Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 30.09.1998Hinaus schwimmt Ophelia
Schlappe Züge: Montalbáns "Quartett" erreicht das Ufer nicht
Manuel Vázquez Montalbán ist Kolumnist der spanischen Tageszeitung "El País", hierzulande auch bekannt als Verfasser der Kriminalromane mit Pepe Carvalho ("Mord im Zentralkomitee"), in denen er seine Vorliebe für gutes Essen und Gesellschaftskritik unterzubringen pflegt. In dem kleinen Band "Das Quartett" versucht er sich auch in der Charakterskizze, gegessen wird nur am Rande. Ein Mord bestimmt auch hier die Handlung, ohne allerdings nach dem klassischen Whodunit-Strickmuster seiner Aufklärung zu harren.
Wer die junge Frau ertränkte und auf denkbar ästhetische Weise im Teich versenkte, ist bald klar: es ist der Ich-Erzähler selbst, ein älterer Herr namens Ventòs. Man braucht auch nicht lange zu raten, welches Vorbild für die Gestaltung der schönen pflanzenumschlungenen Leiche herhalten mußte. (Es war nicht erst Javier Marías, der Shakespeare als Stichwort in die spanische Gegenwartsliteratur einführte.)
Interessant an dem Buch könnte allein die Feinabstimmung der einzelnen Charaktere zu einem geschmackvollen Drama sein. Könnte. "Das Quartett" besteht aus zwei Ehepaaren, alle Ende Dreißig, denen es weder an Geld noch an Gesundheit, an Schönheit oder beruflichem Erfolg oder privater Zufriedenheit fehlt. Señor Ventòs dreht und wendet, bewundert und analysiert diese rätselhafte Rätsellosigkeit: "Sie waren zehn Jahre jünger als ich und schlugen sich nicht mit irgendwelchen Schuldkomplexen herum, ja, nicht einmal die beleidigende Ästhetik oder Ethik des Frankismus hatte sie dazu gebracht, Stellung zu beziehen." Nach diesen zarten Strichen einer Charakterskizze greift der Erzähler aber sogleich in die Schlagwortkiste.: "Sie waren in ihrer Grundhaltung übertrieben postmodern, klischeehaft postmodern. Als hätten sie es studiert, als wären sie in einem Labor der Postmoderne an einem technologischen Institut in Massachussetts programmiert worden."
Damit wird aus dem spröden Roman endgültig ein fader Zeitgeistkommentar. Der zehn Jahre ältere "Führer in Höllen, Paradiesen und Boutiquen" betrachtet seine angeblichen Freunde so, als seien sie Dekorationsmaterial. Vielleicht ist das auch nicht erstaunlich, ist der Mann doch Innenarchitekt und lebt seit dem Tod seiner Mutter allein mit einer wertvollen Sammlung von Murano-Glas.
Man steht etwas ratlos vor diesem preziösen Prosastück für vier Streicher (in diese enge erzählerische Konstruktion hat Montalb¿an seine Personen gezwängt) und eine Stimme. Ein kleines, zweimaliges nostalgisches Winken in Richtung früherer Zeiten, als das Schreiben noch etwas bedeutete, soll dem Buch möglicherweise eine literarische Existenzberechtigung geben. Einmal stattet Vázquez Montalbán, der Kolumnist und einstige Kommunist, seinen müden Ästheten mit einer Erinnerung an den Algerienkrieg aus. Das andere Zitat, angeblich dem Roman "Stiller" von Max Frisch entnommen, könnte auch irgendwoher kommen: "Ich bin nicht der, der ich zu sein scheine." Da steht es, kurz und bündig: ein an sich selbst zweifelndes Individuum, das das Mantra der Moderne herleitet, weil es nicht anders kann. So schwimmt Ophelia als Zitat im Teich, um uns etwas über die Abgründe eines Innenarchitekten zu erzählen. KATHARINA DÖBLER
Manuel Vázquez Montalbán: "Das Quartett". Roman. Wagenbach Verlag, Berlin 1998. 107 S., geb., 29,80 DM.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Schlappe Züge: Montalbáns "Quartett" erreicht das Ufer nicht
Manuel Vázquez Montalbán ist Kolumnist der spanischen Tageszeitung "El País", hierzulande auch bekannt als Verfasser der Kriminalromane mit Pepe Carvalho ("Mord im Zentralkomitee"), in denen er seine Vorliebe für gutes Essen und Gesellschaftskritik unterzubringen pflegt. In dem kleinen Band "Das Quartett" versucht er sich auch in der Charakterskizze, gegessen wird nur am Rande. Ein Mord bestimmt auch hier die Handlung, ohne allerdings nach dem klassischen Whodunit-Strickmuster seiner Aufklärung zu harren.
