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Produktdetails
  • Diana-Taschenbücher Nr.327
  • Verlag: Heyne
  • Originaltitel: Wild Decembers
  • Seitenzahl: 329
  • Deutsch
  • Abmessung: 190mm
  • Gewicht: 315g
  • ISBN-13: 9783453863804
  • ISBN-10: 3453863801
  • Artikelnr.: 10866006
Autorenporträt
Kathrin Razum übersetzte u. a. T. C. Boyle, John le Carré, Agatha Christie, Vikram Chandra, V. S. Naipaul, Edna O'Brien und Susan Sontag. Sie lebt in Heidelberg.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 12.11.2001

Dorfluder und Torftrottel
Wilde Männer, wüste Frauen: Edna O'Briens neue Irland-Saga

Irland ist auch keine Insel der Seligen mehr. Zwar suchen unsere Zivilisationsflüchtlinge unverdrossen die trinkfesten Paddys und grünen Hügel ihrer Sehnsucht, und umgekehrt fliehen die irischen Dichter wie seit Joyce' Zeiten immer noch ins Exil. Aber der rauhe Charme der gottergebenen Hungerleider ist zur folkloristischen Erinnerung verblaßt, und die unverwüstlich romantischen Tresendichter, Bombenleger und weltfrommen Priester sind längst von smarten Tourismusmanagern vereinnahmt oder abgelöst worden. Nur in Edna O'Briens Romanen lebt das alte Irland noch fort - schon, weil die Grand Old Lady der irischen Literatur die Tyrannei der katholischen Sexualmoral wie die magischen Landschaften vom Londoner Exil aus zu besingen vorzieht. Ihr zweiundzwanzigstes Buch beschwört noch und wieder einmal das rauhe Land, wo der Weißdorn blüht, Kälber auf saftigen Auen schmatzen und die Männer sich wie seit Abrahams Zeiten für ein Stück Land die Schädel einschlagen und ihre Frauen ins Unglück treiben. Cloontha, ein verschlafenes, von Zivilisation und Frauenemanzipation offenbar kaum berührtes Dorf im mittleren Westen, hat Felder, die "mehr als Felder, mehr als das Leben und auch mehr als der Tod" bedeuten.

Wenigstens für Joseph Brennan, der das Land und die Sitten seiner Väter mit der Inbrunst dessen liebt, der nichts anderes hat als Gefühle von alttestamentarischer Wucht und epischer Größe: ein langsamer Brüter, der sich im aussichtslosen Kampf gegen Modernisierung und Globalisierung selbst verheizt. Das Übel kommt in Gestalt eines Schafhirten, der, aus Australien heimgekehrt, Scholle und Schwester seines Nachbarn für sich beansprucht; diese mit dem Segen der Gerichte, jene mit dem Recht der Liebe. So steigert sich, befeuert von Eifersucht und dumpfem Starrsinn, Stolz und Vorurteil, die Fehde zur antiken Tragödie. Joseph kämpft mit der Hartnäckigkeit und dem selbstgerechten Jähzorn eines Kohlhaas um altverbriefte Weide- und Torfrechte, aber er findet keine "Gerechtigkeit für den kleinen Mann", denn die Welt ist zu raffiniert für seinen simplen Wahnwitz. Nicht nur, weil sein Rivale Michael Bugler pragmatischer ist: Die patriarchalische Eigentums- und Familienordnung ist dem Untergang geweiht. Die zarte Breege, eine "Elfenbein-Maria", die ihren Bruder still und aufopferungsvoll verehrt, verliebt sich - nicht zufällig auf einem Traktor, dem ersten im Dorf - in den draufgängerischen Nachbarn, und auch Bugler ist dem Engel von Cloonath bald so zugetan, daß er seine australische Verlobte am liebsten vergäße. Als Rosemary, selbstbewußt, kalt und glamourös, bei ihrem ungetreuen Bräutigam auftaucht, nimmt das Verhängnis seinen Lauf. Die "verfeindeten Söhne verfeindeter Väter", schreibt Edna O'Brien mit biblischem Pathos, sind "verflucht zu unwiderstehlicher Knechtschaft, jenem Wahnsinn, der das Kennzeichen des Menschen ist, als müsse er zurückwandern durch Ort und Zeit, zurück in die alles aufhebende Leere, um Boden wieder in Besitz zu nehmen, der für immer dahin ist".

