Wolfgang Sofsky, geboren 1952, lehrte als Professor für Soziologie an den Universitäten Göttingen und Erfurt. Seit 2001 arbeitet er als Privatgelehrter, Autor und politischer Kommentator. 1993 erhielt er den Geschwister-Scholl-Preis für "Die Ordnung des Terrors. Das Konzentrationslager". 1996 erschien "Traktat über die Gewalt", 2002 "Zeiten des Schreckens. Amok Terror Krieg", 2003 "Operation Freiheit. Der Krieg im Irak" (alle S.Fischer Verlag). Seine Bücher wurden vielfach übersetzt. Seine Essays sind regelmäßig in der deutschsprachigen Presse zu lesen und im Rundfunk zu hören.
Sicherheit ist das Grundproblem der menschlichen Gattung. So zahlreich die Gefahren, mit denen die Menschen konfrontiert sind, so vielfältig sind die praktischen Vorkehrungen - und doch bleibt restlose Sicherheit eine Illusion. Mit welchen Bedrohungen und Risiken menschliche Gesellschaften zu tun haben und welche Strategien sie dagegen einsetzen, zeichnet Wolfgang Sofsky mit der ihm eigenen Klarsicht und Prägnanz nach. Sein Essay führt von der emotionalen Bedeutung alltäglicher Unsicherheiten über soziale Gefahren, wirtschaftliche Marktrisiken und staatliche Sicherheitsgarantien bis zu den neuen Kriegsszenarien. Er handelt nicht nur vom Umgang mit den Gefahren und deren institutioneller Einhegung, sondern auch von dem hohen Preis, der für eine Politik umfassender Sicherheit zu entrichten ist. Das Buch liefert einen scharfsinnigen Beitrag zum Verständnis aktueller Konflikte und plädiert entschieden für die Verteidigung der Freiheit gegenüber staatlicher Fürsorge und Vorsorge.
Sicherheit ist das Grundproblem der menschlichen Gattung. So zahlreich die Gefahren, mit denen die Menschen konfrontiert sind, so vielfältig sind die praktischen Vorkehrungen - und doch bleibt restlose Sicherheit eine Illusion. Mit welchen Bedrohungen und Risiken menschliche Gesellschaften zu tun haben und welche Strategien sie dagegen einsetzen, zeichnet Wolfgang Sofsky mit der ihm eigenen Klarsicht und Prägnanz nach. Sein Essay führt von der emotionalen Bedeutung alltäglicher Unsicherheiten über soziale Gefahren, wirtschaftliche Marktrisiken und staatliche Sicherheitsgarantien bis zu den neuen Kriegsszenarien. Er handelt nicht nur vom Umgang mit den Gefahren und deren institutioneller Einhegung, sondern auch von dem hohen Preis, der für eine Politik umfassender Sicherheit zu entrichten ist. Das Buch liefert einen scharfsinnigen Beitrag zum Verständnis aktueller Konflikte und plädiert entschieden für die Verteidigung der Freiheit gegenüber staatlicher Fürsorge und Vorsorge.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 18.11.2005Verdammt seien alle, die Risiko und Courage scheuen
Gesucht wird der Marmor, in den sich solche letzten Sätze hauen lassen: Wolfgang Sofsky nimmt die Welt ins Fadenkreuz der Sicherheit
Thomas Hobbes hat die Angst einmal als seine einzige Passion bezeichnet. Sicher, das klingt nicht gerade nach einem Draufgänger - aber immerhin hatte der Mann überhaupt eine Leidenschaft. Im Gegensatz zum Pionier allen Sicherheitsdenkens ist Wolfgang Sofsky ein durch und durch unerschrockener Philosoph. Seine einzige Passion ist, wenn das Wort hier überhaupt paßt, die Abgeklärtheit. "Ein moralischer Fortschritt des Gattungswesens ist nicht in Sicht": Solche Geheiminformationen steckt er dem Leser, der als mitbetroffenes Gattungswesen von Natur aus zur Panik neigt, schon im ersten Kapitel seines neuen Buchs. Und als wäre das nicht Hiobsbotschaft genug, setzt Sofsky seine eiskalte Diagnose fort: "Restlose Sicherheit ist eine Illusion. Zeit ihres Lebens sind Menschen von Gefahren umstellt. Kaum ein Verhalten ist gänzlich ohne Risiko."
