In was für einer Welt leben wir eigentlich? Philipp Schönthaler beschreibt die Herausforderungen und Zumutungen unserer alltäglichen Arbeits- und Lebenswelten. Jeder Tag ist ein Kampf um optimiertes Aussehen, optimierte Arbeitsziele, optimierte Arbeitsplätze, optimierte Berufseinstellungen. Soll man nundaran scheitern oder darüber lachen? Schönthaler entscheidet sich in diesem außergewöhnlichen Roman für den feinen, leise ironischen Blick, sanften und liebevollen Spott, geleitet von Neugier und Faszination, von Zuneigung und Verständnis. Offen bleibt nach der Lektüre, ob wir auf die Menschen in den Verhältnissenum uns oder ob wir bloß in einen Spiegel geschaut haben.
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
Dass der Autor nicht als Insider berichtet, sondern als literarischer Ermittler, macht das Buch von Philipp Schönthaler für Alexander Košenina nicht weniger interessant. Die Welt der psychosomatisch kaputten Schleimer, Schwätzer und Scharlatane der Großkonzernwelt vermag ihm der Autor nicht nur als Satire, sondern mit all ihren Abgründen vorzustellen. Wenn er dabei auf traditionelle Erzählpositionen verzichtet und die verschiedenen Geschichten seines Personals kühl protokolliert und zum handlungsarmen Soziogramm verwebt, scheint es Košenina dennoch kalt den Rücken runterzulaufen.
© Perlentaucher Medien GmbH
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Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 08.10.2013Wenn das Humankapital zu viel Rouge aufträgt
Philipp Schönthaler erforscht in seinem gelungenen Debütroman „Das Schiff das singend zieht auf seiner Bahn“ mitleidlos das
filigrane System Mensch und die fortschreitenden Möglichkeiten seiner Optimierung
VON CHRISTOPH SCHRÖDER
Wann hat das angefangen? Diese Dominanz der Agenturen, in denen nicht nur gearbeitet, sondern Lebensgefühle erzeugt werden. Diese durchaus kunstvolle Produktion hohler Sprechblasen und leer drehender Floskeln, eines Wohlfühlvokabulars, hinter dem sich in Wahrheit ein gewaltiges soziales Umwälzungsprojekt verbirgt: die Umwandlung des Menschen in einen allzeit bereiten Dienstleister und Arbeitnehmer.
Philipp Schönthaler reiht sich mit seinem Debütroman ein in eine Schar von Autoren, die etwa seit der Jahrtausendwende daran arbeiten, die Aufhebung der Grenze zwischen dem, was Arbeit ist, und dem, was man einmal Privatleben nannte, mit all ihren Konsequenzen literarisch zu beschreiben: Rainer Merkel und sein Roman „Das Jahr der Wunder“ gehört dazu, Kathrin Rögglas „wir schlafen nicht“, zuletzt Thomas von Steinaeckers „Das Jahr, in dem ich aufhörte, mir Sorgen zu machen, und anfing zu träumen.“
Schönthaler steht Rögglas Erzählmodell recht nahe. Auch in „Das Schiff das singend zieht auf seiner Bahn“ geht es weniger um Beobachtung durch eine außenstehende Instanz als um die Vermessung eines semantischen Feldes, das größer wird und größer. Die Sprache, in der Schönthalers Figuren gefangen sind, unterscheidet sich nicht mehr von der, in der über sie als literarisches Personal gesprochen wird: Permanentes Selbstmonitoring mit dem Ziel der Selbstoptimierung.
