Ernst Majonia, MdB 1950-1972, war seinerzeit einer der profilierten Parlamentarier der "Bonner Republik". Was er als China-Experte zur Bedeutung des Fernen Ostens für die deutsche und europäische Politik niederschrieb, kann zu einem erheblichen Teil auch heute noch Gültigkeit beanspruchen. Die Tagebücher dokumentieren zugleich den zermürbenden Alltag eines Abgeordneten zwischen Sitzungen und Wahlkämpfen.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 31.01.2011Härtegrad
Das Majonica-Tagebuch
Von 1950 bis 1955 Bundesvorsitzender der Jungen Union, von 1950 bis 1972 Mitglied des Bundestags, von 1979 bis 1984 Mitglied des Europäischen Parlaments: Doch wer weiß heute noch etwas mit dem Namen Ernst Majonica anzufangen - am 29. Oktober 1920 geboren in Soest, am 21. Juli 1997 verstorben ebendort? Muss dessen Tagebuch mit umfangreichem Anmerkungsapparat publiziert werden, zumal es sich um eine "die politischen Inhalte zusammenführende Komposition" der Bearbeiter handelt? Ja, der Aufwand hat sich gelohnt. Die Aufzeichnungen von 1958 bis 1972 bieten ernüchternde Einblicke in den Alltag eines Abgeordneten, der sich von Plenumsaktivitäten, Ausschussaufgaben, Parteigremiensitzungen, Wahlkreisauftritten und Pressearbeit zermürben ließ, im Auswärtigen Ausschuss als Fachmann für den Nahen Osten und Ostasien galt und seine Reisen zu vermarkten verstand. "Er rastet nicht und rostet nicht", so lautete die Überschrift eines Porträts, mit dem Walter Henkels 1962 in dieser Zeitung den Vorsitzenden des "Arbeitskreises V der CDU/CSU-Fraktion für Auswärtiges, Gesamtdeutsches und Verteidigungsfragen" vorstellte.
Zu Beginn seiner Karriere war der Rechtsanwalt ein großer Bewunderer von Bundeskanzler Adenauer, dessen Frankreichpolitik und De-Gaulle-Nähe jedoch zu einer Abkehr führte. Zudem stieß sich Majonica daran, dass der greise Patriarch von Rhöndorf den seit Oktober 1963 amtierenden Regierungschef Ludwig Erhard aus "Hass und Neid" durch einen "Interviewkrieg" demontiert habe. Im Oktober 1965 wurde Majonica kurz als Bundesminister für gesamtdeutsche Fragen genannt; später hoffte er vergeblich, im Auswärtigen Dienst unterzukommen. Als Erhard Ende 1966 scheiterte und man in der Fraktion über die Kanzlerfrage diskutierte, schloss der Soester Abgeordnete nicht aus, dass der Noch-Amtsinhaber "viele Schwierigkeiten" machen könne, denn: "Einem Toten kann man nicht mit Beerdigung drohen." Wenige Tage danach referierte der designierte Regierungschef Kurt Georg Kiesinger im Arbeitskreis V über Deutschlandpolitik: "Er spricht mir zu viel davon, wie hart er sei. Über Härte spricht man nicht", hielt Majonica fest. Nach Bildung der SPD/FDP-Koalition im Herbst 1969 verurteilte Majonica jene Oppositionstaktik, die die Ost- und Deutschlandpolitik zum Hauptangriffsziel gegen die Regierung Brandt/Scheel machte - was zu seiner Isolierung in der CDU/CSU-Fraktion führte. "Aber ich bin nicht in der Lage, auf meine eigene Analyse zu verzichten. Was auch kommen mag, ich werde niemals den Kopf unter den Arm nehmen", notierte er im September 1971. Nicht alle Zeitgenossen schätzten Majonicas zuweilen exzessiven Humor, der ihm sogar den Spitznamen "Bundeswitzminister" einbrachte.
