unterschieden liegt die Kraft
Das komplexe System der Europäischen Union und die Strukturen in den Mitgliedstaaten

Christine Landfried: Das politische Europa. Differenz als Potential der Europäischen Union. Nomos Verlagsgesellschaft, Baden-Baden 2002. 401 Seiten, 49,- [Euro].

Die Zauberformeln zur politischen Steuerung in dem immer unübersichtlicher werdenden Mehrebenensystem der Europäischen Union mit seiner Vielzahl von politischen Akteuren und gleichberechtigten Teilsystemen lauten seit dem Amsterdamer Vertrag unter Politikwissenschaftlern: "abgestufte Integration", "Flexibilität" oder "Differenzierung". Auch die Verfasserin weist anhand ihrer auf Befragungen von Mitgliedern der Kommissionen Santer und Prodi gestützten empirischen Untersuchungen nach, daß politische Steuerung in dem komplexen System der EU mit Differenzen und Ungleichgewichten in den nationalen politischen Strukturen der Mitgliedstaaten zu tun hat; sie sind der Grund für die unterschiedliche Reichweite des institutionellen Wandels, der in den Mitgliedstaaten durch die zunehmende Europäisierung hervorgerufen wird. In diesen Differenzen liegt gleichsam das Potential für rationale Lösungen der gesellschaftlichen Probleme der EU, oder anders formuliert: Die Analyse des polyarchischen Systems der EU ist zugleich die Analyse eines zwar reformbedürftigen, doch möglicherweise zukunftsweisenden Modells der politischen Steuerung in komplexen Systemen.

Ausgehend von dieser "Differenztheorie" widerlegt die Verfasserin die verbreitete These, wonach in der Kommission lediglich Technokraten am Werk seien. Sie schlußfolgert, daß über die Zunahme an Differenz und an demokratischer Kommunikation zwischen politischen Eliten und Bürgern die politische Handlungsorientierung ihrer Mitglieder zugenommen hat: Immer mehr werden sich beide bewußt, daß in den Institutionen der EU Entscheidungen mit Folgen für die Verteilung von Gütern und die Geltung von Normen in den Mitgliedstaaten gefällt werden. In diesem Maße wächst die Aufgabe und Verantwortung der Kommission als korporativer Akteur der politischen Steuerung des Binnenmarktes - eine Rolle allerdings, die durch die wachsende Bedeutung des Europäischen Rates als mittlerweile zentraler Impulsgeber im politischen Entscheidungsprozeß in den vergangenen Jahren zunehmend in Frage gestellt wird.

Unabhängig davon gilt, daß Europa über die Einheitliche Europäische Akte (1986), die Verträge von Maastricht (1992), Amsterdam (1997) und Nizza (2000) sukzessive auf dem Weg vom ökonomischen zum politischen Europa vorangeschritten ist. War die EU bis Anfang der neunziger Jahre vor allem ein Binnenmarkt für die Freizügigkeit von Personen und für den freien Verkehr von Waren, Dienstleistungen und Kapital, so hat sie seither entscheidende Schritte in Richtung einer europäischen Sozialverfassung, europäischer Umweltpolitik und Kulturpolitik unternommen. Selbst in den sensiblen Bereichen der Justiz- und Innenpolitik oder der Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik läßt sich mittlerweile schon von einer erheblichen Teilvergemeinschaftung sprechen. Mit anderen Worten: Die EU hat sich im Prozeß der Integration in verschiedene Funktionssysteme mit jeweils unterschiedlichem Grad an Vergemeinschaftung ausdifferenziert.

In der Sozialpolitik konstatiert die Verfasserin die Tendenz zur Formulierung sozialer Mindeststandards sowie einer weitgehenden Angleichung der Lebensverhältnisse über das Instrument der Kohäsionspolitik. Dabei plädiert sie dafür, die nach wie vor vorhandenen sozialintegrativen Leistungen der europäischen Sozialstaaten durch eine enge Verzahnung mit der europäischen Sozialpolitik zu erhalten und weiter auszubauen. Angesichts der ökonomischen Entwicklung, hoher Arbeitslosenraten und kaum mehr finanzierbarer sozialer Sicherungssysteme in zahlreichen Mitgliedstaaten der EU - allen voran die Bundesrepublik - hätte allerdings das vorschnelle, stereotype Urteil über das amerikanische Sozialmodell quasi als Bestätigung für die Richtigkeit des europäischen Gesellschaftsmodells differenzierter ausfallen müssen. Die wachsende Kluft zwischen der amerikanischen und europäischen wirtschaftlichen Entwicklung in den letzten Jahren gibt dem vielgescholtenen neoliberalen Wirtschaftsmodell der Vereinigten Staaten in vielen Punkten recht; im übrigen ist der Anteil der Sozialausgaben am Gesamthaushalt auch in den Vereinigten Staaten in den neunziger Jahren kontinuierlich von 42 auf knapp 50 Prozent gestiegen.

Als zweites Beispiel für eine Öffnung der europäischen Politik für Ziele und Rationalitätskriterien jenseits der Ökonomie schildert die Verfasserin den Wandel in der europäischen Umweltpolitik. Die Mitgliedstaaten der "Grünen Troika" der Niederlande, Dänemarks und Deutschlands, das Engagement der Kommission und internationale Konferenzen gaben ihr in den vergangenen Jahren die wesentlichen Impulse. Vorläufiger Höhepunkt dieser Entwicklung waren die Impulse durch die EU für einen Kompromiß in den internationalen Verhandlungen über das Kyoto-Protokoll. Als wesentliches Defizit der europäischen Umweltpolitik wird die mangelhafte Umsetzung der vielfältigen Programme gewertet, die nicht zuletzt auf deren ineffiziente Koordinierung und ungenügende Berücksichtigung der finanziellen Möglichkeiten der Mitgliedstaaten zurückzuführen ist. So erhalten Österreich und Deutschland mit einer vergleichsweise günstigen Situation der Umwelt höhere Beihilfen für die Umweltpolitik als Spanien und Griechenland, die große Umweltprobleme haben, ohne sich die Kofinanzierung leisten zu können.

