'Schlösser zu Aufmarschplätzen' unter diesem Motto wurde 1959/60 die Ruine des Potsdamer Stadtschlosses abgerissen. Potsdam verlor damit sein eigentliches Zentrum, Ausgangspunkt seines politischen wie kulturellen Aufstiegs, die in diesem Band erstmals veröffentlichten Photographien rufen Erinnerungen an eines der bedeutendsten Werke friderizianischen Rokokos wach.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 02.06.1998Die Götter Roms auf allen Dächern und Simsen
Laute Trommelwirbel in Voltaires Studierzimmer: Andenken an das Potsdamer Stadtschloß
Potsdams Stadtschloß war keine Auferstehung aus Ruinen beschieden. Seiner Zerstörung durch englische Bomber im April 1945 folgte fünfzehn Jahre später der Abriß bis auf die Grundmauern, eine Entscheidung der SED. Seit der Wende wird über seinen Wiederaufbau diskutiert, bisher ohne Ergebnis. Statt dessen liegt jetzt eine Monographie vor, die dem Andenken des Gebäudes gewidmet ist: dem Werk mehrerer Herrscher- und Künstlergenerationen, aber vor allem der Schöpfung Friedrichs des Großen.
Der Verfasser, Hans-Joachim Giersberg, mißbilligt sämtliche späteren Eingriffe. Nicht einmal einen Tapetenwechsel möchte er akzeptieren. Im Hinblick auf die Umbaupläne Friedrich Wilhelms IV., die den friderizianischen Pomp christianisieren wollten, stellt der Kunsthistoriker fest: "Glücklicherweise wurden sie nicht realisiert." Offenbar meint er, daß die Hinterlassenschaft sofort nach Friedrichs Tod hätte unter Schutz gestellt werden müssen, Architektur und Interieurs für alle Ewigkeit im Zustand von 1786. Gleichzeitig schätzt er den Schicksalsschlag, der die Stadt ihres Schlosses beraubte, nicht nur als Vernichtung einer musealen Stätte ein, sondern erklärt, daß Potsdam seither kein Herz mehr besitze. Folgt man der Argumentation, muß das Bauwerk sowohl Denkmal als auch Lebensmuskel gewesen sein.
Das Mittelalter hatte in der havelländischen Gegend westlich vor Berlin bis ins siebzehnte Jahrhundert gedauert, ehe es wie ein Spuk von der Bildfläche verschwand. An seine Stelle trat die Idee des Gesamtkunstwerks: "das ganze Eiland als ein einziges Paradies". Der Große Kurfürst setzte die Potsdamer Kultivierung in Gang, und der Urenkel führte sie auf ihren doppelten Gipfel. Er schuf sich draußen in der Natur eine ideale Bleibe und weihte das Stadtschloß den Göttern und Helden. Am einen Ort war er Philosoph und spiegelte sich am anderen als Sonnenkönig von Preußen. Das Refugium steht noch, während als einziges Erinnerungsstück an die Prunkstätte der Marstall übriggeblieben ist.
Man muß sich die Schloßanlage zwischen Fluß und Stadt zwiegestaltig vorstellen: nach Norden zum Markt hin ein Hufeisen, das aus dem Corps de logis und den beiden Seitenflügeln besteht, nach Süden hin offen zur Natur beziehungsweise zum Exerzierplatz, der mit Lustgarten und Havelufer konkurrierte. Voltaire, der in eine Wohnung im Erdgeschoß unterhalb der Gemächer des Hausherrn einzog, berichtete nach Hause, daß Trommelschläge seine Arbeit begleiten.
Das Wahrzeichen war die barocke Schmuckmauer mit einem Glockenturm über dem Tor, das nach seiner Hauptfigur als Fortunaportal bezeichnet wurde und im Ensemble mit Kirche und Rathaus den Marktplatz ausbildete. Dagegen befand sich das Pendant im Süden in größtmöglicher Entfernung zu den Untertanen: Vor der Gartenfront führte eine hochgebaute Rampe die königlichen Gäste direkt in den Prunksaal des Hauses. Besucher, die heute denselben Weg stadteinwärts nehmen, registrieren den Wirrwarr in der Öde: jenseits der Einfahrtstraße die flache Stallung mit den sie krönenden Reiter- und Pferdegruppen und im Widerspruch zu ihr ein zwanzigstöckiges Hotel. Die Betonbrücke unterjocht das nahe Flußufer und den Zugang zum Wasser. In die Lücke, die diesen gegenwärtigen Anblick von den überlieferten Ansichten trennt, tritt Hans-Joachim Giersberg mit seinem Buch ein. Es ist eine Genesis von den mittelalterlichen Anfängen bis zum Exitus.
