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In 17 eng miteinander verwobenen Geschichten führt der als Sprachkünstler gefeierte Autor die Leser einmal um die Welt. Auf höchst unterhaltsame und poetische Weise erzählt Politycki von seinen Figuren, die exotische Orte ebenso durchstreifen wie heimatliche Regionen, auf der Suche nach dem Unerwarteten, dem Neuen, dem Abenteuer ...

Produktbeschreibung
In 17 eng miteinander verwobenen Geschichten führt der als Sprachkünstler gefeierte Autor die Leser einmal um die Welt. Auf höchst unterhaltsame und poetische Weise erzählt Politycki von seinen Figuren, die exotische Orte ebenso durchstreifen wie heimatliche Regionen, auf der Suche nach dem Unerwarteten, dem Neuen, dem Abenteuer ...
Autorenporträt
Matthias Politycki, geboren 1955 in Karlsruhe, besuchte die Schule in Ottobrunn und München. Nach dem Abitur studierte er von 1975 bis 1987 Neuere deutsche Literatur, Philosophie, Theater- und Kommunikationswissenschaft an den Universitäten München und Wien. 1981 erlangte er den Grad eines Magisters, 1987 promovierte er bei Walter Müller-Seidel in München zum Doktor der Philosophie. Nach drei Semestern Lehrtätigkeit als Akademischer Rat am Münchner Institut für Deutsche Philologie wechselte er 1990 zum Beruf des freien Schriftstellers. Er lebt in Hamburg und München. 2009 erhielt er den Münchner Ernst Hoferichter-Preis.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 08.09.2001

Im Einbaum durch die vierte Dimension
Die große Salbader-Safari: In seinen Reisegeschichten jagt Matthias Politycki den vom Austerben bedrohten Augenblick der Stille · Von Jörg Magenau

Die größte Herausforderung für einen Erzähler besteht darin, einen einzigen Augenblick in seiner Totalität zu erfassen. Erzählen geschieht immer in der eindimensionalen Zeit und muß somit all das, was sich gleichzeitig ereignet, in ein Nacheinander auflösen. Deshalb gilt es, Modelle zu finden, mit denen Gleichzeitigkeit in ein lineares Koordinatensystem übersetzt werden kann. Jim Jarmusch hat in seinem Film "Night on Earth" versucht, das Bild eines Augenblicks zu zeichnen, indem er nacheinander fünf Geschichten erzählte, die sich zur selben Zeit in verschiedenen Städten ereigneten. Aus der Summe sollte ein Bild der Welt entstehen - oder wenigstens die vage Vorstellung davon, was sich in einer einzigen Nacht an verschiedenen Orten der Erde parallel ereignen kann.

Matthias Politycki unternimmt in seinen Reisegeschichten "Das Schweigen am anderen Ende des Rüssels" etwas Ähnliches. Er sammelt Augenblicke und stellt sie so nebeneinander, daß sich daraus eine Weltzeitgeschichte zusammensetzt. Das kleine Wörtchen "während" kommt deshalb in diesem Buch am häufigsten vor. Während in Marrakesch knatternde Mopedhorden durch die Altstadt brettern, während in Shanghai Schattenboxer zur Morgenandacht antreten, während im ostsibirischen Bratsk die Turbinen des Staudamms angeworfen werden und in Las Vegas die Mittagshitze flirrt, sitzt der Erzähler am Abend zu Hause, hofft vergeblich, daß jemand anruft, und greift schließlich zu einem Buch. All die Geschichten, die sich genau jetzt, in diesem Moment, ereignen, denkt er sich, müßten doch eigentlich erzählt werden, müßten Dauer erhalten, anstatt sofort wieder zu verschwinden in der teilnahmslosen Zeit. Was für eine Verschwendung!