Die Entwicklungen in der Sozial- und Umweltpolitik signalisieren nach Ansicht von Landfried, daß Fragen der Politikgestaltung nicht mehr verdrängt werden können. Europa wird auch von den Bürgern längst nicht mehr als ein rein technisches Projekt betrachtet. Es gibt mittlerweile so etwas wie eine europäische Öffentlichkeit, die ihren signifikantesten Ausdruck in der aktuellen Diskussion über eine europäische Verfassung findet. Bei ihr geht es nicht mehr um Details einzelner Politikbereiche, sondern um eine demokratische Gesamtordnung, mit der sich die Bürger identifizieren können. Ob die steigende Tendenz in Brüssel in Richtung eines Plädoyers für eine stärkere Berücksichtigung der Sozial- und der Umweltpolitik dafür tatsächlich Ausdruck ist, ist indes fraglich. Die Kommission braucht nach der Verwirklichung der Wirtschafts- und Währungsunion so etwas wie ein neues Gemeinschaftsprojekt - nicht zuletzt im Kompetenzgerangel mit dem Europäischen Rat. Dieses zeigt allerdings bereits, daß die künftigen Schritte schwerer werden und die Tendenz zu einer verstärkten zwischenstaatlichen Zusammenarbeit eher zunehmen.

STEFAN FRÖHLICH

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 26.09.2003

Das Gerippe der Union
Europa hat Potenzial, wenn es seine Interessen bündelt
CHRISTINE LANDFRIED: Das politische Europa. Differenz als Potenzial der Europäischen Union. Nomos-Verlag, Baden-Baden 2002. 400 Seiten, 49 Euro.
Der Maler Max Ernst als Europa- Visionär? Sein Ölbild „Grätenblumen” hat sich Christine Landfried als Illustration für ihr Buch über das „politische Europa” ausgesucht. Auf den ersten Blick ergibt das eine kuriose Kombination aus Gräten und Räten: Was haben das Gemälde mit seinen Fischgerippen und die EU-Kommission oder die EU-Richtlinien miteinander zu tun?
Die Hamburger Politikwissenschaftlerin gibt eine Antwort: Aus den „Gräten” des rein wirtschaftlich definierten Binnenmarktes entsteht allmählich auch eine politische Ordnung – trotz aller Unterschiede in den bald 25 Mitgliedsstaaten. Die Differenzen in der EU – sie sind der rote Faden in dieser Abhandlung. Christine Landfried findet nicht, dass die vielen unterschiedlichen Traditionen und nationalen Interessen eine gute politische Ordnung behindern. Im Gegenteil: Differenzen, meint sie, können ein Potenzial sein, wenn es am Ende gelingt, den Wettbewerb der Ideen in einen Gesamtentwurf einzubinden. Am Beispiel der Sozialpolitik, der Umweltpolitik und der Kulturpolitik beschreibt sie, wie es trotz der Differenzen in Europa zu gemeinsamen und auch vernünftigen Gesetzen und Programmen gekommen ist.
Das Buch setzt sich somit deutlich ab von den beliebten Katastrophengemälden, in denen die EU entweder als bürokratischer Superstaat erscheint oder als träges Konstrukt, das immer wieder durch nationale Eitelkeiten blockiert wird. Allenfalls könnte man der Autorin vorwerfen, dass ihre Vision eines sozialen, ökologischen und kulturell vielseitigen Staatenverbunds vielleicht zu optimistisch ist. Doch die Wissenschaftlerin hat ihren Entwurf gleich selbst mit einem großen Aber ausgestattet: Die Differenzen in der Europäischen Union, so schreibt sie, können nur dann zu einem echten Potenzial werden, wenn der Versuch, sie zusammenzuführen, nicht eine Sache der Eliten bleibt, sondern zu einer echten, demokratischen Aufgabe wird. Die Kontrolle der europäischen Politik dürfe nicht allein dem Europaparlament überlassen bleiben. Auch die nationalen Parlamente, die näher bei den Bürgern sind, müssten eine wichtige Rolle in Europa übernehmen.
Cornelia Bolesch
SZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
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Perlentaucher-Notiz zur NZZ-Rezension

Als "ebenso intensive wie originelle" Arbeit über die EU als "Problemlösungsverbund" würdigt Rezensent Leonhard Neidhart das Buch "Das politische Europa" der Politikwissenschafterin Christine Landfried. Auch wenn es dem Normalleser etwas "weitschweifig" erscheinen möge, Neidhart findet das Buch "gut lesbar". Besonders gefällt ihm, dass Landfried nicht erst das "ganze Arsenal von Theorien" wiederholt, sondern gleich zum Thema kommt und "sachbezogen" schreibt. Wie Neidhart ausführt, analysiert Landfried, in wie weit eine Politikform der "demokratischen Kommunikation über Differenz" in der EU bereits praktiziert wird und wie die Institutionen beschaffen sein müssen, damit "demokratische Kommunikation über Differenz" möglich wird. Landfrieds Vorschlag, eine "Konferenz der Parlamente in Europa" für eine "demokratische Kommunikation" zu schaffen, erscheint unserem Rezensenten sinnvoll.

© Perlentaucher Medien GmbH