Koloniale Raubkunst in deutschen Museen: die Wahrheit über das Prachtboot von der Insel Luf. Neben Denkmälern und Straßennamen zeugen zauberhafte Museumsobjekte von den einstigen Kolonien - doch wie sind sie zu uns gekommen und woher stammen sie? Götz Aly deckt auf, dass es sich in den allermeisten Fällen um koloniale Raubkunst handelt, und erzählt, wie brutal deutsche Händler, Abenteurer und Ethnologen in der Südsee auf Raubzug gingen. So auch auf der Insel Luf: Dort zerstörten sie Hütten und Boote und rotteten die Bewohner fast vollständig aus. 1902 rissen Hamburger Kaufleute das letzte, von den Überlebenden kunstvoll geschaffene, hochseetüchtige Auslegerboot an sich. Heute ziert das weltweit einmalige Prachtstück das Entree des Berliner Humboldt Forums.
Götz Aly dokumentiert die Gewalt, Zerstörungswut und Gier, mit der deutsche »Strafexpeditionen« über die kulturellen Schätze herfielen. Das Publikum sollte und soll sie bestaunen - aber bis heute möglichst wenig vom Leid der ausgeraubten Völker erfahren. Ein wichtiger Beitrag zur Debatte über Raubkunst, Kolonialismus und Rassismus und zugleich ein erschütterndes Stück deutscher Geschichte.
»Was für ein Buch! Was für Erkenntnisse!«
Bénédicte Savoy
Götz Aly dokumentiert die Gewalt, Zerstörungswut und Gier, mit der deutsche »Strafexpeditionen« über die kulturellen Schätze herfielen. Das Publikum sollte und soll sie bestaunen - aber bis heute möglichst wenig vom Leid der ausgeraubten Völker erfahren. Ein wichtiger Beitrag zur Debatte über Raubkunst, Kolonialismus und Rassismus und zugleich ein erschütterndes Stück deutscher Geschichte.
»Was für ein Buch! Was für Erkenntnisse!«
Bénédicte Savoy
Perlentaucher-Notiz zur FR-Rezension
Rezensent Arno Widmann hält Götz Alys Text für das wichtigste Buch zur Eröffnung des Humboldt Forums. Was Aly über die Geschichte des Luf-Bootes aus dem heutigen Papua-Neuguinea erzählt, lässt dem Rezensenten die Ethnologen wie die Aasgeier erscheinen, aber zugleich als diejenigen, die uns fremde Lebensweisen näherbringen. Dass die Erkenntnis der Wahrheit keine leichte Angelegenheit ist, macht das Buch Widmann auch klar. Und es lässt ihn erkennen, wie wichtig eine Präsentation des Bootes wäre, die die Erinnerung an die Gräueltaten des Kolonialismus wachhält, etwa indem sie die Provenienz offenlegt, und die die Zusammenhänge von Ausrottung und Rettung erläutert.
© Perlentaucher Medien GmbH
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 09.05.2021Brecht die Mauern doch wieder auf!
Der Historiker Götz Aly zeigt, wie das Luf-Boot durch Mord und Raub nach Berlin kam. Für das Humboldt Forum wirft das viele Fragen auf.
Dass "die Aufarbeitung der deutschen Kolonialvergangenheit eine wichtige gesamtgesellschaftliche Aufgabe" ist, wie es jüngst in einer Erklärung zur Rückgabe einiger Benin-Bronzen hieß, hat sich herumgesprochen. Die Frage aber bleibt, was dies für so großräumige Abstraktionen wie Dialog der Weltkulturen, Menschheitsgeschichte, Universalmuseum oder Shared Heritage bedeutet. Das sind die Vokabeln, mit denen die deutsche Kulturbürokratie nach wie vor an ihrer Vogelperspektive auf die Welt festhält, zumal bei ihrem größten und teuersten Projekt, dem Humboldt Forum. In der jüngsten Zeit hat sich bei dessen Verteidigern eine zweigleisige Argumentation herausgeschält: Auf der einen Seite versichern sie, wie wichtig ihnen der sensible Umgang mit dem kolonialen Erbe sei, und sie achten darauf, bei der Wahl ihrer Worte keinen Fehler zu machen; auf der anderen Seite halten sie weiter daran fest, keinerlei strukturelle Vorkehrungen für den "gleichrangigen Dialog zwischen den europäischen und den außereuropäischen Kulturen" zu treffen, wie ihn der Deutsche Bundestag als Bedingung für die Errichtung der Schlosskulisse beschlossen hatte. Das Humboldt Forum sei doch keine "Weltverbesserungsmaschine" wird zur Abwehr eines solchen Ansinnens dann gesagt, so als ob es sich dabei um etwas unendlich Kompliziertes und Ideologisches handele.
