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Vieles, was noch vor wenigen Jahren als mondän galt wie z.B. das Rauchen, wird in unserer heutigen Kultur als schmutziges, gesundheitsgefährdendes Ärgernis thematisiert. Früher wurden solche Praktiken kulturell aufgehoben, indem man sie in einen Rahmen des »Heiligen« stellte. Gegen dieses »Heilige« macht nun eine Vernunft Front, die sich als »rein« versteht und die Welt entzaubern möchte.

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Produktbeschreibung
Vieles, was noch vor wenigen Jahren als mondän galt wie z.B. das Rauchen, wird in unserer heutigen Kultur als schmutziges, gesundheitsgefährdendes Ärgernis thematisiert. Früher wurden solche Praktiken kulturell aufgehoben, indem man sie in einen Rahmen des »Heiligen« stellte. Gegen dieses »Heilige« macht nun eine Vernunft Front, die sich als »rein« versteht und die Welt entzaubern möchte.
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Autorenporträt
Robert Pfaller, geboren 1962, studierte Philosophie in Wien und Berlin und ist nach Gastprofessuren in Chicago, Berlin, Zürich und Straßburg Professor für Philosophie an der Kunstuniversität Linz. Von 2009 bis 2014 war er Professor für Philosophie an der Universität für angewandte Kunst Wien. In den Fischer Verlagen ist von ihm »Das schmutzige Heilige und die reine Vernunft. Symptome der Gegenwartskultur« (2008) erschienen, die vielbeachtete Studie »Wofür es sich zu leben lohnt. Elemente materialistischer Philosophie« (2011), »Zweite Welten. Und andere Lebenselixiere« (2012) sowie im Fischer Taschenbuch »Kurze Sätze über gutes Leben« (2015). Mit Beate Hofstadtler hat er außerdem den Band »After you get what you want, you don't want it. Wunscherfüllung, Begehren und Genießen« (2016) herausgegeben. Nach »Erwachsenensprache. Über ihr Verschwinden aus Politik und Kultur« (2017) erschien 2020 »Die blitzenden Waffen. Über die Macht der Form«. 2020 wurde ihm der Paul-Watzlawick-Ehrenring verliehen.
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 08.01.2009

