Eine Jugendliebe verband einst Anna und Darrow. Als Erwachsene begegnen sie sich wieder, erneut aufeinander zugehend. Anna, voller Erwartungen und Ansprüche an die Liebe; Darrow zuversichtlich und ohne Bedenken. Aber eine in Darrows Augen belanglose verflossene Affäre fordert beide heraus: ein Riff, an dem sie scheitern könnten.
Anna Leith und George Darrow verlieben sich in ihrer Jugend in New York. Dann trennen sich ihre Wege: Darrow beginnt eine diplomatische Karriere, Anna verheiratet sich und ist in ihrer Ehe weder glücklich noch unglücklich. Als sie sich nach Jahren wieder treffen, ist Anna Witwe, Mutter von zwei Kindern und lebt in Frankreich. Sie verlieben sich erneut ineinander und planen eine gemeinsame Zukunft. Doch Anna, die nicht gelernt hat, Gefühle zuzulassen, schreckt vor ihrer aufkeimenden Leidenschaft zurück. Außerdem glaubt sie an ein Doppelspiel, ein Geheimnis, das man vor ihr zu verbergen sucht.
Der straff erzählte Roman forscht unerbittlich nach der Wahrheit in der Beziehung der beiden Protagonisten. Die vollkommene Ehrlichkeit, mit der Anna sich über sich selbst wie über Darrow Rechenschaft ablegt, macht sie zu einer der eindrücklichsten von Whartons Heldinnen. Darrow, seiner Sache scheinbar so sicher, erfaßt erst allmählich Annas Wesen in seiner ganzen Komplexität und sieht sich herausgefordert.
Als Whartons Roman 1912 erschien, urteilte Henry James, es sei "ihr bisher bestes Buch": Sie habe ein psychologisches Drama von beispielhafter Einheit und Intensität geschaffen.
Anna Leith und George Darrow verlieben sich in ihrer Jugend in New York. Dann trennen sich ihre Wege: Darrow beginnt eine diplomatische Karriere, Anna verheiratet sich und ist in ihrer Ehe weder glücklich noch unglücklich. Als sie sich nach Jahren wieder treffen, ist Anna Witwe, Mutter von zwei Kindern und lebt in Frankreich. Sie verlieben sich erneut ineinander und planen eine gemeinsame Zukunft. Doch Anna, die nicht gelernt hat, Gefühle zuzulassen, schreckt vor ihrer aufkeimenden Leidenschaft zurück. Außerdem glaubt sie an ein Doppelspiel, ein Geheimnis, das man vor ihr zu verbergen sucht.
Der straff erzählte Roman forscht unerbittlich nach der Wahrheit in der Beziehung der beiden Protagonisten. Die vollkommene Ehrlichkeit, mit der Anna sich über sich selbst wie über Darrow Rechenschaft ablegt, macht sie zu einer der eindrücklichsten von Whartons Heldinnen. Darrow, seiner Sache scheinbar so sicher, erfaßt erst allmählich Annas Wesen in seiner ganzen Komplexität und sieht sich herausgefordert.
Als Whartons Roman 1912 erschien, urteilte Henry James, es sei "ihr bisher bestes Buch": Sie habe ein psychologisches Drama von beispielhafter Einheit und Intensität geschaffen.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 25.03.1997Glitzernde Sittenbilder
Auf der Höhe der Zeit: Zwei Romane von Edith Wharton / Von Rose Maria Gropp
Undine - der Name läßt Ralph Marvell an die Wendung diverse et ondoyante denken. Denn Ralph Marvell, aus bester New Yorker Familie, europagewandt, gebildet und ziemlich lebensuntüchtig, ist verliebt. Aber Mrs. Spragg kann ihn über den ungewöhnlichen Namen ihrer Tochter aufklären. Es war der Name eines Lockenstabs, den Mrs. Spraggs Vater in der Woche nach Undines Geburt auf den Markt brachte. Sie erklärt das dem staunenden Marvell: "Es kommt von undulee (das amerikanische Original schreibt ,undoolay'), verstehen Sie, dem französischen Wort für kräuseln; Vater war immer der Ansicht, der Name mache den Erfolg."
