Die Musik gilt seit jeher als die "romantische" Kunst schlechthin. Ähnlich diffus und ahistorisch ist die Verwendung des Begriffs "Romantik" bis heute in der Musikgeschichtsschreibung und Musikwissenschaft. In seiner Diskursgeschichte gibt Ulrich Tadday eine souverän geschriebene und urteilende Darstellung der ästhetischen Wurzeln, Vorstellungen und Nachwirkungen der romantischen Musik.
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 21.07.1999Der fröhliche Landmann sät Ideen
Wie Schumann poetisch wurde: Ulrich Tadday versteht unter Musik etwas anderes als Carl Dahlhaus
Carl Dahlhaus habe, legt Ulrich Tadday dar, mit der These, die Idee der absoluten Musik, einer begriffs-, objekt- und zwecklosen, von Texten, Programmen, Funktionen und schließlich sogar Affekten und Charakteren losgelösten reinen Instrumentalmusik, sei die leitende Idee der klassisch-romantischen Musikästhetik gewesen, eine ganze Generation von westdeutschen Forschern in die Irre geführt. Indem er die klassisch-romantische Ästhetik streng von der Gefühlsästhetik scheidet, habe er Kontinuitäten vernachlässigt. Unter der Idee der absoluten Musik habe er ganz heterogene Traditionen, insbesondere ebendie romantische und die von Tadday idealistisch genannte und ihrerseits grob unterbestimmte, zusammengebracht. Und mit seiner Insistenz auf Autonomie stehe er der formalistischen Musikästhetik Hanslickscher Provenienz viel näher, als er selber denke oder zugebe. Demgegenüber möchte Tadday die Idee des Poetischen als für die Romantik leitend ausweisen, von der Dahlhaus zwar weiß, die er aber als hermeneutischen Überschuß wegschiebt.
Es hat wohl nur strategische Gründe, wenn Tadday die dialektische Gelegenheit, eine Kritik von Constantin Floros anzuschließen, nicht nutzt. Denn Floros, der wahre Anti-Dahlhaus, stellt seine Forschungen eben unter diese Idee des Poetischen, die er aber recht simpel als Intention, als Programm des Komponisten nimmt. Tadday dagegen zeigt am Beispiel von Schumanns sehr reflektiertem poetischem Sprechen über Musik, daß für Schumann "die Musik der Interpretation, das heißt der Aufführung und Auslegung bedürftig ist. Denn die poetische Idee einer Musik kann weder durch die Komposition noch durch ihre Interpretation vollständig ausgedrückt werden. Beide stehen in einem Reflexionsprozeß, der durch die poetische Idee bedingt wird." Dieser Gedanke steht im Zentrum des Buches. Und in der Tat, was könnte man von hier aus alles machen! Zum Beispiel zeigen, daß die Autonomie des musikalischen Werkes, also die Subordination der semantisch eindeutigen Affektsprache unter die Einheit der Form, das Poetische und damit die Möglichkeit und Notwendigkeit von Interpretation überhaupt erst erzeugt. So daß Dahlhaus und Floros zusammen das Absolute der Musik im Stande seiner Entzweiung präsentieren.
Aber Tadday? Statt zu denken, zitiert er. Alles, was er für seine Forschungen gelesen hat. Und dokumentiert. Auf die 335 Seiten des Buches kommen gerade einmal 155 Seiten Text, der Rest ist Apparat. In der Hauptsache wird, mit viel Statistik, Schumanns Verwendung des Wortes "romantisch" untersucht. In sie gehen unterschiedliche Diskursstränge ein, die als trivialliterarisch, landschaftsästhetisch, geschichts- und literarphilosophisch geordnet und in je eigenen Kapiteln dargestellt werden. Hier erfährt der Leser nun etwas über Ritterromane, Bildbeschreibungen, die Geschichte des Gartenbaus, er lernt, daß die Romantik das Mittelalter gar nicht wiederentdeckt hat und auch "nicht bloß als irrationalistischer, reaktionärer Reflex auf die rationalistische, vermeintlich fortschrittliche Aufklärung verstanden werden kann", für die Darstellung von Amadeus Wendts "im tiefsten Grunde eklektischer" Ästhetik bedarf es einer "kurzen Klärung der systematischen Voraussetzungen" von Hegels Ästhetik, und wichtig ist es auch zu sehen, daß Jean Pauls Humorverständnis Jacobis gegen Fichte gerichteten Nihilismusvorwurf auf die Frühromantiker anwendet.
Wie kann es dazu kommen? Es mag mit einem Wissenschaftsbetrieb zusammenhängen, der den Streit und damit die Thesenbildung nicht gerade fördert. Es mag daran liegen, daß die Musikgeschichte so lange aus der allgemeinen Geistesgeschichte herausgehalten wurde, daß schon der bloße materiale Fund den Reiz des Neuen trägt. Es wird aber auch sachliche Gründe haben. Tadday rekonstruiert zwar Schumanns Theorie der Interpretation, aber er interpretiert nicht selber. Zu mächtig ist das allgemeine Urteil, das alle musikalische Hermeneutik als bloßes Poetisieren verwirft. Gegenstand der Musikwissenschaft sind formale Analysen (einschließlich der Theorie der absoluten Musik) oder auktoriale Intentionen. Wo aber die Interpretation fehlt, auf deren Begründung hin die Geschichte der Philosophie und der Künste zu untersuchen einzig einen Sinn hätte, bleiben nur Stapel auf dem Schreibtisch hin- und hergeschobener Exzerpte.
