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Mit diesem Buch führt Amos Oz uns ein in die erzählte Welt von Samuel J. Agnon, dem großen Klassiker der hebräischen Literatur. Aber diese Einführung macht zugleich mit Amos Oz' eigenem Erzählen vertraut; denn Agnon war einer seiner Lehrer, dem Amos Oz als junger Student begegnete.

Produktbeschreibung
Mit diesem Buch führt Amos Oz uns ein in die erzählte Welt von Samuel J. Agnon, dem großen Klassiker der hebräischen Literatur. Aber diese Einführung macht zugleich mit Amos Oz' eigenem Erzählen vertraut; denn Agnon war einer seiner Lehrer, dem Amos Oz als junger Student begegnete.
Autorenporträt
Oz, Amos
Amos Oz wurde am 4. Mai 1939 in Jerusalem geboren. 1954 trat er dem Kibbuz Chulda bei und nahm den Namen Oz an, der auf Hebräisch Kraft, Stärke bedeutet. Seit dem 6-Tage Krieg ist er in der israelischen Friedensbewegung aktiv und befürwortet eine Zwei-Staaten-Bildung im israelisch-palästinensichen Konflikt. Er ist Mitbegründer und herausragender Vertreter der seit 1977 bestehenden Friedensbewegung Schalom achschaw (Peace now). Sein Werk wurde vielfach ausgezeichnet (Friedenspreis des Deutschen Buchhandels 1992, Goethe-Preis der Stadt Frankfurt am Main 2005, Siegfried Lenz Preis 2014). Eine Geschichte von Liebe und Finsternis wurde in alle Weltsprachen übersetzt und 2016 als Film adaptiert.

Achlama, Ruth
Ruth Achlama, geboren 1945 in Quedlinburg, studierte Rechtswissenschaft in Heidelberg und Bibliothekswissenschaft in Jerusalem. Heute ist sie hauptberuflich als freie Übersetzerin tätig und lebt in Tel Aviv.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 06.10.1998

Kruste des Kummers
Amoz Oz erklärt Samuel Agnon / Von Jakob Hessing

Der Suhrkamp Verlag macht es sich zur Aufgabe, dem deutschen Leser einen Zugang zum Gesamtwerk seines Autors Amos Oz zu verschaffen - nicht nur zu den Romanen und Erzählungen, sondern auch zu den Schriften, in denen er sich mit anderen Schriftstellern auseinandersetzt. Im Jüdischen Verlag, der zu Suhrkamp gehört, erscheinen jetzt seine gesammelten Studien zum Werk von Samuel Joseph Agnon (1888 bis 1970), dem neuhebräischen Klassiker und Nobelpreisträger.

Der Band vereinigt vier Texte. Der erste, ein früher Vortrag, ist schon 1975 entstanden, die anderen wurden Ende der achtziger und zu Beginn der neunziger Jahre geschrieben; eine lange, intensive Beschäftigung mit der Schlüsselfigur einer Nationalliteratur, die ihren Wurzelbereich aufdeckt und zugleich den Grundkonflikt sichtbar macht, der in ihr zur Sprache kommt.

"Agnons Geschichten aus vergangenen Zeiten", heißt es schon im Vortrag des jungen Oz, "enthalten eine verdrängte Wahrheit: Was zerbrach - ist unheilbar zerbrochen. Nicht jene, die Progrome anzettelten, nicht die Bösen unter den Völkern, nicht Hitler und auch nicht die Befürworter von Assimilation, Aufklärung oder Zionismus haben die Mauern von Halacha und Überlieferung eingerissen, sondern das Haus ist von innen her zerfallen, unter der Last seiner eigenen Widersprüche, dem Gewicht seiner Gesetze, Verordnungen und Verbote." Das Judentum, so liest Amos Oz den großen alten Mann der israelischen Literatur, ist von innen her zerbrochen. Aber es ist merkwürdig - in die Reihe der Phänomene, die es gefährdet haben, stellt er auch den Zionismus und rückt damit eine Dialektik ins Licht, die der jüdischen Nationalbewegung seit jeher innewohnt.