RAINER BLASIUS
Ernst Majonica: Das politische Tagebuch 1958-1972. Bearbeitet von Hans-Otto Kleinmann und Christopher Beckmann. Droste Verlag, Düsseldorf 2011. 765 S., 80,- [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Das Majonica-Tagebuch
Von 1950 bis 1955 Bundesvorsitzender der Jungen Union, von 1950 bis 1972 Mitglied des Bundestags, von 1979 bis 1984 Mitglied des Europäischen Parlaments: Doch wer weiß heute noch etwas mit dem Namen Ernst Majonica anzufangen - am 29. Oktober 1920 geboren in Soest, am 21. Juli 1997 verstorben ebendort? Muss dessen Tagebuch mit umfangreichem Anmerkungsapparat publiziert werden, zumal es sich um eine "die politischen Inhalte zusammenführende Komposition" der Bearbeiter handelt? Ja, der Aufwand hat sich gelohnt. Die Aufzeichnungen von 1958 bis 1972 bieten ernüchternde Einblicke in den Alltag eines Abgeordneten, der sich von Plenumsaktivitäten, Ausschussaufgaben, Parteigremiensitzungen, Wahlkreisauftritten und Pressearbeit zermürben ließ, im Auswärtigen Ausschuss als Fachmann für den Nahen Osten und Ostasien galt und seine Reisen zu vermarkten verstand. "Er rastet nicht und rostet nicht", so lautete die Überschrift eines Porträts, mit dem Walter Henkels 1962 in dieser Zeitung den Vorsitzenden des "Arbeitskreises V der CDU/CSU-Fraktion für Auswärtiges, Gesamtdeutsches und Verteidigungsfragen" vorstellte.
Zu Beginn seiner Karriere war der Rechtsanwalt ein großer Bewunderer von Bundeskanzler Adenauer, dessen Frankreichpolitik und De-Gaulle-Nähe jedoch zu einer Abkehr führte. Zudem stieß sich Majonica daran, dass der greise Patriarch von Rhöndorf den seit Oktober 1963 amtierenden Regierungschef Ludwig Erhard aus "Hass und Neid" durch einen "Interviewkrieg" demontiert habe. Im Oktober 1965 wurde Majonica kurz als Bundesminister für gesamtdeutsche Fragen genannt; später hoffte er vergeblich, im Auswärtigen Dienst unterzukommen. Als Erhard Ende 1966 scheiterte und man in der Fraktion über die Kanzlerfrage diskutierte, schloss der Soester Abgeordnete nicht aus, dass der Noch-Amtsinhaber "viele Schwierigkeiten" machen könne, denn: "Einem Toten kann man nicht mit Beerdigung drohen." Wenige Tage danach referierte der designierte Regierungschef Kurt Georg Kiesinger im Arbeitskreis V über Deutschlandpolitik: "Er spricht mir zu viel davon, wie hart er sei. Über Härte spricht man nicht", hielt Majonica fest. Nach Bildung der SPD/FDP-Koalition im Herbst 1969 verurteilte Majonica jene Oppositionstaktik, die die Ost- und Deutschlandpolitik zum Hauptangriffsziel gegen die Regierung Brandt/Scheel machte - was zu seiner Isolierung in der CDU/CSU-Fraktion führte. "Aber ich bin nicht in der Lage, auf meine eigene Analyse zu verzichten. Was auch kommen mag, ich werde niemals den Kopf unter den Arm nehmen", notierte er im September 1971. Nicht alle Zeitgenossen schätzten Majonicas zuweilen exzessiven Humor, der ihm sogar den Spitznamen "Bundeswitzminister" einbrachte.
RAINER BLASIUS
Ernst Majonica: Das politische Tagebuch 1958-1972. Bearbeitet von Hans-Otto Kleinmann und Christopher Beckmann. Droste Verlag, Düsseldorf 2011. 765 S., 80,- [Euro].
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