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Eine neue Schriftstellergeneration wächst in Polen heran. Einer ihrer Wortführer ist Daniel Odija. Seine Romane und Dramen spielen in der Provinz. Er berichtet von Menschen am Rand der Gesellschaft und bietet einen beklemmenden Eindruck in das Polen von heute und die Entdeckung einer magischen, für unsere Augen archaischen Welt. Unsentimental erzählt Odija von einem Dorf, das bis zur Wende von einer Kolchose beherrscht wurde und nun langsam vor die Hunde geht. Einzig der Schmalspuroligarch und Sägewerksbesitzer Józef Mysliwski versteht es, die sich bietenden Möglichkeiten zu nutzen. Als er…mehr

Produktbeschreibung
Eine neue Schriftstellergeneration wächst in Polen heran. Einer ihrer Wortführer ist Daniel Odija. Seine Romane und Dramen spielen in der Provinz. Er berichtet von Menschen am Rand der Gesellschaft und bietet einen beklemmenden Eindruck in das Polen von heute und die Entdeckung einer magischen, für unsere Augen archaischen Welt. Unsentimental erzählt Odija von einem Dorf, das bis zur Wende von einer Kolchose beherrscht wurde und nun langsam vor die Hunde geht. Einzig der Schmalspuroligarch und Sägewerksbesitzer Józef Mysliwski versteht es, die sich bietenden Möglichkeiten zu nutzen. Als er scheitert, ist auch der Traum vom raschen Aufstieg auf Kosten anderer ausgeträumt.
Autorenporträt
Daniel Odija wurde 1974 in Slupsk geboren, wo er heute als Schriftsteller und Fernsehjournalist lebt. Das Sägewerk ist sein zweiter Roman und sein erster auf Deutsch.

Martin Pollack, geboren 1944 in Bad Hall, Oberösterreich, studierte Slawistik und osteuropäische Geschichte. Bis 1998 Korrespondent des Spiegel in Wien und Warschau. Übersetzer u. a. von Ryszard Kapuscinski. Preise u. a.: Leipziger Buchpreis für Europäische Verständigung (2011), Johann-Heinrich-Merck-Preis, Österreichischer Staatspreis für Kulturpublizistik (beide 2018). Bei Zsolnay sind u.a. erschienen: Anklage Vatermord. Der Fall Philipp Halsmann (2002), Der Tote im Bunker. Bericht über meinen Vater (2004), Kaiser von Amerika. Die große Flucht aus Galizien (2010) und zuletzt Die Frau ohne Grab. Bericht über meine Tante (2019).
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 08.12.2006

Auch aus Krippen kann man Brennholz machen
Die Wirklichkeit und mehr: Der junge polnische Schriftsteller Daniel Odija erzählt eine heillose Weihnachtsgeschichte / Von Richard Kämmerlings

Während Politiker und Soziologen noch darüber Haare spalten mögen, ob es in unserem Land so etwas wie eine "Unterschicht" gibt, oder ob man, wenn es sie denn schon gibt, sie auch so nennen darf, sollte man sich zur Kategorisierung gegenwärtiger Literatur den Begriff "Unterschichtenliteratur" schon einmal merken - zumindest bis es einen präziseren gibt, um zu beschreiben, was jüngere deutsche Autoren wie Claudia Klischat, Kirsten Fuchs oder Clemens Meyer verbindet. Wer in deren Büchern noch Geschichten "vom Rande der Gesellschaft" erkennt, der ist wohl länger nicht mehr aus seiner Reihenhaussiedlung herausgekommen.

In Polen ist man da direkter: Schon zu volksrepublikanischen Zeiten unterschied man recht mitleidlos zwischen "Polen A" und "Polen B", wobei letzteres die ländlich-strukturschwachbrüstigen Gebiete vor allem des Ostens meinte. In postsozialistischen Zeiten hat sich dieser Graben vertieft, und neuerdings macht sich auch in ehemaligen Industrieregionen im Norden ein "Polen C" breit, geprägt von Arbeitslosigkeit und Alkoholismus, Verwahrlosung und häuslicher Gewalt. Die jüngere polnische Literatur findet ihren Stoff buchstäblich auf der Straße.

