Der zentrale Gegenstand und gleichzeitig das Subjekt dieses Buches ist Ludwig XIV.: der König als unbeschränkter Monarch - oder vielmehr der, der sich als solcher repräsentiert. Wie das Phantasma eines einzigen Körpers des Fürsten sich begründet, wie die symbolische Gewalt seines Eigennamens sich ausübt, zeigt Louis Marin, indem er das aus einer langen religiösen und juridischen Tradition des Reichs und der Kirche überkommene theologische Modell des eucharistischen Körpers auf so verschiedene Objekte anwendet wie die offizielle Geschichte, das Königslob, die Medaille des Fürsten oder seine Unterhaltungen. Entlang von Pascals Reflexionen über das Verhältnis zwischen Gewalt und Gerechtigkeit weist Marin auf, wie dieses Modell eben das, was es begründen und legitimieren will, in Frage stellt: Wenn der König einzig in repräsentativer Form real präsent ist, findet er das Absolute seiner Macht nur, indem er zu seinem eigenen Bild wird, indem er seinen Namen signiert.
»Ist das Bild des Königs nicht selbst schon ein Pleonasmus? Und ist nicht der König ohnehin nichts anderes als sein eigenes Bild? Ist er anderes als der Repräsentationseffekt, der ihn gerade eben zum König macht?« Michel Thévoz, Le Monde
Hinweis: Dieser Artikel kann nur an eine deutsche Lieferadresse ausgeliefert werden.
»Ist das Bild des Königs nicht selbst schon ein Pleonasmus? Und ist nicht der König ohnehin nichts anderes als sein eigenes Bild? Ist er anderes als der Repräsentationseffekt, der ihn gerade eben zum König macht?« Michel Thévoz, Le Monde
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 03.02.2006Des Königs Tanz um die Macht
Louis Marins Streifzug durch die Epoche Ludwigs XIV.
Es ist ein umständliches Buch, das sich dem eiligen Leser nicht gerade aufdrängt. Doch der Ertrag lohnt die Mühe der geduldigen Lektüre allemal. Bereits 1981 veröffentlichte der französische Philosoph Louis Marin "Das Porträt des Königs" im französischen Originaltext (Le Portrait du roi), 1988 erschien eine englische Übersetzung; nun folgt die deutschsprachige Ausgabe, so daß sich auch hierzulande kein Student der Geisteswissenschaften, der in seiner Seminararbeit zur Kultur der Epoche Ludwigs XIV. Marins Ausführungen über "le chiasme" von Macht und Repräsentation übergeht, mehr damit herausreden kann, seine Fremdsprachenkenntnisse seien diesen hypotaktischen Ergüssen einfach nicht gewachsen. Hans Jatho war es um so mehr und übersetzte das Buch, welches als Marins eigentliches Hauptwerk angesehen wird, ins Deutsche.
Ganz bestimmt geht es auch einfacher, wie Peter Burke in seinem Buch "Ludwig XIV. Die Inszenierung des Sonnenkönigs" vormachte, das auch noch unter dem seichten Licht der Nachttischlampe einen Eindruck jener Medienmaschinerie vermittelte, welche den Sonnenkönig "fabrizierte". Doch wo Burke nur das Panorama der Phänomene beschreibt, also gerade einmal an der Oberfläche zu kratzen beginnt, setzt Marin das semiologische Seziermesser an, um anhand dieser Phänomene den Beziehungen zwischen Macht und Repräsentation im absolutistischen Regime "in einer zugleich philosophischen und historischen Reflexion" auf den Grund zu gehen.
Wenn Marin vom "Porträt des Königs" spricht, so meint er nicht gar ein Gemälde, auch wenn den Einband - wie sollte es anders sein - Hyacinthe Rigauds Altersporträt des Königs von 1701 ziert, sondern die Gesamtheit des Bildes, das die unterschiedlichen Medien vom König vermittelten, der "wahrhaft König, will sagen Monarch" nur in diesen Bildern ist; nur in der Repräsentation erreicht er die absolute Macht.