Weise Worte - doch Wolfgang Sofsky, vormals Soziologieprofessor an der Universität Göttingen und seit geraumer Zeit der für düstere Anthropologie zuständige Publizist, will uns keine Versicherungsverträge aufschwatzen. In seinem Buch "Das Prinzip Sicherheit" rechnet er vielmehr ab mit einer Gesellschaft der Angsthasen und Feiglinge. "Die Mehrzahl", so formuliert es Sofsky im hochtrabenden Tonfall des Kulturpessimisten, "wünscht sich eine Gesellschaft der bloßen Sekurität." An anderer Stelle - es geht, wohlgemerkt, um Demokratie - wird er deutlicher: "Von einem Mehrheitsregime, das von den Leidenschaften der Sicherheit beseelt ist, hat die Freiheit nichts zu erwarten."
Verblüffend, daß die von Kriegen, Katastrophen und sozialem Notstand eingeschüchterte Mehrzahl plötzlich die Geringschätzung des unterzähligen Privatgelehrten auf sich zieht. Schließlich beliefert Sofsky die lesende Bevölkerung seit Jahr und Tag mit Büchern, die schlimmste Befürchtungen wecken. In seinen Denkschriften, die eine vermeintlich abgründige Menschenkunde zelebrieren und rabenschwarze Titel wie "Die Ordnung des Terrors", "Traktat über die Gewalt" oder "Zeiten des Schreckens" tragen, malt Sofsky an einem Schauergemälde der menschlichen Verhältnisse. Allerdings handelte der Sachbuchautor in seinen bisherigen Werken immer auch von Sachthemen wie dem Konzentrationslager, dem Amoklauf oder dem Krieg im Irak. Sein neues Werk, betitelt in billiger Anspielung auf Blochs "Prinzip Hoffnung", kommt ganz ohne Gegenstand aus.
Man muß sich möglichst viele Sätze aus diesem Traktat auf der Zunge zergehen lassen, um seine erlesene Inhaltslosigkeit zu schmecken. "Wo keine Gefahren sind, gibt es auch keine Risiken": Pauschalaussagen dieser Art sieht die Stillehre üblicherweise für Anfang und Ende einer Abhandlung vor, wo sie das Denken vorglühen oder eben auskühlen lassen. Sofsky aber bastelt aus solchen Gemeinplätzen, von früheren Epochen in Toposbüchlein für den Hausgebrauch versammelt, eine ganze Programmschrift. Während man anfangs noch rätselt, wann der feierliche Tonfall des Prologs endlich in eine konkrete Argumentation mündet, ahnt man spätestens ab der Buchmitte, daß man sich längst auf der Zielgeraden zum Epilog befindet.
Tatsächlich hat Wolfgang Sofsky ein Buch geschrieben, daß nur aus ersten oder wahlweise auch letzten Sätzen besteht. "Wäre die Zukunft bekannt, gäbe es weder Risiken noch Entscheidungen." Wie wahr! "Unglück stürzt den Menschen in Ratlosigkeit." Wer wollte widersprechen? "Angst steigert die Unsicherheit, und Unsicherheit erzeugt Angst": Mit solchen tautologischen Floskeln ahmt Sofsky offenbar den vertrackt einfachen Stil eines Niklas Luhmann nach. Doch der dreht sich bei Platitüden à la "Unfälle geschehen zufällig" vermutlich nur im Grabe um. "Nicht jeder ist vertrauenswürdig": Im Geiste scheint Sofsky seine Sentenzen in Stein zu meißeln. Aber für dergleichen Kalendersprüche hätte man selbst in jenen Zeiten, aus denen der wahre Lapidarstil stammt, keinen Marmor verschwendet.
Tatsächlich verkauft Sofsky sprachliches Leergut als beim Erzeuger abgefüllte Aphoristik. Durch salbungsvolle Redeweisen erweckt er den Anschein, die gedankliche Massenware stamme aus der Klause des radikalen Grübelns. Mal phantasiert er wie ein Wanderprediger: "Fürchterliches Unheil malt sich der Furchtsame aus." Anderswo bricht das Pathos eines pensionierten Lateinlehrers durch: "Wo aber der Kriegsgott das Schwert gezückt hat, herrschen Angst und Schrecken." Was soll das geben - Seneca für Arme? "Zumal in Krisenzeiten wird oft zuwenig gehandelt": Man kann solche Nullaussagen beim besten Willen nicht aus dem Zusammenhang reißen, denn sie haben keinen. Sofskys Text ist eine fast lückenlose Reihe gedanklicher Klischees - er verkettet Obersätze von unfertigen Syllogismen mit Überschriften zu verschollenen Besinnungsaufsätzen.