So herrlich sarkastisch findet man selten den Keim eines Desasters in der Literatur am Beginn dieses Jahrhunderts gefaßt. So tut es Edith Wharton in ihrem Roman "The Custom of the Country", der deutsch, aus nicht nachvollziehbaren Gründen, "Die kühle Woge des Glücks" heißt. Voluminös und prachtvoll entfaltet Wharton um jene Undine ein Panoptikum dieser Zeit, das New Yorks West- und Eastside umspannt, das Paris der Belle Époque, die jung-alte amerikanische Bourgeoisie und den alten europäischen Adel, die Parvenus und die Nouveaux Riches dort und die socialites und die Aristokratie hier. Edith Wharton kennt ihren Gegenstand bis in die feinsten Verästelungen. Sie selbst wurde 1862 in die feine New Yorker Gesellschaft geboren, und sie verbrachte ihre Kindheit in Europa. Der starren Wucht der Konventionen in ihrer Erziehung ausgesetzt, zwischen den Welten stets pendelnd, wählte sie schließlich Frankreich, wo sie die letzten fünfundzwanzig Jahre bis zu ihrem Tod 1937 verbrachte. Fast dreißig Jahre war sie in einer glücklosen Ehe mit einem zunehmend psychisch kranken Mann verbunden. Als sie sich 1913 scheiden ließ, hatte sie ihren Roman "The Reef", jetzt ebenfalls in deutscher Übersetzung erschienen, gerade geschrieben, vollendete "The Custom of the Country", und maßgebliche Menschen hielten sie für den besten lebenden amerikanischen Schriftsteller. Daß sie diese Position einer mehr als ein Jahrzehnt anhaltenden Neurasthenie abgerungen hatte, sagt weniger über ihre Texte als über ihre Persönlichkeit.
Mit Undine Spragg ist Wharton eine charakterliche Delikatesse gelungen. Deren ganzer Drang treibt sie, in kurioser Umkehrung virilen amerikanischen Pioniergeistes, nach Osten - weg aus Apex City (schöner Name) im mittleren Westen, nach New York, vom "Stentorian Hotel" (noch ein schöner Name) dort zur Fifth Avenue, von der Ostküste überhaupt ostwärts nach Europa, nach Paris, von wo sie, als Marquise de Chelles zwar, aber im Abseits der Provinz, vorübergehend im Château de Saint Désert (noch ein hübscher Name) landet, ehe sich ihr Kreis schließt. Undines phänomenale Körperpolitik läßt sie das Heiraten in schon unüblichem Ausmaß als Mittel gesellschaftlichen Aufstiegs einsetzen. Dabei hat Wharton ihre Beschränktheit in einem der vernichtendsten Sätze dieses an niederschmetternden Sentenzen wahrhaft nicht armen Werks so gefaßt: "Sie hatte alles, was sie wollte, aber manchmal hatte sie das Gefühl, daß es noch Dinge gab, die sie vielleicht würde haben wollen, wenn sie von ihnen wüßte."
Wharton ist mit Undine Spragg das Kunststück einer unangenehmen Heroine gelungen, die dennoch über die ganze Distanz des Romans fesselt. Undine ist keine Antiheldin. Sie ist ein ziemlich mieses, berechnendes Geschöpf. Da ihr aber die intellektuelle Auslegung für ihr Procedere fehlt, da sie tatsächlich beschränkt ist, ist sie nicht tragisch. Anders als Scarlett O'Hara, gleichsam ihre von Margaret Mitchell geschaffene jüngere Schwester, weckt sie keine Sympathie, weil ihr Erhaltungstrieb nur ihr selbst und keiner Sache dient. Undine Spragg ist auch kein Zerrbild oder Negativ männlichen Geschäftsgebarens, dafür ist sie nicht konsequent genug. Mit ihrem Credo, daß es "zu jedem Wall-Street-Ausdruck in der Sprache der Fifth Avenue ein Gegenstück" gibt, ist sie kein weiblicher Tycoon, sondern die Inkarnation einer Kapitalvernichtungs-Maschinerie - das besonders perfekte Ergebnis des eigentlich verächtlichen Verhältnisses, das der amerikanische Mann zu seiner Frau hat. So sieht der bittere Kern von Edith Whartons glitzerndem Sittenbild aus; sie legt ihn einem besonders verfeinerten jungen Mann in den Mund: "Warum haben wir unseren Frauen nicht beigebracht, sich für unsere Arbeit zu interessieren? Doch bloß deshalb, weil wir nicht genug Interesse für sie aufbringen." Das ist sie wohl - the Custom of the Country, die Sitte des Landes. Und Undine Spragg ist der zur attraktiven Larve geronnene Albtraum einer so noblen wie siechen Kaste. Robust und skrupel-, weil geistlos verrät sie auf ihrem Triumphzug den großen amerikanischen Traum von Gesittung und Anstand. Nicht, daß sie dabei glücklich würde.
