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Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 13.11.2002

Vom Plan- zum Clansystem
Sebastian Heilmanns Analyse der chinesischen Politik

Sebastian Heilmann: Das politische System der Volksrepublik China. Westdeutscher Verlag, Wiesbaden 2002. 304 Seiten, 19,90 [Euro].

In Peking wird in dieser Woche ein neues Politbüro gekürt, und wie stets bei kommunistischen Parteitagen kursieren über dieses Ereignis viele Spekulationen. Im leninistisch organisierten Parteistaat bleibt der Prozeß der Machtübergabe ein Arkanum, in den höchsten Führungsgremien der Volksrepublik ist die Nachfolge nach wie vor nicht institutionalisiert. Dennoch hat China unter dem scheidenden Staats- und Parteichef Jiang Zemin sein Gesicht verändert. Das wirtschaftliche und gesellschaftliche Leben ist moderner, die politische Willensbildung berechenbarer und transparenter geworden. In der Führung hat sich in den vergangenen Jahren ein kollektiver und pragmatischer Führungsstil herausgebildet, die Einsetzung der oft so genannten "vierten Führungsgeneration" auf diesem Parteitag war von langer Hand geplant.

Chinesische Quellen sind heute leichter zugänglich als noch vor wenigen Jahren. Was man aus diesem Material machen kann, zeigt Sebastian Heilmann. "Das politische System der Volksrepublik China" ist in der deutschsprachigen Literatur kaum jemals so nüchtern, so strukturiert und zugleich so umfassend beschrieben worden. Er zeigt, daß man über China heute mehr wissen kann, als oft angenommen wird, und er macht es zu seinem Anliegen, verbreitete "China-Zerrbilder" zurechtzurücken. Dazu zählt er die Vorstellung, nach der es sich bei der Volksrepublik um eine monolithische Diktatur handele, ebenso wie den im Westen verbreiteten Glauben an Chinas unaufhaltsamen wirtschaftlichen Aufstieg sowie die Unterstellung eines politischen Umsturzwillens in der Bevölkerung.

Heilmann scheut sich nicht, die Organisationsprinzipien des chinesischen Staats- und Parteiapparates bis in die trockenen Einzelheiten darzulegen; seine Erkenntnisse bündelt er in aufschlußreichen Tabellen. Wo er auf Erklärungsschwierigkeiten stößt, vermeidet er den Fehler, sich auf Intransparenz oder Andersartigkeit herauszureden. Statt dessen hat er für überraschende Unterbrechungen der Konsenssuche im politischen Alltag durch scheinbar irrationale Weisungen aus der Führungsspitze den Begriff des "Krisenmodus" gefunden, in den die chinesische Führung stets dann überwechsele, wenn es um Fragen der nationalen Stabilität gehe. Ein Beispiel dafür ist die Verfolgung der Kultbewegung Falun Gong, die Jiang Zemin zu seiner Chefsache gemacht hatte.

Aus der internationalen China-Forschung übernimmt der Autor das Konzept des "fragmentierten Autoritarismus". In China setzten die Bemühungen um Wirtschaftsreformen, die in diesem Jahr in Chinas Beitritt zur Welthandelsorganisation ihre vorläufige Krönung fanden, die Dezentralisierung wirtschaftspolitischer Entscheidungskompetenz voraus. Dies führte zu einem Machtzuwachs auf regionaler Ebene, von dem vor allem die Führer der wirtschaftlich erfolgreichen Küstenprovinzen profitierten. Heilmann hält eine Entwicklung hin zu einer föderalen Ordnung in China deshalb langfristig nicht für unwahrscheinlich. Auch der Zugriff des chinesischen Staates auf den einzelnen Bürger hat sich mit der Liberalisierung des Arbeitsmarktes und der damit einhergehenden gesellschaftlichen Pluralisierung verringert. Doch warnt Heilmann vor verfrühten Erwartungen an die politische Mündigkeit einer entstehenden Mittelschicht - zumal die chinesische Regierung gerade die Vertreter dieser neuen Wohlstandselite erfolgreich in ihre "sozialistische Marktwirtschaft" eingebunden hat.

Auch nationalistische Ideen dienen in China als Ideologieersatz und wirken in breiten Bevölkerungsschichten identitätsstiftend. Außenpolitische Erfolge wie das professionellere Auftreten der chinesischen Regierung in internationalen Organisationen, mit denen sie zuverlässiger zusammenarbeitet als oft angenommen, wirken nach innen zurück. Legitimität erlangte das Regime nach Heilmann in jüngster Zeit außerdem durch innenpolitische Erfolge wie die Erhaltung der Währungsstabilität während der Asien-Krise oder die verbesserte staatliche Hilfe bei Naturkatastrophen.

Trotz allem kommt Heilmann zu dem Schluß, daß sich eine dauerhafte politische Stabilisierung in China nicht abzeichnet. Zu den Herausforderungen, an denen die chinesische Führung in der Zukunft scheitern könnte, zählt er die nötige Umstrukturierung der Staatsunternehmen und Banken, die Errichtung sozialer Sicherungssysteme sowie die Verbesserung der Einkommen der Bauern. Er hält eine politische Erneuerung von außen für unwahrscheinlich und zweifelt an der Wandlungsfähigkeit der Partei, deren organisatorische und ideologische Aushöhlung zur Herausbildung eines Schattensystems mit teils mafiosen Strukturen geführt habe - "vom Plansystem zum Clansystem". Es spricht auch für die Seriosität der Analyse, daß Heilmann "weder den Aufstieg Chinas zur Supermacht noch Chinas bevorstehenden Kollaps prophezeit".

SABINE MUSCAT

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Die Rezensentin Sabine Muscat stört sich an zwei angeblich gängigen "China-Zerrbildern", die in der deutschsprachigen Wissenschaftsliteratur entstanden sind - nämlich dass China eine "monolithische Diktatur" sei und "einen unaufhaltsamen wirtschaftlichen Aufstieg" durchlaufe. Heilmanns Buch, so die Rezensentin, tauche ein bisschen tiefer in die chinesischen Institutionen ein als die gängige Überblicksliteratur. Deshalb lobt sie dieses Buch, das sich nicht scheue, die Organisationsprinzipien des chinesischen Staates- und Parteiapparates bis in die trockenen Einzelheiten darzulegen". Akribisch arbeite der Buchautor die "Dezentralisierung der wirtschaftlichen Entscheidungskompetenzen" heraus, ebenso wie die Legitimität, die das Regime jüngst durch "innenpolitische Erfolge wie die Erhaltung der Währungsstabilität während der Asien-Krise" erlangt habe. Der Autor komme zu dem Schluss, dass sich weder eine politische noch eine wirtschaftliche Stabilisierung in China abzeichne und die Rezensentin hält seine Analyse deshalb für seriös, weil sie "weder den Aufstieg Chinas zur Supermacht noch Chinas bevorstehenden Kollaps prophezeit".

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