Denn die Macht selbst, so erklärt Marin, ist eine Repräsentation - die Repräsentation der absoluten Gewalt durch Zeichen, welche die gewaltsame Handlung ersetzen. Die Macht entbehrt also grundsätzlich der Absolutheit, strebt jedoch unaufhörlich nach ihr und findet ihre imaginäre Erfüllung in der Repräsentation, deren erste Funktion damit die Ersetzung eines Mangels ist. Gleichzeitig legitimiert sie als Zeichen des Vermögens zu absoluter Gewalt die Macht, verstärkt sie in ihrer Präsenz und bringt sie damit der Absolutheit näher. Die Repräsentation ist Macht, und die Macht ist Repräsentation, lautet darum die Grundthese des Buches und der Chiasmus, der Marins Schriften durchzieht.
"Dies ist mein Leib" - das eucharistische Motiv ist nach Kantorowicz Modell für die Theorie des Königtums. Der König im Mittelalter hatte noch zwei Körper, einen sterblichen und einen symbolischen, der in der Weitergabe der Königswürde an den Nachfolger kontinuierlich fortdauert, unsterblich ist. Der Sonnenkönig indessen hat in Fortschreibung einer von Kantorowicz für den Absolutismus vorgeschlagenen These "bloß noch einen Körper, aber dieser einzige Körper vereint in Wahrheit drei". Die sonnenkönigliche Dreifaltigkeit teilt sich nämlich in die physische Präsenz des Königs, den Staatskörper und das Bild vom König, wobei aber letzteres die ersten beiden Dimensionen des königlichen Körpers in sich zu vereinen suche.
"Das Bild Cäsars ist Cäsar", schrieben die Logiker von Port Royal, "Der Staat bin ich", behauptete der junge Ludwig XIV. 1655 im Parlament und überträgt das Bild vom absoluten Monarchen auf seine bis dahin "nur wenig respektierte Person" (Voltaire) - beide Sätze bedeuten zusammen die Übertragung der eucharistischen Aussage ins Politisch-Juridische: "Ludwig wird als Königsporträt plötzlich König."
Seine einleitend dargelegte Theorie veranschaulicht Marin sodann anhand unterschiedlicher Medien und analysiert die entsprechenden kulturgeschichtlichen Diskurse. Die Wanderung durch die Kultur des französischen siebzehnten Jahrhunderts, die kein Spaziergang, sondern ein wirklich beschwerlicher Marsch ist, führt vorbei an der Historiographie, der panegyrischen Dichtung, Charles Perraults Märchen von der "Eselshaut", Jean de La Fontaines Fabel von Fuchs und Rabe. Berichtet wird über die Prägung von Medaillen, die die Taten Ludwigs XIV. als Motiv haben, über Jacques Gombousts Parisplan von 1652, über Félibiens Beschreibung von Schloß Versailles und der dort veranstalteten Feste sowie über die Darstellung des Königs in der Malerei. Dabei bleibt der Weg das Ziel und endet notwendig, wo er begonnen hat, denn die absolute Macht ist nur faßbar in der Repräsentation, die diesem Phantasma unendlich hinterherjagt, weil ihre eigene Existenz wiederum von der Autorisierung durch die Instanz der Macht abhängt.
Dieses unauflösliche Verhältnis "reziproker Subordination" verdeutlicht der Autor beispielsweise anhand des Briefes, den Paul Pellisson an Colbert adressierte und in dem er um den Auftrag zur Verfassung einer Geschichte Ludwigs XIV. wirbt. Um sein Ziel zu erreichen, skizziert Pellisson sein Projekt in einer Weise, die dem König die Abhängigkeit seines Ruhms von der Erzählung seiner Taten suggerieren und dem Leser die wechselseitige Abhängigkeit der "Macht des Narrators der königlichen Geschichte und der des Akteurs dieser Geschichte" klarmachen soll. Das sich hier offenbarende Verhältnis des Intellektuellen zum Staat bewertet Marin selbst als "noch heute nicht ohne praktischen Wert".