All das wäre nicht halb so ärgerlich, wenn Sofsky sein mit tiefen Sorgenfalten geführtes Wettergespräch über die Welt nach dem elften September nicht in die Atmosphäre furchtlosen Denkens hüllen würde. Das Werk, das ständig den Kleinmut der Menschen anprangert und "Courage" einfordert, riskiert keinerlei Kurzschlüsse mit der Ebene des Besonderen. Statt dessen richtet sich Sofsky auf Dauer im Luftraum des Allgemeinen ein. Abgesehen von einer Handvoll halbherziger Einlassungen zum Sozialstaat, dem er "inneren Imperialismus" vorwirft, zur romantischen Träumerei von der UN als "harmloser Weltmacht" oder zum geläufigen Schreckensbild einer überwachungstechnischen "Diktatur der Angst" bietet Sofsky keine auch nur halbwegs diskussionsfähigen Argumente. Wer will schon über Trivialien wie "Kriegszeiten sind gefährliche Zeiten" streiten?
Vermutlich ordnet Sofsky, der Montaigne zitiert, seine frei schweifenden Ausführungen der noblen Gattungstradition des Essays zu. Doch gerade ein Essay - und zumal einer, der die Risikoscheuen verdammt - darf den Kontakt zur Realität nicht einfach abbrechen. Mit ein paar dürren und pointenlosen Bemerkungen zum Erdbeben von Lissabon, zur Gründung der Versicherungsgesellschaft "Lloyd's" oder zur Belagerung von Sarajevo speist Sofsky den Hunger nach Erfahrung ab. Am deutlichsten wird die Weigerung, das innere Poesiealbum mit der äußeren Wirklichkeit abzugleichen, wenn der Autor einem Heckenschützen in verlogener Einfühlung über die Schulter blickt: "Das Fadenkreuz wandert über den Körper, den Rücken, die Brust, den Kopf des Opfers." Fast ein Wunder, daß Sofsky sein imaginäres Fadenkreuz, losgelöst von allen Raum-Zeit-Koordinaten, nicht auch noch über Arme und Beine des zum rhetorischen Dummy herabgewürdigten Opfers kreisen läßt.
"Das Prinzip Sicherheit" tritt auf als Manifest eines politischen Meisterdenkertums, das ohne Thesen auskommt und die Welt bestenfalls noch als Anlaß benötigt. Doch in Wahrheit betritt hier der Kulturkritiker in seiner unangenehmsten Ausprägung die Bühne - nämlich als Schwadroneur, der empiriefreie Gemeinplätze zum gedanklichen Gefahrengut erklärt. "Eine eigentümliche Aura des Abschieds", weiß Sofsky, "umgibt den Solitär." Das ist wohl das Prinzip Sicherheit: Ein Buch zu schreiben, bei dem der Leser aus dem bedenklichen Kopfnicken gar nicht mehr herauskommt. Als Ausdruck von Mut kann man solch ein Buch kaum betrachten. Aber es ist eine Frechheit.
ANDREAS ROSENFELDER
Wolfgang Sofsky: "Das Prinzip Sicherheit". S. Fischer Verlag, Frankfurt am Main 2005. 176 S., geb., 16,90 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Gesucht wird der Marmor, in den sich solche letzten Sätze hauen lassen: Wolfgang Sofsky nimmt die Welt ins Fadenkreuz der Sicherheit
Thomas Hobbes hat die Angst einmal als seine einzige Passion bezeichnet. Sicher, das klingt nicht gerade nach einem Draufgänger - aber immerhin hatte der Mann überhaupt eine Leidenschaft. Im Gegensatz zum Pionier allen Sicherheitsdenkens ist Wolfgang Sofsky ein durch und durch unerschrockener Philosoph. Seine einzige Passion ist, wenn das Wort hier überhaupt paßt, die Abgeklärtheit. "Ein moralischer Fortschritt des Gattungswesens ist nicht in Sicht": Solche Geheiminformationen steckt er dem Leser, der als mitbetroffenes Gattungswesen von Natur aus zur Panik neigt, schon im ersten Kapitel seines neuen Buchs. Und als wäre das nicht Hiobsbotschaft genug, setzt Sofsky seine eiskalte Diagnose fort: "Restlose Sicherheit ist eine Illusion. Zeit ihres Lebens sind Menschen von Gefahren umstellt. Kaum ein Verhalten ist gänzlich ohne Risiko."