Zaudernd nach Potsdam
Der Verfasser ist Generaldirektor der Schlösser- und Gärtenstiftung Berlin-Brandenburg und hatte schon für seine Dissertation an der Humboldt-Universität einen friderizianischen Stoff gewählt: "Friedrich II. von Preußen als Bauherr und Baumeister". Im Ost-Berlin von 1975 war das ein politisch brisantes Thema. Zumal das Potsdamer Stadtschloß seit dem Abriß tabuisiert und die Aufmerksamkeit nur noch auf Sanssouci gelenkt wurde. Jetzt stellt Giersberg die historische Balance zwischen den beiden Stätten her: Draußen habe der König den Sommer über gewohnt, aber die Wintermonate vorwiegend in Potsdam verbracht.
Die Beziehung zu Berlin, Friedrichs Abneigung gegen das angestammte Schloß auf der Spree-Insel, wird nur flüchtig berührt. Dagegen ist ausdrücklich vom Zaudern des jungen Königs die Rede, welchen seiner entfernteren Wohnsitze er favorisieren sollte: Charlottenburg, Rheinsberg oder gar Neuruppin. Die Wahl fiel auf den Ort, der Nähe und Ferne in sich vereinte. Potsdam verdankt Friedrichs Bauleidenschaft die städtische Aufrichtung, die Anlage von Sanssouci und als zentrale Maßnahme den Umbau des Stadtschlosses auf dem Fundament der Vorgänger.
Text- und Abbildungsteil des Buchs verhelfen dem Leser nach und nach zu einer Kenntnis, als sei er durch das Haus gegangen und habe es draußen von allen Seiten erfaßt. Aber die Wanderung ist kein bloßes Vergnügen. Durch den Verzicht auf jede einladende Geste begibt sich der Verfasser in schroffen Gegensatz zu seinem Gegenstand. Das Schloß, wie Friedrich es hergestellt hat, war ebenso Palais royal wie Gästehaus und Hotel, dramatisch inszeniert mit den Göttern Roms auf allen Dächern und Simsen, pathetisch mit seiner Säulenzierde entlang der Außenmauern und tempelhaft mit den beiden vorgeblendeten Eckfassaden am Markt.
Die bildenden Künste bestimmten sein äußeres und inneres Wesen bis hin zu dem vergoldeten und versilberten Blendwerk in den Gemächern, die altmodisch Kammern genannt wurden. Der Hauptsaal stand im Zeichen des Großen Kurfürsten und seiner Taten. Auf dem Deckengemälde ließ der König den Ahnherrn verewigen, der zum Olymp auffährt, halb geschoben und halb gehoben von hilfreichen Putten und geleitet von einem nackten Greis als geflügeltem Adjutanten: ein Comicbild. Aber selbstverständlich enthält sich Giersberg jedes Lächelns angesichts der Apotheose.
Seine Zurückhaltung gegenüber Kunsturteilen geht so weit, daß er sich nicht einmal auf den Chefarchitekten Friedrichs des Großen berufen will, Baron von Knobelsdorff, der die Ausstattungshypertrophie verurteilte und von dem Produkt gesagt haben soll, "es sähe gar keinem Wohnort eines christlichen Königs von Preussen, sondern einem türkischen Serail ähnlich, an dem viel abgeschlagene Menschenköpfe zur Schau gestellt wären". Giersberg weist auf den Satz hin, aber versagt sich das plastische Zitat im Wortlaut. Für den Gelehrten zählen nur die Archivalien und darüber hinaus keine assoziativen Mitteilungen. Trotzdem wird der Leser nicht finden, daß ihn die Recherche allzu trocken an den Prunkbau heranführt. Aus der Schilderung des geschichtlichen Werdegangs resultiert schließlich die Anteilnahme an der Foto-Dokumentation, die den Palast in seinen unterschiedlichen Stadien bezeugt: erst wohlkonserviert, scheinbar als einen Triumph königlicher Selbstherrlichkeit, dann in Trümmern und am Ende in Schutt.
Zur Frage, ob an Ort und Stelle eine Rekonstruktion, ein Neubau oder eine bloße Anlehnung an die Vergangenheit wünschenswert sei, sagt der Autor nur einen Satz: "Das Stadtschloß ist unersetzbar." Als Historiker macht er sich mit dem Potsdam von heute nicht gemein: weder mit der Landeshauptstadt, die sich scheut, ihr Parlament dort zu bauen, wo der sonnenkönigliche Palast stand, noch mit der Rathauspolitik, die das Stadtzentrum im Sog der auswärtigen Geldgeber an die Peripherie verlagert. SIBYLLE WIRSING
Hans-Joachim Giersberg: "Das Potsdamer Stadtschloß". Potsdamer Verlagsbuchhandlung, Potsdam 1998. 331 S., Farb- und S/W-Abb., geb., 98,- DM.
