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1885 erschütterte die westliche Welt die Nachricht vom Fall der Stadt Khartum und der brutalen Ermordung des britischen Generals Charles Gordon. Die Anhänger des Mahdi Mohammed Ahmed errichteten den ersten islamischen Gottesstaat und schotteten den Sudan über 12 Jahre gänzlich von der Umwelt ab. Erst der Rachefeldzug Lord Kitcheners machte dieser historischen Episode ein Ende, die zu Recht als Geburtsstunde des islamischen Fundamentalismus gesehen werden kann. Erhard Oeser erzählt anschaulich Aufstieg und Fall des Mahdi-Reiches. Er stützt sich dabei auch auf die Berichte zweier Gefangenen des…mehr

Produktbeschreibung
1885 erschütterte die westliche Welt die Nachricht vom Fall der Stadt Khartum und der brutalen Ermordung des britischen Generals Charles Gordon. Die Anhänger des Mahdi Mohammed Ahmed errichteten den ersten islamischen Gottesstaat und schotteten den Sudan über 12 Jahre gänzlich von der Umwelt ab. Erst der Rachefeldzug Lord Kitcheners machte dieser historischen Episode ein Ende, die zu Recht als Geburtsstunde des islamischen Fundamentalismus gesehen werden kann. Erhard Oeser erzählt anschaulich Aufstieg und Fall des Mahdi-Reiches. Er stützt sich dabei auch auf die Berichte zweier Gefangenen des Mahdi, die seinerzeit in Europa weite Verbreitung fanden und von Queen Victoria und Winston Churchill ebenso gelesen wurden wie von Karl May. Die Gefangenen konnten die innere Struktur dieses ersten islamischen Gottesstaates aus leidvoller Erfahrung genauestens schildern. Heute, angesichts der Geburtsstunde neuer Staaten in Nordafrika, gewinnt dieses Vorspiel des politischen Islam eine ganz neue Aktualität.
Autorenporträt
Erhard Oeser, geb. 1938, ist emeritierter Professor für Philosophie und Wissenschaftstheorie der Naturwissenschaften an der Universität Wien und Vorstand des Institutes für Wissenschaftstheorie. Er erhielt 2006 den Eugen Wüster Sonderpreis für Terminologie-Forschung.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 24.05.2012

Nachrichten von der Geburtsstunde des politischen Islam
Auf den Spuren von Winston Churchill: Erhard Oeser erzählt die Geschichte des Mahdi-Reichs im Sudan

Vor vier Jahren erregte Winston Churchill in dieser Zeitung Aufsehen. Der Vorabdruck seines nun erstmals auf Deutsch vorliegenden Bestsellers "The River War" lenkte die Aufmerksamkeit auf einen in der heutigen westlichen Öffentlichkeit kaum mehr bekannten Konflikt gegen Ende des neunzehnten Jahrhunderts: die britische Strafexpedition im Sudan gegen das Reich des Mahdi. An ihr nahm Churchill als junger Kavallerie-Leutnant teil.

Detailliert schilderte der spätere Literaturnobelpreisträger, wie die damals stärkste Militärmacht der westlichen Welt mit moderner Technik und Logistik den ersten islamischen Gottesstaat in der Schlacht von Omdurman 1898 vernichtend schlug: "Bei einem rückhaltlos geführten Krieg im flachen Gelände ist die militärische Maschinerie von solchem Gewicht, dass kaum Menschen aus Fleisch und Blut die Oberhand behalten können, und die Zufälle des Kampfgeschehens sind auf ein Minimum reduziert. Der Krieg gegen die Derwische war in erster Linie eine Frage des Transports. Der Khalifa wurde durch die Eisenbahn bezwungen."