Alles viel zu prüde hier
Wo bleibt die Lust? Robert Pfaller erklärt die Ödnis der Gegenwartskultur
Unsere Aufmerksamkeitsökonomie verlangt, dass so gut wie jedes populäre Sachbuch mit einer Prise persönlicher Aufregung gewürzt sein muss. Dem Wiener Kulturwissenschaftler Robert Pfaller nimmt man die Aufregung, mit der er „Das schmutzige Heilige und die reine Vernunft” geschrieben hat, aber auch ab. Er ärgert sich gewaltig über eine Kultur, die ihm persönlich Lust verweigert – da sie so langweilig wie seit Jahrzehnten nicht mehr sei.
Verfallstheorien haben von Haus aus einen konservativen Einschlag – Robert Pfaller jedoch bedient sich parasitär des Genres: Indem er behauptet, dass es nicht in Richtung gesellschaftlicher Verwahrlosung dahingehe, sondern in Richtung einer allgemeinen Prüderie. Er beginnt seine Kulturanalyse mit der zunächst evidenten Beobachtung, dass im Augenblick eine vielfältige Tilgung von „Schmutz” im Gange ist: das Rauchen wird im Namen der Gesundheitspolitik tabuisiert (dem Alkoholgenuss steht Ähnliches bevor), Sprache wird von politischen Unkorrektheiten gesäubert und Sexualität taucht in der seriösen Kultur meist tragisch besetzt auf. Wir leben in freiwilliger Askese – trotz unseres Misstrauens gegenüber allem Religiösen. Pfallers erste Pointe ist es nun, aus diesem „Trotz” ein „Wegen” zu machen, denn unsere Abstinenz lässt sich laut Pfaller genauer benennen: Es ist das Misstrauen gegenüber dem Heiligen.
Pfaller schließt an den Begriff des „Alltagsheiligen” an, den der psychoanalytisch inspirierte französische Ethnologe Michel Leiris entwickelte: Das Heilige sei demnach jene zugleich abstoßende wie anziehende Sphäre des Außerordentlichen. Überdrehte Diven fallen genau so in diese Kategorie wie stilisierte Gangster, öffentliche Mysterien wie der Karneval genau so wie ritualisierter Genussmittelkonsum. All diesen Phänomenen sei gemeinsam, dass sie, wie der psychoanalytisch geschulte Kulturwissenschaftler Pfaller betont, Ich-fremde Aspekte stark machten, dass sie das Ich konfrontierten mit einer Welt, die gleichermaßen bedrohlich wie lustvoll sei. Begehrt werde heute aber nicht mehr das Außerordentliche – sondern nur noch das Eigene und Vertraute. Unorthodox, aber durchaus plausibel benennt Pfaller dieses Symptom als Narzissmus.
Narzissmus als Krankheit der Gegenwart beschrieb auch schon der Soziologe Richard Sennett in seiner bahnbrechenden Studie „Der Verfall des öffentlichen Lebens – die Tyrannei der Intimität” aus dem Jahr 1977. Sennett beklagt darin das Wuchern des Authentischen: dass es nach 1968 Pflicht wurde, die Umwelt mit seinem Innersten zu belästigen. In diese Kerbe schlägt auch Pfaller: Wir seien heute misstrauisch gegenüber allem Rituellen, wollen ständig nur „wir selbst” sein und uns nur von unserer eigenen Vernunft leiten lassen. Damit aber versagen wir uns selbst Lust.
Pfallers eigentliche Pointe ist die Behauptung, dass Lust Rituale nötig hat. Lust, oder noch allgemeiner: Leidenschaft schlummert laut Pfaller nicht unter dem Ich und wartet auf ihre Befreiung. Sie bedarf vielmehr äußerlicher Anreize wie der ritualisierten Annäherung der Geschlechtspartner. Diese anthropologische Wendung ist auch im Rahmen der Psychoanalyse interessant. Laut einer vulgären Freud-Lektüre wird Kultur gerne als Hemmschuh der Libido begriffen – für Pfaller hingegen wird Lust durch kulturelle Praktiken erst geschaffen. Und die werden heute, im Zuge einer Säkularisierungswelle im Namen des Authentischen und der reinen Vernunft, wegrationalisiert.
Das Zucken des Fisches an Land
Das ist nun tatsächlich mal eine kulturtheoretische Erkenntnis, über die sich diskutieren lässt. Die Stärke von Robert Pfallers Studie ist es, ein diffuses Lebensgefühl zu benennen und zu erklären. Zweifelsohne ist Leidenschaftslosigkeit ein Symptom der Gegenwart. Und zweifelsohne fungiert eine übermächtige Ratio hier als Bremse – wieso sollte man Rauchen, wo es doch so ungesund ist, wieso sollte man sich politisch engagieren, wo man das System ja eh nicht ändern und sich mit politischen Bewegungen sowieso nie so ganz identifizieren kann, und wieso sollte man sich der Libertinage hingeben, wo doch das Experiment der 68er gezeigt hat, dass jene nur ins persönliche Elend führt. Gerade als Angriff auf die postmoderne Skepsis, die nicht nur mit Lyotard die „großen Erzählungen” verabschiedete (und damit auch die Grundlage sinnvollen politischen Engagements), sondern auch all die kleinen Schwindeleien zum Teufel schickte, die das Leben aufregend machten, ist „Das schmutzige Heilige und die reine Vernunft” ein zeitgemäßes und wichtiges Statement.
Wenn sich beim Lesen dennoch eine gewisse Unlust einstellt, dann liegt das an einem anderen Grund. Robert Pfaller, der an einer Kunstakademie lehrt, wählt die Beispiele für seine Thesen vor allem aus der Kunstwelt. Skepsis, Authentizitätswahn und Betroffenheit waren hier, vor allem im subventionierten Sektor jenseits der „Großkünstler” in den letzten zehn Jahren sicher eines der bestimmenden Themen – mit all der von Pfaller so trefflich beschriebenen Lustfeindlichkeit, die damit einhergeht. Allerdings nimmt Pfaller dieses soziale Feld pars pro toto – und übersieht dabei ebenso wichtige andere Phänomene.
Während es einerseits durchaus plausibel ist, von postsexuellen Tendenzen zu sprechen, lässt sich andererseits aber auch ein Boom von Pornographie beobachten. Das Amateurporno-Portal „Youporn” und das sexuelle Sich-in-Szene-Setzen junger Männer und Frauen in sozialen Netzwerken, Blogs und Büchern sind beileibe keine marginalen Phänomene. Und dass ein Magazin wie Vice, das mit politischen Unkorrektheiten und schmutziger Sexualität spielt, zum inoffiziell wichtigsten Organ der Popwelt wurde, dass es quasi keine Popgala gibt, in der nicht Britney oder Rihanna in irgendwelchen Porno-Outfits auftreten, spricht ebenfalls für sich. Es ist umso erstaunlicher, dass Pfaller diese Phänomene bewusst ausblendet, weil die Psychoanalyse sich für solche Dialektiken wie die von Pornographie und Prüderie eigentlich brennend interessieren müsste. Ist das Auffallende an der Gegenwart nicht, dass beide Phänomene in seltsamem Einklang nebeneinander existieren, und wäre es nicht reizvoll, sie als zwei Seiten derselben Medaille zu beschreiben? Pfallers durchaus treffender Grundthese – dass wir ein Problem mit unserer „Libidounterbringung” haben – hätte das keinen Abbruch getan. Denn so sicher wie es ist, dass die narzisstische Askese Lust tötet, so evident scheint es, dass das imaginäre Spiel mit der Pornographie nichts anderes ist als das Zucken des Fisches an Land. PAUL-PHILIPP HANSKE
ROBERT PFALLER: Das schmutzige Heilige und die reine Vernunft. Symptome der Gegenwartskultur. S. Fischer Verlag, Frankfurt am Main 2008. 336 Seiten, 12,95 Euro.
Mehr Pornographie heißt noch lange nicht mehr Lust – die Sängerin Rihanna. Foto: ShowBizIreland.com / Getty
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Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension

Äußerst interessiert ist Paul-Philipp Hanske den erhellenden Auslassungen von Robert Pfaller zum allgemeinen Lustverfall der heutigen Zeit gefolgt und nimmt dem Autor den Ärger, der aus den Ausführungen spricht, ohne weiteres ab. Die These des Autors, dass mit zunehmender Säkularisierung, der Ablehnung von Ritualen und der narzisstischen Hinwendung zum eigenen Ich Lust zunehmend "wegrationalisiert" werde, findet der gefesselte Rezensent durchaus bedenkenswert und eine Debatte wert. Seine Freude an diesem Band trübt allerdings ein wenig, dass sich der  Kulturwissenschaftler Belege für seine Position ausschließlich aus der Kunst bezieht. Dabei sei doch gleichzeitig - neben einer neuen "Prüderie" und der "Skepsis" gegenüber dem Heiligen - in der Populärkultur ein "Boom von Pornografie" zu beobachten, argumentiert Hanske, der dieses Phänomen als die Rückseite  "derselben Medaille" liest. Dass sich der geschulte Psychoanalytiker aber an diesem Zusammenhang von "Pornografie und Prüderie" so gar nicht interessiert zeigt, sei erstaunlich, bedauert der Rezensent.

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