Also beginnt er, wenigstens von seinen eigenen Erlebnissen zu berichten, auch wenn er weiß, daß er seine Erinnerungen mit niemandem wird teilen können. Der schrecklich schöne Tag, als er mit einem glitzernden Chevrolet über den Strand von Outer Banks fuhr, oder jener andere schrecklich schöne Tag, als er im Einbaum eine afrikanische Flußlandschaft durchglitt, lassen sich so wenig mitteilen, wie man mit Urlaubsbildern seinen Freunden einen Eindruck davon geben kann, was man tatsächlich erlebt hat, wie es sich anfühlte, dort in der Fremde und für einen Augenblick ganz bei sich zu sein. Solche Momente scheinen aus der Totalität der Zeit herauszufallen. Der Erzähler möchte ihnen sein "Verweile doch!" zurufen, da entgleiten sie ihm schon wieder und werden zu Geschichten.

Alle Episoden sind genau datiert. Von Januar 1971 bis September 2009 reicht die Zeitspanne der von Politycki versammelten Augenblicke. Das lockere Hinüberschreiten in eine Zukunft, die in den Geschichten selbst immer schon erlebte Vergangenheit ist, zeigt, daß hier keine historische Zeit abläuft, sondern daß es um Momente des Stillstands geht, in denen sich Ewigkeit erahnen läßt. Für die Safari durch den namibischen Nationalpark oder den karibischen Tauchgang spielt die historische Zeit schon deshalb keine Rolle, weil die Natur, die da gluckst und brüllt, raschelt und rauscht, in anderen Dimensionen zu messen wäre.

"Akupunktur der Stille" heißt eine Geschichte, die mit einer Bootsfahrt über einen ruhigen chinesischen Strom beginnt und damit endet, daß ein Chinese Aale an einen Baum nagelt, um sie in ungerührter Routine aufzuschlitzen und auszunehmen. In diesem Moment, in dem es im Tier noch zittert und zuckt und die Umstehenden sich gegenseitig in die starren Gesichter blicken, bleibt die Zeit stehen. Stillstand und Stille fallen zusammen. Diesen Moment umkreist Politycki hartnäckig immer wieder. Alles Geschehen läßt er um einen ruhenden Pol wirbeln. Alles Getöse kreist um das Schweigen. Das Leben wird sichtbar im Tod.

Es ist kein Zufall, daß die Suche nach dem intensiven Augenblick zwangsläufig immer wieder zu Momenten des Sterbens führt. So ist es im Dezember 1997 in Sharm el-Sheik, wo ein Thunfisch blutend auf den Planken des Bootes liegt und auch dann noch nicht sterben will, als der Koch ihm langsam und präzise einen Besenstiel durch die Kiemen ins Gehirn schraubt. So ist es auch im April 1998, in der Geschichte "Tag eines Schriftstellers", die vom Sterben des Vaters berichtet. Es ist der einzige Text, in dem der Ich-Erzähler sich selbst distanzierend als "der Schriftsteller" bezeichnet. Der Vater ist der erste tote Mensch, den er sieht und berührt. Sein Staunen über den Vorgang des Sterbens ist größer als seine Trauer. Die Emotionen bleiben hinter der nüchternen Beobachtung verborgen. Der weit aufgerissene Mund des Sterbenden, ein letztes, kaum wahrnehmbares Zucken der Augenbraue: wie tröstlich, daß die Zeit auch darüber hinweggeht. In einer Oase der südliche Sahara fällt in dieser Sekunde der Strom aus, so daß der elektrisch verstärkte Ruf des Muezzin schlagartig verstummt.

"Akupunktur der Stille" wäre ein genauerer Titel für dieses Buch gewesen als das scherzhafte "Das Schweigen am Ende des Rüssels". Doch ums Scherzen geht es Politycki eben auch. Einige Erzählungen wurden schon einmal in Zeitungen und Zeitschriften veröffentlicht; Politycki hat sie nachträglich einem Kompositionsprinzip unterworfen. Auch zwei Episoden, die im Kontext des Romans "Ein Mann von vierzig Jahren" im Internet entstanden, sind nun in den Erzählungsband integriert. Politycki zeigt sich darin als geschliffener Stilist. Er, der sich mit steilen Thesen wie "Literatur muß sein wie Rockmusik" für den Unterhaltungswert der deutschen Gegenwartsliteratur stark gemacht hat, beklagt schon seit einiger Zeit in Interviews das mangelnde Formbewußtsein vieler seiner Kollegen. In seinem "Weiberroman" hatte er gezeigt, daß man unterhaltsam und dennoch formal ambitioniert erzählen kann. Mittlerweile grenzt seine stilistische Eleganz schon fast ans Manieristische. Seine Liebe zum Adjektiv treibt ihn stets zur nächsten Pointe voran. Er arbeitet mit bis ins Absurde gesteigerten Wiederholungen, mit listenhaften Aufzählungen, mit Übertreibungen und Versatzstücken eines weltweit gebräuchlichen, aber nicht immer leicht zu entziffernden Pidgin-Englisch.