Einerseits wurde Churchill auch 2008 von Rezensenten für seine Sprachgewalt gelobt; man attestierte ihm Verständnis von transkulturellen Konflikten, da er nicht etwa die Religion, sondern vielmehr die Misswirtschaft ägyptischer Herrscher im Sudan als Triebfeder des Mahdi-Aufstands betrachtete und auch die desaströsen Folgen britischer Kriegsverbrechen beleuchtete. Andererseits fiel aus heutiger Perspektive Churchills rassistischer Einschlag bei der Beschreibung der Afrikaner auf, was meist darauf zurückgeführt wurde, dass Churchill "ein Kind seiner Zeit" und daher durch und durch Imperialist gewesen sei. Zwar erkannte man bei ihm eine "Liebe zum Krieg", aber ein Kreuzzügler gegen den Islam sei er nicht gewesen - als ein solcher habe er sich selbst nicht verstanden.

Im Gegensatz zu derlei Hommagen an Churchill stießen die begleitenden Erläuterungen der Herausgeber auf Kritik, da sie die abwägende Sichtweise des Ursprungstextes desavouieren würden. Zugleich sei der deutsche Titel "Kreuzzug gegen das Reich des Mahdi" zu tendenziös, suggeriere er doch im Gegensatz zu Churchills Sichtweise eine Art "Clash of Civilizations". Zwar stellt auch Erhard Oeser seine Darstellung der historischen Episode des Mahdi-Reichs zwischen 1885 und 1897, in der er ebenfalls die Geburtsstunde des modernen politischen Islam erkennt, in den Kontext gegenwärtiger Islamismusdebatten, aber die Analyse des Wiener Philosophen und Wissenschaftstheoretikers der Naturwissenschaften kommt in Stil und Form ähnlich nüchtern daher wie Churchills schlichter Originaltitel "The River War". Mit dem britischen Augenzeugen und Chronisten hat Oeser eine eingehende Analyse der Motive des Mahdi und seiner Anhänger, eine ausgewogene Darstellung der Niederschlagung des Mahdi-Aufstands durch die Briten sowie einen kritischen Blick auf ein aufschlussreiches Kapitel englisch-afrikanischer Kolonialgeschichte gemein. Ähnlich wie Churchill betont auch Oeser, dass aufgrund der bei kolonialen Verwaltungsbeamten und Steuereintreibern verbreiteten Korruption ein berechtigtes soziales und politisches Anliegen hinter dem Mahdi-Aufstand lag, bei dem jedoch der religiöse Hintergrund eine verhängnisvolle Rolle gespielt hat. Soziale Unterdrückung und wirtschaftliche Ausbeutung verbunden mit religiösem Fanatismus auf der einen Seite und die Ausweitung der politischen Machtsphäre verbunden mit wirtschaftlicher und militärischer Überlegenheit auf der anderen Seite habe damals wie heute zu jenen grausamen Vernichtungskämpfen geführt, von denen der Dschihad im Sudan und der sich anschließende Rachefeldzug der Kolonialmächte eindrucksvolle Beispiele seien.

Dabei sieht Oeser den sudanesischen Kalifen Abdullahi, der als Nachfolger des Mahdi eine militärische Schreckensherrschaft errichtete und sich auf Kosten seines verarmten Volkes bereicherte, als Vorläufer von Herrschertypen der Gegenwart in Tunesien, Ägypten, Libyen, Syrien und im Jemen, die sich nicht weniger korrupt und grausam gegen ihr eigenes Volk erwiesen haben und inzwischen zum größten Teil durch die Arabellion entmachtet worden sind.

Ob jedoch die Kriege der heutigen westlichen Mächte gegen das Regime von Saddam Hussein im Irak und gegen Taliban und Al Qaida in Afghanistan ihr Vorbild im Feldzug der britischen Kolonialmacht gegen das Reich des Mahdi hatten, wie Oeser behauptet, darf bezweifelt werden. Im Irak kämpfte die amerikanische Koalition bei ihrem Einmarsch 2003 gerade nicht gegen einen fundamentalistischen Gottesstaat. Islamistischer Widerstand gegen die Invasoren bildete sich erst nach dem Fall Bagdads mit Unterstützung durch das Ajatollah-Regime in Iran - eine tragische Ironie der Geschichte. Und in Afghanistan wie auch später im Irak war die Intention der Intervention nicht ein kolonialer Herrschaftsaufbau, sondern die Errichtung einer demokratischen und marktwirtschaftlichen Gesellschaftsordnung - auch wenn dieses Ziel bis heute nicht vollends erreicht wurde.

