Das Ruhrgebiet gibt es (noch) nicht!
Erkenne dich selbst! Was würde es für das heutige Ruhrgebiet bedeuten, diesem Imperativ zu folgen? Zunächst die Einsicht, dass es (noch) nicht wirklich existiert. Es ist nirgends amtlich registriert, seine Grenzen sind nicht beschrieben. Es ist Mythos und doch Heimat. Wolfram Eilenberger, einer der besten Philosophen des Landes, versucht, diesem Paradox nachzugehen. Denn als Kernregion Europas ist das Ruhrgebiet am Ende ein Modell für uns alle.
Ein Jahr ist der Philosoph Wolfram Eilenberger vor Ort in Mülheim an der Ruhr. Seine dortige Mission: das Ruhrgebiet verstehen, gar lieben lernen. Aber wie eine Region lieben, die sich selbst oft missversteht? Auf keiner Landkarte verzeichnet, in keinem Register vermerkt, in keinem Kunstwerk verewigt, ist das Ruhrgebiet bis heute auf der Suche nach sich selbst. Irgendwo zwischen Kumpel und Kohlen, Stadien und Halden, Brachen und Lachen, bleibt er also zu bergen: der Schatz eines Reviers, das aus mehr bestehen will als nostalgischer Rückschau.
Erkenne dich selbst! Was würde es für das heutige Ruhrgebiet bedeuten, diesem Imperativ zu folgen? Zunächst die Einsicht, dass es (noch) nicht wirklich existiert. Es ist nirgends amtlich registriert, seine Grenzen sind nicht beschrieben. Es ist Mythos und doch Heimat. Wolfram Eilenberger, einer der besten Philosophen des Landes, versucht, diesem Paradox nachzugehen. Denn als Kernregion Europas ist das Ruhrgebiet am Ende ein Modell für uns alle.
Ein Jahr ist der Philosoph Wolfram Eilenberger vor Ort in Mülheim an der Ruhr. Seine dortige Mission: das Ruhrgebiet verstehen, gar lieben lernen. Aber wie eine Region lieben, die sich selbst oft missversteht? Auf keiner Landkarte verzeichnet, in keinem Register vermerkt, in keinem Kunstwerk verewigt, ist das Ruhrgebiet bis heute auf der Suche nach sich selbst. Irgendwo zwischen Kumpel und Kohlen, Stadien und Halden, Brachen und Lachen, bleibt er also zu bergen: der Schatz eines Reviers, das aus mehr bestehen will als nostalgischer Rückschau.
Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
Rezensent Andreas Rossmann ist enttäuscht von Wolfram Eilenbergers Buch übers Ruhrgebiet. Ein Schnellschuss, vermutet der Rezensent. Wie sonst konnten so viele Sachfehler und Ungenauigkeiten Eingang ins Buch finden? Doch das erklärt nicht alles, findet Rossmann. Dass der Autor in tagebuchartigen Notizen, Anmerkungen und Reflexionen wenig kenntnisreich Klischees (verfallende Kohleregion!) aneinanderreiht und darüber kulturelle Entwicklungen in der Region schlicht übersieht, findet Rossmann ärgerlich. Künstler wie Schlingensief, Josef Albers und die Bechers kommen bei Eilenberger nicht vor, stellt er verblüfft fest. Ob all das Ausdruck von Schludrigkeit ist und/oder von Geringschätzung, kann Rossmann nur vermuten.
© Perlentaucher Medien GmbH
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 08.10.2021Kohle und Gebiet
Umschau im Revier: Wolfram Eilenberger präsentiert seinen Ertrag als Stadtschreiber Ruhr
"Das Ruhrgebiet ist noch nicht entdeckt worden." Der Befund, mit dem Heinrich Böll 1958 seinen Essay im Band des Kölner Fotografen Chargesheimer einleitet, war damals keineswegs neu. Schon 1930 bezeichnete Bernard von Brentano das Ruhrgebiet als "eine viel genannte und ebenso unbekannte deutsche Provinz". Doch erst Bölls Satz hat Karriere gemacht. Kaum ein Autor, der sich dem inzwischen gut erforschten Industrierevier zuwendet, kommt ohne ihn aus. Wolfram Eilenberger zitiert ihn auf der dritten Seite.
Der Philosoph war 2019/20 "Stadtschreiber Ruhr", eine einjährige Residenz, mit der die Brost-Stiftung den Blick auf die Region von außen fördern möchte. Das Stipendium soll Erträge bringen, und ein Jahr später liegt "Das Ruhrgebiet" vor, ein schmales Büchlein. Schnell musste es gehen, das ist ihm anzumerken. Erstmals Bekanntschaft mit dem Ruhrgebiet machte der Autor als Achtjähriger, als er einen Fernsehsketch von Jürgen von Manger alias Adolf Tegtmeier sah. Seitdem war nicht viel dazugekommen. Das schmale Vorwissen und die einschlägige Klischeebefangenheit sorgten, mit der Wirklichkeit konfrontiert, für Staunen, in das sich wohl schlechtes Gewissen mischte. Oder warum muss es gleich der "Versuch einer Liebeserklärung" sein?