Womöglich ist das Gegenteil der Fall. Am Montag erscheint das Buch "Das Prachtboot", in dem der Berliner Historiker Götz Aly die Geschichte eines der prominentesten Ausstellungsobjekte des Humboldt Forums als Lehrstück darüber erzählt, wie die anspruchsvollsten Begriffe als Ausflucht vor den simpelsten Fakten benutzt werden können, als da wären Mord, Raub und Komplizenschaft. Aly trägt zusammen, was man anhand allgemein zugänglicher Quellen über das fünfzehn Meter lange hochseetaugliche Südseeboot aus der ethnologischen Abteilung des Hauses wissen kann. Als das in einer Kiste verpackte Boot am 28. Mai 2018 durch eine Mauerlücke in die erste Etage des Schlosses gehievt wurde, wiederholte der Präsident der Stiftung Preußischer Kulturbesitz, Herrmann Parzinger, die bis heute gebräuchliche offizielle Sprachregelung: Das um 1890 auf der Insel Luf gebaute Boot hätten die Bewohner aufgrund eines dortigen "Bevölkerungsrückgangs" nicht mehr zu Wasser lassen können; 1903 "sah und erwarb" es dann Max Thiel für die Handelsfirma Hernsheim & Co., die es wiederum dem Museum für Völkerkunde in Berlin verkaufte. Das hört sich alles unauffällig und ordnungsgemäß an.
Was Aly nun exemplarisch betreibt, ist schlicht und einfach die detaillierte Provenienzforschung, die die Stiftung und das im Entstehen begriffene Schlossmuseum in den letzten Jahrzehnten zwar ständig anmahnen, aber mit ihren gigantischen Apparaten offenbar nicht zu realisieren in der Lage waren.
Die sechs Quadratratkilometer große, 1850 von etwa vierhundert Menschen bewohnte Insel Luf gehörte Ende des neunzehnten Jahrhunderts zum sogenannten Bismarck-Archipel, den das deutsche Kaiserreich als sein "Schutzgebiet" ansah. Geschützt wurden da die Geschäfte deutscher Unternehmer wie Eduard Hernsheim, der mit Kokosnüssen und Trepang handelte, die er rund um die Inseln sammeln ließ. Als er 1882 von Überfällen auf sein Schiff und seine Handelsstation erfuhr, intervenierte er bei Reichskanzler Bismarck, der dann sofort die "schnelle und wirkungsvolle Bestrafung" dieser "Eingeborenen" durch ein Marinekommando befahl.
Am 26. Dezember 1882 erreichten das Kanonenboot Hyäne und die Corvette Carola die Insel Luf. Was folgte, entsprach dem von Aly auch von anderen Orten dokumentierten üblichen Vorgehen solcher "Strafexpeditionen": Nachdem der Beschuss durch Bordkanonen die Bewohner in die Mitte der Insel vertrieben hatte, wurde deren Existenzgrundlage systematisch vernichtet: 41 Hütten und acht Boote wurden verbrannt, anschließend zahlreiche der unbewaffneten Einwohner verfolgt und erschossen. Wahrscheinlich hatten nur fünfzig bis sechzig die Strafaktion überlebt.
Dies also war die konkrete Ursache des in der offiziellen Darstellung so ominös bleibenden "Bevölkerungsrückgangs". Um ihn im Unklaren zu lassen, wurde schon Ende des neunzehnten Jahrhunderts eine Legende kolportiert, die erst kürzlich wieder in einem Wikipedia-Eintrag auftauchte. Ihr zufolge hätten sich die Bewohner der Insel aufgrund ihrer Hoffnungslosigkeit selber dazu entschlossen, auszusterben. Die handfeste Lüge verbindet sich da mit einem infamen Exotismus, der das erfundene rätselhafte Verhalten dieser fremden Völker auch noch irgendwie faszinierend findet.