Von unschätzbarem Wert jedenfalls ist Marins Buch aufgrund seines Verdienstes, die wichtige Stellung der Künste im barocken Absolutismus nicht einfach nur festgestellt, sondern in einer Genauigkeit nachgewiesen zu haben, die ihresgleichen sucht.
KRISTINA DEUTSCH
Louis Marin: "Das Porträt des Königs". Aus dem Französischen von Hans Jatho. Diaphanes Verlag, Zürich, Berlin 2005. 446 S., Abb., geb., 49,- [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Louis Marins Streifzug durch die Epoche Ludwigs XIV.
Es ist ein umständliches Buch, das sich dem eiligen Leser nicht gerade aufdrängt. Doch der Ertrag lohnt die Mühe der geduldigen Lektüre allemal. Bereits 1981 veröffentlichte der französische Philosoph Louis Marin "Das Porträt des Königs" im französischen Originaltext (Le Portrait du roi), 1988 erschien eine englische Übersetzung; nun folgt die deutschsprachige Ausgabe, so daß sich auch hierzulande kein Student der Geisteswissenschaften, der in seiner Seminararbeit zur Kultur der Epoche Ludwigs XIV. Marins Ausführungen über "le chiasme" von Macht und Repräsentation übergeht, mehr damit herausreden kann, seine Fremdsprachenkenntnisse seien diesen hypotaktischen Ergüssen einfach nicht gewachsen. Hans Jatho war es um so mehr und übersetzte das Buch, welches als Marins eigentliches Hauptwerk angesehen wird, ins Deutsche.
Ganz bestimmt geht es auch einfacher, wie Peter Burke in seinem Buch "Ludwig XIV. Die Inszenierung des Sonnenkönigs" vormachte, das auch noch unter dem seichten Licht der Nachttischlampe einen Eindruck jener Medienmaschinerie vermittelte, welche den Sonnenkönig "fabrizierte". Doch wo Burke nur das Panorama der Phänomene beschreibt, also gerade einmal an der Oberfläche zu kratzen beginnt, setzt Marin das semiologische Seziermesser an, um anhand dieser Phänomene den Beziehungen zwischen Macht und Repräsentation im absolutistischen Regime "in einer zugleich philosophischen und historischen Reflexion" auf den Grund zu gehen.
Wenn Marin vom "Porträt des Königs" spricht, so meint er nicht gar ein Gemälde, auch wenn den Einband - wie sollte es anders sein - Hyacinthe Rigauds Altersporträt des Königs von 1701 ziert, sondern die Gesamtheit des Bildes, das die unterschiedlichen Medien vom König vermittelten, der "wahrhaft König, will sagen Monarch" nur in diesen Bildern ist; nur in der Repräsentation erreicht er die absolute Macht.
Denn die Macht selbst, so erklärt Marin, ist eine Repräsentation - die Repräsentation der absoluten Gewalt durch Zeichen, welche die gewaltsame Handlung ersetzen. Die Macht entbehrt also grundsätzlich der Absolutheit, strebt jedoch unaufhörlich nach ihr und findet ihre imaginäre Erfüllung in der Repräsentation, deren erste Funktion damit die Ersetzung eines Mangels ist. Gleichzeitig legitimiert sie als Zeichen des Vermögens zu absoluter Gewalt die Macht, verstärkt sie in ihrer Präsenz und bringt sie damit der Absolutheit näher. Die Repräsentation ist Macht, und die Macht ist Repräsentation, lautet darum die Grundthese des Buches und der Chiasmus, der Marins Schriften durchzieht.