Das sprachliche Dauerfeuer fällt deshalb so sehr auf, weil die Welt trotz aller Eloquenz bloß als pittoreske Oberfläche in den Blick gerät. Es ist der Blick aus dem Inneren der Gruppenreise, der die Grenzen touristischer Erfahrungsmöglichkeiten kaum überwindet. Das Erzähler-Ich geht deshalb auch nahtlos ins "Wir" der Reisegruppe über. Die Eingeborenen stehen dagegen zumeist ein wenig deppenhaft am Wegesrand herum. Das ist nur deshalb erträglich, weil der Erzähler auch mit Selbstironie nicht spart und die Sehnsucht, an großen Herausforderungen zum Helden zu reifen, immer wieder der Lächerlichkeit preisgibt. Mal verirrt er sich in einer chinesischen Stadt, mal weiß er nicht, wie eine amerikanische Zapfsäule zu bedienen ist, mal geht ihm beim Tauchen die Luft aus - kleinere Abenteuer mithin, wie sie jeder Heimkehrer beim abschließenden Diaabend feilzubieten hat. Da wird man am Ende den Verdacht nicht ganz los, daß es sich auch bei dem Versuch, Gleichzeitigkeit zu erzählen, bloß um einen formalen Kniff handelt, während doch eigentlich nur ein paar Geschichten zum Buch gerundet werden mußten.

Matthias Politycki: "Das Schweigen am anderen Ende des Rüssels". Verlag Hoffmann und Campe, Hamburg 2001. 222 S., geb., 34,90 DM.

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Zweimal acht Geschichten vom Reisen erzählt Matthias Politycki, in der Mitte steht eine wunderbare Erzählung vom "Tag eines Schriftstellers". Das Buch ist kunstvoll - gewiss kein Urlaubs-Ratgeber. Aber wer artistische Prosa und ungewöhnliche Beobachtungen schätzt, wird dies hier lieben: heitere, komische oder traurige Momentaufnahmen aus der Fremde. Und weil Politycki nun mal ein Dichter ist und kein Reiseführer, kommt am Ende immer ein Stück Erkenntnis raus. (Hörzu)

Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Irgendwie gefiel Rezensent Jörg Magenau dies Buch, aber irgendwie gefiel es ihm auch nicht. Er findet Motive und Gedanken darin, die ihn beschäftigen: die Momente der Gleichzeitigkeit, die Akupunktur der Stille, ein sterbender Oktopus - Polityckis gesammelte Augenblicke zwischen Marrakresch, Schanghai und Las Vegas. Das kleine Wörtchen "während" komme in diesem Buch am häufigsten vor. Gesammelte Augenblicke als Weltzeitgeschichte zusammengesetzt, beschreibt Magenau das Verfahren des Autors. Einige Erzählungen, erfahren wir, seien schon in Zeitungen und Zeitschriften veröffentlicht worden. Und ihre skurrile Poesie haben auf den Rezensenten durchaus Eindruck gemacht. Nun habe der Autor sie nachträglich einem Kompositionsprinzip unterworfen. Und hier endet dann Magenaus Gefolgschaft als Leser. Am Ende ist er den Verdacht nicht mehr losgeworden, auch die erzählte Gleichzeitigkeit sei bloß ein formaler Kniff gewesen, um "ein paar Geschichten zum Buch" zu runden.

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