Vor diesem Hintergrund erscheint der umstandslos behauptete "Kauf" des Boots in einem anderen Licht. Wie zahlreiche freimütige Berichte der von Gewissensbissen offenbar unbeschwerten kolonialen Akteure dokumentieren, war es gängige Praxis, das Vernichtungswerk der "Strafexpeditionen" mit Raubzügen zu verbinden. Der Kommandant der "Hyäne" bilanzierte eine ebenfalls von Hernsheim veranlasste Aktion so: "Ca. 30 Häuser verbrannt, 10 große Canoes am Strande zerstört, 10 verschiedene Canoes am Strande zerstört, 6 Canoes und einige Hundert Speere erbeutet."
Weithin üblich war auch der sogenannte "anonyme Kauf". Dem Expeditionstagebuch des Ethnologen Wilhelm Müller entnimmt Aly, wie eine solche Transaktion vonstattenging. Als Müllers von Polizeisoldaten begleiteter Forschertrupp zu einem Dorf kam, liefen die Bewohner davon. In einer der Hütten fand Müller drei reich verzierte, zu Zeremonialzwecken verfertigte Brettchen vor, die sein Interesse weckten. "Nach Hinterlassung von 20 Stangen Tabak" ließ er die Objekte kurzerhand mitnehmen. Dass der "Kauf" nicht in beidseitigem Einvernehmen geschah, ist ihm offenbar selbst aufgefallen, doch beunruhigt scheint es ihn nicht zu haben. In seinem Tagebuch notierte er: "Kaum hatten wir den Rückstieg angetreten, als es im Dorf hinter uns lebendig wurde. Lautes Schreien und ein Stein und ein Speer, die uns nachgeflogen kamen, kündeten die Rückkehr der Bewohner an."
Der eigentliche Fluchtpunkt von Alys Buch ist die mehr oder weniger direkte Komplizenschaft der Berliner Ethnologie mit dieser Barbarei. Die Umstände, unter denen das Eigentum der Inselbewohner in ihre Sammlungen gelangte, konnten ihr nicht unbekannt sein. Und trotzdem hatte Adolf Bastian, der Direktor des Völkerkundemuseums, keine Scheu, sich in einem amtlichen Bericht ausdrücklich bei Hernsheim und beim Militär für "geneigte Berücksichtigung wissenschaftlicher Interessen bei der Expedition" zu bedanken: "Was Ozeanien betrifft, gilt es auch diesmal die verdienstvolle Tätigkeit der Kaiserlichen Marine zu feiern."
Viele der Kuratoren und Wissenschaftler standen als Ärzte in Diensten kolonialer Unternehmungen, bevor sie sich für die exotischen Objekte begeisterten. Aly nennt die Ethnologie daher "ein Kind des Kolonialismus". Das ist natürlich nicht das Einzige, was man über diese Wissenschaft in ihrer heutigen Form sagen kann, und der Autor behauptet das auch nicht. Er stellt heraus, dass sogar manche der damaligen Akteure persönlich keine Rassisten waren. Der Kurator Felix von Luschan etwa, der das Völkerkundemuseum besonders prägte und auch der Firma Hernsheim das Luf-Boot abkaufte, verweigerte sich den damals üblichen rassistischen Ideologien vehement: "Minderwertige Völker - ich kenne eigentlich keine." Doch auch er hielt, "den allermeisten seiner europäischen Zeitgenossen folgend", wie Aly vermerkt, "den Kolonialismus für etwas Selbstverständliches".
Eine solche Differenzierung macht klar, dass Gesinnung allein als politische Kategorie nicht genügt. Das hat auch Folgen für die Gegenwart: Die Konfrontation mit den kolonialen Untaten ist für den "Dialog der Kulturen", wenn er sich denn nicht mit wolkigen Wohlfühlbegriffen begnügen will, eine notwendige Bedingung - aber keine hinreichende. Selbst wenn die Sprache und die Rückgabepraxis sämtlicher Museumsfunktionäre am Ende erfolgreich "unserem heutigen Wertesystem" (Michelle Müntefering und Monika Grütters in einem Grundsatzartikel zur Erinnerungskultur) angepasst wären - wenn das Humboldt Forum dabei stehen bliebe, würde es die koloniale Blickrichtung, die herausgehobene Position des deutschen und westlichen Beobachters und Beurteilers der übrigen Welt doch weiter verteidigen und mit um so besserem Gewissen fortführen.