Wer die junge Frau ertränkte und auf denkbar ästhetische Weise im Teich versenkte, ist bald klar: es ist der Ich-Erzähler selbst, ein älterer Herr namens Ventòs. Man braucht auch nicht lange zu raten, welches Vorbild für die Gestaltung der schönen pflanzenumschlungenen Leiche herhalten mußte. (Es war nicht erst Javier Marías, der Shakespeare als Stichwort in die spanische Gegenwartsliteratur einführte.)
Interessant an dem Buch könnte allein die Feinabstimmung der einzelnen Charaktere zu einem geschmackvollen Drama sein. Könnte. "Das Quartett" besteht aus zwei Ehepaaren, alle Ende Dreißig, denen es weder an Geld noch an Gesundheit, an Schönheit oder beruflichem Erfolg oder privater Zufriedenheit fehlt. Señor Ventòs dreht und wendet, bewundert und analysiert diese rätselhafte Rätsellosigkeit: "Sie waren zehn Jahre jünger als ich und schlugen sich nicht mit irgendwelchen Schuldkomplexen herum, ja, nicht einmal die beleidigende Ästhetik oder Ethik des Frankismus hatte sie dazu gebracht, Stellung zu beziehen." Nach diesen zarten Strichen einer Charakterskizze greift der Erzähler aber sogleich in die Schlagwortkiste.: "Sie waren in ihrer Grundhaltung übertrieben postmodern, klischeehaft postmodern. Als hätten sie es studiert, als wären sie in einem Labor der Postmoderne an einem technologischen Institut in Massachussetts programmiert worden."
Damit wird aus dem spröden Roman endgültig ein fader Zeitgeistkommentar. Der zehn Jahre ältere "Führer in Höllen, Paradiesen und Boutiquen" betrachtet seine angeblichen Freunde so, als seien sie Dekorationsmaterial. Vielleicht ist das auch nicht erstaunlich, ist der Mann doch Innenarchitekt und lebt seit dem Tod seiner Mutter allein mit einer wertvollen Sammlung von Murano-Glas.
Man steht etwas ratlos vor diesem preziösen Prosastück für vier Streicher (in diese enge erzählerische Konstruktion hat Montalb¿an seine Personen gezwängt) und eine Stimme. Ein kleines, zweimaliges nostalgisches Winken in Richtung früherer Zeiten, als das Schreiben noch etwas bedeutete, soll dem Buch möglicherweise eine literarische Existenzberechtigung geben. Einmal stattet Vázquez Montalbán, der Kolumnist und einstige Kommunist, seinen müden Ästheten mit einer Erinnerung an den Algerienkrieg aus. Das andere Zitat, angeblich dem Roman "Stiller" von Max Frisch entnommen, könnte auch irgendwoher kommen: "Ich bin nicht der, der ich zu sein scheine." Da steht es, kurz und bündig: ein an sich selbst zweifelndes Individuum, das das Mantra der Moderne herleitet, weil es nicht anders kann. So schwimmt Ophelia als Zitat im Teich, um uns etwas über die Abgründe eines Innenarchitekten zu erzählen. KATHARINA DÖBLER
Manuel Vázquez Montalbán: "Das Quartett". Roman. Wagenbach Verlag, Berlin 1998. 107 S., geb., 29,80 DM.
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