Der Text reiht tagebuchähnliche Einträge und Anmerkungen, Impressionen und Reflexionen, An- und Aufgelesenes aneinander. Eilenberger mokiert sich über das Schild "Metropole Ruhr", als stellten nicht auch andere Regionen so ihr Minderwertigkeitsgefühl aus, und über den "Marmorpalast", einen Protzbau im Mülheimer Villenviertel Uhlenhorst, wo er Quartier bezieht. Die anregend geschriebene Darstellung enthält erhellende Beobachtungen und originelle Gedanken, doch fehlt es an Kenntnissen und Übersicht. Wenn Eilenberger etwa "durch den Skulpturengarten des weltberühmten Lehmbruck Museums" spaziert, schließt er voraussetzungslos Überlegungen zum "Scheitern der Idee" an, "dieser Region im Moment ihres Verfalls mit den Mitteln der Hochkultur eine 'neue Lebensauffassung' einzuhauchen", als habe er von Karl Ernst Osthaus und dem Folkwang-Impuls noch nie gehört.
Der Autor identifiziert das Ruhrgebiet pauschal mit der Kohle; die zweite Säule, Stahl, damit auch Krupp, zeitweise das größte Unternehmen Europas, erwähnt er nicht. Die selektive Wahrnehmung verengt den Blick. Erst im späten achtzehnten Jahrhundert entstanden, kann das Ruhrgebiet nicht die Traditionen einer wohlhabenden Bürgerstadt vorweisen, "künstlerisch ein weithin unbeschriebenes Blatt" aber ist es - mit Wilhelm Lehmbruck und Josef Albers, Werner Nekes und Christoph Schlingensief - nicht. Einen "Ulysses" hat es nicht hervorgebracht, doch dessen erster Übersetzer, Georg Goyert, war Studienrat in Witten; und auch wenn Erik Regers "Union der festen Hand" oder Heinrich Hausers "Schwarzes Revier" an "Berlin Alexanderplatz" nicht heranreichen, sind sie literarische Schwergewichte. Werke "wirklich identitätsprägenden Ranges" kreierte das Ruhrgebiet in der jungen (von Eilenberger nicht anerkannten) Kunst der Fotografie: Die Dokumentation seiner Industriearchitektur bildet das Fundament der Becher-Schule.
Ob das Revier "die ihm mitgegebene Chance oder Verantwortung", die es "zu einer Beispielregion für ein ganzes kommendes Zeitalter des Strukturwandels macht", wirklich verneinen möchte, fragt Eilenberger. Das klingt, als habe er nicht mitbekommen, dass der erste Trittstein längst gelegt ist: Der Emscher-Umbau, ein 5,3 Milliarden Euro teures Generationenprojekt, steht vor dem Abschluss. Der "Metropolenschreiber" hätte ihn auch während der Pandemie abradeln oder erwandern können. Der halbherzigen Einlassung entsprechen Fehler, Ungenauigkeiten und Schludrigkeiten: Ralf Rothmann ist hier nicht in Bottrop, sondern in Bocholt aufgewachsen, aus (vermutlich) Arnsberg wird Arnsbach, aus Erik Reger (durchweg) Regner, IBA-Chef Karl Ganser erhält den (bisher unbekannten) Titel "Ministerialpräsident", der Historiker Ulrich Herbert kehrt als Jürgen Herbert wieder, und in Bochum kann Eilenberger, ganz Kenner, "nur ein Fliege bestellen - das blonde Bier dieser grauen Stadt", das aber - ohne "l" - Fiege heißt. Lektoratsversagen.
Mangelnde Aufmerksamkeit als Ausdruck von Geringschätzung? Der Schnellschuss bleibt unter dem intellektuellen Niveau des Autors und wird dem Ruhrgebiet nicht gerecht. Bölls Satz behält seine Gültigkeit: "Das Ruhrgebiet ist noch nicht entdeckt worden." ANDREAS ROSSMANN
Wolfram Eilenberger: "Das Ruhrgebiet." Versuch einer Liebeserklärung.
Tropen Verlag, Stuttgart 2021. 144 S., geb., 16,- Euro.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Umschau im Revier: Wolfram Eilenberger präsentiert seinen Ertrag als Stadtschreiber Ruhr
"Das Ruhrgebiet ist noch nicht entdeckt worden." Der Befund, mit dem Heinrich Böll 1958 seinen Essay im Band des Kölner Fotografen Chargesheimer einleitet, war damals keineswegs neu. Schon 1930 bezeichnete Bernard von Brentano das Ruhrgebiet als "eine viel genannte und ebenso unbekannte deutsche Provinz". Doch erst Bölls Satz hat Karriere gemacht. Kaum ein Autor, der sich dem inzwischen gut erforschten Industrierevier zuwendet, kommt ohne ihn aus. Wolfram Eilenberger zitiert ihn auf der dritten Seite.
