Produktdetails
- Verlag: Monsenstein und Vannerdat
- Seitenzahl: 171
- Deutsch
- Abmessung: 200mm
- Gewicht: 256g
- ISBN-13: 9783865824769
- ISBN-10: 3865824765
- Artikelnr.: 23263178
- Herstellerkennzeichnung Die Herstellerinformationen sind derzeit nicht verfügbar.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 02.11.2007Lasst Geheimbotschaften um mich sein!
Klaus Schröer lüftet das Geheimnis des Genter Altars, hat aber zu viel Fantasy-Literatur konsumiert
Es gab Zeiten, in denen bestand das "Geheimnis" eines Kunstwerks in seinem diskursiv nicht zu erfassenden Sinnüberschuss. Gern wurde dieses nur Erfühl- und Erahnbare zu einer Offenbarung des göttlichen Künstlergenies überhöht. Diese Zeiten sind vorbei, und das ist gut so. Allerdings scheinen wir uns derzeit auf das andere Ende der Skala zuzubewegen: Das Rätsel der Kunst ist heutzutage lösbar, glaubt man dem Titel des grafisch etwas lieblos gestalteten Bändchens von Klaus Schröer über Jan van Eycks Genter Altar. Dass Schröer - laut Verlagsinformation "Autor, Künstler und Spieleerfinder" - ein Profi der Rätsellösung ist, belegt der Blick in den Anhang des Buches: Hat er doch in Rotenburg/Wümme den Rätsel- und Spielepark "Enigma" entworfen, der hier beworben wird. Die "human skills", die der Besucher im dortigen Rätselparcours trainieren kann, scheinen auch Schröer dazu befähigt zu haben, als Einziger dem Genter Altar sein Geheimnis zu entlocken.
Sein Ausgangspunkt ist die Einsicht, dass die Sonntagsseite des Altars die Ankunft des Himmlischen Jerusalems darstelle, dieses aber in seiner üblichen architektonischen Form (ein quadratischer oder runder Grundriss, umgeben von Mauern, die sich in alle Himmelsrichtungen mit zwölf Toren öffnen) dort nicht zu finden ist. Die locker plazierten Kirchengebäude im Hintergrund stehen sogar in direktem Gegensatz zur biblischen Beschreibung des Himmlischen Jerusalem, heißt es doch in der Offenbarung des Johannes: "Und ich sah keinen Tempel darinnen; denn der Herr, der allmächtige Gott, ist ihr Tempel und das Lamm." Ersetzen die zwölf Engel, die um den Altartisch herumknien, auf dem das göttliche Lamm in den Kelch blutet, in personifizierter Form die zwölf Tore, die das Grab Christi umzäunen?
Mit einer solchen "Notlösung" der Sinnentschlüsselung gibt sich der Autor nicht zufrieden: Er sieht in einer der Kirchen im Hintergrund, die sich durch ihren polygonen Grundriss als Grabkirche zu erkennen gibt, einen dezenten Fingerzeig des Malers darauf, dass die Gesamtkomposition seines Bildes als Rätsel zu lesen sei, "das eine zwölfeckige Grabeskirche beschreibt". In einer autobiographischen Erweckungsszene schildert Schröer seine Findung: "Nur mit dem gerade beschriebenen Gedankenexperiment bewaffnet, machte ich mich eines Abends im Jahre 1999 und unmittelbar nachdem mir dieser Gedanke in den Kopf geschossen war, auf die Suche nach einer zwölfeckigen Grabkirche, die über ihre ungewöhnliche Architektur den Gedanken der Grabeskirche zu Jerusalem mit dem des Himmlischen Jerusalems in eleganter Weise vereinigen würde, so es sie denn gab. Glücklicherweise stand mir damals umfassende Literatur zur Kirchenarchitektur mit unzähligen Grundrissen griffbereit zur Verfügung."
Kurz vor dem Ermüden erblickte Schröer im Lichtkegel seiner Schreibtischlampe die Seite 208 des Bandes Mittelalter I der Reihe ,Propyläen Kunstgeschichte'. "Ich drehte das Buch langsam um 90 Grad gegen den Uhrzeigersinn, und es lief mir binnen weniger Augenblicke eiskalt den Rücken herunter: Der Grundriss, den ich erblickte, zeigte derart viele Übereinstimmungen mit dem Aufbau und der Komposition der Mitteltafeln des Genter Altars, dass mir der Atem stockte und ich leicht zu zittern begann."
Es war der Grundriss der Kirche La Vera Cruz im kastilischen Segovia, der unserem Autor diese Erkenntnis bescherte. Und dann war kein Halten mehr: Nicht nur ließ sich dieser Grundriss mit ein wenig Geschick kompositorisch deckungsgleich über den Mittelteil des Genter Altars legen, auch die Kirche selbst, ihre dokumentarisch wenig gesicherte Geschichte und ihre Verbindung zum legendären Templerorden öffneten Verschwörungstheorien nach Art von Dan Brown Tür und Tor. Denn selbstverständlich blutet van Eycks Lamm auch nicht einfach nur in einen Kelch, sondern in den Heiligen Gral. In phantastischen Volten entwirft Schröer ein Netz von Rätseln und Anspielungen, die im Altarbild versteckt sein sollen, und lässt keine methodische Todsünde eines kunsthistorischen Proseminaristen aus: Die Propyläen Kunstgeschichte zitiert er ebenso wie den Thieme-Becker, der Große Brockhaus ist zeitgemäß durch http://de.wikipedia.org ersetzt. Aus Inschriften liest er buchstabenmystische Botschaften des Künstlers - so habe dieser in dem nur abgekürzt im Bild befindlichen "IESVS: EGO SUM VIA" den Ortsnamen Segovia versteckt.