"Dies ist mein Leib" - das eucharistische Motiv ist nach Kantorowicz Modell für die Theorie des Königtums. Der König im Mittelalter hatte noch zwei Körper, einen sterblichen und einen symbolischen, der in der Weitergabe der Königswürde an den Nachfolger kontinuierlich fortdauert, unsterblich ist. Der Sonnenkönig indessen hat in Fortschreibung einer von Kantorowicz für den Absolutismus vorgeschlagenen These "bloß noch einen Körper, aber dieser einzige Körper vereint in Wahrheit drei". Die sonnenkönigliche Dreifaltigkeit teilt sich nämlich in die physische Präsenz des Königs, den Staatskörper und das Bild vom König, wobei aber letzteres die ersten beiden Dimensionen des königlichen Körpers in sich zu vereinen suche.
"Das Bild Cäsars ist Cäsar", schrieben die Logiker von Port Royal, "Der Staat bin ich", behauptete der junge Ludwig XIV. 1655 im Parlament und überträgt das Bild vom absoluten Monarchen auf seine bis dahin "nur wenig respektierte Person" (Voltaire) - beide Sätze bedeuten zusammen die Übertragung der eucharistischen Aussage ins Politisch-Juridische: "Ludwig wird als Königsporträt plötzlich König."
Seine einleitend dargelegte Theorie veranschaulicht Marin sodann anhand unterschiedlicher Medien und analysiert die entsprechenden kulturgeschichtlichen Diskurse. Die Wanderung durch die Kultur des französischen siebzehnten Jahrhunderts, die kein Spaziergang, sondern ein wirklich beschwerlicher Marsch ist, führt vorbei an der Historiographie, der panegyrischen Dichtung, Charles Perraults Märchen von der "Eselshaut", Jean de La Fontaines Fabel von Fuchs und Rabe. Berichtet wird über die Prägung von Medaillen, die die Taten Ludwigs XIV. als Motiv haben, über Jacques Gombousts Parisplan von 1652, über Félibiens Beschreibung von Schloß Versailles und der dort veranstalteten Feste sowie über die Darstellung des Königs in der Malerei. Dabei bleibt der Weg das Ziel und endet notwendig, wo er begonnen hat, denn die absolute Macht ist nur faßbar in der Repräsentation, die diesem Phantasma unendlich hinterherjagt, weil ihre eigene Existenz wiederum von der Autorisierung durch die Instanz der Macht abhängt.
Dieses unauflösliche Verhältnis "reziproker Subordination" verdeutlicht der Autor beispielsweise anhand des Briefes, den Paul Pellisson an Colbert adressierte und in dem er um den Auftrag zur Verfassung einer Geschichte Ludwigs XIV. wirbt. Um sein Ziel zu erreichen, skizziert Pellisson sein Projekt in einer Weise, die dem König die Abhängigkeit seines Ruhms von der Erzählung seiner Taten suggerieren und dem Leser die wechselseitige Abhängigkeit der "Macht des Narrators der königlichen Geschichte und der des Akteurs dieser Geschichte" klarmachen soll. Das sich hier offenbarende Verhältnis des Intellektuellen zum Staat bewertet Marin selbst als "noch heute nicht ohne praktischen Wert".
Von unschätzbarem Wert jedenfalls ist Marins Buch aufgrund seines Verdienstes, die wichtige Stellung der Künste im barocken Absolutismus nicht einfach nur festgestellt, sondern in einer Genauigkeit nachgewiesen zu haben, die ihresgleichen sucht.
KRISTINA DEUTSCH
Louis Marin: "Das Porträt des Königs". Aus dem Französischen von Hans Jatho. Diaphanes Verlag, Zürich, Berlin 2005. 446 S., Abb., geb., 49,- [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
»Louis Marins medienphilosophische Analyse des Absolutismus gehört zu einer für die Kulturwissenschaften immer wichtiger werdenden Forschungsrichtung, die das Geheimnis politischer Macht nicht in der Potenz zu herrschen sieht, sondern in der Konstruktion des Ästhetischen, die es erlaubt, eine imaginäre Ordnung zu erzeugen. Ein kulturwissenschaftliches Standardwerk vor.« Leander Scholz, Deutschlandfunk