Es liegt Edith Wharton fern, ihren Heldinnen - in "The Custom of the Country" eher noch weniger als in "The Reef" - zu unterstellen, sie könnten anderweitig Sinnsuche betreiben wollen, etwa in einem Beruf. So europäisch ist sie dann doch wieder nicht. Es hat aber jedenfalls großen Reiz, die beiden in so dichter Folge geschriebenen, so unterschiedlichen Romane einander begleitend zu lesen. Undine Spragg und Anna Leath, die beiden Protagonistinnen, sind wie zwei Seiten einer Medaille. In gewisser Weise steuert dabei Anna Leath ihrem selbstquälerischen und im letzten zerstörerischen Willen zum Wissen mit ähnlich mangelnder Disziplin gegen wie Undine Spragg ihren so anderen, vulgären Regungen. Anna Leath, die genau den Typus Frau verkörpert, der eine Undine Spragg nie wird sein können, gerät in verheerenden Zwiespalt zwischen dem Begehren nach George Darrow, einem ihr geistig und gesellschaftlich durchaus adäquaten Mann, und einer Art innerem Kodex, der sie immer neue Fluchtbewegungen unternehmen läßt.
Wharton scheint mit dieser reinen Anna zu hadern, die es, spät berufen, heiß nach einem Mann verlangt. Sie profiliert sie indessen ausgefeilt bis in die Haarspitzen, schreibt ein vibrierendes Stück Seele, ohne im geringsten zu psychologisieren, gänzlich ironiefrei. Die Boshaftigkeit von "The Custom of the Country" beharrt auf gnadenloser Außensicht, "The Reef" übt sich über Seiten in Introspektion; in außerordentlicher erzählerischer Disziplin, fern von Larmoyanz, auch das sicher. Selbst am Abgrund wahrt Wharton noch Contenance. Doch das andere, wahrhaft scheinheilige Buch ist das entschieden bessere.
Edith Wharton zu loben heißt, keine Angst vor den Breitengraden des Kitschs zu haben. Zumal im "Riff" kann man den feingeschwungenen Nackenlinien nicht ausweichen, und die widerspenstigen Haarsträhnen lösen sich auch in all dieser Brillanz gern unter den Blicken solcherart auf das Elementare zurückgeworfener Männer, die folglich ein unwiderstehliches Bedürfnis fühlen, sie aus feuchten Stirnen zurückzustreichen. Warum also jetzt wieder Wharton? Kaum wegen des Pulitzerpreises im Jahr 1920 für "The Age of Innocence", kaum weil die Jury damals fand, daß jener Roman am besten "the wholesome atmosphere of American life and the highest standard of American manners and manhood" vorführe. Wenngleich die Befürchtung, das sei der Fall gewesen, erheitert. Vielleicht ein wenig wegen Scorseses traumwandlerischer Verfilmung von "Zeit der Unschuld" vor drei Jahren. Am ehesten aber doch, weil Wharton einen Kosmos inszeniert.
Die Installation eines überschaubaren Ausschnitts von Welt, wenngleich ohne falsche Versöhnlichkeit, beruhigt über die zerfledderte Welt. Das Gitter aus eindeutigen Abgrenzungen und erkennbaren Normen, an dem sich Existenzen hochranken - auch solche, die eingehen müssen im Treibhaus ihrer gesellschaftlichen oder singulären Konventionen oder Ambitionen -, ist das Raster für den Leser Whartons. Die Renaissance der Hohen Schule des Gesellschaftsromans trifft die blanken Nerven unserer gegenwärtigen Belle Époque. Ihre Verteilungskämpfe, kaum kaschiert, spiegeln sich in jenen Karrieren.