Was das Luf-Boot betrifft, zieht Götz Aly klare Folgerungen aus seinen Recherchen: Da es sich da offensichtlich nur um preußischen Kulturbesitz, nicht aber -eigentum handele, solle sich die Stiftung vorläufig als dessen Treuhänderin verstehen, bis Papua-Neuguinea möglicherweise einmal die Rückgabe fordert. Sollten in diesem Fall die Mauern der Schlossfassade wieder aufgebrochen werden müssen, so Aly in seiner polemischen Schlusspointe, wäre dies "gewiss kein unüberwindliches Problem. In Berlin verbindet sich das Einreißen von Mauern mit den allerschönsten Erinnerungen." Ansonsten dürfe man in kolonialen Kontexten "gutgläubigen Erwerb" generell als Argument nicht gelten lassen; die heutigen Besitzer trügen die Beweislast, nicht umgekehrt.
Darüber hinaus zeigt Götz Alys nüchternes und zugleich vor Empörung bebendes Buch exemplarisch, dass alles viel einfacher ist, als oft suggeriert wird: Man kann sich heute nicht mit "Kulturen" befassen, wie sie entstehen, sich entwickeln und miteinander in Beziehung treten, ohne auch die Kultur der ehemaligen Kolonisatoren und deren Beobachterrolle in den Blick zu nehmen. Keine Kultur ist vom globalen Ausgreifen der europäischen Mächte unberührt geblieben, und auch heute ist keine unberührt von der Macht und Beobachtung des Westens. Auch die sogenannten Herkunftsgesellschaften entwickeln sich weiter, der Status ihrer Traditionen verändert sich in Abhängigkeit von politischen und ideologischen Entwicklungen und vom Kunstmarkt ständig, und bei kaum einer dieser Veränderungen ist der Westen unbeteiligt. Die Vorstellung eines Humboldt Forums, das nicht auch europäische Kunstwerke, Ökonomie, Politik und Religionen mit den Hervorbringungen der anderen Kulturen in Beziehung setzt, hat daher etwas Irreales.
Das Buch "Das Prachtboot" zeigt exemplarisch, womit ein solcher realer "Dialog" beginnen kann: mit der schonungslosen Offenlegung aller Tatsachen, die man über die gesammelten Objekte und deren Verhältnis zu den beteiligten deutschen Institutionen in Erfahrung bringen kann. Im Übrigen wirkt das Buch mit seinen ausführlichen Zitaten aus Briefen und amtlichen Schriftsätzen an manchen Stellen seinerseits wie eine kleine Ethnologie deutscher Umgangsformen und Gebräuche. Man kann die höfliche, scheinrationale, manchmal gar idealistische Sprache, mit der das Unrecht in konsensfähige geläufige Muster eingebaut wird, da einen Schritt zurücktretend einmal von außen betrachten. Insofern ist die ursprüngliche Idee des Humboldt Forums jetzt doch noch realisiert worden, wenn auch nicht innerhalb seiner barocken Fassaden.MARK SIEMONS
Götz Aly: "Das Prachtboot. Wie Deutsche die Kunstschätze der Südsee raubten". Fischer Verlag Frankfurt, 240 Seiten, 21 Euro.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Der Historiker Götz Aly zeigt, wie das Luf-Boot durch Mord und Raub nach Berlin kam. Für das Humboldt Forum wirft das viele Fragen auf.