Weise Worte - doch Wolfgang Sofsky, vormals Soziologieprofessor an der Universität Göttingen und seit geraumer Zeit der für düstere Anthropologie zuständige Publizist, will uns keine Versicherungsverträge aufschwatzen. In seinem Buch "Das Prinzip Sicherheit" rechnet er vielmehr ab mit einer Gesellschaft der Angsthasen und Feiglinge. "Die Mehrzahl", so formuliert es Sofsky im hochtrabenden Tonfall des Kulturpessimisten, "wünscht sich eine Gesellschaft der bloßen Sekurität." An anderer Stelle - es geht, wohlgemerkt, um Demokratie - wird er deutlicher: "Von einem Mehrheitsregime, das von den Leidenschaften der Sicherheit beseelt ist, hat die Freiheit nichts zu erwarten."
Verblüffend, daß die von Kriegen, Katastrophen und sozialem Notstand eingeschüchterte Mehrzahl plötzlich die Geringschätzung des unterzähligen Privatgelehrten auf sich zieht. Schließlich beliefert Sofsky die lesende Bevölkerung seit Jahr und Tag mit Büchern, die schlimmste Befürchtungen wecken. In seinen Denkschriften, die eine vermeintlich abgründige Menschenkunde zelebrieren und rabenschwarze Titel wie "Die Ordnung des Terrors", "Traktat über die Gewalt" oder "Zeiten des Schreckens" tragen, malt Sofsky an einem Schauergemälde der menschlichen Verhältnisse. Allerdings handelte der Sachbuchautor in seinen bisherigen Werken immer auch von Sachthemen wie dem Konzentrationslager, dem Amoklauf oder dem Krieg im Irak. Sein neues Werk, betitelt in billiger Anspielung auf Blochs "Prinzip Hoffnung", kommt ganz ohne Gegenstand aus.
Man muß sich möglichst viele Sätze aus diesem Traktat auf der Zunge zergehen lassen, um seine erlesene Inhaltslosigkeit zu schmecken. "Wo keine Gefahren sind, gibt es auch keine Risiken": Pauschalaussagen dieser Art sieht die Stillehre üblicherweise für Anfang und Ende einer Abhandlung vor, wo sie das Denken vorglühen oder eben auskühlen lassen. Sofsky aber bastelt aus solchen Gemeinplätzen, von früheren Epochen in Toposbüchlein für den Hausgebrauch versammelt, eine ganze Programmschrift. Während man anfangs noch rätselt, wann der feierliche Tonfall des Prologs endlich in eine konkrete Argumentation mündet, ahnt man spätestens ab der Buchmitte, daß man sich längst auf der Zielgeraden zum Epilog befindet.
Tatsächlich hat Wolfgang Sofsky ein Buch geschrieben, daß nur aus ersten oder wahlweise auch letzten Sätzen besteht. "Wäre die Zukunft bekannt, gäbe es weder Risiken noch Entscheidungen." Wie wahr! "Unglück stürzt den Menschen in Ratlosigkeit." Wer wollte widersprechen? "Angst steigert die Unsicherheit, und Unsicherheit erzeugt Angst": Mit solchen tautologischen Floskeln ahmt Sofsky offenbar den vertrackt einfachen Stil eines Niklas Luhmann nach. Doch der dreht sich bei Platitüden à la "Unfälle geschehen zufällig" vermutlich nur im Grabe um. "Nicht jeder ist vertrauenswürdig": Im Geiste scheint Sofsky seine Sentenzen in Stein zu meißeln. Aber für dergleichen Kalendersprüche hätte man selbst in jenen Zeiten, aus denen der wahre Lapidarstil stammt, keinen Marmor verschwendet.
Tatsächlich verkauft Sofsky sprachliches Leergut als beim Erzeuger abgefüllte Aphoristik. Durch salbungsvolle Redeweisen erweckt er den Anschein, die gedankliche Massenware stamme aus der Klause des radikalen Grübelns. Mal phantasiert er wie ein Wanderprediger: "Fürchterliches Unheil malt sich der Furchtsame aus." Anderswo bricht das Pathos eines pensionierten Lateinlehrers durch: "Wo aber der Kriegsgott das Schwert gezückt hat, herrschen Angst und Schrecken." Was soll das geben - Seneca für Arme? "Zumal in Krisenzeiten wird oft zuwenig gehandelt": Man kann solche Nullaussagen beim besten Willen nicht aus dem Zusammenhang reißen, denn sie haben keinen. Sofskys Text ist eine fast lückenlose Reihe gedanklicher Klischees - er verkettet Obersätze von unfertigen Syllogismen mit Überschriften zu verschollenen Besinnungsaufsätzen.