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Laute Trommelwirbel in Voltaires Studierzimmer: Andenken an das Potsdamer Stadtschloß
Potsdams Stadtschloß war keine Auferstehung aus Ruinen beschieden. Seiner Zerstörung durch englische Bomber im April 1945 folgte fünfzehn Jahre später der Abriß bis auf die Grundmauern, eine Entscheidung der SED. Seit der Wende wird über seinen Wiederaufbau diskutiert, bisher ohne Ergebnis. Statt dessen liegt jetzt eine Monographie vor, die dem Andenken des Gebäudes gewidmet ist: dem Werk mehrerer Herrscher- und Künstlergenerationen, aber vor allem der Schöpfung Friedrichs des Großen.
Der Verfasser, Hans-Joachim Giersberg, mißbilligt sämtliche späteren Eingriffe. Nicht einmal einen Tapetenwechsel möchte er akzeptieren. Im Hinblick auf die Umbaupläne Friedrich Wilhelms IV., die den friderizianischen Pomp christianisieren wollten, stellt der Kunsthistoriker fest: "Glücklicherweise wurden sie nicht realisiert." Offenbar meint er, daß die Hinterlassenschaft sofort nach Friedrichs Tod hätte unter Schutz gestellt werden müssen, Architektur und Interieurs für alle Ewigkeit im Zustand von 1786. Gleichzeitig schätzt er den Schicksalsschlag, der die Stadt ihres Schlosses beraubte, nicht nur als Vernichtung einer musealen Stätte ein, sondern erklärt, daß Potsdam seither kein Herz mehr besitze. Folgt man der Argumentation, muß das Bauwerk sowohl Denkmal als auch Lebensmuskel gewesen sein.
Das Mittelalter hatte in der havelländischen Gegend westlich vor Berlin bis ins siebzehnte Jahrhundert gedauert, ehe es wie ein Spuk von der Bildfläche verschwand. An seine Stelle trat die Idee des Gesamtkunstwerks: "das ganze Eiland als ein einziges Paradies". Der Große Kurfürst setzte die Potsdamer Kultivierung in Gang, und der Urenkel führte sie auf ihren doppelten Gipfel. Er schuf sich draußen in der Natur eine ideale Bleibe und weihte das Stadtschloß den Göttern und Helden. Am einen Ort war er Philosoph und spiegelte sich am anderen als Sonnenkönig von Preußen. Das Refugium steht noch, während als einziges Erinnerungsstück an die Prunkstätte der Marstall übriggeblieben ist.
Man muß sich die Schloßanlage zwischen Fluß und Stadt zwiegestaltig vorstellen: nach Norden zum Markt hin ein Hufeisen, das aus dem Corps de logis und den beiden Seitenflügeln besteht, nach Süden hin offen zur Natur beziehungsweise zum Exerzierplatz, der mit Lustgarten und Havelufer konkurrierte. Voltaire, der in eine Wohnung im Erdgeschoß unterhalb der Gemächer des Hausherrn einzog, berichtete nach Hause, daß Trommelschläge seine Arbeit begleiten.
Das Wahrzeichen war die barocke Schmuckmauer mit einem Glockenturm über dem Tor, das nach seiner Hauptfigur als Fortunaportal bezeichnet wurde und im Ensemble mit Kirche und Rathaus den Marktplatz ausbildete. Dagegen befand sich das Pendant im Süden in größtmöglicher Entfernung zu den Untertanen: Vor der Gartenfront führte eine hochgebaute Rampe die königlichen Gäste direkt in den Prunksaal des Hauses. Besucher, die heute denselben Weg stadteinwärts nehmen, registrieren den Wirrwarr in der Öde: jenseits der Einfahrtstraße die flache Stallung mit den sie krönenden Reiter- und Pferdegruppen und im Widerspruch zu ihr ein zwanzigstöckiges Hotel. Die Betonbrücke unterjocht das nahe Flußufer und den Zugang zum Wasser. In die Lücke, die diesen gegenwärtigen Anblick von den überlieferten Ansichten trennt, tritt Hans-Joachim Giersberg mit seinem Buch ein. Es ist eine Genesis von den mittelalterlichen Anfängen bis zum Exitus.