Dass "die Aufarbeitung der deutschen Kolonialvergangenheit eine wichtige gesamtgesellschaftliche Aufgabe" ist, wie es jüngst in einer Erklärung zur Rückgabe einiger Benin-Bronzen hieß, hat sich herumgesprochen. Die Frage aber bleibt, was dies für so großräumige Abstraktionen wie Dialog der Weltkulturen, Menschheitsgeschichte, Universalmuseum oder Shared Heritage bedeutet. Das sind die Vokabeln, mit denen die deutsche Kulturbürokratie nach wie vor an ihrer Vogelperspektive auf die Welt festhält, zumal bei ihrem größten und teuersten Projekt, dem Humboldt Forum. In der jüngsten Zeit hat sich bei dessen Verteidigern eine zweigleisige Argumentation herausgeschält: Auf der einen Seite versichern sie, wie wichtig ihnen der sensible Umgang mit dem kolonialen Erbe sei, und sie achten darauf, bei der Wahl ihrer Worte keinen Fehler zu machen; auf der anderen Seite halten sie weiter daran fest, keinerlei strukturelle Vorkehrungen für den "gleichrangigen Dialog zwischen den europäischen und den außereuropäischen Kulturen" zu treffen, wie ihn der Deutsche Bundestag als Bedingung für die Errichtung der Schlosskulisse beschlossen hatte. Das Humboldt Forum sei doch keine "Weltverbesserungsmaschine" wird zur Abwehr eines solchen Ansinnens dann gesagt, so als ob es sich dabei um etwas unendlich Kompliziertes und Ideologisches handele.
Womöglich ist das Gegenteil der Fall. Am Montag erscheint das Buch "Das Prachtboot", in dem der Berliner Historiker Götz Aly die Geschichte eines der prominentesten Ausstellungsobjekte des Humboldt Forums als Lehrstück darüber erzählt, wie die anspruchsvollsten Begriffe als Ausflucht vor den simpelsten Fakten benutzt werden können, als da wären Mord, Raub und Komplizenschaft. Aly trägt zusammen, was man anhand allgemein zugänglicher Quellen über das fünfzehn Meter lange hochseetaugliche Südseeboot aus der ethnologischen Abteilung des Hauses wissen kann. Als das in einer Kiste verpackte Boot am 28. Mai 2018 durch eine Mauerlücke in die erste Etage des Schlosses gehievt wurde, wiederholte der Präsident der Stiftung Preußischer Kulturbesitz, Herrmann Parzinger, die bis heute gebräuchliche offizielle Sprachregelung: Das um 1890 auf der Insel Luf gebaute Boot hätten die Bewohner aufgrund eines dortigen "Bevölkerungsrückgangs" nicht mehr zu Wasser lassen können; 1903 "sah und erwarb" es dann Max Thiel für die Handelsfirma Hernsheim & Co., die es wiederum dem Museum für Völkerkunde in Berlin verkaufte. Das hört sich alles unauffällig und ordnungsgemäß an.
Was Aly nun exemplarisch betreibt, ist schlicht und einfach die detaillierte Provenienzforschung, die die Stiftung und das im Entstehen begriffene Schlossmuseum in den letzten Jahrzehnten zwar ständig anmahnen, aber mit ihren gigantischen Apparaten offenbar nicht zu realisieren in der Lage waren.
Die sechs Quadratratkilometer große, 1850 von etwa vierhundert Menschen bewohnte Insel Luf gehörte Ende des neunzehnten Jahrhunderts zum sogenannten Bismarck-Archipel, den das deutsche Kaiserreich als sein "Schutzgebiet" ansah. Geschützt wurden da die Geschäfte deutscher Unternehmer wie Eduard Hernsheim, der mit Kokosnüssen und Trepang handelte, die er rund um die Inseln sammeln ließ. Als er 1882 von Überfällen auf sein Schiff und seine Handelsstation erfuhr, intervenierte er bei Reichskanzler Bismarck, der dann sofort die "schnelle und wirkungsvolle Bestrafung" dieser "Eingeborenen" durch ein Marinekommando befahl.
Am 26. Dezember 1882 erreichten das Kanonenboot Hyäne und die Corvette Carola die Insel Luf. Was folgte, entsprach dem von Aly auch von anderen Orten dokumentierten üblichen Vorgehen solcher "Strafexpeditionen": Nachdem der Beschuss durch Bordkanonen die Bewohner in die Mitte der Insel vertrieben hatte, wurde deren Existenzgrundlage systematisch vernichtet: 41 Hütten und acht Boote wurden verbrannt, anschließend zahlreiche der unbewaffneten Einwohner verfolgt und erschossen. Wahrscheinlich hatten nur fünfzig bis sechzig die Strafaktion überlebt.