Und schließlich wird im Rahmen einer spekulativen Meisterleistung eine Reise van Eycks nach Segovia konstruiert, bei der der Künstler die heute im Prado befindliche Tafel des "Lebensbrunnens", die Schröer als später verworfene Konzeption des Genter Altars interpretiert, dort zurückließ. Vorher verewigte er sich allerdings noch malerisch in einem Graffito an der Wand zwischen Südportal und Chor der Kirche. Weiterhin wird der Altar in den Kontext von Kreuzrittertum und Templerorden gestellt und schließlich auf höchste politisch-diplomatische Ebenen gehoben: Philipp der Gute könnte, so Schröer, auf van Eyck eingewirkt haben, im Altarbild eine Geheimbotschaft für einen kleinen Kreis von Eingeweihten, in diesem Fall die Ritter vom Goldenen Vlies, zu verstecken, die damit auf die gemeinsame Sache - den Jerusalem-Kreuzzug - eingeschworen werden sollten. Zugleich würden durch die Einarbeitung des spanischen Kirchengrundrisses burgundische Interessen in Kastilien im Sinne einer antifranzösischen Politik signalisiert. Spätestens hier möchte der Leser dem Autor anraten, weniger verschwörungstheoretische Fantasy-Literatur zu konsumieren, nach 20 Uhr keinesfalls noch Kirchengrundrisse zur Hand zu nehmen und stattdessen lieber weiter Rätselparks zu entwerfen.
CHRISTINE TAUBER
Klaus Schröer: "Das Rätsel des Lammes". Der Genter Altar und sein Geheimnis. Verlagshaus Monsenstein und Vannerdat, Münster 2007. 166 S., Abb., geb., 26,50 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Klaus Schröer lüftet das Geheimnis des Genter Altars, hat aber zu viel Fantasy-Literatur konsumiert
Es gab Zeiten, in denen bestand das "Geheimnis" eines Kunstwerks in seinem diskursiv nicht zu erfassenden Sinnüberschuss. Gern wurde dieses nur Erfühl- und Erahnbare zu einer Offenbarung des göttlichen Künstlergenies überhöht. Diese Zeiten sind vorbei, und das ist gut so. Allerdings scheinen wir uns derzeit auf das andere Ende der Skala zuzubewegen: Das Rätsel der Kunst ist heutzutage lösbar, glaubt man dem Titel des grafisch etwas lieblos gestalteten Bändchens von Klaus Schröer über Jan van Eycks Genter Altar. Dass Schröer - laut Verlagsinformation "Autor, Künstler und Spieleerfinder" - ein Profi der Rätsellösung ist, belegt der Blick in den Anhang des Buches: Hat er doch in Rotenburg/Wümme den Rätsel- und Spielepark "Enigma" entworfen, der hier beworben wird. Die "human skills", die der Besucher im dortigen Rätselparcours trainieren kann, scheinen auch Schröer dazu befähigt zu haben, als Einziger dem Genter Altar sein Geheimnis zu entlocken.
Sein Ausgangspunkt ist die Einsicht, dass die Sonntagsseite des Altars die Ankunft des Himmlischen Jerusalems darstelle, dieses aber in seiner üblichen architektonischen Form (ein quadratischer oder runder Grundriss, umgeben von Mauern, die sich in alle Himmelsrichtungen mit zwölf Toren öffnen) dort nicht zu finden ist. Die locker plazierten Kirchengebäude im Hintergrund stehen sogar in direktem Gegensatz zur biblischen Beschreibung des Himmlischen Jerusalem, heißt es doch in der Offenbarung des Johannes: "Und ich sah keinen Tempel darinnen; denn der Herr, der allmächtige Gott, ist ihr Tempel und das Lamm." Ersetzen die zwölf Engel, die um den Altartisch herumknien, auf dem das göttliche Lamm in den Kelch blutet, in personifizierter Form die zwölf Tore, die das Grab Christi umzäunen?