Zaudernd nach Potsdam
Der Verfasser ist Generaldirektor der Schlösser- und Gärtenstiftung Berlin-Brandenburg und hatte schon für seine Dissertation an der Humboldt-Universität einen friderizianischen Stoff gewählt: "Friedrich II. von Preußen als Bauherr und Baumeister". Im Ost-Berlin von 1975 war das ein politisch brisantes Thema. Zumal das Potsdamer Stadtschloß seit dem Abriß tabuisiert und die Aufmerksamkeit nur noch auf Sanssouci gelenkt wurde. Jetzt stellt Giersberg die historische Balance zwischen den beiden Stätten her: Draußen habe der König den Sommer über gewohnt, aber die Wintermonate vorwiegend in Potsdam verbracht.
Die Beziehung zu Berlin, Friedrichs Abneigung gegen das angestammte Schloß auf der Spree-Insel, wird nur flüchtig berührt. Dagegen ist ausdrücklich vom Zaudern des jungen Königs die Rede, welchen seiner entfernteren Wohnsitze er favorisieren sollte: Charlottenburg, Rheinsberg oder gar Neuruppin. Die Wahl fiel auf den Ort, der Nähe und Ferne in sich vereinte. Potsdam verdankt Friedrichs Bauleidenschaft die städtische Aufrichtung, die Anlage von Sanssouci und als zentrale Maßnahme den Umbau des Stadtschlosses auf dem Fundament der Vorgänger.
Text- und Abbildungsteil des Buchs verhelfen dem Leser nach und nach zu einer Kenntnis, als sei er durch das Haus gegangen und habe es draußen von allen Seiten erfaßt. Aber die Wanderung ist kein bloßes Vergnügen. Durch den Verzicht auf jede einladende Geste begibt sich der Verfasser in schroffen Gegensatz zu seinem Gegenstand. Das Schloß, wie Friedrich es hergestellt hat, war ebenso Palais royal wie Gästehaus und Hotel, dramatisch inszeniert mit den Göttern Roms auf allen Dächern und Simsen, pathetisch mit seiner Säulenzierde entlang der Außenmauern und tempelhaft mit den beiden vorgeblendeten Eckfassaden am Markt.
Die bildenden Künste bestimmten sein äußeres und inneres Wesen bis hin zu dem vergoldeten und versilberten Blendwerk in den Gemächern, die altmodisch Kammern genannt wurden. Der Hauptsaal stand im Zeichen des Großen Kurfürsten und seiner Taten. Auf dem Deckengemälde ließ der König den Ahnherrn verewigen, der zum Olymp auffährt, halb geschoben und halb gehoben von hilfreichen Putten und geleitet von einem nackten Greis als geflügeltem Adjutanten: ein Comicbild. Aber selbstverständlich enthält sich Giersberg jedes Lächelns angesichts der Apotheose.
Seine Zurückhaltung gegenüber Kunsturteilen geht so weit, daß er sich nicht einmal auf den Chefarchitekten Friedrichs des Großen berufen will, Baron von Knobelsdorff, der die Ausstattungshypertrophie verurteilte und von dem Produkt gesagt haben soll, "es sähe gar keinem Wohnort eines christlichen Königs von Preussen, sondern einem türkischen Serail ähnlich, an dem viel abgeschlagene Menschenköpfe zur Schau gestellt wären". Giersberg weist auf den Satz hin, aber versagt sich das plastische Zitat im Wortlaut. Für den Gelehrten zählen nur die Archivalien und darüber hinaus keine assoziativen Mitteilungen. Trotzdem wird der Leser nicht finden, daß ihn die Recherche allzu trocken an den Prunkbau heranführt. Aus der Schilderung des geschichtlichen Werdegangs resultiert schließlich die Anteilnahme an der Foto-Dokumentation, die den Palast in seinen unterschiedlichen Stadien bezeugt: erst wohlkonserviert, scheinbar als einen Triumph königlicher Selbstherrlichkeit, dann in Trümmern und am Ende in Schutt.
Zur Frage, ob an Ort und Stelle eine Rekonstruktion, ein Neubau oder eine bloße Anlehnung an die Vergangenheit wünschenswert sei, sagt der Autor nur einen Satz: "Das Stadtschloß ist unersetzbar." Als Historiker macht er sich mit dem Potsdam von heute nicht gemein: weder mit der Landeshauptstadt, die sich scheut, ihr Parlament dort zu bauen, wo der sonnenkönigliche Palast stand, noch mit der Rathauspolitik, die das Stadtzentrum im Sog der auswärtigen Geldgeber an die Peripherie verlagert. SIBYLLE WIRSING
Hans-Joachim Giersberg: "Das Potsdamer Stadtschloß". Potsdamer Verlagsbuchhandlung, Potsdam 1998. 331 S., Farb- und S/W-Abb., geb., 98,- DM.
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