GUSTAV FALKE
Ulrich Tadday: "Das schöne Unendliche". Ästhetik, Kritik, Geschichte der romantischen Musikanschauung. Metzler Verlag, Stuttgart 1999. 335 S., geb., Notenbsp., Abb., 78,- DM.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Wie Schumann poetisch wurde: Ulrich Tadday versteht unter Musik etwas anderes als Carl Dahlhaus
Carl Dahlhaus habe, legt Ulrich Tadday dar, mit der These, die Idee der absoluten Musik, einer begriffs-, objekt- und zwecklosen, von Texten, Programmen, Funktionen und schließlich sogar Affekten und Charakteren losgelösten reinen Instrumentalmusik, sei die leitende Idee der klassisch-romantischen Musikästhetik gewesen, eine ganze Generation von westdeutschen Forschern in die Irre geführt. Indem er die klassisch-romantische Ästhetik streng von der Gefühlsästhetik scheidet, habe er Kontinuitäten vernachlässigt. Unter der Idee der absoluten Musik habe er ganz heterogene Traditionen, insbesondere ebendie romantische und die von Tadday idealistisch genannte und ihrerseits grob unterbestimmte, zusammengebracht. Und mit seiner Insistenz auf Autonomie stehe er der formalistischen Musikästhetik Hanslickscher Provenienz viel näher, als er selber denke oder zugebe. Demgegenüber möchte Tadday die Idee des Poetischen als für die Romantik leitend ausweisen, von der Dahlhaus zwar weiß, die er aber als hermeneutischen Überschuß wegschiebt.
Es hat wohl nur strategische Gründe, wenn Tadday die dialektische Gelegenheit, eine Kritik von Constantin Floros anzuschließen, nicht nutzt. Denn Floros, der wahre Anti-Dahlhaus, stellt seine Forschungen eben unter diese Idee des Poetischen, die er aber recht simpel als Intention, als Programm des Komponisten nimmt. Tadday dagegen zeigt am Beispiel von Schumanns sehr reflektiertem poetischem Sprechen über Musik, daß für Schumann "die Musik der Interpretation, das heißt der Aufführung und Auslegung bedürftig ist. Denn die poetische Idee einer Musik kann weder durch die Komposition noch durch ihre Interpretation vollständig ausgedrückt werden. Beide stehen in einem Reflexionsprozeß, der durch die poetische Idee bedingt wird." Dieser Gedanke steht im Zentrum des Buches. Und in der Tat, was könnte man von hier aus alles machen! Zum Beispiel zeigen, daß die Autonomie des musikalischen Werkes, also die Subordination der semantisch eindeutigen Affektsprache unter die Einheit der Form, das Poetische und damit die Möglichkeit und Notwendigkeit von Interpretation überhaupt erst erzeugt. So daß Dahlhaus und Floros zusammen das Absolute der Musik im Stande seiner Entzweiung präsentieren.
Aber Tadday? Statt zu denken, zitiert er. Alles, was er für seine Forschungen gelesen hat. Und dokumentiert. Auf die 335 Seiten des Buches kommen gerade einmal 155 Seiten Text, der Rest ist Apparat. In der Hauptsache wird, mit viel Statistik, Schumanns Verwendung des Wortes "romantisch" untersucht. In sie gehen unterschiedliche Diskursstränge ein, die als trivialliterarisch, landschaftsästhetisch, geschichts- und literarphilosophisch geordnet und in je eigenen Kapiteln dargestellt werden. Hier erfährt der Leser nun etwas über Ritterromane, Bildbeschreibungen, die Geschichte des Gartenbaus, er lernt, daß die Romantik das Mittelalter gar nicht wiederentdeckt hat und auch "nicht bloß als irrationalistischer, reaktionärer Reflex auf die rationalistische, vermeintlich fortschrittliche Aufklärung verstanden werden kann", für die Darstellung von Amadeus Wendts "im tiefsten Grunde eklektischer" Ästhetik bedarf es einer "kurzen Klärung der systematischen Voraussetzungen" von Hegels Ästhetik, und wichtig ist es auch zu sehen, daß Jean Pauls Humorverständnis Jacobis gegen Fichte gerichteten Nihilismusvorwurf auf die Frühromantiker anwendet.
Wie kann es dazu kommen? Es mag mit einem Wissenschaftsbetrieb zusammenhängen, der den Streit und damit die Thesenbildung nicht gerade fördert. Es mag daran liegen, daß die Musikgeschichte so lange aus der allgemeinen Geistesgeschichte herausgehalten wurde, daß schon der bloße materiale Fund den Reiz des Neuen trägt. Es wird aber auch sachliche Gründe haben. Tadday rekonstruiert zwar Schumanns Theorie der Interpretation, aber er interpretiert nicht selber. Zu mächtig ist das allgemeine Urteil, das alle musikalische Hermeneutik als bloßes Poetisieren verwirft. Gegenstand der Musikwissenschaft sind formale Analysen (einschließlich der Theorie der absoluten Musik) oder auktoriale Intentionen. Wo aber die Interpretation fehlt, auf deren Begründung hin die Geschichte der Philosophie und der Künste zu untersuchen einzig einen Sinn hätte, bleiben nur Stapel auf dem Schreibtisch hin- und hergeschobener Exzerpte.
GUSTAV FALKE
Ulrich Tadday: "Das schöne Unendliche". Ästhetik, Kritik, Geschichte der romantischen Musikanschauung. Metzler Verlag, Stuttgart 1999. 335 S., geb., Notenbsp., Abb., 78,- DM.
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