Der Philosoph war 2019/20 "Stadtschreiber Ruhr", eine einjährige Residenz, mit der die Brost-Stiftung den Blick auf die Region von außen fördern möchte. Das Stipendium soll Erträge bringen, und ein Jahr später liegt "Das Ruhrgebiet" vor, ein schmales Büchlein. Schnell musste es gehen, das ist ihm anzumerken. Erstmals Bekanntschaft mit dem Ruhrgebiet machte der Autor als Achtjähriger, als er einen Fernsehsketch von Jürgen von Manger alias Adolf Tegtmeier sah. Seitdem war nicht viel dazugekommen. Das schmale Vorwissen und die einschlägige Klischeebefangenheit sorgten, mit der Wirklichkeit konfrontiert, für Staunen, in das sich wohl schlechtes Gewissen mischte. Oder warum muss es gleich der "Versuch einer Liebeserklärung" sein?
Der Text reiht tagebuchähnliche Einträge und Anmerkungen, Impressionen und Reflexionen, An- und Aufgelesenes aneinander. Eilenberger mokiert sich über das Schild "Metropole Ruhr", als stellten nicht auch andere Regionen so ihr Minderwertigkeitsgefühl aus, und über den "Marmorpalast", einen Protzbau im Mülheimer Villenviertel Uhlenhorst, wo er Quartier bezieht. Die anregend geschriebene Darstellung enthält erhellende Beobachtungen und originelle Gedanken, doch fehlt es an Kenntnissen und Übersicht. Wenn Eilenberger etwa "durch den Skulpturengarten des weltberühmten Lehmbruck Museums" spaziert, schließt er voraussetzungslos Überlegungen zum "Scheitern der Idee" an, "dieser Region im Moment ihres Verfalls mit den Mitteln der Hochkultur eine 'neue Lebensauffassung' einzuhauchen", als habe er von Karl Ernst Osthaus und dem Folkwang-Impuls noch nie gehört.
Der Autor identifiziert das Ruhrgebiet pauschal mit der Kohle; die zweite Säule, Stahl, damit auch Krupp, zeitweise das größte Unternehmen Europas, erwähnt er nicht. Die selektive Wahrnehmung verengt den Blick. Erst im späten achtzehnten Jahrhundert entstanden, kann das Ruhrgebiet nicht die Traditionen einer wohlhabenden Bürgerstadt vorweisen, "künstlerisch ein weithin unbeschriebenes Blatt" aber ist es - mit Wilhelm Lehmbruck und Josef Albers, Werner Nekes und Christoph Schlingensief - nicht. Einen "Ulysses" hat es nicht hervorgebracht, doch dessen erster Übersetzer, Georg Goyert, war Studienrat in Witten; und auch wenn Erik Regers "Union der festen Hand" oder Heinrich Hausers "Schwarzes Revier" an "Berlin Alexanderplatz" nicht heranreichen, sind sie literarische Schwergewichte. Werke "wirklich identitätsprägenden Ranges" kreierte das Ruhrgebiet in der jungen (von Eilenberger nicht anerkannten) Kunst der Fotografie: Die Dokumentation seiner Industriearchitektur bildet das Fundament der Becher-Schule.
Ob das Revier "die ihm mitgegebene Chance oder Verantwortung", die es "zu einer Beispielregion für ein ganzes kommendes Zeitalter des Strukturwandels macht", wirklich verneinen möchte, fragt Eilenberger. Das klingt, als habe er nicht mitbekommen, dass der erste Trittstein längst gelegt ist: Der Emscher-Umbau, ein 5,3 Milliarden Euro teures Generationenprojekt, steht vor dem Abschluss. Der "Metropolenschreiber" hätte ihn auch während der Pandemie abradeln oder erwandern können. Der halbherzigen Einlassung entsprechen Fehler, Ungenauigkeiten und Schludrigkeiten: Ralf Rothmann ist hier nicht in Bottrop, sondern in Bocholt aufgewachsen, aus (vermutlich) Arnsberg wird Arnsbach, aus Erik Reger (durchweg) Regner, IBA-Chef Karl Ganser erhält den (bisher unbekannten) Titel "Ministerialpräsident", der Historiker Ulrich Herbert kehrt als Jürgen Herbert wieder, und in Bochum kann Eilenberger, ganz Kenner, "nur ein Fliege bestellen - das blonde Bier dieser grauen Stadt", das aber - ohne "l" - Fiege heißt. Lektoratsversagen.
Mangelnde Aufmerksamkeit als Ausdruck von Geringschätzung? Der Schnellschuss bleibt unter dem intellektuellen Niveau des Autors und wird dem Ruhrgebiet nicht gerecht. Bölls Satz behält seine Gültigkeit: "Das Ruhrgebiet ist noch nicht entdeckt worden." ANDREAS ROSSMANN
Wolfram Eilenberger: "Das Ruhrgebiet." Versuch einer Liebeserklärung.
Tropen Verlag, Stuttgart 2021. 144 S., geb., 16,- Euro.
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»Wolfram Eilenberger wagt mit 'Das Ruhrgebiet - Versuch einer Liebeserklärung' einen kritisch-persönlichen Blick von außen auf das Revier - für den Philosophen eine Schlüsselregion der kommenden nötigen Transformationen.« Volker K. Belghaus, Kultur.West, September 2021 Volker K. Belghaus Kultur.West 20210901