Daniel Odija stammt aus und lebt in Slupsk (sprich: Schwupsk). Slupsk liegt in Pommern und hieß früher Stolp; man muß nicht dagewesen sein, um sich vorzustellen, was dort los ist: nichts nämlich. Odijas Roman "Sägewerk", im Original 2003 in Andrzej Stasiuks und Monika Sznajdermanns "Czarne"-Verlag erschienen, spielt nicht ausdrücklich hier, sondern irgendwo im Nirgendwo der polnischen Provinz: "Die Häuser stehen hier etwas weiter auseinander. Vom ersten Haus kann man das zweite, vom zweiten das dritte und vom dritten das erste nicht sehen. In diesen Häusern wohnen Menschen. Es sind nicht viele und sie treffen einander selten. Offenbar haben sie kein Verlangen danach." Außer Winzigbauernhöfchen, verschlammten Straßen und einer heruntergekommenen Kolchosensiedlung gibt es hier nur eines im Überfluß: Wald. Und so braucht es nur einen Geistesblitz, um reich zu werden: Denn wozu ist Wald gut? Zum Abholzen. Józef Mysliwski, der erste hier, "der einen eigenen Traktor besaß", baut ein Sägewerk und ist ein gemachter Mann.

In wenigen Kapiteln erzählt Odija ein Lehrbeispiel ursprünglicher kapitalistischer Akkumulation und eine Fabel darüber, wie man nach der Wende mit ein wenig Grips und viel Skrupellosigkeit seine Schäfchen ins Trockene bringen konnte. Dieser Józef, so gerissen-schlau wie die Füchse, die er wegen ihrer Pelze züchtet und mit Stromstößen tötet, ist bald bei allen im Ort einschließlich seiner Ehefrau Maria ebenso verhaßt wie gefürchtet. Seinen mißgünstigen Nachbarn gibt er Arbeit, seinen Arbeitern Pornos und Schnaps ("der ist wenigstens gesund"), seiner Familie Brot, dafür darf er sich wie ein Feudalherr mit den Weibern herumtreiben und mit seinem Protzauto über die Straßen heizen. Historisch ist die Geschichte, die gut zwei Jahrzehnte umspannen muß, bewußt unbestimmt gehalten. Zeitgeschichte ragt in diese Welt nur durch schicksalhafte Fernwirkungen (Absatzchancen, Touristen) hinein und wird wie eine Naturgewalt erlebt.

Um die Geschichte vom Aufstieg und Fall des Fabrikanten entwirft Odija in kurzen, episodenhaften Kapiteln einen Mikrokosmos von zerstörten Existenzen, von Trinkern, Gewalttätern, Einsamen und Verrückten: Frau Mariola, die leicht zu habende Wirtin etwa, von Józef über Jahre zur Triebabfuhr gebraucht, die sich plötzlich in einen jungen Arbeiter aus der Stadt verliebt und über dessen Unfalltod auf einem Hochspannungsmast nicht mehr hinwegkommt. Oder die geistig zurückgebliebene Marta, die von demselben Elektriker im Suff vergewaltigt worden war, schwanger wird, ihr Kind verliert und in deren Erinnerung das schönste Erlebnis ihres Lebens für immer mit dem schrecklichsten verbunden sein wird. Oder der in Amerika zu etwas Geld gekommene Alek, Józefs Schwager, der sich, ohne es selbst richtig zu bemerken, in die obsessiv trauernde Wirtin verliebt. Oder Michal, der grenzdebile Junkie und Kleinkriminelle, der immerhin einmal Gott selbst begegnet ist - auf dem LSD-Trip.

Für diese tragisch ineinander verstrickten Schicksale erfindet Odija einen verfremdenden, archaisierenden Sprachduktus, der Anleihen bei der Bibel und beim volkstümlichen Märchenton macht: "Es gab eine Zeit, da hatte Mysliwski das einzige Videogerät in der Gegend." Ganz unaufdringlich, ohne die religiöse Symbolik zu überziehen, entwirft er seine Dorfgeschichte als düstere Umkehrung des Neuen Testaments: Maria und Józef, hier nicht Zimmermann, sondern Sägewerkbesitzer, und ihr verzogener Sohn Krzysztof (also Christoph) bilden eine unheilige Familie, die von der Selbstsucht und Maßlosigkeit des Patriarchen am Ende heillos zugrunde gerichtet wird. Maria landet im Rollstuhl, Józef als Bankrotteur und Versicherungsbetrüger vor Gericht. Und Krzysztof, der gleich mit seinem ersten Mercedes in die Kapelle der hier verehrten Blauen Madonna kracht, wird später zum Mörder an einem greisen, einsiedlerischen Privatgelehrten, den er für einen gefährlichen Hexer hält. Der verhinderte Messias schlägt dem ihm irgendwie unheimlichen Evangelisten lieber den Schädel ein.