Oz selbst ist schließlich zu einem Kronzeugen dieser Dialektik geworden, aber hier schreibt er nicht über die eigene Generation, sondern über den Vorfahren. In Agnons Werk spürt er die Wurzeln von Entwicklungen auf, denen Oz und seine Zeitgenossen später nachgehen werden. Und es ist sicher kein Zufall, daß seine Studien die jüdische Familientragödie aufdecken, von der Agnon erzählt: Erst in der Folge der Generationen erfährt das Judentum seine Geschichte und seinen Zusammenbruch.

Kein Zufall ist es wohl auch, daß sich Oz seit dem Ende der achtziger Jahre, als der Zionismus in die Krise der Intifada und ihrer Folgeerscheinungen gerät, verstärkt dem Werk Agnons zuwendet. Von Anfang an hat dieses Werk die jüdische Nationalbewegung kritisch begleitet, und Amos Oz läßt seine Lektüre in eine Interpretation des großen Romans "Gestern, Vorgestern" münden - sie umfaßt 180 Seiten und nimmt zwei Drittel des Bandes ein.

Der Roman erzählt von Jizchak Kummer, der aus Europa nach Palästina auswandert, dort ein böses Schicksal erleidet und am Biß eines tollwütigen Hundes stirbt. Die Handlung spielt in den Jahren 1908 bis 1911, doch Agnon hat ihn erst zwischen 1931 und 1945 geschrieben. Im Rückblick erzählt er von der Zeit, in der er selbst zum erstenmal ins Land eingewandert ist, zugleich aber wird er Zeuge des jüdischen Untergangs in Europa. Die Ebenen schieben sich ineinander: Am Schicksal Jizchak Kummers demonstriert Agnon die Fragwürdigkeit des zionistischen Erlösungstraumes in gottferner Zeit.

Diese Gottferne, so wird es der orthodoxe Standpunkt schnell bestimmen, ist auch die Schuld der Juden selbst. Sie sind vom rechten Weg der Tradition abgewichen, und zu ihren Sünden gehört der Zionismus; indem sie sich selbst aus dem Exil zu befreien suchen, übernehmen sie die Rolle der Vorsehung und werden bestraft. Schon im Namen des Protagonisten drückt sich diese Spannung aus: "Jizchak" war das Gotteskind des Stammvaters Abraham, mit "Kummer" aber - ein Wort, das nicht aus dem Hebräischen, sondern aus den Sprachen des Exils stammt - wird das ganze Unglück des Gottesvolkes offenbar.

Oz verfolgt diese Möglichkeiten einer allegorischen Schuldzuschreibung, aber die Tragödie geht in ihnen nicht auf. Am Ende seiner ausführlichen Lektüre des Romans zitiert er die einfachen, gottesfürchtigen Menschen im Jerusalem Agnons. Sie verstehen das Schicksal Jizchak Kummers gerade deshalb nicht, weil es in ihrer Welt keine kategorische Theodizee mehr geben kann. "Und wenn wir uns nun", so faßt es der kommentierende Erzähler zusammen, "Jizchaks Erfahrungen näher betrachten, so stehen wir zitternd und betroffen. Warum wurde er, der nicht schlechter als andere Menschen war, so hart gestraft?" Es ist die Frage des modernen Juden, und an ihr macht Amos Oz auch die Modernität Agnons fest. Der Himmel, so sagt es der Titel der Studie, schweigt zu dieser Frage, und Oz untersucht, wie der Klassiker der neuhebräischen Literatur mit dem Schweigen umgeht.