Mit einer solchen "Notlösung" der Sinnentschlüsselung gibt sich der Autor nicht zufrieden: Er sieht in einer der Kirchen im Hintergrund, die sich durch ihren polygonen Grundriss als Grabkirche zu erkennen gibt, einen dezenten Fingerzeig des Malers darauf, dass die Gesamtkomposition seines Bildes als Rätsel zu lesen sei, "das eine zwölfeckige Grabeskirche beschreibt". In einer autobiographischen Erweckungsszene schildert Schröer seine Findung: "Nur mit dem gerade beschriebenen Gedankenexperiment bewaffnet, machte ich mich eines Abends im Jahre 1999 und unmittelbar nachdem mir dieser Gedanke in den Kopf geschossen war, auf die Suche nach einer zwölfeckigen Grabkirche, die über ihre ungewöhnliche Architektur den Gedanken der Grabeskirche zu Jerusalem mit dem des Himmlischen Jerusalems in eleganter Weise vereinigen würde, so es sie denn gab. Glücklicherweise stand mir damals umfassende Literatur zur Kirchenarchitektur mit unzähligen Grundrissen griffbereit zur Verfügung."
Kurz vor dem Ermüden erblickte Schröer im Lichtkegel seiner Schreibtischlampe die Seite 208 des Bandes Mittelalter I der Reihe ,Propyläen Kunstgeschichte'. "Ich drehte das Buch langsam um 90 Grad gegen den Uhrzeigersinn, und es lief mir binnen weniger Augenblicke eiskalt den Rücken herunter: Der Grundriss, den ich erblickte, zeigte derart viele Übereinstimmungen mit dem Aufbau und der Komposition der Mitteltafeln des Genter Altars, dass mir der Atem stockte und ich leicht zu zittern begann."
Es war der Grundriss der Kirche La Vera Cruz im kastilischen Segovia, der unserem Autor diese Erkenntnis bescherte. Und dann war kein Halten mehr: Nicht nur ließ sich dieser Grundriss mit ein wenig Geschick kompositorisch deckungsgleich über den Mittelteil des Genter Altars legen, auch die Kirche selbst, ihre dokumentarisch wenig gesicherte Geschichte und ihre Verbindung zum legendären Templerorden öffneten Verschwörungstheorien nach Art von Dan Brown Tür und Tor. Denn selbstverständlich blutet van Eycks Lamm auch nicht einfach nur in einen Kelch, sondern in den Heiligen Gral. In phantastischen Volten entwirft Schröer ein Netz von Rätseln und Anspielungen, die im Altarbild versteckt sein sollen, und lässt keine methodische Todsünde eines kunsthistorischen Proseminaristen aus: Die Propyläen Kunstgeschichte zitiert er ebenso wie den Thieme-Becker, der Große Brockhaus ist zeitgemäß durch http://de.wikipedia.org ersetzt. Aus Inschriften liest er buchstabenmystische Botschaften des Künstlers - so habe dieser in dem nur abgekürzt im Bild befindlichen "IESVS: EGO SUM VIA" den Ortsnamen Segovia versteckt.
Und schließlich wird im Rahmen einer spekulativen Meisterleistung eine Reise van Eycks nach Segovia konstruiert, bei der der Künstler die heute im Prado befindliche Tafel des "Lebensbrunnens", die Schröer als später verworfene Konzeption des Genter Altars interpretiert, dort zurückließ. Vorher verewigte er sich allerdings noch malerisch in einem Graffito an der Wand zwischen Südportal und Chor der Kirche. Weiterhin wird der Altar in den Kontext von Kreuzrittertum und Templerorden gestellt und schließlich auf höchste politisch-diplomatische Ebenen gehoben: Philipp der Gute könnte, so Schröer, auf van Eyck eingewirkt haben, im Altarbild eine Geheimbotschaft für einen kleinen Kreis von Eingeweihten, in diesem Fall die Ritter vom Goldenen Vlies, zu verstecken, die damit auf die gemeinsame Sache - den Jerusalem-Kreuzzug - eingeschworen werden sollten. Zugleich würden durch die Einarbeitung des spanischen Kirchengrundrisses burgundische Interessen in Kastilien im Sinne einer antifranzösischen Politik signalisiert. Spätestens hier möchte der Leser dem Autor anraten, weniger verschwörungstheoretische Fantasy-Literatur zu konsumieren, nach 20 Uhr keinesfalls noch Kirchengrundrisse zur Hand zu nehmen und stattdessen lieber weiter Rätselparks zu entwerfen.
CHRISTINE TAUBER
Klaus Schröer: "Das Rätsel des Lammes". Der Genter Altar und sein Geheimnis. Verlagshaus Monsenstein und Vannerdat, Münster 2007. 166 S., Abb., geb., 26,50 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
Christine Tauber winkt ab. Den Autor dieser kunsthistorischen Schnitzeljagd stellt sie "Autor, Künstler und Spielerfinder" vor und ist sich nicht sicher, ob ihn dies dafür qualifiziert dem Genter Altar des Jan van Eyck Geheimnisse zu entreißen. Auf jeden Fall hat Klaus Schröer dort eine Kirche entdeckt, deren Grundriss zu keiner Jerusalemer passt. Dafür aber laut Schröer zu der sagenumwobenen Kirche Vera Cruz im kastilischen Segovia, und damit kommen die Templer ins Spiel. Tauber interessiert sich nicht wirklich für die anschließenden "fantastischen Volten" die der Autor etwas Dan-Brown-artig schlägt, und auch wir können den Fährten nicht wirklich folgen.
© Perlentaucher Medien GmbH
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