All das wäre nicht halb so ärgerlich, wenn Sofsky sein mit tiefen Sorgenfalten geführtes Wettergespräch über die Welt nach dem elften September nicht in die Atmosphäre furchtlosen Denkens hüllen würde. Das Werk, das ständig den Kleinmut der Menschen anprangert und "Courage" einfordert, riskiert keinerlei Kurzschlüsse mit der Ebene des Besonderen. Statt dessen richtet sich Sofsky auf Dauer im Luftraum des Allgemeinen ein. Abgesehen von einer Handvoll halbherziger Einlassungen zum Sozialstaat, dem er "inneren Imperialismus" vorwirft, zur romantischen Träumerei von der UN als "harmloser Weltmacht" oder zum geläufigen Schreckensbild einer überwachungstechnischen "Diktatur der Angst" bietet Sofsky keine auch nur halbwegs diskussionsfähigen Argumente. Wer will schon über Trivialien wie "Kriegszeiten sind gefährliche Zeiten" streiten?
Vermutlich ordnet Sofsky, der Montaigne zitiert, seine frei schweifenden Ausführungen der noblen Gattungstradition des Essays zu. Doch gerade ein Essay - und zumal einer, der die Risikoscheuen verdammt - darf den Kontakt zur Realität nicht einfach abbrechen. Mit ein paar dürren und pointenlosen Bemerkungen zum Erdbeben von Lissabon, zur Gründung der Versicherungsgesellschaft "Lloyd's" oder zur Belagerung von Sarajevo speist Sofsky den Hunger nach Erfahrung ab. Am deutlichsten wird die Weigerung, das innere Poesiealbum mit der äußeren Wirklichkeit abzugleichen, wenn der Autor einem Heckenschützen in verlogener Einfühlung über die Schulter blickt: "Das Fadenkreuz wandert über den Körper, den Rücken, die Brust, den Kopf des Opfers." Fast ein Wunder, daß Sofsky sein imaginäres Fadenkreuz, losgelöst von allen Raum-Zeit-Koordinaten, nicht auch noch über Arme und Beine des zum rhetorischen Dummy herabgewürdigten Opfers kreisen läßt.
"Das Prinzip Sicherheit" tritt auf als Manifest eines politischen Meisterdenkertums, das ohne Thesen auskommt und die Welt bestenfalls noch als Anlaß benötigt. Doch in Wahrheit betritt hier der Kulturkritiker in seiner unangenehmsten Ausprägung die Bühne - nämlich als Schwadroneur, der empiriefreie Gemeinplätze zum gedanklichen Gefahrengut erklärt. "Eine eigentümliche Aura des Abschieds", weiß Sofsky, "umgibt den Solitär." Das ist wohl das Prinzip Sicherheit: Ein Buch zu schreiben, bei dem der Leser aus dem bedenklichen Kopfnicken gar nicht mehr herauskommt. Als Ausdruck von Mut kann man solch ein Buch kaum betrachten. Aber es ist eine Frechheit.
ANDREAS ROSENFELDER
Wolfgang Sofsky: "Das Prinzip Sicherheit". S. Fischer Verlag, Frankfurt am Main 2005. 176 S., geb., 16,90 [Euro].
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Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension
Als "radikales Traktat zur geistigen Situation unserer Zeit" würdigt Rezensent Claus Leggewie diesen Essay über das "Prinzip Sicherheit", den der Soziologe Wolfgang Sofsky verfasst hat. Er bescheinigt dem Autor ein hohes Maß an Eigensinn sowie die strikte Ablehnung eines Zeitgeists, der den Übeln der Gegenwart nur passiv begegnet. Interessiert verfolgt er Sofskys Ausführungen über die weit verbreitete Paralyse und Ängstlichkeit angesichts zahlloser Risiken, Gefahren und Katastrophen in der globalisierten Welt. Der hilfesuchende Blick auf den Staat hilft hier nicht weiter. Leggewie hebt Sofskys kritischen Blick auf den Staat als traditionellen Garanten von Sicherheit und Ordnung hervor. Dieser biete in seiner gegenwärtigen Verfassung keinen Schutz, sondern werde selbst zu einem Unsicherheitsfaktor, indem er etwa mit der Begründung der Terrorbekämpfung Züge eines legalen Polizeistaates annehme. Sofskys Konsequenz findet Leggewie in einem starken Plädoyer für mehr Mut und Courage bei jedem Einzelnen.
© Perlentaucher Medien GmbH
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