Es gibt so etwas wie einen Plot, durchaus: Erik Jungholz, 36 Jahre alt, ist Managing Director einer Kosmetikproduktlinie für Männer, die wiederum zu einem gigantischen Konzern, Pfeiffer Beauty Kosmetik (PB), gehört. Der Firmensitz in Stuttgart ist ein imposantes Ensemble von Gebäuden, genannt „Campus Filder“ (allein das schon ein Euphemismus!), dessen Haupttrakt in seiner architektonischen Gestaltung einem Rouge-Tiegel nachempfunden ist. Die von Jungholz erst seit kurzem verantwortete Marke macht seit mehreren Jahren Verluste; mit der Entwicklung eines neuen Herrenduftes soll er nun die Kehrtwende schaffen. Um Jungholz herum gruppieren sich diverse Menschen mit unaussprechlichen Berufsbezeichnungen und diffusen Arbeitsfeldern: Quass, der Assistant Director of Human Resources; List, ein ehemaliger Kriminalpolizist, der sich als Ermittler selbständig gemacht hat und auf die Aufklärung von Betrug in Bewerbungsunterlagen spezialisiert ist. Oder auch Pamela J. Smaart, die im Auftrag von PB Leistungsprofile der Mitarbeiter erstellt; es geht um Evaluationsbögen und Zielvereinbarungen, um Potenziale, die abgerufen werden müssen.
Das ist zum Teil komisch, darauf vertraut Schönthaler mit Recht, auch selbstentlarvend, vor allem aber offenbart Schönthalers Verfahren der gezielten rhetorischen Unübersichtlichkeit, wie weitreichend und gefährlich die komplette Verschränkung von Außen- und Innenwelt sein kann. Das Nichts ist gefräßig, es verleibt sich alles ein und banalisiert es umgehend. Der so genannte „Proust-Effekt“, das Vertrauen auf eine Koppelung von Sinneseindrücken und positiv besetzter Erinnerung, ist zum Teil einer Marketingstrategie geworden. Was ökonomisch nützlich ist, wird von Jungholz & Co in Business-Neusprech übersetzt und verwurstet, von Hildegard von Bingen bis zu Thoreaus „Walden“ (so heißt einer der Konferenzräume). Selbst der Schlaf wird im Labor überwacht.
Von der Selbstoptimierung zur Selbstzerstörung ist es nicht weit. Wer nicht mehr mitkommt, wird herausgeschleudert. Es gibt einige: Rike, eine Bewerberin um einen Job bei PB, landet in der Psychiatrie, Quass an einem Brückenpfeiler; Smaart wird während eines Kongresses beim Glücksspiel ausgeplündert. Nur selten wird Schönthaler explizit. Beim „Menschen“, so heißt es einmal, „handelt es sich um einen hochkomplexen, lernfähigen Organismus. Es liegt an uns, dieses filigrane System optimal einzustellen und zu steuern.“ Mit seinen Figuren hat Schönthaler so wenig Mitleid wie sie selbst mit sich und anderen auch. Empathie ist eine Kategorie, die nicht mehr vorkommt. Diese expliziten Abwesenheit macht aus Schönthalers gelungenem Debütroman eine hochmoralische Angelegenheit.
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Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über www.sz-content.de
Philipp Schönthaler erforscht in seinem gelungenen Debütroman „Das Schiff das singend zieht auf seiner Bahn“ mitleidlos das
filigrane System Mensch und die fortschreitenden Möglichkeiten seiner Optimierung
VON CHRISTOPH SCHRÖDER
Wann hat das angefangen? Diese Dominanz der Agenturen, in denen nicht nur gearbeitet, sondern Lebensgefühle erzeugt werden. Diese durchaus kunstvolle Produktion hohler Sprechblasen und leer drehender Floskeln, eines Wohlfühlvokabulars, hinter dem sich in Wahrheit ein gewaltiges soziales Umwälzungsprojekt verbirgt: die Umwandlung des Menschen in einen allzeit bereiten Dienstleister und Arbeitnehmer.
Philipp Schönthaler reiht sich mit seinem Debütroman ein in eine Schar von Autoren, die etwa seit der Jahrtausendwende daran arbeiten, die Aufhebung der Grenze zwischen dem, was Arbeit ist, und dem, was man einmal Privatleben nannte, mit all ihren Konsequenzen literarisch zu beschreiben: Rainer Merkel und sein Roman „Das Jahr der Wunder“ gehört dazu, Kathrin Rögglas „wir schlafen nicht“, zuletzt Thomas von Steinaeckers „Das Jahr, in dem ich aufhörte, mir Sorgen zu machen, und anfing zu träumen.“
Schönthaler steht Rögglas Erzählmodell recht nahe. Auch in „Das Schiff das singend zieht auf seiner Bahn“ geht es weniger um Beobachtung durch eine außenstehende Instanz als um die Vermessung eines semantischen Feldes, das größer wird und größer. Die Sprache, in der Schönthalers Figuren gefangen sind, unterscheidet sich nicht mehr von der, in der über sie als literarisches Personal gesprochen wird: Permanentes Selbstmonitoring mit dem Ziel der Selbstoptimierung.