Einen Teil seiner bedeutendsten Werke hat Agnon noch vor der Staatsgründung geschrieben, auch den Roman "Eine einfache Geschichte". Der dort dargestellten Familientragödie gibt Oz eine eigenwillige Deutung: Statt der Geliebten zwingt eine Mutter ihrem Sohn eine andere, standesgemäße Frau auf, und daran geht er zugrunde; Amos Oz aber liest den von der Forschung immer als Selbstzerstörung verstandenen Roman gegen den Strich, entdeckt in ihm die heimlichen Zeichen einer glücklichen Ehe, die sich vor der drohenden Mutter als Unglück tarnt.

Es soll hier nicht entschieden werden, ob diese unkonventionelle Auslegung zu halten ist. Auffallend bleibt immerhin, daß Oz seine eigene These zu unterlaufen scheint: Wenn Agnon der kastrierenden Mutter ihren Sohn wirklich entkommen läßt, dann schlägt er dem schweigenden Himmel ein unerwartetes Schnippchen. Schwarzer Humor wäre auch bei tragischen Erzählern keine Seltenheit, zu fragen aber bliebe, ob Oz hier ganz in seinem Element ist. "Eine einfache Geschichte" spielt im Europa des vorigen Jahrhunderts, mit Palästina hat sie nichts zu tun, und man kann sich des Eindrucks nicht erwehren, daß Oz diese Tragödie des Exils ein wenig zu israelisch gefärbt hat.

Großartig aber ist er, wo Agnon seine Kunst an der Grenzlinie zwischen Jerusalem und der Diaspora ansiedelt und wo ihm Amos Oz bis in alle Einzelheiten folgen kann. Agnons "Tehilla" bietet uns ein Beispiel dafür - eine meisterhafte Erzählung, der Oz eine meisterhafte Interpretation schreibt.

Tehilla, eine über hundert Jahre alte Frau in Jerusalem, scheint unter dem Schutz der Ewigkeit zu stehen; alle Herrlichkeit der Tradition verkörpert sich in ihr, schon ihr Name ist eine Abwandlung des hebräischen Wortes für den Psalm, die Lobpreisung Gottes. Daneben ist der Erzähler, durch dessen Augen wir sie sehen, ein Mann der Gegenwart: In dem Bild, das er von ihr zeichnet und in dem sich schrittweise eine grauenhafte Lebensgeschichte entfaltet, stehen sich eine alte und eine neue Welt gegenüber - der heilige Text der Vergangenheit und der weltliche Text der modernen, von Agnon selbst geschriebenen Literatur.

In ihrer Jugend wurde Tehilla dem Geliebten entrissen, weil er sich gegen das Joch des alten Dogmas aufgelehnt hatte, und ihr ganzes Leben stand seither unter dem Familienfluch. Die Ehe mit einem ungeliebten Mann führte von einer Katastrophe in die andere, und jetzt, am Ende ihres Lebens, diktiert sie dem Erzähler einen Brief, in dem sie den längst gestorbenen Geliebten ihrer Jugend um Verzeihung bittet. Dann geht sie mit einer vorher niemals ausgesprochenen Empörung gegen Gott in den Tod.

Amos Oz setzt sich mit den zahlreichen Interpreten der Erzählung auseinander, die diesen dunklen Aspekt des Heiligen auszublenden suchten. Er liest es als das nicht eingestandene Schuldbekenntnis des Zionismus, der in einer einseitig gedeuteten Tehilla das verlorene Paradies retten wollte, hebt seine Verdrängung auf und singt das Loblied der Moderne. "Nicht Tehilla", so widerspricht er den Apologeten, "erhebt den Erzähler auf die Höhen des naiven Glaubens, sondern der Erzähler - der vielleicht als der wahre Held der Geschichte zu betrachten ist - formt die Vergangenheit um und offenbart die Fratze des Ungeheuers, das unter der idyllischen Kruste des Glaubens verborgen liegt."

Amos Oz: "Das Schweigen des Himmels. Über S. J. Agnon". Aus dem Hebräischen übersetzt von Ruth Achlama. Jüdischer Verlag, Frankfurt am Main 1998. 264 S., geb., 48,- DM.

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