Mit Blick auf die politische Debatte um die Integration islamischer Zuwanderer in Europa trifft Oeser mit seiner historischen Einordnung des Mahdi-Reichs in aktuelle Bezüge hingegen ins Schwarze: In der Tat dürfte es vor allem die Forderung nach der Einbindung des auf den Koran gegründeten islamischen Rechts - der Scharia - in die europäische Rechtsordnung sein, die dem Rückblick auf den vor mehr als einem Jahrhundert im Sudan errichteten fundamentalistischen Gottesstaat Bedeutung verleiht. Denn an diesem realen Beispiel führt Oeser anschaulich vor Augen, wie es sein könnte, wenn sich alle Europäer der islamischen Kultur und ihrer Rechtsordnung beugen müssten.

Allein eine eingehende Kenntnis der über die Jahrhunderte gewachsenen Kultur und ebenso lang praktizierten Religion des Islam, wie sie die auch in Oesers Darstellung eine Schlüsselrolle einnehmenden europäischen Gefangenen im Mahdi-Reich erwerben und nach ihrer Befreiung weitergeben konnten, kann nach seinem Urteil erahnen lassen, wie schwierig das durch die globale Mobilität immer drängender gewordene Problem des Zusammenlebens zweier derart divergierender Kulturen ist. Dieses Problem wird sich nach Oesers treffendem Urteil erst dann lösen lassen, wenn auch der Islam die Trennung von Staat und Religion vollzogen haben wird, die im christlichen Europa auch erst nach blutigen Konflikten gelungen ist. Die aktuellen Berichte über Straßenschlachten in Deutschland zwischen Salafisten und staatlichen Sicherheitskräften scheinen Oesers These erneut zu belegen.

THOMAS SPECKMANN

Erhard Oeser: "Das Reich des Mahdi". Aufstieg und Untergang des ersten islamischen Gottesstaates 1885-1897.

Primus Verlag, Darmstadt 2012. 208 S., Abb., geb., 24,90 [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Die gleiche Nüchternheit wie beim 2008 erstmals auf Deutsch erschienenen Bericht von Winston Churchill von seinem Einsatz bei der britischen Niederschlagung des Mahdi-Aufstandes im Sudan hat Rezensent Thomas Speckmann auch in Erhard Oesers Buch über das "Reich des Mahdi" gefunden. Für den Autor liegt hier die "Geburtsstunde des politischen Islam" und er zieht aus der historischen Situation einige Verbindungslinien zur aktuellen Islam-Debatte, die der Rezensent allerdings nur teilweise unterschreiben kann. Zunächst bescheinigt er dem Philosophen und Wissenschaftstheoretiker in Wien, mit seinem Buch eine gründliche Analyse des historischen Kontexts, eine sachliche Darstellung der Niederschlagung des Aufstands durch die Briten und einen überaus erhellenden Einblick in ein heute wenig bekanntes Stück Kolonialgeschichte zu bieten. Nur an der Einschätzung des Autors, der britische Kampf gegen das Reich des Mahdi sei mit dem Kampf des Westens gegen Saddam Hussein, die Taliban oder Al Qaida vergleichbar, meldet Speckmann Zweifel an.

© Perlentaucher Medien GmbH
".Ein fesselndes Buch, das Nachdenklichkeit auslöst." (Westfälische Nachrichten, 23.8.12, von Erhard Obermeyer)".lesenswerte Studie." (Junge Freiheit, 35/12, 24.8.12, S. 21, von Wolfgang Kaufmann)