Es gibt so etwas wie einen Plot, durchaus: Erik Jungholz, 36 Jahre alt, ist Managing Director einer Kosmetikproduktlinie für Männer, die wiederum zu einem gigantischen Konzern, Pfeiffer Beauty Kosmetik (PB), gehört. Der Firmensitz in Stuttgart ist ein imposantes Ensemble von Gebäuden, genannt „Campus Filder“ (allein das schon ein Euphemismus!), dessen Haupttrakt in seiner architektonischen Gestaltung einem Rouge-Tiegel nachempfunden ist. Die von Jungholz erst seit kurzem verantwortete Marke macht seit mehreren Jahren Verluste; mit der Entwicklung eines neuen Herrenduftes soll er nun die Kehrtwende schaffen. Um Jungholz herum gruppieren sich diverse Menschen mit unaussprechlichen Berufsbezeichnungen und diffusen Arbeitsfeldern: Quass, der Assistant Director of Human Resources; List, ein ehemaliger Kriminalpolizist, der sich als Ermittler selbständig gemacht hat und auf die Aufklärung von Betrug in Bewerbungsunterlagen spezialisiert ist. Oder auch Pamela J. Smaart, die im Auftrag von PB Leistungsprofile der Mitarbeiter erstellt; es geht um Evaluationsbögen und Zielvereinbarungen, um Potenziale, die abgerufen werden müssen.
Das ist zum Teil komisch, darauf vertraut Schönthaler mit Recht, auch selbstentlarvend, vor allem aber offenbart Schönthalers Verfahren der gezielten rhetorischen Unübersichtlichkeit, wie weitreichend und gefährlich die komplette Verschränkung von Außen- und Innenwelt sein kann. Das Nichts ist gefräßig, es verleibt sich alles ein und banalisiert es umgehend. Der so genannte „Proust-Effekt“, das Vertrauen auf eine Koppelung von Sinneseindrücken und positiv besetzter Erinnerung, ist zum Teil einer Marketingstrategie geworden. Was ökonomisch nützlich ist, wird von Jungholz & Co in Business-Neusprech übersetzt und verwurstet, von Hildegard von Bingen bis zu Thoreaus „Walden“ (so heißt einer der Konferenzräume). Selbst der Schlaf wird im Labor überwacht.
Von der Selbstoptimierung zur Selbstzerstörung ist es nicht weit. Wer nicht mehr mitkommt, wird herausgeschleudert. Es gibt einige: Rike, eine Bewerberin um einen Job bei PB, landet in der Psychiatrie, Quass an einem Brückenpfeiler; Smaart wird während eines Kongresses beim Glücksspiel ausgeplündert. Nur selten wird Schönthaler explizit. Beim „Menschen“, so heißt es einmal, „handelt es sich um einen hochkomplexen, lernfähigen Organismus. Es liegt an uns, dieses filigrane System optimal einzustellen und zu steuern.“ Mit seinen Figuren hat Schönthaler so wenig Mitleid wie sie selbst mit sich und anderen auch. Empathie ist eine Kategorie, die nicht mehr vorkommt. Diese expliziten Abwesenheit macht aus Schönthalers gelungenem Debütroman eine hochmoralische Angelegenheit.
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 06.02.2014Die Agenten der Effizienz machen wieder Überstunden
Philipp Schönthaler schaut den Silberzungen der neuen Arbeitswelt aufs Maul und auf die Finger
Schleimer, Schwätzer, Scharlatane, wohin man in diesem Roman schaut: Auf den geschliffenen Jargon der Eintönigkeit - die Sprachformeln der Produktmanager, Headhunter, Personal Trainer oder Consultants - versteht sich keiner besser als Philipp Schönthaler. Schon mit seinem Erzählband "Nach oben ist das Leben offen" (2012) hat er die Leistungsgesellschaft aufs Korn genommen, jetzt wendet er sich ganz der Unternehmenswelt zu. Von der seltsamen Titelmelodie dieses Romandebüts darf man sich nicht täuschen lassen: "Das Schiff das singend zieht auf seiner Bahn" befindet sich auf keiner fröhlichen Kreuzfahrt. Die Belegschaft ist strikt auf Kurs gebracht: "Einstieg als Aufstieg".