Zum literarischen Genuß freilich kann solches Wiedererkennen nur werden, wo zeitlose Bissigkeit waltet. An einer Stelle in "The Custom of the Country" persifliert Wharton den lächerlichen Gefühlsstau des Fin de siècle auf hinreißende Weise: Auf der Hochzeitsreise nach Italien, im Stechpalmenhain nahe Siena hat Marvell himmlische Sensationen von seiner Undine, um nach einigen Seiten diesen Vergleich zu generieren: "Ihr Geist war so bar jeden Geheimnisses wie die Prärieschule, die sie besucht hatte." Als das Unheil dieser Ehe unaufhaltsam wird, gibt Wharton dem Unglücklichen die Erkenntnis an die Hand, daß die Warnschilder im Leben meist schon vor den Kreuzwegen stehen und "daß das Warnschild für ihn wohl vor mehr als drei Jahren in einem italienischen Stechpalmenhain gestanden hatte". So witzig kann die Wahrheit sein, außerdem ist bekannt, wie schrecklich gern Edith Wharton mit dem Auto herumfuhr. Sie ist auf der Höhe der Zeit.
Edith Wharton: "Das Riff". Aus dem Amerikanischen übersetzt von Renate Orth-Guttmann. Manesse Verlag, Zürich 1997. 447 S., geb., 36,60 DM.
Edith Wharton: "Die kühle Woge des Glücks". Aus dem Amerikanischen übersetzt von Karen Lauer. Piper Verlag, München 1997. 505 S., geb., 44,- DM.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Auf der Höhe der Zeit: Zwei Romane von Edith Wharton / Von Rose Maria Gropp
Undine - der Name läßt Ralph Marvell an die Wendung diverse et ondoyante denken. Denn Ralph Marvell, aus bester New Yorker Familie, europagewandt, gebildet und ziemlich lebensuntüchtig, ist verliebt. Aber Mrs. Spragg kann ihn über den ungewöhnlichen Namen ihrer Tochter aufklären. Es war der Name eines Lockenstabs, den Mrs. Spraggs Vater in der Woche nach Undines Geburt auf den Markt brachte. Sie erklärt das dem staunenden Marvell: "Es kommt von undulee (das amerikanische Original schreibt ,undoolay'), verstehen Sie, dem französischen Wort für kräuseln; Vater war immer der Ansicht, der Name mache den Erfolg."
So herrlich sarkastisch findet man selten den Keim eines Desasters in der Literatur am Beginn dieses Jahrhunderts gefaßt. So tut es Edith Wharton in ihrem Roman "The Custom of the Country", der deutsch, aus nicht nachvollziehbaren Gründen, "Die kühle Woge des Glücks" heißt. Voluminös und prachtvoll entfaltet Wharton um jene Undine ein Panoptikum dieser Zeit, das New Yorks West- und Eastside umspannt, das Paris der Belle Époque, die jung-alte amerikanische Bourgeoisie und den alten europäischen Adel, die Parvenus und die Nouveaux Riches dort und die socialites und die Aristokratie hier. Edith Wharton kennt ihren Gegenstand bis in die feinsten Verästelungen. Sie selbst wurde 1862 in die feine New Yorker Gesellschaft geboren, und sie verbrachte ihre Kindheit in Europa. Der starren Wucht der Konventionen in ihrer Erziehung ausgesetzt, zwischen den Welten stets pendelnd, wählte sie schließlich Frankreich, wo sie die letzten fünfundzwanzig Jahre bis zu ihrem Tod 1937 verbrachte. Fast dreißig Jahre war sie in einer glücklosen Ehe mit einem zunehmend psychisch kranken Mann verbunden. Als sie sich 1913 scheiden ließ, hatte sie ihren Roman "The Reef", jetzt ebenfalls in deutscher Übersetzung erschienen, gerade geschrieben, vollendete "The Custom of the Country", und maßgebliche Menschen hielten sie für den besten lebenden amerikanischen Schriftsteller. Daß sie diese Position einer mehr als ein Jahrzehnt anhaltenden Neurasthenie abgerungen hatte, sagt weniger über ihre Texte als über ihre Persönlichkeit.