Die Kapitel dieses Reigens der toten Seelen hat Odija mit der gleichbleibenden Formel ". . . i nie tylko" überschrieben, was der Übersetzer Martin Pollack stets wörtlich mit "und nicht nur" wiedergibt. Treffender wäre hier wohl das auch in deutscher Werbesprache inflationär verwendete "und mehr" gewesen ("Bürobedarf und mehr", und hier eben: "Kneipe und mehr", "Straße und mehr", "Zeit und mehr"). Die Wirklichkeit und mehr ist das Thema dieses Romans, in dem fast alle, auch die depraviertesten Figuren, eine Ahnung davon haben, daß es außer diesem Leben noch etwas anderes geben muß.

Überall ist Jammertal; die Natur allenfalls, wenn man sie doch hörte, hielte so etwas wie Transzendenz bereit. Hier wandelt Odija freilich nah an der Grenze zur Öko-Esoterik. Doch ohnehin geht auch diese geheime Offenbarung im schrillen Lärm der Kreissägen unter: Das "Kreischen" der Bäume, wenn sie zerschnitten werden, die für menschliche Sinne unverständliche Sprache der Jahresringe, die Blitze, Wolken und Fluten und schließlich, als am Ende alles verzehrendes Gegenprinzip, "die mörderische Reinheit des Feuers, dessen Zungen sich nicht dem Pathos der Worte hingeben, die ständig alles beschreiben wollen". Doch auch aus Krippen würde Józef noch bedenkenlos Brennholz machen; und gegen diese Geschöpfe hätte selbst ein Gott einen schweren Stand. Was bleibt, von alledem, von den Bäumen, von den Sägen, von den Füchsen und schließlich auch von den Menschen, ist Asche. Ein trostloses Buch, eine verheißungsvolle neue Stimme.

Daniel Odija: "Das Sägewerk". Roman. Aus dem Polnischen übersetzt von Martin Pollack. Paul Zsolnay Verlag, Wien 2006. 176 S., geb., 17,90 [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Perlentaucher-Notiz zur TAZ-Rezension

Sascha Josuweit ist erstaunt, wie ungerührt die Figuren von Daniel Odija ihren letztlich unvermeidlichen Untergang beobachten. Aber er ist ebenso überzeugt davon, dass der Autor mit der deftigen Handlung und den groben Gefühlen keine Klischees bedient, sondern "äußerst konkret" vorgeht, nah dran am wirklichen Leben im ländlichen Polen heute. Odija stifte seiner Geschichte um den ausbeuterischen Sägewerksbesitzer, der am Ende an noch abgefeimteren Geschäftsleuten scheitert, einen "bunten Haufen" von Nebenfiguren, die den Rezensenten zusammen mit der immer wieder auftretenden "starken Bildlichkeit" dazu veranlassen, Odijas selbst vorgenommene Einschätzung dieses Romans zu relativieren: Hier liege nicht nur eine Studie über das Böse vor, sondern auch eine Studie des Gegenwartspolen, die an Andrzej Stasiuk erinnern lässt, bloß ohne dessen Nostalgie.

© Perlentaucher Medien GmbH
"Der Roman ist eine eindrucksvolle Skizze eines beschädigten, weitgehend dumpfen Lebens, in dem immer wieder Archaisches, aber auch die Sehnsucht nach Liebe aufscheinen."
Deutsche Presse Agentur, 25.09.06

"Lakonisch trocken, mit schmerzlicher Präzision und abgründiger Einfühlung beschreibt Odija parabelhaft die Katastrophe, die in den neunziger Jahren über das ländliche Polen kam, als die kleine Ordnung der Dinge zerfiel... Ein Traklscher Traum von Natur liegt über seiner Provinz des Menschlichen."
Andreas Breitenstein, Neue Zürcher Zeitung, 07.11.06

"Obwohl einfach und spannend geschrieben, ist dieser Roman auch und besonders ein nachdenkliches Werk über Leben und Sterben. Mit Odija hat die polnische Literatur ein ernsthaftes, sprachgewandtes Talent."
Berner Zeitung, 09.11.06

"Mit Hilfe seiner starken, urtümlichen Metaphorik überhöht der stilsichere Autor seine Beobachtungen in das Parabelhafte. (...) Eine derart drastische Milieuschilderung aus demPolen der neunziger Jahre hat Seltenheitswert."
Katrin Hillgruber, Der Tagesspiegel, 23.12.06"In wenigen Kapiteln erzählt Odija ein Lehrbeispiel ursprünglicher kapitalistische Akkumulation und eine Fabel darüber, wie man nach der Wende mit ein wenig Grips und viel Skrupellosigkeit seine Schäfchen ins Trockene bringen konnte."
Richard Kämmerlings, Frankfurter Allgemeine Zeitung, 08.12.06