Der Kosmetikkonzern "Pfeiffer Beauty" ist ein völlig austauschbarer Schauplatz: protzig geschleckte Firmenzentrale nahe Stuttgart mit weitläufigem Foyer und Lichthof, verglasten Aufzügen, Meetingpoints, Oasen und Bistros. Gleiches gilt für das auf "Selbstoptimierung" gedrillte Personal: Mitte dreißig, smarte, redegewandte Selbstdarsteller. Damit diese Standardeigenschaften niemand vergisst, führen die Figuren sprechende Namen: Erik Jungholz, der die Firma mit einem neuen Herrenduft retten soll, ist Golfer, liebt schnelle Autos und erinnert sich ständig vor dem Spiegel daran, wie gut, ja wirklich gut er ist. Die Unternehmensberaterin Pamela Smaart hat trotz ihres Glasauges einen ziemlich guten Durchblick. Dr. Posner, Career Center Coach, lehrt die rechte Haltung und predigt das KLP-Prinzip: Kompetenz, Leistungsorientierung, Persönlichkeit.
Im Unterschied zu Typensatiren aus der literarischen Tradition stellt Schönthaler aber nicht nur die sorgfältig einstudierten Rollen seines Personals vor. Hinter den Fassaden tun sich jähe Abgründe auf. Die scheinbar so reibungslos auf ihrer Bahn dahinschnurrenden Aufziehfiguren müssen sich von Schlaftherapeuten, Stimmtrainern und Psychologen behandeln lassen, um überhaupt zu funktionieren. Sie kämpfen mit allen möglichen psychosomatischen Begleiterscheinungen ihrer Karriere, der sie sich viel bedingungsloser und verbissener verschreiben als die nachfolgende, Leistung und Lebensgenuss balancierende "Generation Y". Besonders hart trifft es die ewige Bewerberin Rike, die in jeder Vorstellungssituation versagt. Ihr Name ist die anagrammatische Umkehrung des Strahlemanns Erik Jungholz.
Schönthaler schreibt nicht als Insider, sondern als literarisch verdeckter Ermittler. Traditionelle Erzählpositionen, über deren Verabschiedung bei Bernhard, Sebald und Kertész er 2010 promoviert wurde, versucht er im eigenen Roman aufzugeben, auch formal: Dem Titelblatt auf Seite 9 gehen sechs Druckseiten mit charakterisierenden Fragmenten voraus. Das Buch selbst verwebt die kühl protokollierten Geschichten der einzelnen Figuren, die recht wenig miteinander zu tun haben.
Insgesamt handelt es sich bei dem Roman um ein handlungsarmes Soziogramm, das den Agenten der Effizienz bei der Arbeit zusieht. Ihr neoliberaler Geist stammt zwar aus der Unternehmenswelt, hat aber längst alle Institutionen, Behörden und Bildungseinrichtungen durchdrungen. Qualitätssicherung, Evaluation und Consulting allüberall, im Roman werden gar nicht sonderlich fiktiv wirkende Erhebungsbögen, Statistiken und Tortendiagramme abgedruckt. Die Controller, die all das, vor allem aber sich selbst kontrollieren, lachen sich dabei ins Fäustchen. Literatur als Spiegel der Welt soll das nicht aussparen, es bleibt aber die Entscheidung des Lesers, ob er sich dem nicht lieber entziehen will.
ALEXANDER KOSENINA
Philipp Schönthaler: "Das Schiff das singend zieht auf seiner Bahn". Roman.
