Die Kunst Giambattista Tiepolos ist zur Signatur einer ganzen Epoche geworden. In Kirchen, Palazzi und Villen schuf der große Maler Gemälde, die von Leichtigkeit und Grazie gekennzeichnet sind. Doch obwohl Zeitgenossen die Ästhetik seiner Malerei schätzten, ergründete keiner das Geheimnis hinter Tiepolos 33 Scherzi und Capricci. In einer faszinierenden Studie dieser merkwürdigen Radierungen erkennt der Autor Roberto Calasso das gelehrte und formsichere Selbstverständnis Tiepolos. In seinem brillanten Buch erzählt er das Werk des berühmten Malers aus Italien im 18. Jahrhundert.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 28.11.20106. Eine Farbe namens Tiepolo
Tiepolorosa. Gibt es in keinem Fachgeschäft der Welt. Dafür aber bei Marcel Proust. In der "Suche nach der verlorenen Zeit" wird einer von Odettes Morgenröcken so beschrieben: "Rose Tiepolo". Als müsste man dann schon wissen, was gemeint ist. In Würzburg, auf Tiepolos Treppenhausfresko, hat der Himmel stellenweise ein so unglaubliches Rosa, dass man meint, es sei Odettes Morgenrock. Ansonsten ist Tiepolos Rosa aber eher eine Haltung als eine Farbe, ein ständiges Changieren zwischen dem Samtenen und dem Seidigen, dem Dramatischen und dem Leichten, zwischen glutvoller Inbrunst und der Kälte des Zynikers, der zugibt, dass diese Inbrunst etwas Vorgespieltes ist. Vielleicht war Proust auch nur auf den Hautgout des Dekadenten und Spätzeitlichen aus, der in dem Namen Tiepolos mitschwingt: Giambattista Tiepolo galt ja immer als der Letzte seiner Art, als das Ancien Régime der Malerei, als einer, der noch barocke Herrscherallegorien an Schlossdecken tuschte, als woanders schon heroisch an der Moderne gemeißelt wurde. Nach ihm triumphierten die Klassizisten, ein König wurde geköpft, Napoleon nannte das Würzburger Residenzschloss ein "Pfarrhaus", und Tiepolo war verdammt und vergessen. Erst in den letzten zwanzig Jahren wird er wieder gefeiert, seine malerische Intelligenz wird gerühmt. Besonders vehement tut das jetzt der Schriftsteller Roberto Calasso, der vor allem die "Scherzi" im Blick hat (Grafiken, die sozusagen die Brücke von Rembrandt zu Goya schlagen). Vor Tiepolo geraten regelmäßig auch akademische Kunsthistoriker ins wilde Poetisieren. Insofern ist es fast heilsam, wenn einer mal von vornherein nichts anderes vorhat als ein Tiepolo-Gemälde aus Worten. Calasso gelingt hier herrliche, malereiinduzierte Lobpreisungsliteratur. Und er fasst sich beim Schwärmen immer noch knapper als Proust.
Peter Richter
Roberto Calasso: "Tiepolos Rosa". Hanser, 335 Seiten, 24,90 Euro
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Tiepolorosa. Gibt es in keinem Fachgeschäft der Welt. Dafür aber bei Marcel Proust. In der "Suche nach der verlorenen Zeit" wird einer von Odettes Morgenröcken so beschrieben: "Rose Tiepolo". Als müsste man dann schon wissen, was gemeint ist. In Würzburg, auf Tiepolos Treppenhausfresko, hat der Himmel stellenweise ein so unglaubliches Rosa, dass man meint, es sei Odettes Morgenrock. Ansonsten ist Tiepolos Rosa aber eher eine Haltung als eine Farbe, ein ständiges Changieren zwischen dem Samtenen und dem Seidigen, dem Dramatischen und dem Leichten, zwischen glutvoller Inbrunst und der Kälte des Zynikers, der zugibt, dass diese Inbrunst etwas Vorgespieltes ist. Vielleicht war Proust auch nur auf den Hautgout des Dekadenten und Spätzeitlichen aus, der in dem Namen Tiepolos mitschwingt: Giambattista Tiepolo galt ja immer als der Letzte seiner Art, als das Ancien Régime der Malerei, als einer, der noch barocke Herrscherallegorien an Schlossdecken tuschte, als woanders schon heroisch an der Moderne gemeißelt wurde. Nach ihm triumphierten die Klassizisten, ein König wurde geköpft, Napoleon nannte das Würzburger Residenzschloss ein "Pfarrhaus", und Tiepolo war verdammt und vergessen. Erst in den letzten zwanzig Jahren wird er wieder gefeiert, seine malerische Intelligenz wird gerühmt. Besonders vehement tut das jetzt der Schriftsteller Roberto Calasso, der vor allem die "Scherzi" im Blick hat (Grafiken, die sozusagen die Brücke von Rembrandt zu Goya schlagen). Vor Tiepolo geraten regelmäßig auch akademische Kunsthistoriker ins wilde Poetisieren. Insofern ist es fast heilsam, wenn einer mal von vornherein nichts anderes vorhat als ein Tiepolo-Gemälde aus Worten. Calasso gelingt hier herrliche, malereiinduzierte Lobpreisungsliteratur. Und er fasst sich beim Schwärmen immer noch knapper als Proust.
Peter Richter
Roberto Calasso: "Tiepolos Rosa". Hanser, 335 Seiten, 24,90 Euro
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
In den Augen des Mailänder Erzählers, Essayisten und Verlegers Roberto Calasso wird der Maler Giambattista Tiepolo nicht genügend gewürdigt, auch wenn er gemeinhin als größter italienischer Maler des 18. Jahrhunderts anerkannt wird, teilt Friedmar Apel mit. Deshalb macht sich der Autor sehr enthusiastisch und mit viel Einfühlungsvermögen daran, die verborgenen Qualitäten Tiepolos ans Licht zu holen, die vor allem in den Scherzi und kleinen Gemälden der Spätzeit zu entdecken sind, erklärt der Rezensent, der sich von der Leidenschaft des Autors durchaus gerne anstecken lässt. Laut Calasso ging es dem Maler in seiner Kunst um eine "malerische Reflexion auf das Sehen selbst", und hier entdeckt er auch die eigentliche Modernität des Malers. Von der vom Autor so gepriesenen Tugend der "Sprezzatura", die darin besteht, die eigene "Gelehrsamkeit und Kunstfertigkeit" nicht extra zur Schau zu stellen, kann Apel allerdings bei Calasso mitunter nicht viel entdecken, denn er zeige gern, was er drauf habe, stellt der Rezensent fest. Mehr abgewinnen kann der Kritiker aber den leisen Tönen dieses Buches und die findet er auch zur Genüge in den Interpretationen der Radierungen, der kleinen Bilder oder in Einzelfiguren.
© Perlentaucher Medien GmbH
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»Tiepolos Malerei und Calassos grandiose Beobachtungsgabe ergeben eine glänzende Mischung. « The New York Times 20190516