Mit Undine Spragg ist Wharton eine charakterliche Delikatesse gelungen. Deren ganzer Drang treibt sie, in kurioser Umkehrung virilen amerikanischen Pioniergeistes, nach Osten - weg aus Apex City (schöner Name) im mittleren Westen, nach New York, vom "Stentorian Hotel" (noch ein schöner Name) dort zur Fifth Avenue, von der Ostküste überhaupt ostwärts nach Europa, nach Paris, von wo sie, als Marquise de Chelles zwar, aber im Abseits der Provinz, vorübergehend im Château de Saint Désert (noch ein hübscher Name) landet, ehe sich ihr Kreis schließt. Undines phänomenale Körperpolitik läßt sie das Heiraten in schon unüblichem Ausmaß als Mittel gesellschaftlichen Aufstiegs einsetzen. Dabei hat Wharton ihre Beschränktheit in einem der vernichtendsten Sätze dieses an niederschmetternden Sentenzen wahrhaft nicht armen Werks so gefaßt: "Sie hatte alles, was sie wollte, aber manchmal hatte sie das Gefühl, daß es noch Dinge gab, die sie vielleicht würde haben wollen, wenn sie von ihnen wüßte."
Wharton ist mit Undine Spragg das Kunststück einer unangenehmen Heroine gelungen, die dennoch über die ganze Distanz des Romans fesselt. Undine ist keine Antiheldin. Sie ist ein ziemlich mieses, berechnendes Geschöpf. Da ihr aber die intellektuelle Auslegung für ihr Procedere fehlt, da sie tatsächlich beschränkt ist, ist sie nicht tragisch. Anders als Scarlett O'Hara, gleichsam ihre von Margaret Mitchell geschaffene jüngere Schwester, weckt sie keine Sympathie, weil ihr Erhaltungstrieb nur ihr selbst und keiner Sache dient. Undine Spragg ist auch kein Zerrbild oder Negativ männlichen Geschäftsgebarens, dafür ist sie nicht konsequent genug. Mit ihrem Credo, daß es "zu jedem Wall-Street-Ausdruck in der Sprache der Fifth Avenue ein Gegenstück" gibt, ist sie kein weiblicher Tycoon, sondern die Inkarnation einer Kapitalvernichtungs-Maschinerie - das besonders perfekte Ergebnis des eigentlich verächtlichen Verhältnisses, das der amerikanische Mann zu seiner Frau hat. So sieht der bittere Kern von Edith Whartons glitzerndem Sittenbild aus; sie legt ihn einem besonders verfeinerten jungen Mann in den Mund: "Warum haben wir unseren Frauen nicht beigebracht, sich für unsere Arbeit zu interessieren? Doch bloß deshalb, weil wir nicht genug Interesse für sie aufbringen." Das ist sie wohl - the Custom of the Country, die Sitte des Landes. Und Undine Spragg ist der zur attraktiven Larve geronnene Albtraum einer so noblen wie siechen Kaste. Robust und skrupel-, weil geistlos verrät sie auf ihrem Triumphzug den großen amerikanischen Traum von Gesittung und Anstand. Nicht, daß sie dabei glücklich würde.
Es liegt Edith Wharton fern, ihren Heldinnen - in "The Custom of the Country" eher noch weniger als in "The Reef" - zu unterstellen, sie könnten anderweitig Sinnsuche betreiben wollen, etwa in einem Beruf. So europäisch ist sie dann doch wieder nicht. Es hat aber jedenfalls großen Reiz, die beiden in so dichter Folge geschriebenen, so unterschiedlichen Romane einander begleitend zu lesen. Undine Spragg und Anna Leath, die beiden Protagonistinnen, sind wie zwei Seiten einer Medaille. In gewisser Weise steuert dabei Anna Leath ihrem selbstquälerischen und im letzten zerstörerischen Willen zum Wissen mit ähnlich mangelnder Disziplin gegen wie Undine Spragg ihren so anderen, vulgären Regungen. Anna Leath, die genau den Typus Frau verkörpert, der eine Undine Spragg nie wird sein können, gerät in verheerenden Zwiespalt zwischen dem Begehren nach George Darrow, einem ihr geistig und gesellschaftlich durchaus adäquaten Mann, und einer Art innerem Kodex, der sie immer neue Fluchtbewegungen unternehmen läßt.