Matthes & Seitz, Berlin 2013. 334 S., geb., 19,90 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Philipp Schönthaler schaut den Silberzungen der neuen Arbeitswelt aufs Maul und auf die Finger
Schleimer, Schwätzer, Scharlatane, wohin man in diesem Roman schaut: Auf den geschliffenen Jargon der Eintönigkeit - die Sprachformeln der Produktmanager, Headhunter, Personal Trainer oder Consultants - versteht sich keiner besser als Philipp Schönthaler. Schon mit seinem Erzählband "Nach oben ist das Leben offen" (2012) hat er die Leistungsgesellschaft aufs Korn genommen, jetzt wendet er sich ganz der Unternehmenswelt zu. Von der seltsamen Titelmelodie dieses Romandebüts darf man sich nicht täuschen lassen: "Das Schiff das singend zieht auf seiner Bahn" befindet sich auf keiner fröhlichen Kreuzfahrt. Die Belegschaft ist strikt auf Kurs gebracht: "Einstieg als Aufstieg".
Der Kosmetikkonzern "Pfeiffer Beauty" ist ein völlig austauschbarer Schauplatz: protzig geschleckte Firmenzentrale nahe Stuttgart mit weitläufigem Foyer und Lichthof, verglasten Aufzügen, Meetingpoints, Oasen und Bistros. Gleiches gilt für das auf "Selbstoptimierung" gedrillte Personal: Mitte dreißig, smarte, redegewandte Selbstdarsteller. Damit diese Standardeigenschaften niemand vergisst, führen die Figuren sprechende Namen: Erik Jungholz, der die Firma mit einem neuen Herrenduft retten soll, ist Golfer, liebt schnelle Autos und erinnert sich ständig vor dem Spiegel daran, wie gut, ja wirklich gut er ist. Die Unternehmensberaterin Pamela Smaart hat trotz ihres Glasauges einen ziemlich guten Durchblick. Dr. Posner, Career Center Coach, lehrt die rechte Haltung und predigt das KLP-Prinzip: Kompetenz, Leistungsorientierung, Persönlichkeit.
Im Unterschied zu Typensatiren aus der literarischen Tradition stellt Schönthaler aber nicht nur die sorgfältig einstudierten Rollen seines Personals vor. Hinter den Fassaden tun sich jähe Abgründe auf. Die scheinbar so reibungslos auf ihrer Bahn dahinschnurrenden Aufziehfiguren müssen sich von Schlaftherapeuten, Stimmtrainern und Psychologen behandeln lassen, um überhaupt zu funktionieren. Sie kämpfen mit allen möglichen psychosomatischen Begleiterscheinungen ihrer Karriere, der sie sich viel bedingungsloser und verbissener verschreiben als die nachfolgende, Leistung und Lebensgenuss balancierende "Generation Y". Besonders hart trifft es die ewige Bewerberin Rike, die in jeder Vorstellungssituation versagt. Ihr Name ist die anagrammatische Umkehrung des Strahlemanns Erik Jungholz.
Schönthaler schreibt nicht als Insider, sondern als literarisch verdeckter Ermittler. Traditionelle Erzählpositionen, über deren Verabschiedung bei Bernhard, Sebald und Kertész er 2010 promoviert wurde, versucht er im eigenen Roman aufzugeben, auch formal: Dem Titelblatt auf Seite 9 gehen sechs Druckseiten mit charakterisierenden Fragmenten voraus. Das Buch selbst verwebt die kühl protokollierten Geschichten der einzelnen Figuren, die recht wenig miteinander zu tun haben.
Insgesamt handelt es sich bei dem Roman um ein handlungsarmes Soziogramm, das den Agenten der Effizienz bei der Arbeit zusieht. Ihr neoliberaler Geist stammt zwar aus der Unternehmenswelt, hat aber längst alle Institutionen, Behörden und Bildungseinrichtungen durchdrungen. Qualitätssicherung, Evaluation und Consulting allüberall, im Roman werden gar nicht sonderlich fiktiv wirkende Erhebungsbögen, Statistiken und Tortendiagramme abgedruckt. Die Controller, die all das, vor allem aber sich selbst kontrollieren, lachen sich dabei ins Fäustchen. Literatur als Spiegel der Welt soll das nicht aussparen, es bleibt aber die Entscheidung des Lesers, ob er sich dem nicht lieber entziehen will.
ALEXANDER KOSENINA
Philipp Schönthaler: "Das Schiff das singend zieht auf seiner Bahn". Roman.
Matthes & Seitz, Berlin 2013. 334 S., geb., 19,90 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main