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Als sich 1992 die Pforten des DEFA-Dokumentarstudios schlossen, ging eine Ära zu Ende: Das Lebenswerk von Altmeister Karl Gass hatte hier ebenso eine künstlerische Heimat wie die avantgardistischen Filme von Jürgen Böttcher oder die ersten Umweltfilme von Joachim Tschirner. Unter einzigartigen Bedingungen entstanden Meilensteine der Filmgeschichte, das international renommierte DOK-Festival in Leipzig repräsentierte den hohen Anspruch. Offen und kritisch blicken 20 Filmschaffende auf die Arbeit bei der DEFA zurück und schlagen die Brücke ins Heute.

Produktbeschreibung
Als sich 1992 die Pforten des DEFA-Dokumentarstudios schlossen, ging eine Ära zu Ende: Das Lebenswerk von Altmeister Karl Gass hatte hier ebenso eine künstlerische Heimat wie die avantgardistischen Filme von Jürgen Böttcher oder die ersten Umweltfilme von Joachim Tschirner. Unter einzigartigen Bedingungen entstanden Meilensteine der Filmgeschichte, das international renommierte DOK-Festival in Leipzig repräsentierte den hohen Anspruch. Offen und kritisch blicken 20 Filmschaffende auf die Arbeit bei der DEFA zurück und schlagen die Brücke ins Heute.
Autorenporträt
Ingrid Poss, geboren 1939, ist seit Jahrzehnten im Medienbereich tätig, u.a. als Ausstellungskuratorin für das Filmmuseum Potsdam.
Rezensionen

Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Ein Riesenkonvolut an Interviews mit ehemaligen Defa-Filmemachern hat Hans-Jörg Rother da in Händen. Leider hat sich niemand die Mühe gemacht, dem Band eine Struktur zu geben oder auch nur ein Resümee zu ziehen. Die Vorbemerkung von Ingrid Poss, im Auftrag des Filmmuseums Potsdam Mitherausgeberin des Bandes, erscheint Rother zu knapp. So verlegt er sich darauf, die Antworten auf die Eingangsfrage "Was war für Sie die Defa?" zu lesen und trifft auf die erwartbare Lakonie (Antwort: "Die Kantine"), aber auch auf weitschweifende Erinnerungen, wie die des Regisseurs und Malers Jürgen Böttcher, der sich sehr bildhaft zu erinnern und sogar zu sagen vermag, wie man Filme machen sollte.

© Perlentaucher Medien GmbH

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 07.03.2013

Kulturoffiziere erinnern sich
21 Dokumentaristen erzählen von der Defa und ihren Visionen vom Filmemachen

"Alle schwarzen Rauchfahnen sind zu entfernen." Mit solchen drastischen Schnittauflagen hatte ein Regisseur im Dokumentarfilmstudio der Defa stets zu rechnen. In diesem Fall traf das Verdikt Günter Lippmann, als er 1984 in seinem Umweltfilm "Verschenkt und verloren" Wege zur Nutzung der bei der Stromgewinnung aus Braunkohle freiwerdenden Wärme aufzeigen wollte. Ein löbliches Unterfangen, sollte man meinen, doch die Genossen wollten schon vor dem Schaden klug gewesen sein, mochte die Luftverschmutzung auch vielerorts zum Himmel stinken.

"Das war wie in einer Art Armee. Da hat man jahrelang als 'ne Art Kulturoffizier seinen Dienst - oft zähneknirschend - getan", bringt der Regisseur und Maler Jürgen Böttcher die Situation seines Berufsstandes in der DDR auf den Punkt. Man hatte eine feste Anstellung, viel Zeit beim Arbeiten und zwischendurch wenig Freiheit. Wer sich verweigerte, hatte schon verloren, denn ohne "Sturheit und Durchsetzungsvermögen hätte man bei der Defa keinen Fuß auf den Boden bekommen", erinnert sich der 1944 in Stettin geborene Volker Koepp. Wer aber einmal wie Böttcher ein gebranntes Kind war, tat gut daran, sich mit Auftragsarbeiten wie einem Jubelbericht über ein Pfingsttreffen der Jugendorganisation FDJ oder einem harmlosen "Tierparkfilm" zu "bewähren", um grünes Licht für Herzensprojekte und auf der Leipziger Dokumentarfilmwoche den "Ritterschlag" zu empfangen: ein Lob aus dem Mund von Chris Marker oder Joris Ivens für das junge Doppelgenie.