Der seßhafte Landmann und der clevere Herumtreiber, der weltläufige Fuchs im Hühnerstall und der eifersüchtige Hüter seiner Schwester: Es ist eine uralte Geschichte, und sie ist seit Kain und Abel schon tausendmal erzählt worden. Aber selten so wie hier: Kraftvoll, poetisch, dampfend vor erdiger Sinnlichkeit und Leidenschaft, aber nie blumig und nur selten verkitscht. Zwar streift der hohe Ton von O'Briens elegisch-ekstatischer Naturvergötterung gelegentlich die Blut-und-Boden-Mystik, aber der mit Liedern und Geschichten, Schriftsätzen und Polizeiberichten aufgerauhte Bewußtseinsstrom verdankt einem Joyce oder einer Virginia Woolf (oder Emily Brontë, von der auch der Originaltitel "Wild Decembers" entliehen ist) mehr als einem Tolstoi oder Hamsun.

O'Brien, deren Romane einst von der katholischen Kirche als Teufelszeug verboten und verbrannt wurden, richtet ihre Figuren nicht für den urbanen Geschmack zu; sie beläßt den Frauen eine archaische Würde und den Männern eine kreatürliche Gewalttätigkeit. Eine Kneipenprügelei wird so zur "Saga von Trutz und Heldenmut", eine juristische Auseinandersetzung zum Trojanischen Krieg und die "Sehnsucht nach den Wurzeln zum heiligen Gral". Joseph ist nämlich weder Dorfdepp noch "Torfkopp", sondern ein durchaus klassisch gebildeter Farmer. Allerdings kann ihn nicht jeder verstehen, wenn er nach ein paar Gläsern Whiskey von uralten "geheiligten Banden" und Blutrache schwadroniert. Der Autofahrer, dem er mit den Worten des Helden Cuchulain "und zog mein Schwert gegen die See" gegenübertritt, sucht eilends das Weite; die Richter ahnden seine homerischen Beschimpfungen mit saftigen Ordnungsstrafen. So sind die Männer bei Edna O'Brien nun einmal. Aber selbst sie bleiben eingebunden in den geschichtslosen, genuin weiblichen Kreislauf der Natur, der in mächtigen, animalischen Bildern von Gebären und Sterben beschworen wird. Wohl gibt es in Cloontha bereits Kettensägen, Anwälte und Friseursalons, und beim Dorfquiz kann man, wenn schon keine Million, so doch Kochbücher und Windhunde gewinnen. Aber im übrigen glaubt man in diesem Irland noch immer an Banshee, die Todesfee, und Caithleen Ni Houlihan; man singt und tanzt wie in alten Zeiten im Gemeindehaus, sucht bei Kräuterhexen Rat und trifft sich zum "Pflöckeln" - in sexuellen Dingen ist die Autorin derb wie immer - im Heu oder im Mondschein auf dem alten Friedhof. Edna O'Brien hat fast alle Zeitspuren aus ihrem Roman geflissentlich getilgt, ohne daß das Drama dadurch weniger genau situiert wäre.

Das liegt auch daran, daß sie die Dorfgemeinde, den Chor dieser Tragödie, geschickt individualisiert und die düstere Grundstimmung immer wieder durch ländliche Genreszenen und Grotesken aufhellt: "Krücke" etwa ist der hinkende Bote und intrigante Narr; der Advokat O'Dea ein altirischer Märchenerzähler. Die Schwestern Reena und Rita, zwei schamlose Dorfluder, stammen vollends aus dem Reich der Burleske, wenn nicht noch älterer Fruchtbarkeitsmythen: Die eine hebt den Rock, die andere kassiert in Naturalien ab, und wenn die beiden Weibsteufel einmal ihren Meister finden, verwandeln sie sich in grausame Rachegöttinnen.

Breege dagegen, von Bugler geschwängert und vom Bruder verstoßen, verliert am Ende Sprache und Verstand. Nicht auf Dauer, denn zuletzt sind die Frauen, wie meistens bei O'Brien, "immer die Stärkeren". Sie besitzen, einmal zum Bewußtsein ihrer Stärke erwacht, die Macht, jenes rauhes Land fruchtbar zu machen, auf dem die Helden ihren "verruchten Samen" ausbrachten. Die Männer mögen sich im Kampf um ein Stück Moor oder einen Windhund lächerlich machen oder töten: Die Wurzeln der Frauen reichen tiefer in das Erdreich chthonischer Mythen. Ihr "Granatapfelhain" hinterm Keuschheitszaun bedeutet mehr als alle Felder von männlicher Ehre, Blut und Tod, denn sie tragen neues Leben unterm Herzen. Alles in allem also: Gute Hoffnung am Ende einer schwerblütigen, vormodernen Saga.

MARTIN HALTER

Edna O'Brien: "Das raue Land". Roman. Aus dem Englischen übersetzt von Kathrin Razum. Hoffmann und Campe Verlag, Hamburg 2001. 301 S., geb., 39,90 DM.

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