Wharton scheint mit dieser reinen Anna zu hadern, die es, spät berufen, heiß nach einem Mann verlangt. Sie profiliert sie indessen ausgefeilt bis in die Haarspitzen, schreibt ein vibrierendes Stück Seele, ohne im geringsten zu psychologisieren, gänzlich ironiefrei. Die Boshaftigkeit von "The Custom of the Country" beharrt auf gnadenloser Außensicht, "The Reef" übt sich über Seiten in Introspektion; in außerordentlicher erzählerischer Disziplin, fern von Larmoyanz, auch das sicher. Selbst am Abgrund wahrt Wharton noch Contenance. Doch das andere, wahrhaft scheinheilige Buch ist das entschieden bessere.
Edith Wharton zu loben heißt, keine Angst vor den Breitengraden des Kitschs zu haben. Zumal im "Riff" kann man den feingeschwungenen Nackenlinien nicht ausweichen, und die widerspenstigen Haarsträhnen lösen sich auch in all dieser Brillanz gern unter den Blicken solcherart auf das Elementare zurückgeworfener Männer, die folglich ein unwiderstehliches Bedürfnis fühlen, sie aus feuchten Stirnen zurückzustreichen. Warum also jetzt wieder Wharton? Kaum wegen des Pulitzerpreises im Jahr 1920 für "The Age of Innocence", kaum weil die Jury damals fand, daß jener Roman am besten "the wholesome atmosphere of American life and the highest standard of American manners and manhood" vorführe. Wenngleich die Befürchtung, das sei der Fall gewesen, erheitert. Vielleicht ein wenig wegen Scorseses traumwandlerischer Verfilmung von "Zeit der Unschuld" vor drei Jahren. Am ehesten aber doch, weil Wharton einen Kosmos inszeniert.
Die Installation eines überschaubaren Ausschnitts von Welt, wenngleich ohne falsche Versöhnlichkeit, beruhigt über die zerfledderte Welt. Das Gitter aus eindeutigen Abgrenzungen und erkennbaren Normen, an dem sich Existenzen hochranken - auch solche, die eingehen müssen im Treibhaus ihrer gesellschaftlichen oder singulären Konventionen oder Ambitionen -, ist das Raster für den Leser Whartons. Die Renaissance der Hohen Schule des Gesellschaftsromans trifft die blanken Nerven unserer gegenwärtigen Belle Époque. Ihre Verteilungskämpfe, kaum kaschiert, spiegeln sich in jenen Karrieren.
Zum literarischen Genuß freilich kann solches Wiedererkennen nur werden, wo zeitlose Bissigkeit waltet. An einer Stelle in "The Custom of the Country" persifliert Wharton den lächerlichen Gefühlsstau des Fin de siècle auf hinreißende Weise: Auf der Hochzeitsreise nach Italien, im Stechpalmenhain nahe Siena hat Marvell himmlische Sensationen von seiner Undine, um nach einigen Seiten diesen Vergleich zu generieren: "Ihr Geist war so bar jeden Geheimnisses wie die Prärieschule, die sie besucht hatte." Als das Unheil dieser Ehe unaufhaltsam wird, gibt Wharton dem Unglücklichen die Erkenntnis an die Hand, daß die Warnschilder im Leben meist schon vor den Kreuzwegen stehen und "daß das Warnschild für ihn wohl vor mehr als drei Jahren in einem italienischen Stechpalmenhain gestanden hatte". So witzig kann die Wahrheit sein, außerdem ist bekannt, wie schrecklich gern Edith Wharton mit dem Auto herumfuhr. Sie ist auf der Höhe der Zeit.
Edith Wharton: "Das Riff". Aus dem Amerikanischen übersetzt von Renate Orth-Guttmann. Manesse Verlag, Zürich 1997. 447 S., geb., 36,60 DM.
Edith Wharton: "Die kühle Woge des Glücks". Aus dem Amerikanischen übersetzt von Karen Lauer. Piper Verlag, München 1997. 505 S., geb., 44,- DM.
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