Niemand hat dieses Pendeln zwischen Lob und Strafe so heftig erlebt wie der 1931 im sächsischen Frankenberg geborene, im Lausitzdorf Strahwalde aufgewachsene Böttcher, der zum Film ging, weil er dort bessere Arbeitsbedingungen vorfand als in seiner praktisch mit Berufsverbot belegten Malerei. Und doch spielte er nach eigenem Bekenntnis nie mit dem Gedanken, dieses Land zu verlassen. Nicht Ideologien halten Menschen auf Dauer bei einer Fahne, sondern der starke Glaube an ein politisches und soziales Ziel, auch wenn dies unter Aktenbergen begraben liegt. Eine Anschauung dafür liefert der Vergleich von Böttchers Lebensweg mit dem seines nur wenig jüngeren Kollegen Richard Cohn-Vossen. Er wurde als Stiefsohn des einflussreichen Kulturfunktionärs Alfred Kurella ohne viel eigenes Zutun dem für große Propaganda-Werke zuständigen Andrew Thorndike bei dem zutiefst schönfärberischen Film "Das russische Wunder" an die Seite gestellt und drehte danach eigene Filme. Aber schon beim ersten Aufenthalt in der Bundesrepublik, es war das Filmfestival in Mannheim 1976, wäre er am liebsten gleich dort geblieben. "Es waren einfach diese Hemdsärmligkeit und diese bürgerliche Freiheiten." Das wäre Böttcher, der im Zusammenbruch der DDR den Sieg des "Alten, das für mich sehr viel Dreck am Stecken hat", erkannte, nicht passiert. Er wusste, weshalb er die Petition gegen die Ausbürgerung von Wolf Biermann 1977 nicht mit unterzeichnete - im Gegensatz zu Cohn-Vossen, der zugleich einen Ausreiseantrag stellte und noch zwei Jahre die Demütigungen seiner einstigen Partei auf sich nahm.

Es ist ein Vorzug dieser vom Filmmuseum Potsdam herausgegebenen Sammlung (Konzeption Ingrid Poss und Dorett Molitor) von 21 Gesprächsprotokollen, dass sie gegensätzlichen Erfahrungen mit der Defa Raum geben. Die staatstreuen Gruppenleiter der Berliner und Babelsberger Studios vermisst man nicht, wohl aber einige bis in die Gegenwart wichtige Regisseure wie Thomas Heise und Helke Misselwitz. Dafür wären einige unbedeutende Namen entbehrlich gewesen. Dem Leser wird ein mehr als sechshundert Seiten starkes Konvolut gleichsam vor die Füße geworfen, unsortiert und ohne den geringsten Versuch, aus dieser bienenartigen Sammeltätigkeit einen Extrakt zu ziehen. Die knappe Vorbemerkung der Museumsleiterin Bärbel Dalichow lässt nicht einmal das Verlangen danach erkennen, und das Geleitwort von Norbert Bisky wirft lediglich freundliche Blicke auf die reichlich eingefahrene Ernte.

Was war für Sie die Defa? Auf diesen Punkt steuern die Interviewer zielgenau hin und brauchen sich über eine lakonische Antwort nicht zu wundern. "Eine Kantine", lautet die kürzeste der Antworten, denn hier wurden Frust abgelassen und jeder Fremde neugierig gemustert. Die Stasi saß unerkannt mit am Tisch. Hier nahmen Projekte ihren Ausgang oder wurden begraben. Die Erzählungen über die eigenverantwortliche Arbeit nach dem 1992 erfolgten Verkauf des Studios fallen meist kürzer aus. Manch einer vermisste die Kantine, die gesicherte Anstellung, große Aufträge, Fördermittel und die gewohnte Zeit zum Arbeiten. Nur wenige wie Volker Koepp und Winfried Junge schufen sich eine eigene Basis, um im märkischen Golzow oder weit im östlichen Europa bedeutende Filme zu drehen.

Böttcher wurden Staffelei und Pinsel wichtiger als die Kamera, aber noch immer überragt er viele Kollegen. Wenn er nicht plaudernd, nicht bilanzierend über sein Leben als Regisseur spricht, von der schweren Kindheit als Halbwaise und den Hungerjahren in Dresden, verschlägt es dem Leser fast die Sprache, derart emphatisch und bildhaft erinnert sich der inzwischen Achtzigjährige. Als wäre es erst gestern gewesen, dass er einem führenden Parteimann heftig widersprach und der cholerische Chef des Fernsehfunks drohte, ihn am Genick aus dem Raum zu werfen. Federnd stößt er sich von den Fragen der Interviewpartnerin ab, fast unwillig über ein neues Stichwort, das er dann doch willig aufgreift. Vor allem aber hat er noch etwas darüber zu sagen, wie man Filme machen und ihnen eine Struktur geben sollte, die beteiligt, indem sie einen Freiraum eröffnet. "Man hat eine Vision von einem Film, und die muss man umsetzen." Zu jeder Gewinnbilanz gehört eine Verlustrechnung. "Ich habe nie realisieren können, was ich eigentlich hätte machen können. Aber in allem steckt natürlich ein Stück Schönheit, eine Art Leidenschaft", sagt er.

HANS-JÖRG ROTHER.

Ingrid Poss u. a.: "Das Prinzip Neugier. Defa-Dokumentarfilmer erzählen".

Hg. vom Filmmuseum Potsdam. Neues Leben, Berlin 2012, 639 S. m. Abb., 29,95 [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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