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Ich schreibe diese Rezension, während draußen der April ein frühsommerliches Ende nimmt – und vom Schweigen der Bienen zumindest in unserem Garten keine Rede sein kann.
Ein wenig früh vielleicht, um zum Klang von Vogelgezwitscher über die Liste meiner Jahreshighlights
nachzudenken, die ich Ende Dezember zusammenstellen werde – dennoch bin ich mir fast sicher, dass sich “Das…mehr| MEINE MEINUNG |
Ich schreibe diese Rezension, während draußen der April ein frühsommerliches Ende nimmt – und vom Schweigen der Bienen zumindest in unserem Garten keine Rede sein kann.
Ein wenig früh vielleicht, um zum Klang von Vogelgezwitscher über die Liste meiner Jahreshighlights nachzudenken, die ich Ende Dezember zusammenstellen werde – dennoch bin ich mir fast sicher, dass sich “Das Schweigen der Bienen” darauf wiederfinden wird.
Es ist eines dieser Bücher, die sich von Genregrenzen nicht einschränken lassen: ist es Gegenwartsliteratur, Krimi, magischer Realismus oder Drama? Auf jeden Fall ist es “Coming of Age”, also ein Buch über das Erwachsenwerden, und das passiert hier unter mehr als widrigen Umständen.
Die beiden Schwestern Sam und Ollie müssen sich nicht nur mit dem frühen Tod ihrer Mutter auseinandersetzen, sondern auch das Zusammenlernen mit Vater ‘Bear’ neu erlernen, der als bienenzüchtender Aussteiger in einem Tipi lebt und seinen Töchtern wenig von dem zu bieten hat, was man als stabile familiäre Situation bezeichnen könnte. .
Valerie Geary beschreibt dieses Erwachsenwerden tiefgründig, spannend und mit einer unglaublich dichten Atmosphäre.
Der Leser wird von Anfang an hineingezogen in einen intensiv geschilderten Sommer, der von großer Trauer geprägt ist, aber auch vom Kampf um einen Neuanfang. Bevor die Mädchen in irgendeiner Weise Fuß fassen können, finden sie an ihrer liebsten Badestelle am Fluss die Leiche einer Frau – und die sieht nicht so aus, als wäre sie einfach ‘nur’ bei einem Badeunfall ertrunken.
Für die Menschen in der nächsten Stadt ist der eigenwillige, schroffe Bear der offensichtliche Verdächtige. Und je mehr Sam und Ollie erfahren, desto beklommener müssen sie sich fragen, ob sie ihren Vater überhaupt wirklich kennen.
Valerie Geary zeichnet mit leichter Hand und doch emotionaler Wucht die zwischenmenschlichen Bande.
Die Beziehungen innerhalb dieser kleinen Familie, die auf vielfältige Art zerbrochen ist, aber möglicherweise wieder zusammengesetzt werden kann. Die Beziehungen zu anderen Menschen, die Vater Bear mit Misstrauen und Vorurteilen begegnen. Und natürlich die Beziehung, in der die tote Frau möglicherweise zu ihm stand.
Am bestechendsten gezeichnet und dadurch auch am bewegendsten ist die Beziehung zwischen den beiden Schwestern Sam und Ollie, die abwechselnd als Erzählerinnen zu Wort kommen. Man spürt, dass zwischen ihnen eine tiefe Liebe herrscht, die aber manchmal verzweifelt an Ollies Schweigen, denn das kleine Mädchen hat seit dem Tod ihrer Mutter nicht mehr gesprochen.
Als Leser weiß man von Anfang an, warum das so ist.
Sam hingegen kann nur raten und reagiert oft zornig und ratlos, obwohl (oder vielleicht gerade weil?) ihre kleine Schwester alles für sie ist. Interessanterweise spricht Sam in der Vergangenheitsform, Ollie dagegen in der Gegenwartsform, was gut zu ihren Persönlichkeiten und ihrem jeweiligen Alter passt und es dem Leser auch einfacher macht, die ‘Stimmen’ der beiden zu unterscheiden.
Ollies Schweigen und dessen Grund sind das Element, wegen dem sich das Buch dem Genre “magischer Realismus” zuordnen ließe: sie kann die “Schimmernden” sehen: die Geister von Menschen, die aus irgendeinem Grund nach ihrem Tod nicht loslassen können. Und sie ist nicht bereit dazu, deren Sprachrohr zu sein.
Aber das tut dem Gefühl von Wirklichkeit und Wahrheit keinen Abbruch.
Ich hatte beim Lesen nie das Gefühl, Fantasy zu lesen – die Geschichte ist in sich schlüssig und realistisch. Auch die Charaktere sind ungemein lebensecht und glaubhaft. Ich habe mit Sam und Ollie mitgefühlt auf ihrem schweren Weg hinaus aus der Trauer und hin zu einem Neuanfang, ich habe mitgefiebert bei der Suche nach dem Mörder der unbekannten Frau im Wasser.
Es passt alles zusammen.
Die verschiedenen Aspekte der Geschichte ergänzen sich, statt sich gegenseitig zu behindern, wie man es vielleicht erwarten könnte.