Dies also war die konkrete Ursache des in der offiziellen Darstellung so ominös bleibenden "Bevölkerungsrückgangs". Um ihn im Unklaren zu lassen, wurde schon Ende des neunzehnten Jahrhunderts eine Legende kolportiert, die erst kürzlich wieder in einem Wikipedia-Eintrag auftauchte. Ihr zufolge hätten sich die Bewohner der Insel aufgrund ihrer Hoffnungslosigkeit selber dazu entschlossen, auszusterben. Die handfeste Lüge verbindet sich da mit einem infamen Exotismus, der das erfundene rätselhafte Verhalten dieser fremden Völker auch noch irgendwie faszinierend findet.
Vor diesem Hintergrund erscheint der umstandslos behauptete "Kauf" des Boots in einem anderen Licht. Wie zahlreiche freimütige Berichte der von Gewissensbissen offenbar unbeschwerten kolonialen Akteure dokumentieren, war es gängige Praxis, das Vernichtungswerk der "Strafexpeditionen" mit Raubzügen zu verbinden. Der Kommandant der "Hyäne" bilanzierte eine ebenfalls von Hernsheim veranlasste Aktion so: "Ca. 30 Häuser verbrannt, 10 große Canoes am Strande zerstört, 10 verschiedene Canoes am Strande zerstört, 6 Canoes und einige Hundert Speere erbeutet."
Weithin üblich war auch der sogenannte "anonyme Kauf". Dem Expeditionstagebuch des Ethnologen Wilhelm Müller entnimmt Aly, wie eine solche Transaktion vonstattenging. Als Müllers von Polizeisoldaten begleiteter Forschertrupp zu einem Dorf kam, liefen die Bewohner davon. In einer der Hütten fand Müller drei reich verzierte, zu Zeremonialzwecken verfertigte Brettchen vor, die sein Interesse weckten. "Nach Hinterlassung von 20 Stangen Tabak" ließ er die Objekte kurzerhand mitnehmen. Dass der "Kauf" nicht in beidseitigem Einvernehmen geschah, ist ihm offenbar selbst aufgefallen, doch beunruhigt scheint es ihn nicht zu haben. In seinem Tagebuch notierte er: "Kaum hatten wir den Rückstieg angetreten, als es im Dorf hinter uns lebendig wurde. Lautes Schreien und ein Stein und ein Speer, die uns nachgeflogen kamen, kündeten die Rückkehr der Bewohner an."
Der eigentliche Fluchtpunkt von Alys Buch ist die mehr oder weniger direkte Komplizenschaft der Berliner Ethnologie mit dieser Barbarei. Die Umstände, unter denen das Eigentum der Inselbewohner in ihre Sammlungen gelangte, konnten ihr nicht unbekannt sein. Und trotzdem hatte Adolf Bastian, der Direktor des Völkerkundemuseums, keine Scheu, sich in einem amtlichen Bericht ausdrücklich bei Hernsheim und beim Militär für "geneigte Berücksichtigung wissenschaftlicher Interessen bei der Expedition" zu bedanken: "Was Ozeanien betrifft, gilt es auch diesmal die verdienstvolle Tätigkeit der Kaiserlichen Marine zu feiern."
Viele der Kuratoren und Wissenschaftler standen als Ärzte in Diensten kolonialer Unternehmungen, bevor sie sich für die exotischen Objekte begeisterten. Aly nennt die Ethnologie daher "ein Kind des Kolonialismus". Das ist natürlich nicht das Einzige, was man über diese Wissenschaft in ihrer heutigen Form sagen kann, und der Autor behauptet das auch nicht. Er stellt heraus, dass sogar manche der damaligen Akteure persönlich keine Rassisten waren. Der Kurator Felix von Luschan etwa, der das Völkerkundemuseum besonders prägte und auch der Firma Hernsheim das Luf-Boot abkaufte, verweigerte sich den damals üblichen rassistischen Ideologien vehement: "Minderwertige Völker - ich kenne eigentlich keine." Doch auch er hielt, "den allermeisten seiner europäischen Zeitgenossen folgend", wie Aly vermerkt, "den Kolonialismus für etwas Selbstverständliches".
