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Zu Beginn der dreißiger Jahre erkannte die Familie Oppenheimer die Gefahren von Hitlers Programm und zog daraus die unerbittlichen Konsequenzen. Auf der Suche nach einer neuen Heimat fanden sie Ascona am Lago Maggiore, ein Fischerdorf an der Südspitze der Schweiz. In den folgenden fünfundsechzig Jahren, die Wolfgang Oppenheimer Revue passieren läßt, wandelte sich Ascona von einer exklusiven Künstlerkolonie zum Touristenzentrum. Obwohl der Autor nahezu die ganze Welt bereiste, zieht ihn Ascona immer wieder in ihren Bann, eine Stadt, die in ihren Wesensveränderungen symptomatisch für die Schweiz ist.…mehr

Produktbeschreibung
Zu Beginn der dreißiger Jahre erkannte die Familie Oppenheimer die Gefahren von Hitlers Programm und zog daraus die unerbittlichen Konsequenzen. Auf der Suche nach einer neuen Heimat fanden sie Ascona am Lago Maggiore, ein Fischerdorf an der Südspitze der Schweiz. In den folgenden fünfundsechzig Jahren, die Wolfgang Oppenheimer Revue passieren läßt, wandelte sich Ascona von einer exklusiven Künstlerkolonie zum Touristenzentrum. Obwohl der Autor nahezu die ganze Welt bereiste, zieht ihn Ascona immer wieder in ihren Bann, eine Stadt, die in ihren Wesensveränderungen symptomatisch für die Schweiz ist.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung

Begegnungen erfreuen das Herz des Bankdirektors
Von bösen Mächten verjagt, von guten Sternen beschützt: Wolfgang Oppenheimers Erinnerungen nicht nur an Ascona

Lieber reich und gesund als arm und krank. Glücklich zu preisen ist, wer sein Leben nach dieser Maxime einrichten kann. Wenn er schließlich seinen wohlverdienten Ruhestand genießt, dann sind alle Voraussetzungen für das Verfassen von autobiographischen Schriften erfüllt. Ob die Leser dann aber von der Lektüre gefesselt werden, ist anzuzweifeln. Mit Recht ist die Schlagzeile "Man bites dog" auflagenträchtiger als "Dog bites man". Wer das Glück hatte, in seinem Leben nur von wenigen Hunden gebissen worden zu sein, wird es schwer haben, wenn er seine Erinnerungen aufschreibt.

Erfreulicherweise trifft diese Überlegung auf Wolfgang Oppenheimer und sein Buch "Das Refugium" nur bedingt zu. Geld und Gesundheit besaß er wohl zeitlebens im überdurchschnittlichen Maß. Sein Bankkonto wurde allenfalls einmal von einer amerikanischen Exfrau und Alimentenjägerin bedroht; ein Schicksal, für das ein armer Zeitungshacker auch nicht sonderlich viel Mitleid aufbringen kann. Aber man merkt doch, daß sich unter der glatten Oberfläche ein interessanter Nonkonformist (der Terminus Freak wäre eine Übertreibung) verbirgt, und das macht das Buch lesenswert.

Der Band trägt den Untertitel "Erinnerungen an Ascona". Eigentlich handelt es sich eher um eine Autobiographie mit besonderer Berücksichtigung der Lebensabschnitte, die sich in Ascona abspielten. Man lernt aber auch viel über das Dorf am Lago Maggiore und über die vergangene Welt der Emigranten, die vor dem Naziterror dorthin geflohen waren.

Oppenheimer wurde 1923 in Hamburg im Zeichen des Wassermanns geboren. Sein Aszendent ist der Zwilling. Wir erwähnen das hier, weil er fest an die Gültigkeit der Astrologie glaubt. Das geschieht aber auf eine für Oppenheimer bezeichnende Art. Mit seiner typischen Toleranz hat er sich seine Lebensphilosophie wie in einem Gemischtwarenladen zusammengesucht. Ein Quentchen Zen-Buddhismus, ein Deka Antroposophie, eine Prise Christentum. Was ihm an einer Weltanschauung gefällt, übernimmt er, und über die negativen Aspekte sieht er hinweg. Warum soll man nicht gleichzeitig an den christlichen Gott und das Horoskop glauben? Es könnte ja sein, daß der Schöpfer aus unerfindlichen Gründen unser Leben so eingerichtet hat, daß es von den Tierkreiszeichen bestimmt wird. Nicht im Sinne eines Schicksals, dem man nicht entgehen kann, sondern mehr als Tendenz, die uns bekannt sein sollte, damit wir uns danach richten können. Jeder bleibt trotzdem noch seines Glückes Schmied. Den Wassermann und den Zwilling teilt der Autor mit Friedrich dem Großen, einer Person, die ihn seit jeher fasziniert hat. Er ist nicht so vermessen, sich mit dem Preußenkönig zu vergleichen, aber er überlegt doch, ob es nicht Ähnlichkeiten mit ihm gibt. Laut Klappentext besitzt Oppenheimer immerhin einen Professorentitel (was er uns im Buch verschweigt), und es zeugt von einem sympathischen Selbstbewußtsein, daß er trotzdem keine Hemmungen hat, sich zu seinen esoterischen Überzeugungen zu bekennen. Er hat sogar einen Band über Astrologie und Geschichte geschrieben.

Doch zurück zur Biographie. Der Vater war Jude. 1923 war das noch kein großes Problem. Die väterliche Familie besaß diverse Lederfabriken, was häufige Umzüge erforderlich machte. Von 1928 an lebte man in Berlin. Als der Antisemitismus in Deutschland immer schlimmer wurde, begannen die Eltern über eine eventuelle Emigration zu streiten. Der Vater, ein unverbesserlicher Optimist, der diese Eigenschaft auch an den Sohn vererbt hat, sah die Lage nicht so ernst. Die Mutter hingegen wollte unbedingt nach Ascona umziehen, dem kleinen Fischerdorf, das sie vor allem aus den Erzählungen einer lieben Freundin kannte. Zweimal verbrachte man probeweise den Urlaub dort. Bei der Machtergreifung Hitlers hielt sich dann die Mutter gerade mit dem Sohn in Holland auf. Sie weigerte sich, nach Berlin zurückzukehren. Der Vater mußte schließlich nachgeben, und die Familie traf sich erst wieder im Tessin. Wären damals nur mehr Leute so weitblickend gewesen wie Kläre Oppenheimer!

Für ihren Sohn wurde Ascona zur neuen Heimat. Er war aus Gründen der Ausbildung und des Berufes häufig abwesend. Der Neptun im vierten Haus ist schließlich ein Symbol der Unstetigkeit. Aber er kehrte immer wieder zurück. Er besuchte Internate und studierte später erfolgreich eine Mischung aus Jura, Geschichte und Wirtschaftswissenschaften. Dabei lernte er den Lehrsatz von der kurzfristigen Bilanzschwebe und der kreditabwürgenden Unsicherheitsrelation so gründlich, daß er anschließend ein erfolgreicher Geschäftsmann wurde, zunächst im Leder-, dann im Bankgeschäft. Im Alter kehrte er zur Geschichtsforschung zurück und verfaßte Biographien von Prinz Eugen und Jacques Necker, dem französischen Finanzminister unter Ludwig XVI. (F.A.Z. vom 31. März 1989).

In Ascona und anderswo hatte er sein Leben lang immer wieder Kontakt mit vielen interessanten Persönlichkeiten, mit Dichtern, Malern, Musikern, Architekten, Astrologen, Bankiers, Rechtsanwälten und so weiter und so fort. Leider werden viele davon so kurz abgehandelt, daß man sich keine rechte Vorstellung von ihnen machen kann. Diese Beschreibungen leiden auch darunter, daß Oppenheimer meistens die positiven Aspekte einer Persönlichkeit betont. Er gibt sich Mühe, freundlich zu sein. Ein ausgeprägtes Harmoniebedürfnis ist bei einem Bankdirektor eine Tugend, bei einem Memoirenschreiber führt es dazu, daß die Wirklichkeit verzerrt dargestellt wird. Ein zugegeben extremes Beispiel ist folgendes Zitat: "Wenn man aus eigener Erfahrung weiß, welche Fortschritte und Erfolge der jüdische Beitrag der deutschen Wirtschaft gebracht hatte, dann steht man kopfschüttelnd vor Hitlers Zwangsmaßnahmen." Mit anderen Worten: Hitler hat die Hühner geschlachtet, die noch so viele goldene Eier gelegt hätten. Dieser Satz ist natürlich nicht so gemeint, aber er zeigt doch, daß das eindeutige Wort nicht immer zu den Stärken des Autors gehört.

Einige Menschen werden aber auch so ausführlich beschrieben, daß man sie plastisch vor sich sieht. Ihnen sind eigene Kapitel gewidmet. Das erste davon schildert den kauzigen und wenig lebenstüchtigen Architekten Carl Weidemeyer, einen Bauhaus-Adepten. Dieser entwarf 1934 die Villa Chiara, das Haus der Oppenheimers. Weitere Abschnitte befassen sich mit den Schriftstellern Ferdinand Lion und Hans Habe.

Natürlich machte die moderne Zeit nicht vor der Tessiner Idylle halt. Es gab aufsehenerregende Kriminalfälle. Die engen Straßen wurden von stinkenden Automobilen verstopft. "Hard-Rock-Diskos" verdrängten die traditionellen Tanzlokale. Oppenheimer begann, sich als Mitglied der Konservativen Partei in der Kommunalpolitik zu engagieren. Dabei setzte er sich hauptsächlich für die Erhaltung der Natur und der alten Häuser ein. Nach einigen Erfolgen und einigen Niederlagen zog er sich enttäuscht zurück. Es ist am Ende unmöglich, den Sieg der Baumfäller und Betonierer zu verhindern.

Alles in allem ist das Buch eine kurzweilige Lektüre, umfangreich genug für eine Eisenbahnfahrt von Hamburg ins Tessin. Es ist kein spezifisch jüdischer Erinnerungsband wie etwa Torbergs Klassiker "Tante Jolesch", aber den verstehen wir Gojim sowieso nicht. ERNST HORST

Wolfgang Oppenheimer: "Das Refugium". Erinnerungen an Ascona. Universitas Verlag, München 1998. 269 S., Abb., geb., 39,90 DM.

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