Eine solche Differenzierung macht klar, dass Gesinnung allein als politische Kategorie nicht genügt. Das hat auch Folgen für die Gegenwart: Die Konfrontation mit den kolonialen Untaten ist für den "Dialog der Kulturen", wenn er sich denn nicht mit wolkigen Wohlfühlbegriffen begnügen will, eine notwendige Bedingung - aber keine hinreichende. Selbst wenn die Sprache und die Rückgabepraxis sämtlicher Museumsfunktionäre am Ende erfolgreich "unserem heutigen Wertesystem" (Michelle Müntefering und Monika Grütters in einem Grundsatzartikel zur Erinnerungskultur) angepasst wären - wenn das Humboldt Forum dabei stehen bliebe, würde es die koloniale Blickrichtung, die herausgehobene Position des deutschen und westlichen Beobachters und Beurteilers der übrigen Welt doch weiter verteidigen und mit um so besserem Gewissen fortführen.
Was das Luf-Boot betrifft, zieht Götz Aly klare Folgerungen aus seinen Recherchen: Da es sich da offensichtlich nur um preußischen Kulturbesitz, nicht aber -eigentum handele, solle sich die Stiftung vorläufig als dessen Treuhänderin verstehen, bis Papua-Neuguinea möglicherweise einmal die Rückgabe fordert. Sollten in diesem Fall die Mauern der Schlossfassade wieder aufgebrochen werden müssen, so Aly in seiner polemischen Schlusspointe, wäre dies "gewiss kein unüberwindliches Problem. In Berlin verbindet sich das Einreißen von Mauern mit den allerschönsten Erinnerungen." Ansonsten dürfe man in kolonialen Kontexten "gutgläubigen Erwerb" generell als Argument nicht gelten lassen; die heutigen Besitzer trügen die Beweislast, nicht umgekehrt.
Darüber hinaus zeigt Götz Alys nüchternes und zugleich vor Empörung bebendes Buch exemplarisch, dass alles viel einfacher ist, als oft suggeriert wird: Man kann sich heute nicht mit "Kulturen" befassen, wie sie entstehen, sich entwickeln und miteinander in Beziehung treten, ohne auch die Kultur der ehemaligen Kolonisatoren und deren Beobachterrolle in den Blick zu nehmen. Keine Kultur ist vom globalen Ausgreifen der europäischen Mächte unberührt geblieben, und auch heute ist keine unberührt von der Macht und Beobachtung des Westens. Auch die sogenannten Herkunftsgesellschaften entwickeln sich weiter, der Status ihrer Traditionen verändert sich in Abhängigkeit von politischen und ideologischen Entwicklungen und vom Kunstmarkt ständig, und bei kaum einer dieser Veränderungen ist der Westen unbeteiligt. Die Vorstellung eines Humboldt Forums, das nicht auch europäische Kunstwerke, Ökonomie, Politik und Religionen mit den Hervorbringungen der anderen Kulturen in Beziehung setzt, hat daher etwas Irreales.
Das Buch "Das Prachtboot" zeigt exemplarisch, womit ein solcher realer "Dialog" beginnen kann: mit der schonungslosen Offenlegung aller Tatsachen, die man über die gesammelten Objekte und deren Verhältnis zu den beteiligten deutschen Institutionen in Erfahrung bringen kann. Im Übrigen wirkt das Buch mit seinen ausführlichen Zitaten aus Briefen und amtlichen Schriftsätzen an manchen Stellen seinerseits wie eine kleine Ethnologie deutscher Umgangsformen und Gebräuche. Man kann die höfliche, scheinrationale, manchmal gar idealistische Sprache, mit der das Unrecht in konsensfähige geläufige Muster eingebaut wird, da einen Schritt zurücktretend einmal von außen betrachten. Insofern ist die ursprüngliche Idee des Humboldt Forums jetzt doch noch realisiert worden, wenn auch nicht innerhalb seiner barocken Fassaden.MARK SIEMONS
Götz Aly: "Das Prachtboot. Wie Deutsche die Kunstschätze der Südsee raubten". Fischer Verlag Frankfurt, 240 Seiten, 21 Euro.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Das wichtigste Buch zur Eröffnung des Humboldt-Forums. Arno Widmann Frankfurter Rundschau 20210721